In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und der SPD gibt es auch Dissens um das Selbstbestimmungsgesetz, denn die Union will dieses wieder ändern. Queere AktivistInnen reagieren mit scharfem Widerspruch in teils schriller Tonlage.

30. März 2025| Till Randolf Amelung
Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und der SPD stocken, es gibt in mehreren Bereichen Differenzen. Im Feld der Familienpolitik betrifft es einem Bericht des Tagesspiegel zufolge vor allem die Themen Prostitution, Schwangerschaftsabbruch, aber auch queerpolitische Felder wie das Selbstbestimmungsgesetz und die Reform des Abstammungsrechts.
Die Union will das erst im November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz in der jetzigen Form, also mit der voraussetzungslosen Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag nicht beibehalten. Ausschlaggebend hierfür sind vor allem Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Jugendschutzes.
Diese Bedenken sind berechtigt, wie zum Beispiel der medial breit aufgegriffene Fall von Marla-Svenja Liebich, einer aktivistischen Person aus dem rechtsextremistischen Milieu in Sachsen-Anhalt, verdeutlicht. Ein Fall der zeigt, was passiert, wenn überhaupt nicht mehr geprüft wird, ob die Motivation zur Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag zur Absicht des Gesetzes passt. Hier ist krass belegt, dass das Tor für Missbrauch der geschlechtsidentitären Frage weit geöffnet war und weiterhin bleibt. Auch biologische Frauen, die ihre Schutzräume auf der Definitionsbasis des biologischen Geschlechts gefährdet sehen, sind von dem Gesetz betroffen: Das will die Union ändern, die SPD hingegen nicht.
Änderung des Selbstbestimmungsgesetz unerwünscht
Doch im queeren Aktivismus will man von solchen Bedenken nichts wissen und betrachtet die Position der CDU/CSU als Angriff. Die Bundestagsabgeordnete und Transfrau Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) schreibt auf Instagram: „Herr Merz, wenn Sie queere Menschen entrechten wollen, dann erwarten Sie unseren Widerstand.“ Und, in der Pose des Dramatischen verharrend: „Queeres Leben ist nicht verhandelbar.“ Nora Eckert kommentiert im Community-Medium queer.de, dass sie die Gegenpositionen der Union zu allen zentralen queerpolitischen Themen nicht überrasche, „denn mit der Union war schon in der Vergangenheit kein Blumentopf in queerpolitischen Fragen zu gewinnen“.
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) wirft der CDU/CSU in einem Facebook-Beitrag „Populismus“ vor und dass sie sich ihre Positionen in den USA abgeschaut hätten. Doch es geht noch entgrenzter im Ton, denn die dgti setzt die Union mit der Alternative für Deutschland (AfD) gleich: „Die Strategen der Union benutzen die ‚Brandmauer‘ zur AfD nur als Propagandatrick. ‚Seht her, wir sind nicht so wie die‘, doch viele dort sind es, vor allem, wenn es um geschlechtliche Vielfalt geht.“
Union ist nicht gegen Trans
Dabei ist das Gegenteil wahr, denn CDU/CSU stellen Trans nicht als solches in Frage, sondern dass eine Kategorie wie Geschlecht gänzlich der Selbstdefinition überlassen werden soll. Ebenso mahnen UnionspolitikerInnen berechtigterweise zur Vorsicht, wenn es um Geschlechtswechsel bei Kindern und Jugendlichen geht. Die Entwicklungen im Ausland, insbesondere dass mehrere europäische Länder ihren Kurs wieder weg von „Affirmation“, also vorbehaltoser Anerkennung der Geschlechtsidentität bewegen, geben der Union Recht. Kurz gesagt fielen bei dem gender-affirmativen Modell, also ein zügiges Bestätigen der Äußerungen über die Geschlechtsidentität, Kinder und Jugendliche durchs Raster, bei denen Geschlechtsdysphorie Symptom, aber nicht die Ursache für ihr Leiden war. Mit Pubertätsblockern, gegengeschlechtlichen Hormonen sowie auch rechtlichen Änderungen bekamen sie zu schnell Maßnahmen, die sie nicht gebraucht hätten.
Vielmehr muss gefragt werden, warum man in Ländern wie Großbritannien, Finnland, Dänemark oder Schweden in Bezug auf Minderjährige wieder vorsichtiger wird. Stattdessen bemühen queere AktivistInnen in und außerhalb des Bundestags eine Katastrophen-Stimmung, die in AfD-Vergleiche münden. Dabei wäre die Energie besser darin investiert, sich einmal gründlich zu informieren und nicht nur an den ideologisch genehmen Dingen zu kleben. Es ist nur richtig, ein schlecht gemachtes Gesetz da zu korrigieren, wo es notwendig ist.
Gerade das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Risiko mit Ansage gewesen. Eine nachhaltige Ablöse des Transsexuellengesetzes (TSG) hätte erfordert, seriöse Verhandlungen mit CDU/CSU zu führen und vor allem auf die offenkundigen Schwachstellen einzugehen. Dann wäre keine Diskussion um das Ergebnis entstanden, wie jetzt beim Selbstbestimmungsgesetz. Doch AktivistInnen, darunter auch der nun ehemalige Queerbeauftragte Sven Lehmann (Bündnis 90/ Die Grünen), wollten sich ihre Ideologie nicht von der Wirklichkeit ruinieren lassen und haben daher lieber ein handwerklich schlecht gemachtes und angreifbares Gesetz fabriziert. Wer wirklich etwas für Queers im Allgemeinen und Trans im Speziellen tun will, sollte darauf achten, solide und im Einklang mit der Evidenz zu arbeiten. „Pfusch am Bau“ ist nur tatsächliches Futter für feindlich gesinnte PopulistInnen wie die AfD.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.