Nicht Tessa Ganserer, sondern Valerie Wilms war die erste Transfrau, die, für die Grünen, als Abgeordnete in den Bundestag einzog. Nun hat Wilms ihre Autobiografie veröffentlicht und bezieht darin auch Stellung gegen das 2024 beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Ein Irrwitz? Nein, sie liefert Gründe für ihre Argumente. Trotz der in literarischer Hinsicht nicht herausragenden Sprache, lohnt sich die Lektüre.  

Hintergrund Plenumssaal des Deutschen Bundestags durch die Kuppel fotografiert; im Vordergrund das Buchcover von Valerie Wilms Autobiografie. Symbolbild für Artikel "Valerie Wilms - Die erste Transfrau im Bundestag distanziert sich vom Transaktivismus".
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms hat ihre Autobiografie veröffentlicht (Plenarsaal des deutschen Bundestags, Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash).

15. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Valerie Wilms, ehemalige Bundestagsabgeordnete für die Grünen, hat sich nun im Alter von 71 Jahren mit der Veröffentlichung ihrer Autobiografie öffentlich als Transfrau geoutet. Tessa Ganserer und Nyke Slawik können nun nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, die ersten Transfrauen im Bundestag gewesen zu sein. Wilms, die im Alter von 43 Jahren den Schritt zur Geschlechtsangleichung ging und ihre politische Karriere nach ihrer Transition begonnen hat, hatte von 2009 bis 2017 ein Mandat inne. Nach ihrer Zeit im Bundestag ging sie in die Kommunalpolitik, bis 2024 saß sie für die Wählervereinigung Wedeler Soziale Initiative (WSI) im Stadtrat ihres Wohnortes Wedel. Inzwischen ist sie gänzlich aus der Politik ausgeschieden.

Thema Trans politisch vermieden

Doch Wilms vermied es als Abgeordnete bewusst, das Thema Trans politisch zu besetzen. Denn sie wollte nicht auf ihr Transsein reduziert werden, sondern ein unbehelligtes Leben führen und stattdessen als fachlich kompetente Verkehrspolitikerin in Erscheinung treten. Mit ihrer Autobiografie nun stößt sie nicht nur Ganserer und Slawik von ihren Podesten, sondern bezieht auch Stellung gegen ihre Partei – vor allem gegen das Selbstbestimmungsgesetz.

Dieses Gesetz ist seit November 2024 in Kraft und ersetzt das vorherige, über vierzig Jahre alte Transssexuellengesetz (TSG). Valerie Wilms hat für ihre Geschlechtsangleichung 1996 noch ein Verfahren nach dem TSG benötigt, was zu diesem Zeitpunkt noch zwei Begutachtungen voraussetzte sowie eine Scheidung und eine weitmögliche körperliche Angleichung an das Identitätsgeschlecht. Die beiden letztgenannten Voraussetzungen wurden 2009 bzw. 2011 durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts gekippt.

Wilms lobt altes TSG

Trotz der vergleichsweisen rigiden Bedingungen, unter denen Wilms die Änderung ihres amtlich dokumentierten Vornamens und Geschlechtseintrag durchsetzen musste, verteidigt sie in ihrem Buch das TSG. Dieses Gesetz habe „klare und eindeutige Regelungen“ geboten und damit auch die Betroffenen geschützt. Das Selbstbestimmungsgesetz lehnt sie hingegen strikt ab, es war 2023 sogar ihr letzter Anstoß, die Grünen nach fast achtzehn Jahren Parteizugehörigkeit wieder zu verlassen. In einer damals veröffentlichten Presseerklärung warf Wilms den Grünen vor, Treiber einer „woken Kulturrevolution“ zu sein. In ihrem Buch, aber auch in Interviews äußerte Wilms die Sorge, dass diese „woke Kulturrevolution“ am Ende zum Verlust bereits erreichter Akzeptanz von Transmenschen führen könnte.

Wilms‘ Buch ist nicht aus literarischen Gründen bemerkenswert, sondern weil es einen Einblick in das Leben einer Transfrau bietet, die als Abgeordnete im Licht der Öffentlichkeit stand und der es trotzdem gelungen ist, das Transthema aus dieser herauszuhalten. Wie Wilms erwähnt, wurde durchaus die BILD-Zeitung auf sie und ihren Hintergrund aufmerksam. Sie signalisierte deutlich, dazu nichts sagen zu wollen. Obwohl es dieser auf Grelles abonnierten Zeitung schon damals möglich gewesen wäre, Valerie Wilms‘ Transition gegen ihren Willen an die Öffentlichkeit zu zerren, ist das nie passiert.

Ein offenes Geheimnis war ihre Transition dennoch, das verriet ein Kommentar der CDU-Politikerin und ehemaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Kurznachrichtendienst X, die zeitgleich mit Wilms in der Bundespolitik aktiv war: „Ich habe immer in mich rein gelächelt, wenn es hieß, Tessa Ganserer sei die erste #Transfrau im Bundestag. Denn ich wusste: Das war Valerie Wilms, grüne MdB 2009 – 2017, Kandidatin im Wahlkreis meines Mannes, Pinneberg.“

Tessa Ganserer als Gegenentwurf

Cover Buch "Meine zwei Leben" von Valerie Wilms
Valerie Wilms: Meine zwei Leben. Als Junge geboren – als Frau im Bundestag, 152 Seiten, Langen-Müller Verlag, 2025, ISBN: 978-3-7844-3743-9, Paperback, 20,00 Euro.

Ganz anders wurde auf Wilms‘ ehemalige Parteikollegin Tessa Ganserer reagiert, die Trans zum Hauptthema ihrer Zeit als Abgeordnete machte und immer wieder für eine Parlamentarierin unangemessen auffiel. Zum Beispiel, als sie im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz im November 2023 in Reizwäsche auftrat oder anderweitig irritierende Auftritte dokumentiert wurden. Valerie Wilms konnte hingegen frei von Kritik und Anfeindungen ihr Mandat ausüben und erklärt dies so: „Um ein Bundestagsmandat auch als solchermaßen ‚gehandicapte Person‘ auszufüllen, braucht es nur verantwortliches und konsequentes Handeln, keinen ‚politischen Klamauk‘.“

Valerie Wilms ist gelungen, was viele andere Transpersonen sich wünschen: Nicht auf trans reduziert zu werden und eine gewisse Gestaltungshoheit über das berufliche und private Leben zu behalten. Das geht nicht ohne Anpassungsleistungen, wie erwähnt, dass man eben nicht in Reizwäsche in eine Ausschusssitzung geht.

Der von Wilms kritisierte aktuelle Transaktivismus hingegen macht ausschließlich die Gesellschaft für das eigene Glück verantwortlich und behauptet, das TSG verletzte die Menschenrechte.  Ebenso wird penetrante Sichtbarkeit und Benennung von Trans als unerlässlich für die Vergrößerung der Akzeptanz vermittelt. Wilms‘ Darstellungen zeigen, dass diese Überzeugungen hinterfragt werden sollten.

Rückläufige gesellschaftliche Akzeptanz

Das Dogma der selbstbestimmten Geschlechtsidentität entbehrt ebenso wie die Behauptung über die Existenz von mehr als zwei biologischen Geschlechtern jeder wissenschaftlichen Grundlage und fördert gerade eine Rückabwicklung bereits erreichter Akzeptanz. Das fürchtet auch Valerie Wilms. Der Blick in die USA zeigt, dass diese Ängste berechtigt sind. Nach der Wahl Donald Trumps stellte die Journalistin Pamela Paul in der New York Times fest, „dass fortschrittliche Ideen über die Geschlechtsidentität immer weniger [Menschen] unterstützen, je mehr sie in der Öffentlichkeit bekannt und verstanden werden“.

Deutsche Transaktivistas wollen von all dem jedoch nichts wissen und reagieren entsprechend empört auf Wilms‘ Autobiografie. Translobbyistin Nora Eckert befand auf queer.de, diese sei „wie ein Schlag ins Gesicht“. Besonders übel scheint man Wilms nicht nur die Verteidigung des TSG zu nehmen, sondern auch die Feststellung, dass eine Transfrau nicht biologisch weiblich, sondern männlich ist und es daher immer einen Unterschied zwischen ihnen und biologischen Frauen geben wird. Online-Aktivistin Joelina bezeichnet Wilms‘ Einlassungen in ihrem Blog daher als „offenen Verrat“.

Von Selbsterkenntnis, einen eigenen Anteil am konservativen Backlash zu haben, ist man hierzulande also noch weit entfernt. Valerie Wilms hingegen erkennt in ihrer Autobiografie weitsichtig, dass auch sie vom zurückschwingenden Pendel erfasst werden könnte. Da die Hoffnung aber zuletzt stirbt, sei dennoch allen Transaktivistas der Blick in Valerie Wilms‘ Buch empfohlen und damit auch eine kritische Selbstreflektion, wo man mit dem eigenen Aktivismus in den vergangenen zehn Jahren falsch abgebogen sein könnte.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.