Der Initiative Queer Nations wird vorgeworfen, sie trüge das Wort „Queer“ zu Unrecht im Namen. Doch eine solche Bewertung beruht auf einer engführenden Definition des Begriffs. Jan Feddersen, Vorstandsvorsitzender der ersten Stunde, erläutert die Namenswahl und warum unsere KritikerInnen gouvernantenhaft falsch liegen.

Glitzer auf Regenbogen in Farben der Prideflagge für LGBTI,
 Symbolbild für Artikel "Wie sehr wir queer sind - und warum".
Auch wir sind queer (Foto von Alexander Grey auf Unsplash).

9. Juli 2025 | Jan Feddersen

Wir werden öfter gefragt: Ihr nennt Euch „Initiative Queer Nations“ – aber warum, da ihr doch den philosophischen und sprachwissenschaftlichen Befunden von Judith Butler & Co. misstraut? Was an Euch ist „queer“? Die Aktivista Nora Eckardt fragte in ihrer jüngsten Rezension des aktuellen „Jahrbuch Sexualitäten“:

„Wie schon in vorangegangenen Editionen, so bleibt sich IQN auch diesmal treu in ihrer Ablehnung der ‚queeren Weltanschauung‘, mit der eine Gruppe von Schwulen und Lesben offenkundig arg fremdeln. Mal in echt, wäre es nicht wirklich an der Zeit, den Verein umzubenennen? Wettern dauernd gegen queer und wollen das Label trotzdem behalten. Aber wenn man nicht verkauft, was auf der Packung steht, dann ist das der klassische Fall von Mogelpackung, oder?“

In dieser Klage stecken eine Menge Missverständnisse: „Queer“ ist kein Vereinsabzeichen, kein Mitgliedschaftsverhältnis, aus dem jemand – oder ein Verein – per moralischer Klage („Mogelpackung“) entlassen werden könnte. Wir regen auch keinen Abschied von queerer Weltanschauung an, vielmehr veröffentlichen wir Texte und stellen sie in Queer Lectures zur öffentlichen Debatte: Queeristische Dogmatik ist mit uns allerdings nicht zu haben.

Gründung der IQN

Als Jörg Litwinschuh-Barthel, damals Mitarbeiter des LSVD, und ich an einem Maiabend im Jahre 2005 überlegten, einen Verein zu begründen, der alle Teile der LGBTI-Szenen für ein erinnerungspolitisches Projekt zusammenführt, wollten wir mehr, als nur eine Gedenkstätte im Berliner Tiergarten in Erinnerung an die Tradition der sexuellen Emanzipationen und Forschungen in der Weimarer Republik schaffen. Eben eine Art Institution aus der übrigens 2011 die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld errichtet wurde. Für unseren Namen wählten wir das damals noch nicht allzu geläufige Wort „queer“, weil wir unser Projekt nicht als schwul orientiert verstehen wollten. „Queer“ stand für alle im LGBT-Bereich, quasi für eine Sammelbezeichnung, nicht als ideologisch festgefügte Anordnung, der man sich normativ zu unterwerfen hat.

Plural und wissenschaftlich

Deshalb verstehen wir uns als plural, lehnen aber Glaubensinhalte unwissenschaftlicher Art ab, denen zufolge es beispielsweise mehr als zwei biologische Geschlechter gibt. Und wir wissen auch, dass das biologische Geschlecht keineswegs sozial konstruiert ist.  Daher lehnen wir die Inklusion von Transfrauen im Frauensport ab, denn Transfrauen, die eine männliche Pubertät durchlebten, haben gegenüber biologischen Frauen im Wettkampf immer noch starke Vorteile.

Hingegen glauben wir, dass schwule Männer, lesbische Frauen, intersexuelle Menschen, Transmenschen in einer sie oft noch ablehnenden Welt Glück verdienen. Wie sich eine Person selbst sieht („identifiziert“), liegt nur an der Person selbst, nicht an uns: Identitäten gibt es eine Menge. Dass wir das in Deutschland 2024 beschlossene Selbstbestimmungsgesetz in seiner aktuellen Form ablehnen, liegt u.a. an vielen lesbischen Frauen, die das Recht haben sollten, auch mal unter sich, d.h. biologischen Frauen, bleiben zu dürfen. Wir glauben, dass die Schutzräume von Frauen unangefochten bleiben sollen. Außerdem zeigen Fälle wie der von Marla-Svenja Liebich, einer rechtsextremistischen Person, dass man Sicherheitslücken schafft, wenn man gar nicht mehr nach einer plausiblen Motivation für eine amtlich dokumentierte Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags fragt.

Kein LGBTI-Mainstream

Aber zurück zu „Queer“: Die Kritik an uns ist bei Lichte besehen antiqueer. Sie macht uns zum Vorwurf, die Ansprüche des zeitgenössischen Mainstreams der LGBTI*-Szene (und all ihrer staatlichen GeldgeberInnen, Förderinstitutionen) zu verletzen. Insofern ist die Kritik richtig: Wir publizieren keine Erbauungsliteratur, keine religiösen Erweckungs- oder Bestärkungstexte, sondern Kritik an den bestehenden Verhältnissen.

Wir nehmen wahr, dass ein erheblicher Teil von Lesben, Schwulen und Transmenschen sich durch die Szeneüblichkeiten des Queeristischen nicht repräsentiert fühlt. Queerismus, falls jemand über dieses Wörtchen gestolpert sein sollte, ist der Zustand, wenn jemand andere geißelt, in deren Namen er/sie sprechen will, weil die anderen die reine Lehre nicht mitmachen. Aber das Vertrackte ist nur: Queer ist keine reine Lehre, sondern ein Tool, ein Werkzeug geistiger Art, sich gegen die Zumutungen der anderen, auch der Queeristen zu wappnen.

Queer, so gesehen, ist für uns ein Konzept, dass jeder und jede so sein kann, wie er oder sie oder es will, in der taz habe ich vor fünf Jahre einige Gedanken aufgeschrieben. Alle wollen für sich normal sein, niemand möchte AußenseiterIn sein: Das zu schaffen nennt man gewöhnlich Erwachsenwerden. Queer, das darauf setzt, aus dem Außergewöhnlichen eine neue Normalität zu kreieren, zugleich eine Ideologie, eine Antinormalität zu basteln, ist religiös, weltanschaulich unterwegs. Das mögen wir ablehnen, vor allem ist es – anstrengend.

Queere Heteros?

Queer ist außerdem aktuell ein Zustand, der heterosexuell orientierte Menschen begünstigt. Heteromänner, die sich die Fingernägel blau anstreichen und sich als „queer“ verstehen, aber niemals eine schwule Erfahrung machten, kommen viel zu oft in den Genuss von staatlichen Subventionen, oft in Rivalität mit schwulen Männern, die solche kosmetischen Veränderungen an sich selbst eher obskur finden. Das gleiche gilt für Frauen: Reine Lesbenprojekte fallen hinten runter, wenn Heteras einen auf queer machen.

Mit anderen Worten: Wir heißen Initiative Queer Nations, weil wir Queeres nicht ideologisieren. Sondern uns immer fragen: Was wollen Homo- und Bisexuelle (Frauen wie Männer) überhaupt, was wollen Intermenschen, was Transpersonen? Alle Forschungsergebnisse dazu  besagen: in Ruhe gelassen werden, auch von falschen IdeologInnen, die eine angeblich reine Lehre vertreten und doch nur MissionarInnen in eigener Sache sind, die ihre Bewegungsbibeln an den Mann und an die Frau bringen wollen. In Summe wollen LGBTIvor allem  genau so viele Lebensmöglichkeiten haben wie Heterosexuelle.

„Queer“ als normatives Ideal zu verstehen, widerspricht der prinzipiell ja nicht falschen Idee eines persönlichen Lebens im nötigenfalls Unangepassten. Eigentlich meint das Wort „queer“ ein Leben unabhängig von den normativen Wünschen anderer. QueerideologInnen züchtigen, wenn man ihnen widerspricht. Sie können das tun, weil sie in akademischen Kontexten ihrer Disziplinen die Macht dazu haben, weil ihre Leute an den Geldtöpfen sitzen, in Antidiskriminierungsbehörden und ähnlichen Schlüsselstellen. Das ist das Problem, und deshalb ist die Queerisierung der Lebensstile von Schwulen und Lesben genauso übel wie jede religiöse Dogmatik. Wir glauben: Jeder und jede so, wie er oder sie mag. Keine Normativitäten, keine gouvernantenhaften Zensuren. Wir nennen es: queer.


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.