Manfred Salzgeber hat bis zu seinem Tod 1994 sein Leben dem Film gewidmet – insbesondere, dem queeren Film Anerkennung zu verschaffen. Doch wie werden heute im Jahr 2024 in Deutschland queere Filme gefördert? Ein Jahrbuch-Essay von Björn Koll liefert deprimierende Zahlen, Wieland Speck ordnet sie in seiner Laudatio ein.

Ob queere Filme gezeigt werden, entscheidet sich, wie gut sie über einen Verleih zugänglich sind und ob sie überhaupt ausreichend Finanzmittel für die Umsetzung erhalten. (Foto von Jeremy Yap auf Unsplash)

17. August 2024 | Redaktion

Am 12. August 1994 starb Manfred Salzgeber, der schwule Pionier, der 1985 mit Edition Salzgeber Deutschlands bis heute bedeutendsten Filmverleih für queere Filme aufbaute. Queere oder früher schwul-lesbisch genannte Filme hatten es schon immer schwer, wahrgenommen und von größeren Verleihfirmen berücksichtigt zu werden. In den 1980ern waren zudem auch HIV und Aids ein großes Thema für Salzgeber, der 1994 selbst den Folgen einer HIV-Infektion erlag.

Der ehemalige Praktikant und spätere Geschäftsführer Björn Koll erinnerte sich 2020 im taz-Interview: „Da gab es Filme, mit denen kein etablierter Verleih arbeiten wollte, da mussten also wir ran. Und da gab es natürlich Themen wie Aids, schwul, lesbisch – und davon wollte der sogenannte Markt auch nichts wissen.“

Manfred Salzgeber machte sich jedoch nicht nur als Filmverleiher einen Namen, sondern baute Anfang der 1980er bei der Berlinale auch die Sektion Panorama aus, in der bis heute mutige und unkonventionelle Filme gezeigt werden sollen – insbesondere aber auch queere. Gemeinsam mit dem damaligen Assistenten und späteren Nachfolger als Leiter der Panoramasektion, Wieland Speck, rief Salzgeber 1987 auch den Teddy-Award ins Leben, mit dem bis heute queere Filme bei der Berlinale ausgezeichnet werden.

Doch wie steht es 30 Jahre nach Salzgebers Tod in Deutschland um den queeren Film? Im Jahrbuch Sexualitäten 2024 beklagt Björn Koll in seinem Essay „Warum queere Filme in Deutschland nicht gefördert werden“, dass diese Filme prozentual nur 0,2 Prozent von den insgesamt rund 314 Millionen Fördermitteln erhalten, die insgesamt für die Filmförderung zur Verfügung gestellt werden. Somit erhalten queere Filme nicht die nötige Unterstützung – selbst in einem nicht so LGBTI-freundliches Land wie Polen werden mittlerweile mehr solcher Filme produziert als hierzulande. Koll fragt, ob es für queere Filme verpasst wurde, Quotenregelungen wie für Frauen zu erkämpfen, die im Fördermittelvergabeprozess berücksichtigt werden müssen.

Wieland Speck, der Kolls Text auf der Release-Party vorgestellt hat, bejaht dies und fügt zum Entscheidungsprocedere über die Mittel noch hinzu: „Über 100 Entscheiderinnen befinden über diese Summe, Filmleute wie du und ich! Ich selbst war oft genug in solchen Gremien. Mein entschiedenes Fazit: Demokratie ist für die Politik, nichts für die  Kunst… die Kompromissentscheidung moderiert immer weg von der Radikalität, sei es inhaltlich oder ästhetisch. Da kann Kunst nur leiden.“

Speck lobt Kolls Essay als „Füllhorn an Recherche“, mit dem es sich mit Veränderungen in der Filmförderungen auseinandersetzen ließe.

Wieland Specks vollständige Laudatio jetzt zum Nachhören:

Jahrbuch Sexualitäten 2024

Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.

Mit Beiträgen von Marko Martin, Thomas Großbölting, Vojin Saša Vukadinović, Blake Smith, Tae Ho Kim, Björn Koll, Martina Lenzen-Schulte, Chantalle El Helou, Aaron Gebler, Sigi Lieb, Joey Horsley, Luise F. Pusch, Jan Feddersen, Clemens Schneider, Manuel Schubert, Meike Lauggas, Michael Wunder, Till Randolf Amelung, Adrian Daub, Marion Hulverscheidt, Wiebke Hoogklimmer, Richard F. Wetzell, Thomas Weber, Norbert Finzsch, Norman Domeier und Ketil Slagstad.

294 S., 22 z.T. farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-5725-9

Preis: € 34,00 (D) / € 35,00 (A)

Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.