In den vergangenen Jahren berichteten Medien oft unkritisch über Anliegen des Transaktivismus wie das Selbstbestimmungsgesetz oder Transitionen von Kindern und Jugendlichen. Das liegt womöglich nicht nur an erfolgreichen Transaktivistas, sondern auch an spezifischen Eigenschaften des Themas „Trans“. Eine Medienkritik.

19. November 2025 | Jan Feddersen
Die Titelgeschichte des aktuellen Spiegel ist von erheblicher Klarheit, was das gewählte Thema anbetrifft: Verengte Meinungskorridore, verhinderte Pluralitäten, irgendwie Cancel Culture in der ARD und in diesem Fall speziell der NDR. Meine Lieblingspassage im Haupttext findet sich im Mittelteil, sie sei hier ausführlicher zitiert:
„Im Sommer 2023 wird in der ARD darüber diskutiert, eine Dokumentation über die steigende Zahl von Jugendlichen zu drehen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. An der Schalte nehmen unter anderem [Thomas] Berbner teil, Julia Ruhs und ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks. Die Idee ist, sich in dem Film mit den Risiken auseinanderzusetzen, die es mit sich bringt, die sogenannte Geschlechtsdysphorie schon in jungen Jahren mit Hormonen oder gar chirurgischen Eingriffen zu behandeln.
Es ist ein Thema, das politisch und emotional enorm aufgeladen ist und viele Menschen bewegt. Zum Ärger von Berbner und Ruhs wird die Idee in den ARD-Gremien abgelehnt. Berbner hat das Gefühl, dass er mit seinen Vorschlägen zunehmend in »Wände aus Gummi« läuft, wie er es gegenüber Kollegen formuliert.“
Misere in fast allen Medien
Diese kleine Skizze markiert die Misere unserer öffentlich-rechtlichen Medien. Und nicht nur dieser: Auch Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und auch meine Zeitung, die taz, sind betroffen. Es geht um die fehlende Bereitschaft, transkritische, vor allem transmedizinkritische Perspektiven aufzugreifen und ernst zu nehmen. So sagen es Experten, wie der Transmann Till Randolf Amelung, viele klassische Feministinnen wie Alice Schwarzer und Chantal Louis oder die lesbische Bürgerrechtlerin Monika Barz.
Stattdessen fast ausschließlich positive Beiträge über Transmenschen gerade im jugendlichen Alter, die außerdem mit Hilfe von alliierten MedizinerInnen auf pharmakologische Mittel zurückgreifen (wollen), um die sogenannte Transition ins Werk zu setzen. Oder auch ohne chemische Helferlein: Per Selbsterklärung, was gesetzmäßig wäre, sich ins andere (oder gar kein) Geschlecht zu versetzen.
Was das oben zitierte Stück aus dem Spiegel auch nahelegt: Dass transkritischer Journalismus als „rechts“, „transphob“ und „AfD-nah“ gegeißelt wird. Die Progressiven, so vermitteln es beinah alle Medienbeiträge, sind sich in puncto Gender & Trans einig – wer dies nicht unterstützt, kann nicht progressiv sein, sondern, eben, rechts, AfD-nah und daher politisch nicht ernst zu nehmen.
Aufräumen in der BBC
Eine Entwicklung wie in Großbritannien steht in Deutschland noch aus: Seit einem jüngst veröffentlichten Untersuchungsbericht zu falsch gewichteter Berichterstattung bei der dortigen Sendeanstalt BBC wird in dieser offenbar tüchtig aufgeräumt. Der Spiegel hat hierzu in der gleichen Ausgabe zum selben Schwerpunkt einen Text veröffentlicht. In diesem Bericht ist viel vom US-Präsidenten und einer verzerrt geschnittenen Reportage, aber nicht von den weiteren Punkten die Rede, die der Prescott-Bericht moniert: die Israel während des Kampfes gegen die Hamas-Terrorgruppe in Gaza dämonisierenden Beiträge sowie der gesamte Komplex zu Gender und Transfragen.
In deutschen Medien wie in der Online-Plattform der „Tagesschau“ ist eben nur von Trump die Rede – womit der Fall klar zu sein scheint: Der Populist gehe gegen die tapfere BBC vor. Der Bericht meines klugen Kollegen Daniel Zylbersztajn-Lewandowski kann dies gegen die Macht des Nachrichtenflaggschiffs der ARD kaum wettmachen. Der im „Tagesschau“-Beitrag vermittelte Eindruck ist so oder so falsch: Dass Trump und die Seinen gegen die BBC überhaupt juristisch tragfähig vorgehen können, liegt eben an einem Journalismus mit Unwucht, an unfairer bis ungenauer Berichterstattung.
In Großbritannien hat es erste Rücktritte seit dem Prescott-Bericht gegeben, auch die LGBT*-Prüfstelle am Nachrichtendesk der BBC steht offenbar kurz vor der Auflösung. Das heißt: Diese queeraktivistischen JournalistInnen können ihnen missliebige (also etwa Pubertätsblocker bei Jugendlichen kritisierende) Berichte nicht mehr verhindern.
Medienkritik in Deutschland fehlt
In Deutschland steht diese Entwicklung noch aus: Eine umfassende mediale Selbstkritik an einem Journalismus, der nicht kritisch prüft, sondern nur aktivistische Stimmen gelten lässt. Ebenso bleibt eine nötige Revision des Selbstbestimmungsgesetzes offen, das die Geschlechtsidentität per Selbsterklärung ermöglicht – ohne Prüfung der Umstände einer Transition. Es fehlt zu einer Gesetzesreform aber der öffentliche Druck, den es nicht geben kann, weil die entsprechend reflektierenden und kritischen Berichte gar nicht erst publiziert werden können.
Transaktivismuskritische Stimmen fanden in den vergangenen 20 Jahren mithin nur selten Gehör in den öffentlich-rechtlichen Medien. Ich frage mich: Woran lag es, dass von Grünen, SPD, FDP, Linkspartei und bis weit in die konservative Union hinein, niemand sich traut(e), sich mit dem Thema Trans überhaupt gründlich auseinanderzusetzen? Warum feierten alle vor einem Jahr ein Gesetz, bei dem seitens der damaligen Regierungsparteien SPD, FDP und Grüne niemand eine Rechtsfolgenabschätzung vornehmen wollte? Weshalb wurde ein Gesetz gutgeheißen, das – ausweislich aller aktuellen Studien aus den USA, Schweden, Finnland und Großbritannien – eine Gefährdung Minderjähriger in sich trägt?
Warum wurden kritische Stimmen in den Medien so gut wie nie wahrgenommen – bzw. diese gleich die AfD-Ecke geschoben? Aus welchen Gründen wurde der wahre Meilenstein bundesdeutscher Sittlichkeitsveränderung, die 2017 vom Bundestag beschlossene Ehe für alle, nie so recht gefeiert? War vielen meiner BerufskollegInnen das ganze Projekt etwa zu spießig, zu vormodern, zu sehr heteronormativ, wie sie sagen würden?
Ehe für Alle zu unspektakulär?
Wesentlich, so meine These, ist hierfür, dass die Ehe für alle lediglich homosexuellen Paaren etwas brachte. Das Selbstbestimmungsgesetz hingegen trug die Möglichkeit in sich, die persönliche Welt aus den Angeln zu haben, einen Geschlechtswechsel, einen Identitätsswitch nach Gusto. Die meisten JournalistInnen aus dem politischen Bereich scheuten damals das Thema und wichen auch beim Selbstbestimmungsgesetz zurück: zu kompliziert, zu verworren, zu viel Ärger mit den Translobbygruppen. Den Komplex überließen sie den Jüngeren in den Redaktionen, die in ihren Bubbles tüchtig ermuntert wurden.
Dass die Transfrage, im Kern eine Frucht der esoterisch anmutenden Dekonstruktion des Geschlechterbegriffs durch Judith Butler, letztlich zu einer linken Identitätsfrage wurde, lag auch daran, dass die traditionelle Linke in den vergangenen drei Generationen kaum etwas zu den sozialen Fragen (Wohnungen, Lebenshaltungskosten, Löhne etc.) zuwege gebracht hatte. Der Nachwuchs, meist aus mittelschichtigen Familien, hielt Identitätsfragen für wichtiger. Auch wegen dieses Nachwuchses und seiner Transagenda hat Trump gewonnen – und kann jetzt entsprechend disruptiv den amerikanischen Rechtsstaat aushebeln.
Aktivismus statt Journalismus
Abermals gefragt: Worin liegt die Tendenz journalistischer Milieus geborgen, dass etwa bei der Transfrage (aber auch zu den Themen Klima, Flüchtlinge, Rassismus) so häufig die Informationen ungefiltert aus aktivistischen Kreisen kommen – und so gut wie unbearbeitet weitergetragen werden? Warum wird alles geglaubt – etwa, dass die Suizidrate von jugendlichen GeschlechtsdysphorikerInnen stiege, ließe man sie nicht in eine pharmakologische Transition mit Pubertätsblockern und entsprechenden Hormongaben?
Weil Journalismus, so meine These, anders als vor 50 Jahren eine Neigung zur Emotionalisierung zu entwickeln hat, und dies gepaart mit Opferismus, also der Haltung, erstmal allen Opferklagen zu trauen. Weil Emotionen immer mehr zu zählen scheinen als harte Faktenanalyse. Weil man mit Emotionalitäten mehr Gefolgschaft in den Sozialen Medien organisiert als mit kühl abwägenden Texten und Filmen.
Außerdem fühlen sich gerade öffentlich-rechtliche Medien einer gesellschaftlichen Sphäre verpflichtet, die man als besser gebildet, dünkelhafter, politisch interessierter verstehen kann. Aktivistisch von oben herab argumentieren nun gerade die jungen KollegInnen, es käme doch „auf die Menschen an“. Ich würde sagen: Es kommt auf die Fakten an. In Sachen Trans lässt sich faktenbasiert sagen: Der psychoesoterische Ansatz, allen geschlechtsdysphorischen Minderjährigen zu glauben, dass sie trans sind, ist gescheitert. Überall ist dies öffentlich-rechtlich vermittelt – nur nicht in Deutschland.
All dies zusammengenommen heißt das: Journalismus, der auf Aktivismus setzt, der selbst aus diesem Aktivismus entstammt, ist keiner. Mehr noch: Er schadet der Glaubwürdigkeit jener gesellschaftlichen Sphäre, die als „Vierte Gewalt“ positiv stilisiert wird. Transfragen haben zur Polarisierung der gesellschaftlichen Debatten beigetragen, nicht weniger als die Top-Down-verordnete Gendersprache, die auf erheblichen Widerstand jenseits der bildungsbürgerlichen Mediensphären stößt. Wer glaubt, eine nötige Umjustierung des aktivistischen Journalismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen diene nur den Rechten, verkennt, dass der Schwindel um aktivistische Fake News längst aufgeflogen ist. Er schadet der Linken, nicht der Rechten.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
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