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Nach Aufregung über Wahlumfrage zur Bundestagswahl 2025 – jetzt spricht ROMEO

Eine Umfrage der schwulen Datingplattform ROMEO schockierte viele queere AktivistInnen, weil in ihr besonders jüngere Schwule ihre Präferenz für die AfD ausdrückten. Geäußert wurde gar der Verdacht, dieses Ergebnis sei eine Folge von Manipulation aus rechtsextremen Kreisen. Nach der Bundestagswahl nimmt nun Firmenchef Jens Schmidt ausführlich Stellung zu den Umfrageergebnissen und den Vorwürfen.

Zwei junge Männer sitzen nebeneinander in einem Café. (Symbolfoto für Artikel "Nach Aufregung über Wahlumfrage zur Bundestagswahl 2025 – jetzt spricht Planetromeo")
Junge schwule Männer haben in Deutschland bei der Wahlumfrage von ROMEO am stärksten ihre Zustimmung für die AfD bekundet (Foto von Max Harlynking auf Unsplash).

10. März 2025 | Till Randolf Amelung

Vor den Bundestagswahlen haben Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage auf dem schwulen Datingportal ROMEO für Aufregung gesorgt, weil dort die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD den größten Zuspruch bekam. 27,9 Prozent votierten insgesamt für diese Partei. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen wollten sogar  34,7 Prozent die AfD wählen, signifikant geringer fiel der Anteil dieser Partei bei den „Boomern“, den älteren schwulen Männern aus. Dabei hat die AfD immer wieder offen verkündet, zum Beispiel homosexuelle verheiratete Paare nicht mehr mit heterosexuell Verheirateten gleichstellen zu wollen und gar das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen.

Vor allem in eher linksgrünen Parteien zugeneigten queeren Medien sowie Verbänden wurde schnell gemutmaßt, dass diese Ergebnisse nur durch Manipulation entstanden sein könnten. Jetzt hat sich ROMEO selbst zu Wort gemeldet, um die Daten einzuordnen sowie Stellung zu Manipulationsvorwürfen zu nehmen.

Die Umfrageergebnisse von Romeo vor der Bundestagswahl, an der 60.560 User teilgenommen haben. Balkendiagramm von links nach rechts: CDU/CSU 17,6 Prozent, AfD 27,9 Prozent, SPD 12,5 Prozent, Grüne 19,9 Prozent, FDP 3,6 Prozent, BSW, 4,5 Prozent, Linke 6,5 Prozent, Andere 7,3 Prozent

Aufschlüsselung nach Altergruppen (Balkendiagramme):

18-24 Jahre: 6,8 Prozent CDU, 34,7 Prozent AfD, 6,4 Prozent SPD, 16,1 Prozent Grüne, 3 Prozent FDP, 5,8 BSW, 19,2 Linke, 7,9 Andere.
25-39 Jahre: 12,4 Prozent CDU, 32,3 Prozent AfD, 8,9 Prozent SPD, 20,9 Prozent Grüne, 3,3 Prozent FDP, 5,1 Prozent BSW, 9 Prozent Linkem 8,1 Prozent Andere.
40-59 Jahre: 20,5 Prozent CDU, 27,2 Prozent AfD, 12,7 Prozent SPD, 20,1 Grüne, 3,8 Prozent FDP, 4 Prozent BSW, 41, Prozent Linke, 7,4 Prozent Andere.
60+ Jahre: 21,7 Prozent CDU, 19,8 Prozent AfD, 20,8 Prozent SPD, 17,9 Prozent Grüne, 3,6 Prozent FDP, 4,8 Prozent BSW, 5 Prozent Linke, 6,4 Prozent Andere.
Die Umfrageergebnisse der „Sonntagsfrage“ zur Bundestagswahl 2025 bei Romeo (Foto Romeo).

Manipulierte Umfrage?

Jens Schmidt, CEO und Firmengründer, erläutert warum Manipulation über rechtsextreme Kanäle eher nicht wahrscheinlich sei: „Innerhalb der ersten 24 Stunden erhielten wir 28.200 Stimmen! In den folgenden Tagen nahm die Anzahl der Stimmen organisch ab, ohne unerwartete Spitzen. Eine Erinnerung wurde am 30. Januar versendet.“ Das heißt: Sehr wahrscheinlich kamen diese Stimmen tatsächlich von Usern der Plattform und nicht erst über eine Weiterleitung in eine rechtsextreme Blase.

Außerdem seien die Ergebnisse von Beginn an konsistent gewesen, d.h. die AfD war stärkste Kraft. Auch dies ist ein plausibler Grund, der gegen Manipulation spricht. Schmidt verweist darauf, dass sich die Umfrageergebnisse weitgehend mit Wahlergebnis sowie grundsätzlichen Trends in der deutschen Bevölkerung decken würden. Sprich: höhere Zustimmung der jüngeren Wahlberechtigten zu den extremen politischen Rändern, aber auch die Abmilderung im Gesamtergebnis durch das Wahlverhalten der älteren Generationen – gern geschmäht als „alte, weiße Männer“.

Angenehmere Daten von der Uni Gießen

Queere Medien und Verbände bekamen doch noch bekömmlichere Umfrageergebnisse – und zwar von der LSBTIQ*-Wahlstudie der Justus-Liebig-Universität Gießen in Kooperation mit dem LSVD+ – Verband Queere Vielfalt: In dieser Befragung führten die Grünen mit 43,5 Prozent die Präferenzen unter LSBTIQ an, auf Platz zwei folgte die Linkspartei mit 24,9 Prozent. Letztere wurde vor allem von Personen bevorzugt, die sich als Trans oder Queer einordneten und unter ErstwählerInnen.

Während beide Befragungen gemeinsam haben, dass sie nicht repräsentativ sind, da es sich bei ihnen um selbstauswählende Stichproben handelte und vor allem der halbwegs genaue Gesamtanteil von LGBTIQ an der deutschen Bevölkerung unbekannt ist, gibt es auch wichtige Unterschiede. Diese beginnen schon bei den TeilnehmerInnen und der Rekrutierung: ROMEO hat unter seinen Usern für die Teilnahme geworben – diese sind vornehmlich schwule und bisexuelle Männer. Zu einem gewissen Anteil gibt es auch Transpersonen (Transmänner und Transfrauen) oder auch sich als Nonbinary verstehende Personen auf der Plattform. Die Befragung der Uni Gießen hingegen schloss auch Frauen ein und wurde über soziale Medien und Kooperationspartner wie dem LSVD+ gestreut.

Unterschiede zwischen beiden Befragungen

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist auch der Befragungszeitraum. Die Gießener Umfrage lief vom 16. Dezember 2024 bis zum 13. Januar 2025. ROMEO startete seine Umfrage am 24. Januar und beendete sie am 2. Februar 2025. So war nicht nur die Laufzeit unterschiedlich lang, sondern sie umfasste auch unterschiedliche Zeitfenster. Damit gibt es in der einen Umfrage mögliche tagespolitische Einflüsse, die es in der anderen noch nicht gab. Besonders zentral sind der tödliche Messerangriff eines ausreisepflichtigen afghanischen Asylbewerbers am 22. Januar sowie die kurz darauffolgenden Auseinandersetzungen um zwei Anträge der CDU/CSU zur Begrenzung der irregulären Migration, bei denen im Bundestag eine Mehrheit mit Stimmen der AfD in Kauf genommen wurde.

Doch auch unabhängig davon passen die Ergebnisse ins Bild, wenn man die Wahlanalysen nach der Bundestagswahl betrachtet: Männer wählten bevorzugter konservativ oder rechts, bei Frauen hatten linke Parteien mehr Chancen – vor allem bei jüngeren Frauen in Großstädten. Darauf weist auch Jens Schmidt hin: „Insgesamt scheint es, dass ROMEO-Nutzer mehr oder weniger ähnlich wie der Rest des Landes abgestimmt haben. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die meisten ROMEOs Männer sind.“

Schwule Männer sind nicht so anders

Was lässt sich nun also jenseits der Empörung und Leugnungsversuche des queeren Verbands- und Medienestablishments dazu sagen? Zeigt sich, wie Schmidt meint, in den Ergebnissen der ROMEO-Umfrage, dass schon viel Gleichberechtigung erreicht worden sei, wenn schwule Männer auch nicht so viel anders wählen, wie der Rest der Bevölkerung? Es geht wohl weniger um Gleichberechtigung, als eher um die Frage, was Menschen bewegt, wenn sie sich nicht mehr mit Sonderpönalisierungen (Stichwort: Paragraf 175) auseinandersetzen müssen.

Insofern ist es wenig überraschend, wenn am Ende auch schwule und bisexuelle Männer Sicherheitsfragen, Wirtschaft und dergleichen genauso wichtig finden, wie die Mehrheit aller anderen Wahlberechtigten in Deutschland auch. Heikel ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man mit dem höheren Gewaltpotenzial im öffentlichen Raum durch junge Männer mit muslimischer Prägung umgehen soll, welches gerade auch Schwule zu spüren bekommen. Queere Verbände sind eher bemüht, dies zu relativieren und treffen damit wohl nicht mehr den Nerv vieler jüngerer schwuler Männer.

Brandmauer oder Sicherheit?

Die ROMEO-Umfrage wurde an einem Freitagnachmittag gelauncht und erreichte wahrscheinlich viele Männer, die gerade auf der Suche nach einem Sexdate für den Abend waren, sowie sich generell vielleicht noch ins Nachtleben stürzen wollten. Jens Schmidt dazu: „In der ersten Stunde der Abstimmung erreichte die AfD sogar 37 Prozent! Diese Stimmen kamen von Nutzern, die genau in dem Moment online waren, als die Umfrage versendet wurde. Unsere Vermutung? Je sexuell aktiver, desto mehr unterwegs, desto häufiger allein auf der Straße bei Nacht.“

Wie soll man nun jüngeren Männern begegnen, die bei der ROMEO-Wahlumfrage ihre Präferenz zur AfD bekundet hatten? Soll man „Keinen Sex mit Nazis“ haben, wie es der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano forderte und was bereits IQN-Vorsitzender Jan Feddersen hier im Blog als nicht ernsthaft praxistauglich einstufte? Jens Schmidt wirbt dafür, die Umfrageergebnisse auf seiner Plattform als „lauten Hilferuf“ insbesondere der jüngeren Männer zu sehen und dass man ihnen „ohne Mauern im Kopf“ zuhören sollte.

Dies ist auch vor dem Hintergrund sehr ratsam, dass fortwährende Ignoranz eher die Zustimmung zur AfD fördert, also „die Blauzone ausweitet“, wie schon 2023 die Sozialwissenschaftler Maik Fielitz und Holger Marcks auf Zeit Online erläuterten. „Wo die Brandmauer überstrapaziert wird, wo diejenigen, die einen anderen Umgang auch nur erwägen, gleich der rechtsextremen Beihilfe beschuldigt werden, drohen Effekte der Abstoßung und Neuorientierung. Den Raum auf einer Seite zu verengen, bringt eben mit sich, dass er sich auf der anderen weitet“, so die beiden Forscher. Damit sollten sich auch queere Medien und Verbände auseinandersetzen, anstatt missliebige Umfrageergebnisse mit dem Vorwurf der Manipulation abzuwehren.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Neue Transkinder-Leitlinie ist da – das Ergebnis ist ein Skandal

Am 7. März 2025 wurde die S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung“ endlich veröffentlicht. Doch statt einer praxistauglichen Leitlinie ist sie zuvörderst ein Dokument ideologischer Borniertheit.

S2k-Leitlinie: In einer Demo hält jemand ein Schild hoch, auf dem steht: Conversion Therapy is Violence
Die Perspektive der an der S2k-Leitlinie Beteiligten; Alles, außer gender-affirmativ wird als Konversionstherapie betrachtet (Foto von Karollyne Videira Hubert auf Unsplash).

8. März 2025 | Till Randolf Amelung

Nach vielen Verschiebungen war es am gestrigen Freitagnachmittag endlich so weit: Die finale Fassung der S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung“ wurde auf dem Portal der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. online gestellt. Diese Leitlinie beansprucht, den medizinischen Standard im Behandlungsfeld zu setzen und soll in Deutschland, Österreich sowie der Schweiz Anwendung finden. Doch es ist fraglich, ob sie tatsächlich breite Anwendung finden wird, denn eine wichtige Fachgesellschaft verweigerte ihre Zustimmung und verlangte, dass ihre Kritik mitveröffentlicht wird.

Die richtige Behandlung gerade von Minderjährigen, die sich als Trans verstehen, weil sie unter ihrem biologischen Geschlecht leiden, sorgt für Kontroversen. Besonders dann, wenn es um den Einsatz von Medikamenten zur Pubertätsblockade geht. In den letzten Jahren ist die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit einer Transthematik gestiegen. Umso wichtiger wäre daher eine Leitlinie, die ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen auf aktueller Evidenzbasis Orientierung gibt.

Deutsche Leitlinie ist gender-affirmativ

Doch die nun veröffentlichte Leitlinie, an der seit 2017 eine Kommission unter der Leitung des Münsteraner Psychiaters Georg Romer im Auftrag der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erarbeitete, ist hochumstritten. Denn: Die Leitlinien-MacherInnen haben sich von Anfang an dem gender-affirmativen Ansatz verpflichtet.

Dieser beinhaltet, dass die geäußerte Geschlechtsidentität von Beginn an bestätigt, also affirmiert wird. Dazu gehören der soziale Rollenwechsel, eine juristische Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag – und auf der medizinischen Ebene eine rasche Verordnung von Pubertätsblockern. Später folgen dann Geschlechtshormone sowie Operationen.

Das Erkunden von anderen möglichen Ursachen für Geschlechtsdysphorie, insbesondere eine konflikthafte homosexuelle Entwicklung, andere Pubertätskrisen oder Begleitumstände wie Autismus wird dabei vernachlässigt – schlimmer noch: in der deutschen Leitlinie wird der Eindruck vermittelt, dies sei ethisch unangemessen. Gerade deshalb wuchs auch unter deutschen MedizinerInnen Kritik.

Vor knapp einem Jahr wurde die fertiggestellte Leitlinie in einer Pressekonferenz vorgestellt und an ausgewählte Kreise zum Review übergeben. Bereits damals hieß es aus der DGKJP, es seien keine inhaltlichen Kommentierungen erwünscht. Dies führte unter ÄrztInnen zu Unmut, 14 Professoren kritisierten die Leitlinie daraufhin in einem Offenen Brief. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN), mit rund 10.000 Mitgliedern die größte medizinische Fachgesellschaft in dem Feld, hatte daher schon 2024 ihre Zustimmung zu der Leitlinie verweigert, ebenso die Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (SGKJPP).

Kursänderungen im Ausland

Seit 2019 häufen sich international Erkenntnisse, dass die medizinische Evidenzbasis für das affirmative Vorgehen zu schwach ist. Das bedeutet, es gibt zu wenig Studien, um Nutzen und Risiken sauber abzuwägen, vor allem Langzeitrisiken durch die Behandlung mit Pubertätsblockern sind unklar. Auch in Deutschland nahm Kritik zu. Der Münchener Arzt Alexander Korte trat zunächst als einziger Kritiker an die Öffentlichkeit, später folgten seine Fachkollegen Florian Zepf und Veit Roessner, die gemeinsam mit anderen 2024 eine eigene systematische Übersicht zur Evidenzlage bei Pubertätsblockern veröffentlichten. Korte und Zepf waren ebenfalls Teil der Leitlinienkommission, bis sie jeweils aufgrund nicht auflösbarer Meinungsverschiedenheiten mit den anderen Gremienmitgliedern bezüglich des affirmativen Ansatzes austraten. 2024 gab es auf dem Deutschen Ärztetag Beschlüsse, die ebenfalls Kritik an der affirmativen Leitlinie übten.

Sicherlich dürften der DGPPN und anderen KritikerInnen die Entwicklungen im Ausland nicht entgangen sein: Länder wie Finnland, Schweden oder Dänemark haben sich aufgrund der ungenügenden Kenntnis von Risiken längst wieder vom gender-affirmativen Modell verabschiedet und setzen auf eine vorrangig psychotherapeutische Betreuung geschlechtsdysphorischer Kinder und Jugendlicher. In Großbritannien wurde mit dem Cass Report eine besonders umfassende Untersuchung des affirmativen Ansatzes vorgenommen – mit vernichtendem Ergebnis. Seit März 2024 ist die damals einzige Spezialambulanz in der Tavistockklinik geschlossen worden, die Versorgung wird nun umstrukturiert, um eine ganzheitlichere Diagnostik und Begleitung sicherzustellen.

DGPPN verweigert Zustimmung zur Leitlinie

In der jetzt veröffentlichten Leitlinie wird klar: die fachinternen Bedenken der DGPPN am affirmativen Ansatz konnten nicht abgeräumt werden. Offenbar waren es diese, die eine Veröffentlichung bislang verhindert haben. Einen sehr deutlichen Hinweis gibt es zum Abschluss der dieser Leitlinie vorangestellten Präambel:

„Sondervotum der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): Der Vorstand der DGPPN, deren Mandatsträgerin die Präambel mitkonsentiert hat, teilte mit seinem konsentierenden Votum zur finalen Fassung der Leitlinie mit, dass er die Präambel in der o.g. beschlossenen Form nicht mitträgt. Begründung siehe Anhang.“

Damit eine Veröffentlichung der Leitlinie überhaupt noch stattfinden konnte, scheint sich die DGPPN ausbedungen zu haben, dass ihre Bedenken Teil des Dokuments werden – und diese haben es in sich! Gleich zu Beginn heißt es:

„Aus Sicht der DGPPN bedarf diese Präambel in einigen Punkten der Kommentierung und ist in der Summe der Feststellungen abzulehnen, weil einige unausgewogen sind, wichtige Aspekte fehlen und die Präambel insgesamt der unvoreingenommenen wissenschaftlichen Bewertung der Evidenzlage a priori unangemessene moralische Grenzen setzen.“

Damit ist gemeint: die Leitlinien-VerfasserInnen haben moralische Aspekte überbetont, um von der eklatant schwachen Evidenzlage für das affirmative Modell mit Pubertätsblockern abzulenken.  Das wird vor allem darin deutlich, dass Selbstverständlichkeiten wie „Respekt vor der Würde und Selbstbestimmung der Person sowie des Wohltuns und Nicht-Schadens“ in der Präambel aufgeführt sind.

Die DGPPN nimmt das jedoch auseinander:

„Die Orientierung einer medizinischen Leitlinie an allgemein anerkannten berufs- und medizinethischen Grundsätzen ist eine Selbstverständlichkeit. Dies für eine einzelne Leitlinie explizit hervorzuheben und zusätzlich auch noch im Rahmen einer Abstimmung zu konsentieren, erweckt den Eindruck, man habe sich mit den medizinethischen Problemen des Themas besonders eingehend beschäftigt bzw. sich zu Beginn der Leitlinienarbeit darauf verpflichtet. Allerdings wird dieser Anspruch nicht erfüllt. Das Kapitel X („Rechtliche Grundlagen und ethische Maßgaben für die Behandlung Minderjähriger mit Geschlechtsinkongruenz“) behandelt vorwiegend juristische Aspekte der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger und rekurriert dabei fast ausschließlich auf ein einziges unveröffentlichtes und deshalb auch für die Adressaten unzugängliches Rechtsgutachten, welches im Auftrag des Leitlinienkoordinators Prof. Romer angefertigt wurde. Einige medizinethische Fragen werden zwar aufgeworfen, aber nicht abwägend diskutiert.“

Juristische Streitfragen um Einwilligungsfähigkeit

Offenbar scheint Romer als Leitlinien-Koordinator wichtige Informationen zurückzuhalten und trotzdem Zustimmung der DGPPN erwartet zu haben – ein skandalöser Vorgang! Von jemandem zu erwarten, in einen Vertrag einzuwilligen, ohne Kenntnis des Kleingedruckten, wäre in anderen Kontexten schon kriminell.

Gerade die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ist eine heikle Frage. In Großbritannien hat der von der Detransitioniererin Keira Bell angestoßene Prozess gegen die ehemalige Genderambulanz der Tavistockklinik zur richterlichen Beurteilung geführt, der affirmative Ansatz mit Pubertätsblockern sei so experimentiell, dass unter-16-Jährige höchstwahrscheinlich die Konsequenzen einer solchen Behandlung für sich nicht richtig einschätzen könnten.

2024 wurde dies durch geleakte Äußerungen von ÄrztInnen noch bestätigt, die sie auf einer internen Austauschplattform der World Professsional Association for Transgender Health (WPATH) getätigt haben – einer aktivistischen Organisation, die für den affirmativen Ansatz eintritt. So schrieben beispielsweise EndokrinologInnen (FachärztInnen für den Hormonstoffwechsel), sie könnten genauso gut mit einer Wand reden, wenn sie ihren jungen PatientInnen die negativen Konsequenzen einer Einnahme von Pubertätsblockern und Geschlechtshormonen auf die Fruchtbarkeit erklären. Später seien viele dieser PatientInnen als junge Erwachsene zurückgekommen und hätten mit dem unerfüllbaren Kinderwunsch gehadert.

Doch während Meldungen wie diese oder der Cass Report bei der DGPPN wohl schwerwiegende Bedenken gegen den affirmativen Ansatz forciert haben könnten, ließen sich Romer und seine Verbündeten offensichtlich nicht beirren und weigerten sich, von affirmativen Grundsätzen abzurücken.

Fraglich ist, ob die affirmative Herangehensweise im Ernstfall vor einem Gericht Bestand hätte – das von Romer bisher zurückgehaltene Rechtsgutachten könnte womöglich Aufschluss geben. Das Zurückhalten nicht genehmer Fakten ist aber unter gender-affirmativ behandelnden ÄrztInnen und TherapeutInnen kein Einzelfall – zuletzt wurde solches von der US-amerikanische Ärztin Johanna Olson-Kennedy berichtet, die aus Steuermitteln finanzierte Studienergebnisse zurückhielt, weil diese den affirmativen Ansatz nicht so stark unterstützen, wie erhofft.

Olson-Kennedy wiederum, wurde letztes Jahr selbst von der ehemaligen Patientin Clementine Breen, die inzwischen detransitioniert, wegen Falschbehandlung verklagt. Breen sagte, frühe Traumata und psychische Begleiterkrankungen seien vor einer Behandlung mit Pubertätsblockern und Testosteron erst gar nicht diagnostiziert und für die weitere Behandlung berücksichtigt worden.

Ausführliche Diagnostik unerwünscht

Es ist zu befürchten, dass dies in der neuen affirmativen Leitlinie von Romer et al. ebenfalls zu kurz kommen wird. In Punkt 7 der Präambel heißt es:

„Psychotherapeutische Unterstützung soll Behandlungssuchenden zur Begleitung z.B. einer ergebnisoffenen Selbstfindung, zur Stärkung des Selbstvertrauens, zur Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen oder zur psychischen Vor- und Nachbereitung von Schritten im Prozess einer Transition niedrigschwellig angeboten und verfügbar gemacht werden. Eine Verpflichtung zu Psychotherapie als Bedingung für den Zugang zu medizinischer Behandlung ist aus Gründen des Respekts vor der Würde und Selbstbestimmung der Person ethisch nicht gerechtfertigt.“

Die DGPPN kritisiert dies:

„Auch hier gilt, dass selbstverständlich niemand zu einer Behandlung gezwungen werden darf und speziell zu einer Psychotherapie auch nicht gezwungen werden kann, weil diese Mitarbeit erfordert. Selbstverständlich ist aber auch, dass für komorbide Störungen eine umfassende psychiatrische Behandlung angeboten und verfügbar gemacht werden muss. Tatsächlich kann eine solche Behandlung auch notwendige Voraussetzung für den Zugang zu körpermodifizierenden Behandlungen sein. Es ist in der gesamten Medizin ein Standardverfahren, dass die fachgerechte Indikation zur Durchführung bestimmter Maßnahmen die Durchführungen anderer vorbereitender diagnostischer bzw. therapeutischer Maßnahmen voraussetzen kann. Es ist also durchaus in Abhängigkeit von der wissenschaftlichen Evidenz denkbar und keinesfalls a priori mit dem Hinweis auf den „Respekt vor der Würde und Selbstbestimmung der Person“ als „ethisch nicht gerechtfertigt“ zu betrachten, dass Hormonbehandlungen oder körpermodifizierende Behandlungen erst nach einer vorherigen psychotherapeutischen Behandlung durchgeführt werden sollten. Deshalb müsste in dieser Leitlinie die Evidenz für und gegen eine solche vorausgehende psychotherapeutische und ggf. pharmakologische Behandlung (z.B. assoziierter psychiatrischer Erkrankungen) gegeneinander abgewogen werden. Dies geschieht nicht und stattdessen wird schon in der Präambel eine nicht wissenschaftlich begründbare „Leitplanke“ gesetzt, die die weitere objektive Abwägung für moralisch unzulässig erklärt.“

Eine im Februar 2025 veröffentlichte Studie aus den USA zeigt, dass diese Kritik der DGPPN am affirmativen Ansatz gerechtfertigt ist: Die Analyse von 107.583 Patientendaten aus dem Zeitraum 2014 bis 2024 offenbarte, dass diejenigen, die sich einem chirurgischen Eingriff unterzogen, ein deutlich höheres Risiko für Depressionen, Angstzustände, Suizidgedanken und Substanzkonsumstörungen aufwiesen als diejenigen, die keinen chirurgischen Eingriff vornehmen ließen.

Solche Daten legen nahe, dass es auch nach Eingriffen im Rahmen einer Transition eine gute psychotherapeutische Begleitung brauchen kann. Da in den USA aber in den letzten 10 Jahren das affirmative Modell besonders um sich gegriffen hat, könnte man auch zu dem Schluss kommen, dass der Verzicht auf eine sorgfältige Anamnese von Begleiterkrankungen in Verbindung mit einer Behandlung dieser letztlich zum langfristigen Schaden vieler Transpersonen ist.

Leitlinie ist vertane Chance

Die jetzt veröffentlichte deutsche Leitlinie will jeden Zweifel am affirmativen Modell von sich weisen – das tut sie zum Beispiel, indem sie gleich auf das Deckblatt die Logos aller beteiligten und zustimmenden Fachgesellschaften eingefügt hat, obwohl es im Innenteil ohnehin eine Auflistung aller beteiligten Fachgesellschaften und ihrer entsandten VertreterInnen gibt.

Doch eine Mehrheit liegt nicht automatisch richtig. Die Kritikpunkte der DGPPN, die zur Verweigerung der Zustimmung führten, sind so fundamental und spiegeln außerdem exakt die internationalen Entwicklungen um dieses Thema wider. Unverständlich ist, warum die affirmative Fraktion nicht in der Lage scheint, aus den Entwicklungen im Ausland die angemessenen Schlüsse zu ziehen. Denn: Auch ein Leitliniendokument mit vielen bunten Logos auf dem Deckblatt wird im Ernstfall nicht vor möglichen Gerichtsprozessen wegen Behandlungsfehlern schützen.

So jedenfalls muss diese Leitlinie als verpasste Chance betrachtet werden, eine nachhaltige und solide Grundlage für den medizinischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu geben, die fundamental mit ihrem Geschlecht hadern. In Deutschland muss man offenbar jeden Fehler, den andere bereits gemacht haben, selbst machen. Niemand, der oder die klar bei Verstand ist, kann eine Leitlinie, die ihren fundamentalen Verriss gleich im Anhang mitliefert, als Grundlage für die klinische und therapeutische Arbeit nehmen. Das wäre glatter Selbstmord.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Genderfluid – was steckt in dieser Schublade?

Das öffentlich-rechtliche Format „Willkommen im Club – der queere Podcast von PULS“ will mit einem Gast die Geschlechtsidentität „Genderfluid“ erklären – einem Begriff, der beansprucht, Teil von „queer“ zu sein. Doch am Ende kommt vor allem ein Sammelsurium an platten Geschlechtsrollenklischees heraus.

Ein Kind bekommt Mascara auf die Wimpern aufgetragen. Symbolbild für Artikel zum Begriff Genderfluid.
Macht das Auftragen von Mascara schon genderfluid? (Foto von Alexander Grey auf Unsplash.)

7. März 2025 | Till Randolf Amelung

Will man die Vielfalt an Identitäten und Selbstverständnissen beschreiben, so reicht die Buchstabenkette LGBTIQ längst nicht mehr aus, weshalb inzwischen ein Sternchen oder ein Plus-Zeichen ergänzt wird. Ein solches Plus-Zeichen ist der Begriff „genderfluid“. Eine Klärung, was darunter zu verstehen ist, will die Folge “Genderfluidität: Mein Geschlecht wechselt sich mehrmals am Tag!“ des Podcasts  „Willkommen im Club – der queere Podcast von PULS“ versuchen.

Diese Folge des Podcast, der zum Angebot des Bayrischen Rundfunks gehört, ist in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen wird exemplarisch das riesige Missverständnis offenbart, jeder Gefühlsregung ein Etikett geben zu müssen und eine Prideflagge noch dazu. Zum anderen, wie sehr alle Versuche, die Geschlechterbinarität aufzulösen, zum Scheitern verurteilt sind. Schlimmer noch: es werden Stereotype zementiert.

Fluide Geschlechtsidentität erklärt

All dies war mit der Podcastfolge nicht intendiert, denn das Thema wird sehr affirmativ behandelt. Die beiden Hosts des Podcast, Sophia Sailer und Dimi Stratakis, haben dafür die 24-jährige Ari eingeladen.  Die Studentin der Erziehungswissenschaften aus Regensburg identifiziert sich als „genderfluid“. Nach dem Warmwerden geht es daran zu klären, was eine genderfluide Identität ausmacht.

Dimi: „Heißt, du fühlst dich zum Beispiel manchmal auch weiblich oder vielleicht auch mal gar nicht in einem Geschlecht zugehörig, sondern eher non-binär?“

Ari: „Ja, auf jeden Fall.“

Dimi: „Und wie fühlst du dich denn jetzt gerade?“

Ari: „Ich glaube, gerade bin ich sehr girly-pop unterwegs. Gerade ist schon sehr female.“

Dimi: „Und wenn sich dein Geschlecht dann ändert, dann ändern sich auch deine Pronomen mit. Das heißt, deine heutigen Pronomen sind?“

Ari: „Sie, ihr.“

Dimi: „Sweet.“

Gefunden hat Ari ihre Identität mit 18 Jahren über Social Media:

„Ja, ich habe irgendwann auf TikTok gescrollt und habe eine Person gefunden, die tatsächlich das erste Mal einen Namen für ein Gefühl geben konnte, was ich irgendwie die ganze Zeit hatte und hat das auch sehr bildlich veranschaulicht in TikTok und hat dann irgendwie sich an manchen Tagen super, super feminin repräsentiert und an anderen Tagen super, super maskulin. Und ich habe halt irgendwie, wie das so oft ist, wenn man irgendwie ein Thema hat, wo man irgendwie ein Connecting Point mit hat, man macht einen absoluten Deep Dive.“

Wechsel von Pronomen, Kleidung und Verhalten

Ari sagt auch, dass sie zu ihr konträre Geschlechtsidentitäten als „statisch“ verstehe. So, als identifizierten sich alle Menschen rund um die Uhr mit ihrem Geschlecht. Sie selbst habe Schwankungen in ihrem Geschlechtsempfinden und drücke das auch mit wechselnden Pronomen, Kleidung und Verhalten aus.

„Also wenn ich jetzt mich in einem Umfeld bewege, was sehr queer ist und sehr offen, dann merke ich meine Geschlechtsidentität kaum. Dann ist das was, weil ich mich eh schon so wohlfühle, dass ich auch gar nicht so viel darüber nachdenke. Und da eh weiß, ich werde da hauptsächlich nur mit meinem Namen angesprochen und es werden sowieso keine Pronomen verwendet, einfach um auf Nummer sicher zu gehen. Dann ist das was, was sehr schwach ist. Und wenn ich merke, ich bin in einem Umfeld mit vielen Männern oder auch Leuten, die sehr viel älter sind als ich, dann merke ich, dass es oft in eine männlichere Richtung switcht. Ja, irgendwie, um vielleicht auch auf Augenhöhe zu sein.“

Als sie gefragt wird, woran sie merke, welches Geschlecht sie habe, sagt Ari:

„Ich glaube, es ist für mich im ersten Moment ein Gefühl. Und ich spüre es mittlerweile sehr schnell und sehr deutlich. Ich glaube, dass es auch irgendwie ein bisschen damit zu tun hat, wie ich gerade so mich anziehe. Und oft merke ich es dann in dem Moment so, jetzt fühlt sich das, was ich gerade anhabe, nicht mehr gut an. Und jetzt ist das gerade irgendwie nicht mehr genau das, wie ich sein will oder wie ich gesehen werden möchte.“

Sehr viel scheint bei Ari auch mit Geschlechterrollenklischees zusammen zu hängen, was zum Beispiel beim Thema „Kleidung“ deutlich wird:

„Ja, ich glaube, was mir immer geholfen hat, so ein bisschen femininer irgendwie zu wirken, war halt sehr taillierte Hosen anzuhaben. Oder dann einfach den Gürtel ein bisschen enger zu stellen, die Hose ein bisschen weiter nach oben zu ziehen. Und wenn ich dann das Gefühl hatte, okay, das fühlt sich jetzt nicht mehr so gut an, Gürtel eins locker, Hose hier auf die Hüfte. Und was auch hilft, ist T-Shirt rein oder raus. Irgendwie nochmal so einen lässigeren, androgyneren Look zu kreieren. “

Prideflagge für Genderfluidität, Farben von oben nach unten: Die Farbe Rosa steht für Weiblichkeit. Oder das weibliche Geschlecht Das Weiß steht für das Fehlen des Geschlechts. Violett steht für die Kombination von Männlichkeit und Weiblichkeit. Schwarz steht für alle Geschlechter, einschließlich des dritten Geschlechts. Blau steht für Maskulinität oder das männliche Geschlecht.
Foto von Calcavorix auf Wikipedia

Die Prideflagge für Genderfluidität

Die Farbe Rosa steht für Weiblichkeit oder das weibliche Geschlecht. Das Weiß repräsentiert das Fehlen des Geschlechts. Violett steht für die Kombination von Männlichkeit und Weiblichkeit. Schwarz symbolisiert alle Geschlechter, einschließlich des dritten Geschlechts. Blau steht für Maskulinität oder das männliche Geschlecht.

Manspreading in der U-Bahn

Klischees sind für Ari nicht nur bei der Kleidung ein Thema: „Dinge, die ich ändere, je nach Geschlechtsgefühl, sind dann schon manchmal so Sachen wie Körperhaltung, Stimmlage. Das sind Sachen, die variiere ich, um mich wohler zu fühlen […].“

Host Dimi will den Punkt mit dem Verhalten genauer erörtert wissen: „Wenn du sagst, dass du dich irgendwie männlicher verhältst oder auch so eine Körperhaltung irgendwie einnimmst, was kann ich mir darunter vorstellen? Fängst du an zu Manspreaden in der U-Bahn?“

Und Ari antwortet mit einem sehr klischeehaften Bild von Männlichkeit:

„Ich fang so doll an zu Manspreaden in der U-Bahn. Erstmal rülpsen. Ich finde, Kontakt zum Boden macht einen großen Unterschied. Also tatsächlich schon auch irgendwie breitbeiniger dazusitzen, mehr in so eine Schwere zu gehen, was so Körperhaltung angeht, Gesten weniger flüssig und fein zu machen, sondern halt irgendwie auch mal statischer zu sein und irgendwie mal mehr seinen Muskeltonus zu spüren. Das ist auch irgendwie Dinge, die halt helfen, in so eine männliche Richtung zu gehen.“ Selbstredend gibt es von Ari die Erwartung, dass ihr nahestehende Personen sie öfter mal fragen, wie sie nun angeredet werden möchte.

Unbedingter Wille zum Etikett

Ari beschreibt Empfindungen, die vielen Menschen vertraut sein dürften. Für verschiedene Gelegenheiten haben wir alle unterschiedliche Verhaltensrepertoires, wir sind nicht rund um die Uhr in derselben Stimmung, wir tragen nicht permanent den gleichen Kleidungsstil. In den letzten Jahren hat jedoch eine Mode um sich gegriffen, alle Regungen irgendwie schubladisieren zu müssen – im queeren Sektor heißt das, neue Identitätsbegriffe und Prideflaggen zu gestalten. Andere begehren eine Diagnose wie ADHS – Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder psychische Erkrankungen.

Dass nicht jede menschliche Unannehmlichkeit oder schlicht der Lauf des Emotionsgefüges einen Stempel, wie eine medizinische Diagnose oder eine Prideflagge rechtfertigt, scheint in dieser Gesellschaft zunehmend verlernt zu werden. Und dass bei einer Zuspitzung von Geschlechterklischees weder die befreite Gesellschaft noch das emanzipierte Selbst herauskommt, wird ebenso wenig begriffen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


CSD Rostock: Ideologischer Dogmatismus schadet der queeren Bewegung!

In Rostock wird der schwule Gastronom und langjährige Dienstleister Andreas Szabó vom CSD-Veranstalter geschasst, weil er sich in der Rostocker Bürgerschaft bei einer Abstimmung um das Gendersternchen enthalten hat. Ihm wird vorgeworfen, keine Solidarität mit vulnerablen Gruppen gezeigt zu haben. Dieser Vorfall zeigt exemplarisch die Probleme im aktuellen queeren Aktivismus.

Viele bunte Zuckersternchen - Symbolbild für Artikel CSD Rostock: Ideologischer Dogmatismus schadet der queeren Bewegung
Gendersternchen – sind bei Weitem nicht so beliebt wie Sternchen in Zuckerform (Foto von Alexander Grey auf Unsplash).

5. März 2025 | Till Randolf Amelung

„Vielfalt“ ist im progressiven Spektrum und besonders in der queeren Community ein gern genutztes Wort. Doch während Vielfalt bei Prideflaggen, Pronomen und Identitäten erwünscht ist, so gilt dies nicht für Meinungen. Das wurde erst kürzlich wieder in Rostock demonstriert: Dort hat der CSD Rostock e.V. den schwulen Gastronom Andreas Szabó als Dienstleister ausgeschlossen, nachdem dieser sich als Mitglied der Bürgerschaft der Hansestadt in einer Abstimmung zum Gendersternchen enthalten hatte.

Abstimmung über Gendersternchen

Die Rostocker Stadtverwaltung hatte 2024 einen „Leitfaden für gendersensible und wertschätzende Kommunikation“ erstellt, der Angestellten die Nutzung des Gendersternchens nahelegt. Doch dagegen gibt es vor allem von AfD und CDU-Widerstand, die die Nutzung im offiziellen Schriftgebraucht ablehnen. In der Folge gab es in der Bürgerschaft Diskussionen und Abstimmungen. Die Bürgerschaftsmitglieder votierten im Januar schließlich mit 24 zu 22 Stimmen für die Vermeidung von Sonderzeichen zum Gendern in öffentlichen Schriftstücken.

Andreas Szabó, der neben seiner Gastronomen-Tätigkeit für die FDP Mitglied der Rostocker Bürgerschaft ist, enthielt sich bei der Abstimmung. Das aber nimmt ihm nun der Rostocker CSD-Verein übel und schließt Szabó als Dienstleister für den Ausschank beim CSD in der Hansestadt für 2025 aus. Auf Instagram begründet der Verein seine Entscheidung so: „Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Vorsitzender des CSD Rostock und als Besitzer des bsiebens sind mit seiner Wahl zum Mitglied der Rostocker Bürgerschaft gewisse Erwartungen verbunden.“

Zu diesen Erwartungen gehörte offenbar, sich in Abstimmungen unbedingt für das Gendersternchen einzusetzen. Doch Szabó sagte gegenüber dem Nordkurier, dass niemand aus der queeren Szene vorher auf ihn zugegangen sei, um mit ihm über das Thema zu sprechen. Dabei ist Szabó gar nicht generell gegen gendersensible Sprache, sondern lediglich skeptisch bezüglich der Alltagstauglichkeit des Gendersternchens für Personengruppen wie Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Enthaltung passt queeren Ideologen nicht

Doch so viel Differenzierung erlaubt das queerideologische Drehbuch nicht. Es gibt keine Gnade, wenn man nicht zu 100 Prozent auf Linie ist. Ganz egal, ob es sich dabei wie bei Szabó um einen langjährigen Dienstleister und verdienstvollen Engagierten für LGBTI in Rostock handelt, der auch mehrere Jahre selbst im Vorstand des CSD-Vereins mitgewirkt hat. Für den aktuellen Vorstand des CSD Rostock e.V. aber, ist Szabós Enthaltung ein Zeichen mangelnder Solidarität mit vulnerablen Gruppen. Einige radikale queere Aktivisten haben das sogar als Anlass genommen und Außenwände von Szabós Lokal beschmiert.

Hier wird in nuce die Verlogenheit der queeren Vielfalt sichtbar, denn selbstredend gilt „Solidarität mit vulnerablen Gruppen“ nur für einen selbst, aber nicht für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder anderen, für die das Gendersternchen eine Hürde beim Erschließen von Texten darstellt. Zudem ist es in vielen Teilen der Bevölkerung eine der am wenigsten akzeptierten Varianten beim gendersensiblen Sprachgebrauch – auch in Rostock.

Statt von allen ideologischen Kadavergehorsam zu verlangen, wären Dialog- und Kompromissbereitschaft nötig. Die Stimmung in der Bevölkerung kippt und wer ausschließlich die eigenen speziellen Befindlichkeiten in den Vordergrund stellt, ohne sich für die von anderen auch nur im Entferntesten zu interessieren, wird dafür früher oder später abgestraft. Diese Form von Aktivismus, bei der eine kleine Minderheit die Mehrheit ideologisch erziehen will, hat sich in einer sehr unguten Weise vom früheren Spirit der Bewegung entfernt und wird ganz sicher nicht dabei helfen, Akzeptanz zu erhöhen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


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Wenn die staatlichen Zuwendungen versiegen – Zeitenwende für LGBTI-Projekte

Im Berliner Senat geht der Rotstift um und kürzt, bzw. streicht vielen queeren Projekten die finanziellen Mittel. Und auch Wirtschaftsunternehmen sind nicht mehr so großzügig mit Sponsoring. Hat sich die queere Community zu abhängig von staatlichem Geld gemacht?

Staatliche Fördermittel sind für viele Organisationen und Projekte eine wichtige Grundlage für ihr Gedeihen (Foto von micheile henderson auf Unsplash).

3. März 2025 | Till Randolf Amelung und Jan Feddersen

Schockwellen gehen durch die queere Community Berlins: Schon wieder wurden vom Berliner Senat unter CDU und SPD Gelder für Projekte gestrichen. Betroffen sind: Die Fachstelle für Queere Bildung Queerformat (335.260 Euro), die Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik i_PÄD (132.200 Euro), der Kinder- und Jugendbereich der zur Schwulenberatung Berlin gehörenden Beratungsstelle Queer leben (115.900 Euro), das Konsultationsangebot des LSVD+ Berlin-Brandenburg (37.857 Euro) und der Queer History Month des Spinnboden-Archivs (52.250 Euro).

Bereits zum Ende des letzten Jahres waren queere Projekte von Kürzungsvorhaben betroffen. Ein Teil konnte jedoch noch abgewendet werden, insbesondere für den Jugendverband Lambda Berlin-Brandenburg e.V. und einige queere Zentren wurden die Kürzungen wieder zurückgezogen. Anderes wie das Kulturprojekt Pinkdot steht vor dem Aus.

An staatliche Zahlwilligkeit gewöhnt

Gerade in Berlin sind viele Vereine, Einrichtungen und Projekte ansässig, die in den vergangenen 30 Jahren von einer zunehmenden Förderung durch Land und Bund profitierten. Tatsächlich erstaunt es, mit wieviel Geld der Staat queere Projekt bislang gefördert hat. Viele Projekte sind erst mit diesen Subventionen ins Leben gesetzt worden. Diese Förderlandschaft ist so auch immer ein Jobgarant gewesen.

An die Zahlwilligkeit hat sich unsere Szene wie an ein Naturgesetz gewöhnt. Doch die Zeiten stehen auf Sturm: Kommunen, Länder und der Bund sind mit großen Herausforderungen konfrontiert, zu deren Bewältigung finanziell nicht gekleckert, sondern geklotzt werden muss. Beispielhaft erwähnt seien nur Modernisierung der Infrastruktur, das Rentensystem, der Gesundheitssektor, Wohnraum und die notwendige Aufrüstung der Bundeswehr.

Kürzungen auch bei Wirtschaftsunternehmen

Doch nicht nur der Staat, sondern auch Wirtschaftsunternehmen stehen unter Sparzwängen. Schon im letzten Jahr wurden in einigen Firmen Abteilungen für DEI (Diversity, Equity, Inclusion) zusammengekürzt oder gleich ganz abgewickelt. Das betrifft auch Budgets, die unter DEI-Gesichtspunkten Sponsoring betrieben haben. Beschleunigt wurde dieser Trend durch Entscheidungen der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Donald Trump DEI-Stellen in Behörden im kulturkämpferischen Feldzug gegen Wokeness einzustampfen. 

Vor den Kürzungen war gerade die Pride-Saison im Juni/Juli für Firmen ein Anlass, CSD-Veranstaltungen zu sponsern, gar mit einem Truck im Demonstrationszug dabei zu sein. Doch nun sitzt das Geld nicht mehr locker und woke ist nicht mehr en vogue. Vom Berliner CSD e.V., dem Organisator des großen und wichtigsten Hauptstadt-CSD, heißt es, dass sie aufgrund mangelnder Sponsorengelder ihre Veranstaltung gerade „grundsätzlich gefährdet“ sehen.

Erste CSD-Demos ohne viel Geld

In dieser Lage lohnt sich ein historisch informierter Blick in die jüngere Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung: Die ersten CSDs (die damals noch nicht so hießen), fanden in Berlin und Bremen (1979) statt, im Jahr darauf zog Hamburg nach – alles ohne üppiges Fördergeld wohlgemerkt, buchstäblich von wenigen AkteurInnen ehrenamtlich auf die Straßen gebracht. Im sozialdemokratisch geführten Bezirk Hamburg-Nord beispielsweise gab es die erste Förderung für ein schwules (und lesbisches) Projekt in der Hansestadt, indem dieser dem Magnus-Hirschfeld-Centrum bei dessen Ausbau finanziell unter die Arme griff.

Die ersten Förderprojekte auch personeller, jobbeschaffender Art gab es in den bundesdeutschen Metropolen im Kontext der Aidskrise – Stellen, die aus dem gewöhnlichen Gesundheitsbudget finanziert wurden. Eine politische Mission war das jedoch nicht: Ein gesundheitlich informierendes Angebot musste zusätzlich zur üblichen Krankenhaus- und Ärztestruktur aufgebaut werden, weil diese zu oft von diskriminierenden Vorbehalten geprägt war und daher nicht das Vertrauen der Betroffenen genoss.

Queerfeministische Hegemonie

Bei vielen Projekten, die nun in Berlin und anderswo zur Kürzung anstehen, geht es jedoch um die Durchsetzung von kulturell-politischer Hegemonie, insbesondere queerfeministischer Ideologie.  Eine Folge der Subvention der letzten Jahre Im LGBTI*-Bereich ist die überdeutliche Präsenz von Transthemen. Ohne die Fördergelder gäbe es viele entsprechende Initiativen nicht.

Anstatt einfach nur Geld zu streichen, muss man auch einen genaueren Blick auf die Inhalte werfen. Damit verbunden sollte gefragt werden: Dienen Projekte wie Queerformat der Allgemeinheit? Längst gibt es auch in Berlin trans-affirmative Leitfäden an Schulen zum Umgang mit „TIN*-Schüler*innen“ – also solcherart Anleitungen, die bereits in den USA zum Kippen der Stimmung gegen Trans beitrugen. Eine Berliner Pädagogin, die anonym bleiben will, berichtete uns davon, dass solche Leitfäden über Stellen wie Queerformat in die Schulen getragen würden.

Und: Ließen sich nicht auch mit geringeren Budgets und mehr ehrenamtlicher Unterstützung kluge Veranstaltungsreihen sowie CSD-Demonstrationen mit Kundgebungen umsetzen? Am letzten Februartag berichtete die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf Facebook von einer Buchvorstellung, die gemeinsam mit dem Schwulen Museum und dem Queer History Month veranstaltet wurde. „Für die Kooperationspartner_innen des Queer History Months war es vermutlich die letzte Veranstaltung, da sie, wie andere Berliner Träger_innen der queeren Bildungs- und Beratungsarbeit vor existenzbedrohenden Kürzungen stehen“, heißt es im Beitrag der BMH. Ist ein Queer History Month in Berlin wirklich nur mit 52.250 Euro jährlich möglich?

Kürzungen keine Verletzung von Menschenrechten

Jetzt tun alle so, als handele es sich bei den Kürzungen um Verletzungen von Menschenrechten. In diesem Sinne äußerte sich Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, der sich insbesondere wegen der Kürzungen der Trans- und Interberatung für Kinder und Jugendliche bei „Queer leben“ auf dem Instagram-Kanal der Schwulenberatung schockiert zeigte. „Ihre Unterstützung einzufrieren, erinnert an schlimmste Verhältnisse in den USA“, wird Groot im Beitrag zitiert.

So existenziell bedrohend finanzielle Kürzungen für die Betroffenen auch sein mögen – eine Verletzung von Menschenrechten stellt dies nicht dar. Der deutsche Staat hat es sich, in den vergangenen Jahren politisch gewollt, zur Aufgabe gemacht, emanzipative Projekte zu ermöglichen. Das darf er grundsätzlich, so wie er auch die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung am Leben hält – oder die Verbraucherzentralen, von öffentlichen Bibliotheken ganz abgesehen. Er hat aber auch die Aufgabe stets zu prüfen, ob die Gelder ihr Ziel erreichen und ihr Einsatz noch zeitgemäß sind.

Doch in Zeiten knappster Kassen kann der gewohnte Geldfluss in queere Projekte nicht aufrechterhalten werden. In Zeiten, in denen es auf die Ausstattung einer besseren Infrastruktur und eines ernstzunehmenden Militärs ankommt, kann auch von queerer Seite Einsicht erwartet werden, dass diese Dinge eine höhere Priorität haben.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.

Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Nach der Bundestagswahl 2025: Die queere Community muss sich finanziell unabhängiger machen

Im letzten Jahrzehnt profitierte die queere Community mit ihren Organisationen von einer erhöhten Aufmerksamkeit der Politik, die sich auch finanziell auszahlte. Doch angesichts der drängenden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben sollte man nicht erwarten, dass dieses Niveau an finanziellen Zuwendungen gehalten werden kann.

Finanzielle Unabhängigkeit Queerer Vereine: Win Sparschwein umgeben von Geldmünzen.
Das liebe Geld: Wie sollte sich die queere Community finanziell besser aufstellen? (Foto von Braňo auf Unsplash.)

24. Februar 2025 | Till Randolf Amelung

Die Bundestagswahlen sind vorüber, die Ergebnisse entsprechen in etwa den Prognosen. Während SPD und FDP für die vorherige Ampel-Koalition vom Wähler abgestraft wurden und CDU/CSU zwar stärkste Kraft wurden, aber trotzdem hinter den Erwartungen zurück blieben, haben besonders die populistischen Ränder profitiert. Vor allem das starke Ergebnis der in Teilen rechtsextremen AfD ist zwar erwartet worden, bleibt aber dennoch schockierend. Gerade in der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen war sie zweitstärkste Kraft, auf Platz 1 fand sich in dieser Wählergruppe die bis vor drei Monaten noch totgeglaubte Linkspartei.

Was bedeutet das Ergebnis nun aber für die politischen Aspekte der LGBTI-Frage? Große Sorge herrschte zuletzt unter anderem, weil die Union im Wahlprogramm verkündet hat, das Selbstbestimmungsgesetz in der jetzigen Form nicht beibehalten zu wollen. Und auch eine von queeren Verbänden geforderte Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um „sexuelle Identität“ ist mit CDU/CSU nicht zu machen.

SPD als Puffer für queere Community

Doch vielleicht könnte es die Gemüter ein wenig beruhigen, dass die Union nicht allein regieren kann, sondern dazu die SPD braucht, die einige queerpolitische Lieblingsprojekte mitverantwortet hat – insbesondere das Selbstbestimmungsgesetz. Allerdings sollte die SPD die Chance zu notwendigen Korrekturen an diesem in der jetzigen Form schlicht verantwortungslosen Gesetz wahrnehmen. Nur so kann man es noch aus einer Gemengelage weiterer Polarisierung wieder rausnehmen. Das würde dem Schutz von Transpersonen am ehesten dienen.

In der GroKo im Bundesland Berlin zeigt sich außerdem, dass die SPD bereit ist, allzu brutale Kürzungen bei queeren Projekten abzufedern. Die Berliner Bildungsverwaltung unter CDU-Senatorin Katharina Günther-Wünsch hatte unter der Notwendigkeit zum Sparen mehreren queeren Projekten die Gelder gestrichen. Die SPD-geführte Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung unter der Leitung von Cansel Kiziltepe springt nun ein und versucht das fehlende Geld der betroffenen Projekte zumindest teilweise auszugleichen.

Aktionsplan „Queer leben“ ungewiss

Auf Bundesebene könnten die Sozialdemokraten also ein Hoffnungsschimmer gegen Untergangsszenarien in der queeren, mit Steuergeld subventionierten Communitylandschaft sein. Eine Ausweitung der Finanzierung queerer Wunschprojekte ist aber eher nicht zu erwarten. Der Aktionsplan „Queer leben“, der unter der Leitung des nun ehemaligen Queerbeauftragten Sven Lehman (Bündnis 90/Die Grünen) erstellt wurde, wird kaum erfüllbar sein, da helfen auch gute Kontakte zur LSU, den Lesben und Schwulen in der Union, nicht.

Aktuell ist die Ausweitung der Subventionierung von queeren Projekten und Vereinen mit Steuergeld nicht das vordringlichste Aufgabenfeld einer kommenden Bundesregierung. Vielmehr ist für die queeren Vereine das Gebot der Stunde, nicht allein auf den Staat zu schauen, sondern sich auch andere Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und damit resilienter zu werden – etwa über Stiftungen oder durch die Akquise von Geldern aus mäzenatischen Händen. Ein Menschenrecht auf dauerhafte üppig polsternde Subventionierung queerer Projekte gibt es nicht.

Außenpolitik, Sicherheit und Wirtschaft haben Priorität

Eine künftige Bundesregierung hingegen muss dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Insbesondere bezahlbare Mieten für Wohnen und Gewerbe sowie Senkung von Energiekosten, unter Letzterem ächzt die Wirtschaft neben zu viel Bürokratie gerade besonders. Erfolge auf diesen Gebieten kommen auch queeren Zentren und der Clubkultur zugute. Eine steigende Wirtschaftsleistung sorgt für mehr Kaufkraft und Spendenbereitschaft – auch das ist für den Erhalt queerer Infrastruktur nur förderlich.

Außenpolitisch wird ein sicheres und freies Europa gerade in der Ukraine herausgefordert. Ein Sieg des russischen Despoten Wladimir Putins würde eine erhebliche Schwächung des freien Westens bedeuten und eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden in Europa darstellen. Und damit eben auch für das Leben und die Freiheit von LGBTI. Deshalb muss die Unterstützung der Ukraine Priorität haben, die Waffenlieferungen müssen ausgeweitet werden. Das alles wird eben auch den Preis haben, dass dafür nötiges Geld woanders weggenommen wird.

Das Thema „Sicherheit“ ist auch innenpolitisch von hoher Bedeutung, die letzten Anschläge von Magdeburg, Aschaffenburg und München haben in der Bevölkerung die Stimmung befördert, die derzeitige Migrationspolitik abzulehnen. Aber auch in queeren Kreisen ist die fehlende Sicherheit im öffentlichen Raum zuletzt ein Faktor gewesen, der in Teilen eine Hinwendung zur AfD begünstigt hat. In diesem Feld muss der Staat mehr tun und dies kostet ebenfalls Geld.

Doch wenn die queeren Strukturen wieder mehr lernen, auch unabhängiger von staatlichen Zuwendungen zu funktionieren, so kann das langfristig für die Lebensfähigkeit nur von Vorteil sein. In der Talksendung von Caren Miosga anlässlich der Bundestagswahlen sagte der eingeladene schwule CDU-Politiker Jens Spahn, dass wir nur noch eine Wahl von österreichischen und italienischen Verhältnissen entfernt seien, wenn man die Kernprobleme jetzt nicht in den Griff bekomme. Spätestens dann würde so manche Subvention wegfallen. Besser ist also, man orientiert sich schon jetzt neu.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Lieber Sekt statt Nazis – so war unser Queer Talk zu den Bundestagswahlen 2025

Am Mittwochabend diskutierte unser Vorsitzender Jan Feddersen mit Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, Jacky-Oh Weinhaus von Travestie für Deutschland und Denis Watson von Folsom Europe e.V. in der taz Kantine, was die LGBTI-Community von dieser Bundestagswahl erwarten kann.

taz Queer Talk "Lieber Sekt statt Nazis" am 19. Februar 2025 in der taz Kantine in Berlin. Auf dem Podium sitzen von links nach rechts: Denis Watson (Folsom Europe e.V.), Jacky-Oh Weinhaus (Travestie für Deutschland), Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d'Or (Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz), Jan Feddersen (Initiative Queer Nations e.V.)
taz Queer Talk am 19. Februar 2025 in der taz Kantine in Berlin. Auf dem Podium sitzen von links nach rechts: Denis Watson (Folsom Europe e.V.), Jacky-Oh Weinhaus (Travestie für Deutschland), Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or (Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz), Jan Feddersen (Initiative Queer Nations e.V.)

20. Februar 2025 | Till Randolf Amelung

Wie geht die queere Community damit um, dass sowohl konservative als auch rechtspopulistische Parteien bei den bevorstehenden Bundestagswahlen in der WählerInnengunst deutlich überwiegen werden? Jan Feddersen, Urgestein in der taz-Redaktion und Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations diskutierte unter dem Motto „Lieber Sekt statt Nazis“ darüber mit Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, Jacky-Oh Weinhaus von Travestie für Deutschland und Denis Watson von Folsom Europe e.V.

Mit dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP unter Bundeskanzler Olaf Scholz endete eine Bundesregierung, die sich auch für queere Menschen als Fortschrittskoalition verstanden hat. Wichtige queerpolitische Vorhaben wie das Selbstbestimmungsgesetz wurden umgesetzt, andere wie die Reform des Abstammungsrechts blieben liegen.

Die Podiumsteilnehmer am Mittwochabend waren sich darin einig, dass unter einer höchstwahrscheinlich unionsgeführten Bundesregierung mit Friedrich Merz eher nicht mit weiteren Reformen zu rechnen sei. Jan Feddersen merkte an, dass dies auch nicht der Kern der CDU/CSU wäre, mit progressiven Reformen voranzugehen. Man dürfe die Union daher nicht an grünen Maßstäben messen.


Die Aufzeichnung ist jetzt online verfügbar!

Sorge vor Rechtsruck

Spürbar war auch eine große Sorge, wie es um gesellschaftliche Freiheiten künftig bestellt sein könnte. Anlass sind die beiden Abstimmungen der Union im Bundestag, bei denen es um Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik ging und wo die Erlangung einer Mehrheit mit Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD zumindest in Kauf genommen wurde. Bis auf Jan Feddersen sprachen alle Podiumsgäste von „Zusammenarbeit der Union mit der AfD“. Doch das entspricht in der Dramatik nicht den Tatsachen, wenngleich diskussionswürdig ist, wie klug das Vorpreschen von Friedrich Merz unter dem Eindruck der Tat von Aschaffenburg vor den Wahlen war.

Biologische Geschlechter und Islamismus als Triggerpunkte

Bei so viel Einigkeit auf dem Podium war es dann vor allem Jan Feddersen vorbehalten, den Konsens immer wieder herauszufordern und für eine lebhafte Diskussion zu sorgen. Zwei Themen entfachten den Widerstand der Podiumsgäste besonders: Die Anzahl der biologischen Geschlechter sowie das Verhältnis zum Islamismus und dadurch motivierte Gewalt gegen Queers.

Die Union erfreute sich unter den Diskutanten auch deshalb keiner Beliebtheit, weil sie das erst eingeführte Selbstbestimmungsgesetz wieder ändern möchte. Auch dass Merz im TV-Duell mit Olaf Scholz ein gewisses Verständnis für die Äußerung Donald Trumps bekundet hat, dass es nur zwei Geschlechter gibt, hat der CDU/CSU hier keine Sympathien beschert. Verpasst wurde allerdings, die drei Verteidiger des Selbstbestimmungsgesetzes mit dem nun spätestens durch Marla-Svenja Liebich offenkundig gewordenen Missbrauchsrisiko zu konfrontieren.

Das Islamismus-Thema, welches Teil der größeren Migrationsdebatte ist, die vor allem seit den letzten Anschlägen in Magdeburg, Aschaffenburg und München tobt, offenbarte die Schwierigkeiten im linken und queeren Spektrum, eine Sprache dazu zu finden. Jan Feddersen konfrontierte seine Gäste damit, dass Islamismus von etlichen LGBTI als größere Bedrohung als der Rechtsextremismus empfunden würde. Doch die Mitdiskutanten taten sich damit eher schwer.

Interessant war dieser Diskussionsabend mit drei Gästen aus etablierten queeren Vereinen und Initiativen auch vor dem Hintergrund, dass vor Kurzem eine nicht-repräsentative Umfrage zur Bundestagswahl auf der Dating-Plattform Planetromeo für Aufregung sorgte. Die Mehrheit der Befragten gab an, der AfD ihre Stimme geben zu wollen. Also einer Partei, die trotz ihrer lesbischen Vorsitzenden Alice Weidel wiederholt mit queerfeindlichen Äußerungen aufgefallen ist. Die Umfrage wurde in ihrer Aussagekraft jedoch heftig angezweifelt, inklusive Manipulationsverdacht.

Einen Sekt auf queere Sichtbarkeit

Wie sehr das auf dem Podium Vertretene sich mit Stimmungen unter WählerInnen aus der LGBTI-Community deckt, wird man wohl spätestens nach der Bundestagswahl wissen. Umso interessanter wäre es daher gewesen, wenn eine zu queeren Organisationen dissidente Position nicht nur vom Moderator in die Diskussion eingebracht, sondern auch von einer Person auf dem Podium vertreten worden wäre.

Nach all dieser Schwere endete der Abend auf dem Podium mit einem ermutigenden Aufruf, sich nicht einschüchtern zu lassen und erst recht Sichtbarkeit mit CSD-Demonstrationen und dem Folsom-Straßenfest in Anspruch zu nehmen. Darauf ließ sich mit einem Glas Sekt vor, während und am Ende des Abends doch gern anstoßen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Bundestagswahlen 2025: Unsere queeren Untergangspropheten

Tage vor den Bundestagswahlen ist auch im LGBTI*-Spektrum eine Art moralische Panik ausgebrochen: Man fürchtet um die Errungenschaften der „queeren“ Bewegungen. Droht uns tatsächlich am 23. Februar 2025 um 18 Uhr die Apokalypse?

Bundestagswahlen 2025: Steht uns die queere Apokalypse bevor, wenn auf Februar der Merz folgt? (Foto von Tobias auf Unsplash.)

19. Februar 2025 | Jan Feddersen

Um nur ein persönliches Beispiel an den Anfang zu stellen: Der Mann, von dem hier gleich die Rede ist, heißt Alfonso Pantisano – und wenn man seinen Posts in den sozialen Medien glaubt, dann ist die aktuelle gesellschaftliche Situation nur Zentimeter von schlimmsten totalitären Heimsuchungen entfernt. Mindestens unmittelbar nach den Bundestagswahlen am kommenden Sonntag drohen offenbar Pech und Schwefel auf unsereins zu fallen. Entsprechend veröffentlichte er folgenden Beitrag auf Instagram und Facebook:

„Die Situation ist besorgniserregend. Das Gefühl ist von Verunsicherung und Angst geprägt. Und irgendwie dürfen wir gerade jetzt nicht stehenbleiben, sondern wir müssen dranbleiben und weitermachen. Ärmel hoch, Stimme erheben und arbeiten, verteidigen, schützen.

Gerade heute war es mir wichtig im Abgeordnetenhaus zu sein und Gespräche zu führen – manchmal sogar wortlos, wo eine Umarmung mehr sagt und mehr verspricht, als viele Worte.

Keine Ahnung, was morgen, übermorgen sein wird. Was aber klar ist, wir müssen gerade jetzt zusammenhalten. Wir Demokrat*innen. Im Parlament. In der Gesellschaft. Und in unserer Community. Gerade in unserer Community kommt es jetzt auf den Zusammenhalt an, denn es steht alles auf dem Spiel. Alles wofür wir gekämpft haben. Alles.“

Zum Verständnis für alle, die nicht in Berlin leben: Pantisano ist, „Ansprechperson der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“, so der offizielle Titel seiner Stelle. Das ist kein Minister- oder Senatorenamt, das ist auch kein beamteter Posten als Staatssekretär, aber immerhin: Ansprechperson. Als solche postet er auch – und vermutlich hält er das, was er formuliert, für die realitätstauglichste Wahrnehmung.

Wolkige Untergangspredigten zu den Bundestagswahlen

Aber sagt er tatsächlich etwas Konkreteres? Da ist von „weitermachen“ die Rede, von einer „Umarmung“, die mehr sage oder verspreche, „als viele Worte“, um die er andererseits nie verlegen ist, und zwar in wolkig-pastoralem Ton. Vor Monaten fuhr er dem inzwischen aus der Öffentlichkeit so gut wie verschwundenen, ehemaligen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert öffentlich in die Parade, weil dieser in einem Interview bekundet hatte, mit seinem Freund auch nicht gern an womöglich islamistisch aufgeheizten Männern vorbeizugehen. Pantisano schalt ihn fast einen Rassisten, nur die Angst vor einer Parteirüge (die aus der SPD, der er angehört) hielt ihn davon ab, den klügsten Jungpolitiker der Sozialdemokraten (selbst schwul, aber das nur nebenbei) wie einen unartigen Schuljungen abzuwatschen.

Pantisano aber hat mit der konkreten Verbesserung der Lebenslagen von queeren Personen gar nichts zu tun – wie auch? Er hat keine polizeiliche Macht, behördlichen Einfluss auch nicht so recht, als dass er mehr sein könnte als eine schwule Grüßtante* auf Steuerzahlerkosten.

Gehören nur linksgrüne WählerInnen zur Community?

Alfonso Pantisano hat sich ein schönes Berufsfeld mit Hilfe des SPD-Parteibuchs geschaffen. Aber ich möchte nicht allzu persönlich werden und manchmal hat er doch Lebenstipps parat, wie queer.de berichtete. „Kein Sex mit Nazis“ empfiehlt er – d.h. keine sexuellen Kontakte zu Menschen anzubahnen, die die AfD wählen. Aber wie sollen wir uns das vorstellen? Vor dem Darkroom ein Politcheck per Abfrageliste? Die Chats auf Kontaktbörsen schwuler Art um die Frage erweitert: „Bist Du Nazi? Nur ein bisschen, voll und ganz – nein, doch nicht?“ Mal davon abgesehen, dass es eventuell leichtfertig ist, die AfD politisch mit der NSDAP gleichzusetzen.

Da er von „Zusammenhalt“ der „Community“ spricht: Menschen diesseits der sog. Brandmauer zählen nicht dazu? Guckt man sich an, wie stark vermutlich der Anteil der jungen schwulen und lesbischen WählerInnen an rechtspopulistischen Wahlentscheidungen sind – bleibt zu fragen: Möchte die „Ansprechperson“ Pantisano sie alle aus seinem Sichtkreis ausschließen, weil diese Menschen seiner Meinung nach nicht zur Community gehören.

Islamismus als Gefahr für LGBTI

Angesichts der Umstände bleibt festzuhalten, dass Alfonso Pantisano und die anderen queeren Ansprechpersonen in Bundesländern, großen und kleineren Kommunen vor allem zu befürchten haben, dass ihre einseitige Sicht auf die Gefahren, die Homosexuellen und Transpersonen drohen, abgestraft werden wird. Denn sie alle eint, dass sie die Gefahr ausschließlich im politisch rechten Spektrum verorten, nicht jedoch in jenen Milieus, die islamistisch geprägt sind. Dabei gehen gerade in Metropolen von dort Gefahren aus, etwa von messerbewehrten Männern bedroht zu werden. Diese islamistischen Milieus sind nicht zu verwechseln mit muslimisch geprägten Menschen – aber selbst die Gewalttäter dürfen nicht benannt werden nach der Logik dieser queeren Ansprechpersonen und – als eben Islamisten und schariaverhetzte Menschen. Weil das angeblich Rassismus Vorschub leiste.

Eine ähnliche Weltuntergangsstimmung wie die von Pantisano wird in einem Text des Tagesspiegel anlässlich eines Winterpride-Umzugs in Berlin angestimmt: „Alles, was wir erreicht haben, wird gerade infrage gestellt.“ Aber das ist nicht wahr: Weder die Ehe für alle noch das Antidiskriminierungsgesetz werden von der Union und ihrem Kanzlerkandidaten angezweifelt.

Dafür wird aber das Selbstbestimmungsgesetz kritisiert, dass es männlichen Personen erlaubt, allein per Selbsterklärung zum weiblichen Wesen zu transitionieren und ihnen damit zum Beispiel ermöglicht, in Gefängnisabteilungen von Frauen verlegt zu werden. Kritikwürdig sind auch Regelungen, denen zufolge Minderjährige gegen den Willen der Eltern und auf familiengerichtliche Anordnung ihr amtlich dokumentiertes Geschlecht ändern können. Zu hinterfragen ist auch, dass Frauenräume von biologisch noch männlichen, aber sich weiblich erklärt habenden Personen ohne körperliche Geschlechtsangleichung genutzt werden können. Diese Punkte müssen neu verhandelt werden können, ohne gleich als transphob oder gar „Nazi“ gegeißelt zu werden.

Drei Schwestern der Perpetuellen Indulgenz posieren für ein Foto vor einer schwarzen Fliesenwand. Foto: Denis Watson

Heute Abend im Queer Talk „Lieber Sekt statt Nazis“ wird Jan Feddersen auch darüber mit seinen Gästinnen, den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz und Co-Moderator Denis Watson, in die Diskussion gehen! Seien Sie live dabei – entweder um 19 Uhr in der taz Kantine oder im Stream auf YouTube!


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


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Trumps Dekrete oder: Die Kardinalfehler des Transaktivismus

In den USA rollt der Backlash, gerade Transpersonen wurden von mehreren Anordnungen des Präsidenten Donald Trump hart getroffen. Dabei gab es vor elf Jahren eine Aufbruchsstimmung, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz von Transpersonen zum Besseren wendet. Doch zwei prominente Transfrauen, Blaire White und Brianna Wu, machen gravierende Fehler im Transaktivismus für die Rückschläge verantwortlich.

Auto steckt in Engstelle fest - Symbolbild für Kardinalfehler im Transaktivismus
Der Aufbruch für den Transaktivismus findet ein jähes Ende (Foto von Gareth Harrison auf Unsplash).

17. Februar 2025 | Till Randolf Amelung

Schon zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft wickelt Donald Trump einiges wieder ab, was rechtlich und gesellschaftlich für Transpersonen erreicht wurde. Per Dekret gibt es keine Änderung des Geschlechtseintrags in amtlichen Dokumenten mehr, gender-affirmative Behandlungen Minderjähriger wurden gestoppt, Transpersonen sollen nicht mehr im Militär dienen, und biologisch männliche Personen wurden aus dem Frauensport verbannt. All das sorgt unter vielen Transpersonen für Wut, aber auch Angst bezüglich ihrer weiteren Zukunft in den USA. Dies ist nachvollziehbar, aber ein Blick auf den Aktivismus seit 2014 zeigt: Der Backlash ist nicht vom Himmel gefallen.

Vom Aufbruch zum Backlash

Dabei gab es vor nunmehr elf Jahren durchaus eine Aufbruchsstimmung, die Transfrau und Orange is the new Black-Star Laverne Cox auf das Cover des renommierten Magazins Time brachte. Die US-amerikanische Zeitschrift titelte damals „The Transgender Tipping Point“. „Fast ein Jahr nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, dass Amerikaner die Person heiraten dürfen, die sie lieben, unabhängig von ihrem Geschlecht, ist eine weitere Bürgerrechtsbewegung im Begriff, lange geltende kulturelle Normen und Überzeugungen in Frage zu stellen“, hieß es in der Titelstory.

Weiter heißt es: „Diese neue Transparenz verbessert das Leben einer lange missverstandenen Minderheit und führt zu neuen politischen Maßnahmen, da Trans-Aktivisten und ihre Unterstützer auf Änderungen in Schulen, Krankenhäusern, am Arbeitsplatz, in Gefängnissen und beim Militär drängen.“ Doch gleich zu Beginn der zweiten US-Präsidentschaft Donald Trumps wird all das kassiert. Wie konnte das passieren?

Zwei Transfrauen gehen nun öffentlich schonungslos mit dem Transaktivismus ins Gericht. YouTuberin Blaire White, eine offene Unterstützerin Trumps, übt seit Jahren Kritik am woken Aktivismus und hat nun wesentliche Punkte nochmal in einem Video zusammengefasst. Brianna Wu, Videospielentwicklerin und Unterstützerin der Demokraten, äußerte sich mehrfach, zum Beispiel zuletzt im Kurznachrichtendienst X. Bemerkenswert ist, dass White und Wu in wichtigen Punkten übereinstimmen, obwohl sie politisch auf der jeweils entgegengesetzten Seite stehen. Aus den von beiden Transfrauen kritisierten Fehlern lässt sich auch viel für Deutschland lernen.

Erster Fehler: Entpathologisierung von Trans und SelfID

Seit 2022 führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Trans in der 11. Ausgabe ihres Klassifikationssystems aller medizinisch relevanten Diagnosen nicht mehr als psychische Störung. International setzten sich TransaktivistInnen und ihre Verbündeten lange und schließlich erfolgreich dafür ein: Trans als neues Normal. Am liebsten wäre vielen AktivistInnen die vollständige Streichung gewesen, aber da eine Verankerung in einem medizinischen Klassifikationssystem in einigen Ländern wichtig für die Kostenübernahme geschlechtsangleichender Eingriffe ist, wurde als Kompromiss eine neue Kategorie geschaffen.

Im Fokus der AktivistInnen steht aber, dass nur jede Person im Sinne von SelfID (Selbstidentifikation) allein wissen kann, dass sie trans ist und jeder Versuch einer Objektivierung, z.B. durch Diagnostikkriterien und die Erwartung, kongruent zur Selbstidentifikation aufzutreten, als „Gatekeeping“ und „Menschenrechtsverletzung“ verteufelt wird. Auch ein tiefgreifendes Empfinden von Geschlechtsdysphorie, also einem Leiden an der Diskrepanz zwischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen und -identität, wird als Bedingung zurückgewiesen.

Sowohl Brianna Wu als auch Blaire White halten dies für einen großen Fehler. Wu fordert auf X: „Die medizinische Transition muss zu den alten Kriterien zurückkehren. Ausführliche Therapie, Zustimmung des Arztes, formelle Briefe. Schluss mit diesem Selbstidentifikations-Unsinn.“ Dahinter dürften folgende Überlegungen stecken: Eine klare medizinische Definition und der Hintergrund intensiverer ärztlich dokumentierter Begleitung haben es überhaupt erst ermöglicht, dass Transitionen mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfuhren.

Zweiter Fehler: SelfID auf Kosten von Frauen

Besonders fatale Folgen hat SelfID für die Sicherheit von Frauen, denn wenn eine Selbstdeklaration nicht mehr auf Plausibilität geprüft werden darf, können übergriffige biologische Männer Frauenräume aufsuchen, in denen ein höheres Schutzbedürfnis herrscht. Blaire White bringt in ihrem Video mehrere Beispiele, wo sich offensichtliche Männer unter dem SelfID-Paradigma in Sammelumkleiden und -sanitärräumen für Frauen aufhalten. Beschwerden der Frauen wurden auch von den jeweiligen Betreibern mit Hinweis auf Diversity und Inklusion abgebügelt.

So geschah es 2024 auch im von White erwähnten Fall um ein Fitnessstudio der Kette Planet Fitness in Fairbanks, US-Bundesstaat Alaska: Eine Kundin fotografierte einen offensichtlichen biologischen Mann in Frauenkleidung, der sich im Frauenbereich rasierte und veröffentlichte das Foto mit ihrer Beschwerde in Sozialen Medien. Daraufhin wurde der Frau gekündigt, weil das Fotografieren des Mannes gegen die Hausordnung verstieß. In der Folge kündigten viele Frauen ihre Mitgliedschaft bei Planet Fitness, was zu einem Verlust des Firmenwerts an der Börse um bis zu 400 Millionen Dollar führte.

Besonders umstritten wurde SelfID ohne Sinn und Verstand aber in Frauengefängnissen und im Frauensport.  So wurden biologische Männer in den Frauenvollzug gelegt – auch ohne glaubwürdige Transition und obwohl sie wegen Sexualstraftaten verurteilt wurden. So kam es dann mehrfach durch solche SelfID-Fälle zu Vergewaltigungen im Frauengefängnis. Auch im Frauensport torpedierte SelfID die Transakzeptanz, da die körperlichen Vorteile von biologisch männlichen Personen in den meisten Sportarten zu unfairen Bedingungen führen, wie am Beispiel des Schwimmsports und der Kontroverse um Lia Thomas zu beobachten war.

Dritter Fehler: Queeraktivistischer Nonbinary-Nonsens

Ab 2015 kamen immer mehr Personen in Transgruppen, die sich als nonbinary, genderfluid, bigender, trigender oder noch ausgefallener bezeichneten, inklusive Neopronomen wie „they/them“ oder „ze/zir“. Selbstverständlich ist auch Nonbinary gänzlich eine SelfID-Angelegenheit, und Geschlechtsdysphorie ist ebensowenig erforderlich, um bei diesen sprachekstatischen Akten mitzumachen. Dafür herrscht aktivistische Gewissheit, dass die Zweigeschlechtlichkeit ein patriarchales kolonial-westliches Konstrukt ist, was dringend überwunden werden müsse.

Blaire White beschreibt in ihrem Video, dass diese Klientel zunehmen klassische Transsexuelle in Transgruppen verdrängt hätten und gerade auch wegen ihnen Definitionen von Trans bis zur Unkenntlichkeit zum Zirkelschluss wurden. Vor allem auf Social-Media-Plattformen wurde das zunehmend sichtbarer. Zumeist junge Frauen und Männer präsentierten sich oft mit bunten Haaren, kunstvoll-schrägen Make-ups, einem obligatorischen Choker-Halsband in Videoclips und wiederholten, dass sie alle „valid“ seien und ein individuelles Geschlecht hätten.

Ein Beispiel ist die TikTok-Influencerin Emily Skvarch, die sich als „trigender“ definiert: „Ich bin ein Mann, eine Frau und nicht-binär, alles auf einmal und die ganze Zeit. Ich würde vermuten, dass es ähnlich wie bei gender-fluid ist und dass man sich in einem bestimmten Bereich des Geschlechts fühlt, und für mich fühle ich einen großen Teil dieses Bereichs zu jeder Zeit, anstatt durch diesen Bereich zu fließen, wie es eine geschlechtsfluide Person tun würde.“

Damit verbunden wird auch wiederholt behauptet, das biologische Geschlecht sei ein Spektrum. Doch die allermeisten NaturwissenschaftlerInnen gucken irritiert, wenn man sie davon überzeugen will. Zur Akzeptanz von Trans hat dies nicht beigetragen. Daher fordert auch Brianna Wu: „Beenden Sie diesen nichtbinären Unsinn noch heute. Biologisches Geschlecht aus dem Gesetz zu streichen ist Wahnsinn und schadet nur Frauen. Es gibt keine medizinischen Beweise für irgendetwas davon, und in zehn Jahren werden wir es als den sozialen Wahn betrachten, der es ist.“

Vierter Fehler: Gender-affirmative Behandlungen bei Minderjährigen

Gerade in den USA ist auch bei Kindern und Jugendlichen der gender-affirmative Ansatz angewandt worden, der wie bei Erwachsenen auf SelfID setzt und damit alles an entwicklungspsychologischen Erkenntnissen über Bord wirft. Denn: Die meisten geschlechtsdysphorischen Kinder und Jugendliche versöhnen sich im weiteren Verlauf mit ihrem Körper, viele haben auch ein lesbisches oder schwules Coming-Out. Doch statt die jungen PatientInnen entsprechend abwartend zu begleiten, werden im affirmativen Modell zügig pubertätsblockierende Medikamente und gegengeschlechtliche Hormone verordnet.

Die Praxis der unmittelbaren Bestätigung der Geschlechtsidentität ungeachtet dessen, ob der junge Mensch nicht doch eine andere, etwa therapeutische Lösung gebraucht hätte, hat für viele unzufriedene PatientInnen gesorgt. Die medizinische Beweislage für dieses Verfahren ist viel zu dünn, aber Warnungen wurden ignoriert, was vor allem auch White kritisiert.  Und das, obwohl inzwischen aus mehreren Ländern systematisch erhobene Kenntnisse über die Risiken vorliegen und in vielen dieser Länder deshalb wieder psychotherapeutische Mittel die erste Wahl sind.

Fünfter Fehler: Queer-aktivistische Indoktrination in Schulen

Nicht nur im medizinischen, sondern auch im Bildungsbereich wurde das gender-affirmativen Modell etabliert. An vielen US-Schulen wurden Richtlinien implementiert, wonach soziale Geschlechtswechsel Minderjähriger aktiv vor den Eltern geheim gehalten wird, wenn es so vom Kind oder Jugendlichen gewünscht wird. Ebenso kann über den Kopf der Eltern hinweg ein Kind an affirmativ-aktivistische Beratungsstellen weitergeleitet werden.

Aber auch darüber hinaus sind aktivistisch motivierte Inhalte in Schulen gelandet, bei denen nicht berücksichtigt wurde, für welche Altersstufen sie passend sind. Besonders Bücher mit queeren Inhalten in Schulbibliotheken haben für erregte Kontroversen und bundesstaatlich angeordnete Book Bans gesorgt.

Ein häufig gebanntes Buch ist die Graphic Novel Gender Queer von Maia Kobabe. Für die Detransitioniererin Maia Poet ist es ein Paradebeispiel in Sachen „unverhohlene Transpropaganda“, auf X postet sie einige Auszüge. Auch Blaire White erwähnt dieses Buch und verweist auf sexuell explizite Szenen, die letztlich der Grund gewesen seien, dass es aus Schulbibliotheken entfernt wurde und Ähnliches auch auf viele andere umstrittene queere Bücher zuträfe. White nannte als weitere Beispiele Erwähnungen von Sexualpraktiken, die in der Sexualbiografie von Teenagern eigentlich noch keine Rolle spielen sowie detaillierte Beschreibungen von Dating-Apps, die erst ab Volljährigkeit nutzbar sind.

Doch republikanische Hardliner und andere GegnerInnen möchten nicht zwischen einer knappen, altersgerechten Aufklärung und solchen Exzessen differenzieren. So werden die Fehler der queeren AktivistInnen dankbar angenommen, um Aufklärung generell zu canceln. In Florida beispielsweise sollen queere Themen bis zur zwölften Klasse nicht mehr im Unterricht besprochen werden.

Was nun?

Blaire White spricht davon, dass man in den USA nun im „trans acceptance tipping point“ befinde und dass das gesellschaftliche Klima frostig geworden sei, was aber ihrer Meinung nach vermeidbar war. Brianna Wu fordert gerade von der Demokratischen Partei, dass sie die fehlerhaften Extrempositionen aufgibt, damit sich die Situation für Transpersonen wieder verbessern kann. Unterdessen berichtet sie davon, zum ersten Mal seit ihrer Transition vor über 20 Jahren offene Anfeindungen zu erfahren und dass sie den Eindruck hat, als Transperson aus dem öffentlichen Raum verdrängt zu werden.

In Deutschland wären wir gut beraten, die Fehler in den USA nicht zu wiederholen, denn der Backlash wird für reaktionäre Kräfte zur willkommenen Gelegenheit, auch das im bürgerrechtlich-aufgeklärten Sinn Erreichte wieder abzuwickeln. Doch längst sind auch in unseren Schulen fragwürdige Inhalte aus dem queeren Aktivismus angekommen oder werden von entsprechenden Vereinen bereitgestellt – zum Beispiel in Form eines Malbuchs vom Queer Lexikon.

Für Ende Februar wurde außerdem die lange erwartete Veröffentlichung der umstrittenen, weil affirmativen Leitlinie für geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche angekündigt, die unter der Leitung des Psychiaters Georg Romers entstanden ist. Äußerungen der ebenfalls beteiligten Psychologin Sabine Maur auf LinkedIn lassen nicht vermuten, dass es einen Kurswechsel zu mehr Vorsicht gibt: „diese leitlinie ist auch deshalb so wichtig, um der politischen instrumentalisierung und der massiven verbreitung von falschinformationen und transfeindlichen narrativen einen wissenschaftsbasierten expert*innen-konsens gegenüberstellen zu können.“

Und seit November 2024 ist in Deutschland SelfID Gesetz geworden. Bereits zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten gibt es mit der Nutzung durch eine Person aus der rechtsextremistischen Szene den ersten, medial diskutierten strittigen Fall. Auch hier war das aufgrund der Vorhersehbarkeit solcher Probleme vollkommen unnötig.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Debatte um Schwangerschaftsabbruch in Deutschland – wo stehen wir?

Die von SPD, Grünen und FDP geführte Bundesregierung wollte auch den Schwangerschaftsabbruch straffrei stellen. Ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde vorgelegt, das Verfahren kann aber bis zu den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar nicht mehr abgeschlossen werden. Wie hat sich die gesellschaftspolitische Debatte um das Thema entwickelt?

Sticker von Protestbanner für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mit Aufschrift "If men got pregnant, abortion would be sacred"
Weltweit kämpfen Frauen für das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch (Foto von Jon Tyson auf Unsplash).

15. Februar 2025 | Marion Hulverscheidt

Worüber sprechen wir eigentlich (nicht)?

Reproduktive Rechte umspannen das Feld, auf dem sich eben auch die Sexualität tummelt. Sie beschreiben das Recht auf sichere Verhütungsmittel, das Recht zur eigenständigen Familienplanung und somit auch das Recht auf einen sicheren und erreichbaren Schwangerschaftsabbruch. Inwieweit reproduktive Rechte auch das Recht zur Reproduktion mit artifiziellen Methoden (Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft) beinhalten, wird von Staat zu Staat unterschiedlich gehandhabt.

Aktuell ist in Deutschland laut dem Embryonenschutzgesetz von 1980 die Spermienspende erlaubt, die Eizellspende verboten. Menschenrechte einräumen, schützen und sie auch einklagen zu können, das ist ein hohes Gut im Aushandlungsbereich zwischen Staat und Bürger:innen. Vielleicht muss es auch noch einmal deutlich gesagt werden, dass von der Natur der Sex für die Reproduktion und für die Lust vorgesehen ist. Die Möglichkeit, dass neues Leben entsteht, war über Jahrhunderte eben mit dem intravaginalen heterosexuellen Geschlechtsverkehr verknüpft – und diese Form der Sexualität stellt ja nur eine kleine Insel im großen Archipel der möglichen Sexualitäten dar.

Und Sexualitäten haben eben auch was mit Sex zu tun, und diese Begegnung zweier Menschen ist bei Frauen in der reproduktiven Lebensphase, also zwischen Menarche und Menopause, mit dem Gedanken, aber auch der Angst, vor einer ungeplant-ungewollten Schwangerschaft verbunden. Diese Gedanken verhindern einen vorbehaltlosen Sex, denn auch die Verhütung muss bedacht – und bezahlt werden.

Vor dieser Hintergrundfolie wird nun die aktuelle Debatte um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs erörtert, die sich mit Fragen der Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen der Ehrfurcht vor dem Leben und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau beschäftigt.

Rechtliche Regularien

Die rechtliche Debatte um den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland wird allein mit dem Schlagwort „§ 218“ nur unzureichend beleuchtet. Dieser Paragraph befindet sich seit 1871 im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches, der Weimarer Republik, der BRD und auch im wiedervereinigten Deutschland. Das Abtreibungsstrafrecht wird sowohl in den § 218 und § 219 im Strafgesetzbuch und im Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz geregelt. Somit steht der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe  und gilt als rechtswidrig, aber straffrei unter bestimmten Bedingungen: Dauer der bestehenden Schwangerschaft, Nachweis für ein Beratungsgespräch und drei Tage Bedenkzeit sind einzuhalten. Näheres regelt das 1992 eingesetzte Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG).

Seit 1995 gilt dieser Kompromiss, der nicht vom Bundestag beschlossen, sondern vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diktiert wurde. Vor 1997 war die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar, und auch der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch (SSA) mit Mifeproston (RU486) wurde erst 1999 ermöglicht. In den vergangenen dreißig Jahren hat sich also vieles in der Gesellschaft und auf der rechtlichen Ebene verschoben. Es kann somit gefragt werden, ob dies die Tragfähigkeit des Kompromisses verändert hat. Denn kritisiert wurde der Kompromiss sowohl von Frauenrechtler:innen als auch von sogenannten Lebensschützenden.

Nachdem es radikalen Lebensschützern wie Klaus Günter Annen (Betreiber der mittlerweile indizierten Homepage babycaust.de) gelang, mit Anzeigen die lokalen Staatsanwaltschaften zu beschäftigen, weil sie bei der Information zum Schwangerschaftsabbruch auf den Homepages von frauenärztlichen Praxen einen Verstoß gegen § 219a vorliegen sahen, kam es ab 2017 zu einer gehäuften Annahme von Verfahren durch die Staatsanwaltschaften. Online zugängliche Informationen über den Ablauf und die Formen des Schwangerschaftsabbruchs wurden von Abtreibungsgegnern als Werbung gebrandmarkt und entfachten eine verunsichernde Situation. Wehrhafte angeklagte Ärztinnen, exemplarisch genannt seien Kristina Hänel aus Gießen und Nora Szász aus Kassel, scheuten weder die Klage noch die Öffentlichkeit und sorgten mit ihren Interviews für ein gutes Medienecho.[1]

Die Große Koalition versuchte den §219a zu verschlimmbessern, von der Ampelkoalition wurde im Jahr 2022 der Paragraph zur Werbung für den Schwangerschaftsabbruch jedoch gestrichen. Seit dem 5. Juni 2024 gibt es unabhängige, evidenzbasierte und gut verständliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch im Netz.[2] Das vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verantwortete Webportal Gesundheitsinformation.de erfüllt den gesetzlichen Auftrag dieser Einrichtung, allgemeinverständliche Informationen zu gesundheitlichen Fragen bereitzustellen. Nun gibt es dort endlich auch Informationen und Entscheidungshilfen zum Schwangerschaftsabbruch. Ärztinnen und Ärzte, die diese Informationen nicht auf ihrer eigenen Website veröffentlichen wollen, können stattdessen auf dieses externe Angebot verweisen.

Die aktuelle politische Situation

Die im Ampelkoalitionsvertrag vereinbarte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ wurde erst im März 2023 vom Bundesjustizministerium und vom Bundesfamilienministerium eingesetzt.[3] Fünfzehn Frauen und drei Männer, allesamt Professor:innen aus den Bereichen Recht, Ethik und Medizin, haben sich ein Jahr lang in zwei Unterkommissionen mit der zukünftigen rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sowie der Frage der Eizellspende und der Leihmutterschaft eingehend beschäftigt. Die Kirchen waren nicht in der Kommission vertreten und versuchten daher schon früh in den Medien ihre Haltung zu vertreten. So fordert der Sozialdienst der katholischen Frauen auf der Internetseite des Bistums Regensburg, dass die Beratungspflicht erhalten bleiben muss.[4] Sie formulierten gleichwohl auch, dass das Selbstbestimmungsrecht einer Frau neben dem Lebensrecht eines Ungeboren besteht. Ein Vertreter des Bundeslandes Bayern war auch nicht in der Kommission, doch das ist dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht aufgefallen.

Am 15. April 2024 übergaben im Rahmen einer Pressekonferenz Mitglieder dieser Kommission ihren 600-seitigen Bericht an die drei Minister:innen Lisa Paus, Karl Lauterbach und Marco Buschmann. Diese hochkarätige, interdisziplinär besetzte Kommission unterbreitete ihre konsensual getroffenen Vorschläge, wonach der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. SSW p.c.[5] rechtmäßig sein sollte. Auch die juristischen Mitglieder dieser Kommission sehen keinen Grund mehr für die notwendige Verankerung im Strafrecht. Hinsichtlich der reproduktiven Rechte wäre nach der konsensualen Auffassung der Kommission auch die Eizellspende unter streng formulierten Voraussetzungen zu legalisieren, insbesondere in Hinblick auf bereits gewonnene, sogenannte überzählige Eizellen. Die Leihmutterschaft wäre lediglich unter sehr engen Kautelen, die genauer zu bestimmen und zu formulieren wären, zu ermöglichen.

Die Minister:innen nahmen den Bericht entgegen, bedankten sich für das Engagement der Kommissionsmitglieder, versprachen zu lesen und plädierten im Anschluss vehement dafür, keine weitere Debatte anzustoßen, die die Gesellschaft noch weiter spalte. Die CDU habe ja schon damit gedroht, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.[6] Doch dann folgte: Schweigen der Bundesregierung.

Ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde von drei Juristinnen (Friederike Wapler, Maria Wersig, Liane Wörner), die auch in der von der Ampel-Bundesregierung berufenen Kommission angehörig waren, vorgelegt.[7] Dieser Entwurf von juristischen und feministischen Expertinnen belegt auch eindrücklich das hohe gesellschaftliche Engagement der Beteiligten. Die Neuregelung, die für eine Straffreiheit in den ersten 12 bis 22 Schwangerschaftswochen plädiert, fand eine breite Unterstützung von Verbänden und Organisationen.[8]

Ein darauf formulierter Gesetzentwurf[9] sieht vor, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen (p. c.) straffrei und rechtmäßig zu stellen. Die Krankenkassen sollen die Kosten hierfür übernehmen, eine kostenlose Beratungspflicht bliebe bestehen, allerdings entfiele die verordnete Bedenkzeit von drei Tagen. Der § 218 bleibt bestehen für die strafrechtliche Erfassung von nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen.

Nach der ersten Lesung im Bundestag am 5. Dezember 2024[10] wurde der Gesetzesentwurf an die Ausschüsse verwiesen. Demonstrationen in Berlin und in Karlsruhe für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs folgten am 7. Dezember 2024.[11] Auch in der FAZ erschien eine prominente Stellungnahme „Den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren. Dem ungeborenen Leben hilft es nicht, Schwangere mit Gefängnis zu bedrohen oder mit einem juristischen Unwerturteil zu belegen“ von namhaften Rechtsprofessor:innen auf deutschen Lehrstühlen.[12]

Gesellschaftliche Debatten um gesetzliche Regularien, zumal im Strafrecht, sind zäh, und sie werden gerne solitär, ohne intensive Kontextualisierung, diskutiert. Es führt häufig zu Erstaunen, wenn erläutert wird, dass der Schwangerschaftsabbruch im deutschen Strafgesetzbuch im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ nach § 211 Mord und § 216 Tötung auf Verlangen niedergelegt wird.

In den Medien wurde fieberhaft überlegt, wie in einem fraktionszwanglosen Bundestag eine namentliche Abstimmung für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vielleicht doch noch möglich wäre.[13] Am 10. Februar, wurden eine Petition mit mehr als 300.000 Unterschriften, die auch von prominenten und mitgliederstarken Verbänden wie dem Deutschen Frauenrat und dem Deutschen Gewerkschaftsbund unterzeichnet wurde, übergeben.[14] Denn an diesem Tag fand die Anhörung zu „Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen“ im Rechtsausschuss[15] statt, zwar medial hoch beachtet,[16] doch zu einer Abstimmung am letzten Sitzungstag des Bundestages in dieser Legislaturperiode kam es nicht.

Und nun?

Immerhin gibt es eine Bundestagsdrucksache mit einem Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Im Sommer 2024 beschloss der Deutsche Bundestag ein Verbot der Gehsteigbelästigung, um den Zugang zu den ärztlichen Praxen zu sichern und die Mitarbeitenden derselben nicht einem höhen psychischen Druck auszusetzen.[17] Das steht in der Bilanz der andauernden Aushandlungen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite steht beispielsweise, dass der Bayerische Landtag den Versand des für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch zugelassene Medikament Mifeproston per Post in und nach Bayern untersagt hat. Damit wird die Durchführung eines telemedizinischen medikamentösen Abbruchs in Bayern, wo die Versorgungslage von abtreibungswilligen und -erwägenden Frauen schwierig ist, noch stärker erschwert.[18]

Demokratische Gesellschaften zeichnen sich eben durch ihre Veränderungsfähigkeit aus, der ein Beharrungsvermögen eingewoben ist. Mutig und angemessen wäre, die Entwicklungen in europäischen Nachbarländern wie Dänemark, Frankreich, Österreich und den Niederlanden zu analysieren und festzustellen, dass durch eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht die Rate der Schwangerschaftsabbrüche steigt und die Geburtenrate sinkt, sondern Frauen sich sicherer fühlen und auch Schwangerschaftsabbrüche sicherer durchgeführt werden. In der Gegenüberstellung von Lebensrecht des Ungeborenen und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau geht der Blick verloren auf diejenigen, die ungewollt geboren wurden.[19] In einem Verdacht auf Kindesmisshandlung wurde in einer Fürsorgeakte notiert:

„Die Mutter [Frau R.] hatte die Schwangerschaft nicht gewollt und sich auch gegen die Austragung der Schwangerschaft gesträubt. Zu der neugeborenen Anna […] fand Frau R. keine positive Zuwendung und gab sie daher in ein Säuglingsheim.“

Dass frustrierte und gegängelte Frauen weder sich selbst noch ihrer Familie noch einer Gesellschaft zum Guten gereichen, ist zwar bekannt, wird jedoch kaum beachtet. Achtung und Respekt vor jedem einzelnen Menschen, in der Konsequenz auch an das Unglück denkend, und sich an dem Glück eines gewollten Lebens erfreuend, sind moralische Leitplanken, die mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Die Argumente liegen auf dem Tisch, dies auch schon seit Jahren – die nächste Bundesregierung unter höchstwahrscheinlicher Beteiligung der CDU wird sich mutmaßlich dieser Thematik nicht annehmen, so bleibt die harrende Geduld, von Hoffnung nicht zu sprechen.

Quellenverweise

[1] https://www.gwi-boell.de/de/anne-klein-frauenpreis-2019-kristina-haenel-natascha-nicklaus-und-nora-szasz

https://podcasts.apple.com/de/podcast/schwangerschaft-nora-sz%C3%A1sz/id1076864574?i=1000455671727

https://www.deutschlandfunkkultur.de/gynaekologin-nora-szasz-die-ganze-frau-sehen-in-ihren-100.html

https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/artikel/2022/april-2022/ein-langer-kampf-geht-zu-ende

Kristina Hänel: Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“. Argument Verlag, Hamburg 2019.

[2] https://www.gesundheitsinformation.de/schwangerschaftsabbruch-abtreibung

[3] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/141328/Diskussion-um-Schwangerschaftsabbruch-BMG-beruft-Kommission

[4] https://bistum-regensburg.de/news/schwangerschaftskonflikt-deutscher-caritasverband-und-skf-aeussern-sich

[5] In rechtlichen Regularien wird die Schwangerschaftswoche (SSW) gerechnet nach der Konzeption, der Empfängnis – p.c., post conceptionem. Im medizinischen Bereich wird die Schwangerschaft nach dem ersten Tag der letzten Menstruation – p. m.  post menstruationem, berechnet. Dazwischen gibt es eine rechnerische Distanz von zwei Wochen.

[6] https://www.deutschlandfunk.de/baer-csu-wirft-koalition-vor-befriedete-situation-in-der-gesellschaft-zu-gefaehrden-100.html

[7] https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Gesetzentwurf_Schwangerschaftsabbruch_Zivilgesellschaft_Wapler_Wersig_Woerner_17.10.2024.pdf

[8] https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Familie_und_Frauen/doc/Verbändebrief_Schwangerschaftsabbruch_2024-6-14.pdf

[9] https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013775.pdf

[10] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-schwangerschaftsabbruch-1032654

[11] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/19536/demo-7-12-2024-abtreibung-legalisieren-jetzt/

[12] „Den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren. Dem ungeborenen Leben hilft es nicht, Schwangere mit Gefängnis zu bedrohen oder mit einem juristischen Unwerturteil zu belegen“ unterzeichnet von neun Jura-Professor:innen, u. a. Prof. Dr. Martin Asholt, Prof. Dr. Karsten Gaede und Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oglakcıoglu, FAZ vom 23.1.2025, S. 6.

[13] https://www.zeit.de/2025/05/schwangerschaftsabbruch-rechtslage-deutschland-legalisierung

[14] https://innn.it/abstimmungjetzt

[15] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw07-pa-recht-schwangerschaftsabrueche-1038836

[16] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/abtreibung-reform-scheitern-100.html

[17] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=925

[18] https://www.br.de/nachrichten/bayern/streit-um-telemedizin-verbot-bei-schwangerschaftsabbruechen,UWLZt0q

[19] https://www.radiodrei.de/programm/schema/sendungen/lebenswelten/archiv/20250209_0900.html


Marion Hulverscheidt gehört als Schatzmeisterin dem IQN-Vorstand an, ist als Ärztin tätig und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte der Universität Kassel sowie Mitglied im Klinischen Ethik-Komitee des Klinikum Nordhessen. Ihre Forschungsgebiete umfassen die Körpergeschichte im Spannungsfeld zwischen Medizin und Gesellschaft, Inter* im binären 20. Jahrhundert sowie Erinnerungskultur im Post-Kolonialismus. Seit 2022 in der Redaktion des Jahrbuch Sexualitäten.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Queere Verbände repräsentieren viele LGBTI nicht!

Queere Verbände und Medien haben zur Bundestagswahl in ihren Wahlempfehlungen linke Parteien und die Grünen empfohlen. Doch Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage des schwulen Datingportals Planetromeo zeigen hohe Zustimmungswerte für die AfD. Sind queere Verbände noch ausreichend in Kontakt mit der Basis?

Foto von Mika Baumeister auf Unsplash

12. Februar 2025 | Jan Feddersen

In knapp zwei Wochen finden die Bundestagswahlen statt. Um kurz nach 18 Uhr am 23. Februar wird mit den ersten Hochrechnungen  ermittelt, welche Partei mit welcher Prozentzahl abschneidet. Auch die queere Szene – das sammelsurisches Wort für alle, die schwul, lesbisch, trans, bi oder inter sind – hat hierzu ein paar Worte eingelegt. Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt mit seinen Wahlprüfsteinen, der Berliner CSD e.V. – und Szenemedien wie queer.de haben sich thematisch zu diesem Thema positioniert.

Und in der Summe kommt heraus: Alles diese gewichtigen Teile der LGBTI-Szene geben eine Wahlempfehlung für die Grünen. Nur diese Partei, die bislang der letzes Jahr im November geplatzten Ampel-Regierung angehörte, stehe programmatisch für das volle Programm.

Wesentliche queeraktivistische Forderungen sind:

  • Ergänzung des Grundgesetzes durch eine Passage, in der die „sexuelle Identität“ schützend erwähnt wird;
  • Aufnahme von queeren Flüchtlingen und Schutz von LGBTI*-Lebensweisen ; Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht anerkennen;  
  • Leihmutterschaftschancen für schwule Eltern.

Diskussionswürdige queere Forderungen zur Bundestagswahl

Aber diese Fragen sind nicht unumstritten. Dass zwei schwule Männer mit dem Sperma des einen über eine Leihmutter zu einer Elternschaft kommen, wird von Feministinnen heftig kritisiert.  Der Schutz der durchaus ja fluiden sexuellen Identität durch das Grundgesetz, muss auch nicht einleuchten.  Das Grundgesetz schützt vielleicht die Sexualität, sofern sie nicht jemanden schadet. Aber wie soll eine sexuelle Identität zu schützen sein?

In der queeren Community aber, sind sich offenbar nicht alle einig, ob die Wahlprüfsteine wirklich weiteres Glück verheißen. Vielmehr lassen sich viele schwule Männer, lesbische Frauen und trans Menschen bei ihrer Wahl für eine Partei nicht auf das reduzieren, was queere Interessensverbände für richtig halten.

Die queeren Verbände aber treten öffentlich auf, als seien ihre Anliegen die wichtigsten für queere WählerInnen. Am 23. Februar mag sich das Gegenteil herausstellen: Vor allem jüngere Schwule  scheinen die AfD nicht für den homophoben Horror schlechthin zu halten. Sie halten offenkundig, ob berechtigt oder nicht,  gewaltvoll entgrenzte Islamisten für die größte Gefahr.  

Auch gibt es weiterhin Schwule und Lesben, die Wert darauf legen, dass es nach wie vor wissenschaftlich korrekt nach biologischem Verständnis zwei und nicht mehr Geschlechter gibt, das weibliche und das männliche. Die seltenen Fälle von Intergeschlechtlichkeit oder Trans gehören zu den Raritäten der Schöpfung und sind nicht ihr Kern.

Planetromeo-Umfrage schockiert Aktivisten

Insofern mag es nur queere Aktivistas verwundern, dass bei einer Planetromeo-Umfrage die Jüngeren am stärksten die AfD wählen wollen, aber nicht die Grünen. Jedoch wunderte das nur jene Aktivisten, die im ideologischen Geflecht der siebziger bis achtziger Jahre aufgewachsen sind und dem bis heute treu geblieben sind.

Die Umfrage mag nicht wirklich repräsentativ sein, aber ihre Ergebnisse entsprechen den Resultaten der Wahlen in Österreich, den USA und anderen Ländern: Überall dort bevorzugten Schwule und Lesben Parteien, von denen sie sich mehr für ihre eigene Sicherheit versprechen. Parteien, die beispielsweise wie die Demokraten in den USA einseitig Transinteressen beförderten und zugleich Kritik an islamischen Einwanderern als unmoralisch diskreditierten, wurden an der Wahlurne abgestraft.

Was die Aktivistas früherer und heutiger Tage verkennen, ist, dass unsereins nicht nach politischer Korrektheit wählt, weil Schwule und Lesben und Trans als solche in Ruhe gelassen werden wollen und ihre politischen Entscheidungen nicht notwendigerweise an den Expertisen der queeren Verbände ausrichten.

Queerpolitische Verbände repräsentieren nicht alle

Schwulen- wie Lesbenbewegung waren in den siebziger Jahren normative Bewegungen: Der gute Schwule, die gute Lesben – sie waren offen, outingbereit und schwullesbisch politisch fokussiert. Allerdings  stimmte das mit der Wirklichkeit nicht überein: Schwule wählten zwar gern früher FDP, viele später die Grünen, oft auch die SPD, auch die CDU stand auf ihren Zetteln,  aber diese Wahlentscheidungen waren nur selten von ‚queeren‘ Kriterien bestimmt.

LGBTI*-Verbände repräsentieren nur sich selbst, nicht das gesamte queere Spektrum. Die Verbände müssen abwägen, welche Dinge sie fordern, um das Leben von Queers zu erleichtern. Leihmutterschaft gehört für mich nicht dazu, auch nicht das grundgesetzlich geschützte Recht auf diverseste Identitäten im sexuellen Spektrum. Die kann sich ohnehin jeder und jede backen, wie er oder sie oder es möchte – das alles braucht keine Gesetze.

lch würde nie CDU wählen, aber das hat familiäre Gründe: Ich bin durch und durch sozialdemokratisch geprägt. Aber dem Unionskandidaten Friedrich Merz transphobe Aussagen zu attestieren, weil er findet, der neue US-Präsident Donald Trump habe recht gesprochen, als er sagte, es gebe nur zwei Geschlechter, ist irre: Dabei ist diese Aussage über die Anzahl Geschlechter immer noch state of the art in der Wissenschaft. Jede andere Auffassung verdient soviel Respekt wie jemand der sagt, die Gesetze der Schwerkraft seien eigentlich Unfug. Aber: auch das ist vom Grundgesetz in Form der Meinungsfreiheit geschützt.

Geschlecht und Islamismus

Mit anderen Worten: Die LGBTI*-Bewegung in Gestalt ihrer Verbände wirken selbst gaga, wenn sie weiter denken, sie würden trans Menschen helfen, indem sie viele eigene Geschlechter attestieren. Ohnehin ist man auch in Deutschland gut beraten, Pubertätsblocker oder andere medizinische Eingriffe einer Transition für Minderjährige zu verbieten: Das wäre hilfreich vor allem für geschlechtsdysphorische Jugendliche. Denn sie können  in ihrem Alter nicht wissen, was sie tun.

Tatsächlich sind die politischen Verhältnisse so, wie sie für soziale Bewegungen immer sind: Man dankt ihnen nicht für das, was sie geschafft haben. Im queeren Bereich sind es eine Fülle von Reformen, vor allem die Aushebelung des biologistischen Verständnis von Ehe 2017 – so dass die Ehe nun für alle ist, auch für homosexuelle Paare.

Es scheint, als würde ein Gros gerade junger schwuler Männer und lesbischer Frauen das alles für selbstverständlich nehmen – gut so! Nun aber legen sie starken Wert auf Sicherheit und Integrität. Sie wollen als Homosexuelle nicht gedisst oder mit Gewalt malträtiert werden. Deshalb haben sie vermutlich eine Neigung zur AfD, selbst wenn diese Partei rechtspopulistisch bis rechtsextrem gesinnt ist.

Die Grünen und die SPD jedenfalls stehen für eine ausgesprochen fehlerhafte Politik, wenn es um Islamistisches geht. Bloß nicht den Islam zu stark kritisieren, es könnte ja den Rechten nützen. Das wird diesen beiden Parteien von Teilen der queeren Szene angelastet: Die schützen mich nicht genug.

Am 23. Februar ab 18 Uhr wissen wir mehr!


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


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Trump als Hüter der Frauenrechte?

Neue Executive Order schützt den Frauensport

Donald Trump hat ein weiteres Dekret mit Transbezug erlassen. Dieses Mal betrifft es die Teilnahme biologisch männlicher Personen am Frauensport, die nun untersagt wird. Warum kann sich ein wegen Vergewaltigung verurteilter Mann wie Trump jetzt als Bewahrer von Frauenrechten inszenieren?

Trump spricht im Weißen Haus zu den eingeladenen Sportlerinnen und kündigt die Unterzeichnung des Dekrets an (Foto: Eigener Screenshot).

7. Februar 2025 | Till Randolf Amelung

US-Präsident Donald Trump hat ein Gespür für publikumswirksame Inszenierungen. Das stellte er auch am Mittwoch unter Beweis, als er direkt aus dem Weißen Haus übertragen und umringt von Sportlerinnen aller Altersklassen seine neue Executive Order unterzeichnete, die biologische männliche Personen, d.h. Transfrauen, vom Frauensport ausschließt. Unter Beifall der anwesenden Frauen und Mädchen lässt er sich als deren Beschützer feiern. Einigen Frauen steht die Freude über das bevorstehende Dekret förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch hier setzt Trump ein wichtiges Wahlkampfversprechen um.

Ausschluss von Transfrauen aus Frauensport

Künftig dürfen weder im Schul- noch im Hochschulsport biologisch männliche Personen am Frauensport teilnehmen. Auch die Nutzung von Umkleide- und Sanitäreinrichtungen wird ihnen untersagt. Bei Verstoß drohen den Bildungseinrichtungen der Entzug staatlicher Gelder. Gerade Schulen und Universitäten haben in den USA eine wichtige Rolle in der Förderung von sportlichen Talenten, vor allem über Stipendien.

Auch auf der Ebene des internationalen und olympischen Spitzensports verlangen die USA, dass biologisch männliche Personen aus dem Frauensport verbannt werden.  Die nächsten Olympischen Sommerspiele finden 2028 in Los Angeles statt. Trump kündigte bereits an, in diesem Zusammenhang alle Visaanträge von Personen mit weiblichem Passeintrag ablehnen zu lassen, wo dieser nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt.

Politisches Versagen der Linken

Joanne K. Rowling, die global ultraprominente Harry-Potter-Autorin, ist eine der schärfsten Kritikerinnen jener Entwicklungen, deren Ursache darin liegt, dass die biologische Grundlage von Geschlecht vollständig negiert wurde. Im Kurznachrichtendienst X kommentierte sie ein Bild von Trump, der umringt von Mädchen und Frauen das unterschriebene Dekret hochhält: „Herzlichen Glückwunsch an jeden einzelnen Linken, der sich für die Zerstörung der Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt. Ohne Sie gäbe es keine Bilder wie dieses.“

Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet Trump sich als Frauenschützer inszenieren kann. Ein Mann, der 2023 wegen einer 1996 begangenen Vergewaltigung der Autorin E. Jean Carroll gerichtlich verurteilt wurde. Ein Mann, der bereits im Wahlkampf 2016 mit früheren sexistischen Äußerungen wie dieser konfrontiert wurde: „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun. Du kannst alles tun […] Ihnen an die Muschi greifen. Du kannst alles tun.“

Umso deutlicher tritt das Totalversagen der politischen Linken zutage, die sich bei Transfrauen im Frauensport von jedweder wissenschaftlichen Evidenz verabschiedet haben. Personen, die eine biologisch männliche Pubertät durchlaufen haben, haben gegenüber biologisch weiblichen Personen einen fortwährenden, gravierenden Leistungsvorteil im Sport – dazu gehören neben Transfrauen auch einige Varianten der Geschlechtsentwicklungen. Man denke nur an Imane Khelif und das Frauenboxen bei den olympischen Sommerspielen von Paris 2024.

Inklusion vs. Sportliche Fairness

Schon länger beschweren sich Frauen, darunter ehemalige Spitzensportlerinnen wie die lesbische Tennisspielerin Martina Navratilova, dass biologisch männliche Personen im Frauensport unfair sind. Entsprechend äußerte auch sie sich auf X zum Trump-Dekret: „Ich finde es schrecklich, dass die Demokraten Frauen und Mädchen in der ganz klaren Frage, dass Frauensport nur Frauen vorbehalten ist, völlig im Stich gelassen haben.“ Zuletzt zeigten Zahlen einer IPSOS-Umfrage, dass die Mehrzahl der US-BürgerInnen biologisch männliche Personen im Frauensport ablehnt.

Das Fass zum Überlaufen brachte 2022 Transfrau Lia Thomas, die Schwimmwettbewerbe für Frauen im Hochschulbereich dominierte. Die Fotos von den Siegerehrungen gingen um die Welt und Thomas‘ biologisch männliche Physis war für alle offensichtlich, die nicht mehr an des Kaisers neue Kleider glauben mochten.  Der Weltschwimmverband setzte dem ein Ende und schloss im Sommer 2022 Personen von Frauenwettbewerben aus, die eine männliche Pubertät durchliefen. Mehrere andere Sportverbände trafen in der Folgezeit ähnliche Entscheidungen.

Leugnung von Biologie torpediert Trans-Akzeptanz

2024 versuchte Thomas die Entscheidung des Schwimmverbands vor dem Sportgerichtshof CAS anzufechten, war aber erfolglos. Zeitgleich mit Trumps Dekret wurde bekannt, dass ehemalige Teamkolleginnen von Thomas Klage gegen die Universität sowie zuständige Sport- und Hochschulverbände eingereicht haben. Begründung: Thomas‘ Teilnahme an Frauenwettbewerbe hätte ihre Rechte verletzt. Zudem seien sie gezwungen worden, sich gemeinsam mit Thomas Umkleide- und Duschräume zu teilen.

Wer auch immer glaubte, es würde Transpersonen helfen, biologische Tatsachen zu leugnen, bekommt jetzt die brutale Realität vorgeführt. Die Akzeptanz nimmt als Folge rapide ab, sodass man Transfrauen auch dort nicht mehr tolerieren will, wo die körperlichen Unterschiede zwischen biologischen Männern und Frauen nicht relevant sein sollten. Ob sich linksprogressive und queere AktivistInnen das so vorgestellt hatten?


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.