
Eine Umfrage der schwulen Datingplattform ROMEO schockierte viele queere AktivistInnen, weil in ihr besonders jüngere Schwule ihre Präferenz für die AfD ausdrückten. Geäußert wurde gar der Verdacht, dieses Ergebnis sei eine Folge von Manipulation aus rechtsextremen Kreisen. Nach der Bundestagswahl nimmt nun Firmenchef Jens Schmidt ausführlich Stellung zu den Umfrageergebnissen und den Vorwürfen.

10. März 2025 | Till Randolf Amelung
Vor den Bundestagswahlen haben Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage auf dem schwulen Datingportal ROMEO für Aufregung gesorgt, weil dort die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD den größten Zuspruch bekam. 27,9 Prozent votierten insgesamt für diese Partei. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen wollten sogar 34,7 Prozent die AfD wählen, signifikant geringer fiel der Anteil dieser Partei bei den „Boomern“, den älteren schwulen Männern aus. Dabei hat die AfD immer wieder offen verkündet, zum Beispiel homosexuelle verheiratete Paare nicht mehr mit heterosexuell Verheirateten gleichstellen zu wollen und gar das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen.
Vor allem in eher linksgrünen Parteien zugeneigten queeren Medien sowie Verbänden wurde schnell gemutmaßt, dass diese Ergebnisse nur durch Manipulation entstanden sein könnten. Jetzt hat sich ROMEO selbst zu Wort gemeldet, um die Daten einzuordnen sowie Stellung zu Manipulationsvorwürfen zu nehmen.

Manipulierte Umfrage?
Jens Schmidt, CEO und Firmengründer, erläutert warum Manipulation über rechtsextreme Kanäle eher nicht wahrscheinlich sei: „Innerhalb der ersten 24 Stunden erhielten wir 28.200 Stimmen! In den folgenden Tagen nahm die Anzahl der Stimmen organisch ab, ohne unerwartete Spitzen. Eine Erinnerung wurde am 30. Januar versendet.“ Das heißt: Sehr wahrscheinlich kamen diese Stimmen tatsächlich von Usern der Plattform und nicht erst über eine Weiterleitung in eine rechtsextreme Blase.
Außerdem seien die Ergebnisse von Beginn an konsistent gewesen, d.h. die AfD war stärkste Kraft. Auch dies ist ein plausibler Grund, der gegen Manipulation spricht. Schmidt verweist darauf, dass sich die Umfrageergebnisse weitgehend mit Wahlergebnis sowie grundsätzlichen Trends in der deutschen Bevölkerung decken würden. Sprich: höhere Zustimmung der jüngeren Wahlberechtigten zu den extremen politischen Rändern, aber auch die Abmilderung im Gesamtergebnis durch das Wahlverhalten der älteren Generationen – gern geschmäht als „alte, weiße Männer“.
Angenehmere Daten von der Uni Gießen
Queere Medien und Verbände bekamen doch noch bekömmlichere Umfrageergebnisse – und zwar von der LSBTIQ*-Wahlstudie der Justus-Liebig-Universität Gießen in Kooperation mit dem LSVD+ – Verband Queere Vielfalt: In dieser Befragung führten die Grünen mit 43,5 Prozent die Präferenzen unter LSBTIQ an, auf Platz zwei folgte die Linkspartei mit 24,9 Prozent. Letztere wurde vor allem von Personen bevorzugt, die sich als Trans oder Queer einordneten und unter ErstwählerInnen.
Während beide Befragungen gemeinsam haben, dass sie nicht repräsentativ sind, da es sich bei ihnen um selbstauswählende Stichproben handelte und vor allem der halbwegs genaue Gesamtanteil von LGBTIQ an der deutschen Bevölkerung unbekannt ist, gibt es auch wichtige Unterschiede. Diese beginnen schon bei den TeilnehmerInnen und der Rekrutierung: ROMEO hat unter seinen Usern für die Teilnahme geworben – diese sind vornehmlich schwule und bisexuelle Männer. Zu einem gewissen Anteil gibt es auch Transpersonen (Transmänner und Transfrauen) oder auch sich als Nonbinary verstehende Personen auf der Plattform. Die Befragung der Uni Gießen hingegen schloss auch Frauen ein und wurde über soziale Medien und Kooperationspartner wie dem LSVD+ gestreut.
Unterschiede zwischen beiden Befragungen
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist auch der Befragungszeitraum. Die Gießener Umfrage lief vom 16. Dezember 2024 bis zum 13. Januar 2025. ROMEO startete seine Umfrage am 24. Januar und beendete sie am 2. Februar 2025. So war nicht nur die Laufzeit unterschiedlich lang, sondern sie umfasste auch unterschiedliche Zeitfenster. Damit gibt es in der einen Umfrage mögliche tagespolitische Einflüsse, die es in der anderen noch nicht gab. Besonders zentral sind der tödliche Messerangriff eines ausreisepflichtigen afghanischen Asylbewerbers am 22. Januar sowie die kurz darauffolgenden Auseinandersetzungen um zwei Anträge der CDU/CSU zur Begrenzung der irregulären Migration, bei denen im Bundestag eine Mehrheit mit Stimmen der AfD in Kauf genommen wurde.
Doch auch unabhängig davon passen die Ergebnisse ins Bild, wenn man die Wahlanalysen nach der Bundestagswahl betrachtet: Männer wählten bevorzugter konservativ oder rechts, bei Frauen hatten linke Parteien mehr Chancen – vor allem bei jüngeren Frauen in Großstädten. Darauf weist auch Jens Schmidt hin: „Insgesamt scheint es, dass ROMEO-Nutzer mehr oder weniger ähnlich wie der Rest des Landes abgestimmt haben. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die meisten ROMEOs Männer sind.“
Schwule Männer sind nicht so anders
Was lässt sich nun also jenseits der Empörung und Leugnungsversuche des queeren Verbands- und Medienestablishments dazu sagen? Zeigt sich, wie Schmidt meint, in den Ergebnissen der ROMEO-Umfrage, dass schon viel Gleichberechtigung erreicht worden sei, wenn schwule Männer auch nicht so viel anders wählen, wie der Rest der Bevölkerung? Es geht wohl weniger um Gleichberechtigung, als eher um die Frage, was Menschen bewegt, wenn sie sich nicht mehr mit Sonderpönalisierungen (Stichwort: Paragraf 175) auseinandersetzen müssen.
Insofern ist es wenig überraschend, wenn am Ende auch schwule und bisexuelle Männer Sicherheitsfragen, Wirtschaft und dergleichen genauso wichtig finden, wie die Mehrheit aller anderen Wahlberechtigten in Deutschland auch. Heikel ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man mit dem höheren Gewaltpotenzial im öffentlichen Raum durch junge Männer mit muslimischer Prägung umgehen soll, welches gerade auch Schwule zu spüren bekommen. Queere Verbände sind eher bemüht, dies zu relativieren und treffen damit wohl nicht mehr den Nerv vieler jüngerer schwuler Männer.
Brandmauer oder Sicherheit?
Die ROMEO-Umfrage wurde an einem Freitagnachmittag gelauncht und erreichte wahrscheinlich viele Männer, die gerade auf der Suche nach einem Sexdate für den Abend waren, sowie sich generell vielleicht noch ins Nachtleben stürzen wollten. Jens Schmidt dazu: „In der ersten Stunde der Abstimmung erreichte die AfD sogar 37 Prozent! Diese Stimmen kamen von Nutzern, die genau in dem Moment online waren, als die Umfrage versendet wurde. Unsere Vermutung? Je sexuell aktiver, desto mehr unterwegs, desto häufiger allein auf der Straße bei Nacht.“
Wie soll man nun jüngeren Männern begegnen, die bei der ROMEO-Wahlumfrage ihre Präferenz zur AfD bekundet hatten? Soll man „Keinen Sex mit Nazis“ haben, wie es der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano forderte und was bereits IQN-Vorsitzender Jan Feddersen hier im Blog als nicht ernsthaft praxistauglich einstufte? Jens Schmidt wirbt dafür, die Umfrageergebnisse auf seiner Plattform als „lauten Hilferuf“ insbesondere der jüngeren Männer zu sehen und dass man ihnen „ohne Mauern im Kopf“ zuhören sollte.
Dies ist auch vor dem Hintergrund sehr ratsam, dass fortwährende Ignoranz eher die Zustimmung zur AfD fördert, also „die Blauzone ausweitet“, wie schon 2023 die Sozialwissenschaftler Maik Fielitz und Holger Marcks auf Zeit Online erläuterten. „Wo die Brandmauer überstrapaziert wird, wo diejenigen, die einen anderen Umgang auch nur erwägen, gleich der rechtsextremen Beihilfe beschuldigt werden, drohen Effekte der Abstoßung und Neuorientierung. Den Raum auf einer Seite zu verengen, bringt eben mit sich, dass er sich auf der anderen weitet“, so die beiden Forscher. Damit sollten sich auch queere Medien und Verbände auseinandersetzen, anstatt missliebige Umfrageergebnisse mit dem Vorwurf der Manipulation abzuwehren.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.