Das LGBTIQ+ Bündnis gegen Antisemitismus in unseren Communities hat sich am 28. Oktober 2024 in Berlin gegründet und will dem immer offensiver zur Schau gestellten Judenhass etwas entgegensetzen.

Die Vertreter*innen der am Bündnis beteiligten Gruppen bei der Pressekonferenz am 28. Oktober 2024 im Restaurant Feinbergs (Foto: Privat).
Die Vertreter*innen der am Bündnis beteiligten Gruppen bei der Pressekonferenz am 28. Oktober 2024 im Restaurant Feinbergs (Foto: Privat).

6. November 2024 | Till Randolf Amelung

Seit dem grausamen Massaker der palästinensischen Hamas am 7. Oktober 2023 auf überwiegend zivile Menschen im israelischen Negev zeigt sich Antisemitismus unverhohlen in allen Gesellschaftsteilen – auch in denen, die sich für diskriminierungssensibel und politisch progressiv halten. Die queere Szene bleibt davon ebenfalls nicht verschont, wie besonders die Pride Saison 2024 offenbarte.

In Berlin wollen unterschiedliche Organisationen und Gruppen dies nicht mehr hinnehmen und haben das LGBTIQ+ Bündnis gegen Antisemitismus in unseren Communities gegründet. Am 28. Oktober 2024 luden sie zu einer Pressekonferenz ins israelische Restaurant Feinbergs ein, welches ebenfalls immer wieder judenfeindlichen Angriffen ausgesetzt ist. Teil des Bündnisses sind Vereine und Initiativen wie MANEO und Wostoq Regenbogen e.V, East Pride Berlin, Lesben gegen Rechts, Dykes, Women & Queers Against Antisemitism, Jehi’Or und die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.

Antisemitische Tiefpunkte in Berlin

Allein in Berlin gab es auch in queeren Kontexten mehrere Tiefpunkte. Anette Detering berichtete beispielsweise, wie der Dyke March zu einer Plattform für antisemitische Akteure wurde und niemand aus dem Orga-Team dagegen zu steuern schien. Bereits bei der Soliparty in der Bar Möbel Olfe war das Ausmaß des Antisemitismus offensichtlich geworden (IQN berichtete).  Anlässlich eines israelfeindlichen Instagram-Posts des Dyke* March Berlin war eine kleine Gruppe Jüdinnen und Nicht-Jüdinnen mit einem Schild „save table for israelis ans jews“ anwesend und wurden von anderen Gästen bedroht. Barpersonal und Organisatorinnen des Dyke* March hatten sie des Ortes verweisen wollen, anstatt sie vor einem sich formierenden aggressiven Mob zu schützen.

Detering organisiert außerdem zusammen mit Wolfgang Beyer den East Pride Berlin. In diesem Jahr riefen sie unter dem Motto „Ja zu Israel“ zur Teilnahme auf und erlebten viel Distanzierungen und Ablehnung, auch von der Gethsemane-Kirche, die in den Vorjahren das Pride-Motto immer an der Kirche zeigte.

Die anwesenden Vertreter*innen des Bündnisses machen deutlich, dass es insgesamt von queeren Organisationen zu wenig bis gar keine Unterstützung gegen Judenhass gegeben habe. Auch von staatlichen Akteuren fühlen sich die Beteiligten im Stich gelassen, weshalb es für das Bündnis keine Option sei, sich an den Berliner Queerbeauftragten Alfonso Pantisano zu wenden. Dieser fiel zuletzt mit jämmerlicher Islam-Apologetik, anstatt mit konsequentem Vorgehen gegen Antisemitismus auf.

Queere Organisationen versagen gegen Judenhass

Doch Pantisano befindet sich damit in schlechter Gesellschaft. Keine größere und etabliertere queere Organisation hat es seit dem 7. Oktober 2023 geschafft, eindeutig und klar gegen Judenhass Stellung zu beziehen. Das Versagen erfasst alle vom LSVD e.V. bis zur Bundessstiftung Magnus Hirschfeld, denn sie schwiegen zum sich unverhohlen zeigenden Antisemitismus. Der CSD Deutschland e.V. arbeitete gar mit sich antiisraelisch äußernden Influencer*innen wie Gialu zusammen.

Auch auf CSD-Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet kam es in diesem Jahr zu Vereinnahmungen für antisemitische Propaganda oder zumindest zu solchen Versuchen. Doch nicht nur Organisationen und CSD-Paraden, auch intellektuelle Szene-Ikonen wie Judith Butler offenbarten Gleichgültigkeit und Kälte gegenüber dem eliminatorischen Hamas-Terror. In Deutschland wurde gar die antisemitisch agierende und hochumstrittene Emilia Zenzile Roig mit Gesinnungsgenoss*innen zu einem Dinner ins Außenministerium geladen.

Eine umfassende Auseinandersetzung mit Antisemitismus, auch in Form von Israelhass oder „-kritik“ scheint notwendig. Hierfür warb das frisch gegründete Bündnis am Mittwoch. Klar ist, Antisemitismus wird auch den queeren Sektor noch länger beschäftigen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.