Von IDAHO zu IDAHOBITA – die Buchstabenreihe des internationalen Aktionstags zum 17. Mai wird immer länger. All diese Gruppen werden als „die Community“ zusammengebracht. Doch gerade Schwule finden sich darin kaum noch wieder.


Die immer länger werdenden Buchstabenketten im queeren Sektor werden immer weniger verstanden (Foto von Matthias Heyde auf Unsplash)


 

17. Mai 2024 | Till Randolf Amelung und Jan Feddersen

Auch dieses Wesen ruft das wichtige Zauberwort auf: Community. Nemo, siegreich beim Eurovision Song Contest voriges Wochenende in Malmö, wird in einem ESC-Forum mit der goldenen Ein-Wort-Formel zitiert: „Es macht mich unglaublich stolz“, also der ESC-Gewinn, „nicht auf mich, sondern auf unsere gesamte Community.“

Doch wer ist eigentlich mit „Community“ gemeint?  Am heutigen Freitag, dem 17. Mai, wird wieder der „Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT)“ begangen, der inzwischen  IDAHOBITA heißt. Man fragt sich bei dem Buchstabenkürzel: Was soll es bedeuten? Das klärt in einer Pressemitteilung der Bundesverband Trans* auf: „Homo-, Bi-, Inter-, Trans*- und Asexuellenfeindlichkeit (IDAHOBITA)“.  Inzwischen ist also ein A hinzugekommen. A – wie Asexuelle.

 

Der 17. Mai als Aktionstag gegen Homophobie

Zur Erinnerung: Der 17. Mai wird seit 2005 im öffentlichen Erinnerungsdatumswesen begangen. Ursprünglich war dieser Aktionstag einer gegen Homophobie, ins Leben gerufen vom französischen Aktivisten George-Louis Tin. Das Datum wurde bewusst gewählt, denn am 17. Mai 1990 wurde Homosexualität von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen. In Deutschland spielt die Zahlenfolge zusätzlich auf den unseligen Paragraphen 175 an, der Schwule strafrechtlich verfolgt hat und erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch entfernt wurde.

Inzwischen ist eine ganze Buchstabensammlung identitärer Art hinzugekommen. Das Datum hatte politisch einmal eine Bedeutung, weil es – nicht nur – in Deutschland stark fühlbare gesellschaftliche Vorbehalte gegen schwule Männer und lesbische Frauen gab. Es ging also nicht um sexuelle Identitäten, sondern um den Abbau dieser Vorbehalte, ob in den Arbeitsumfeldern, in Familien, in Schulen.

 

Wofür steht der Aktionstag heute?

Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war für Lesben und Schwule schließlich das Gesetz zur „Ehe für alle“ im Frühsommer 2017.  Es blieb zwar das Gefühl, immer achtsam bleiben zu müssen, dass aber homosexuelle Sichtbarkeit nicht mehr fette Skandale stiftet. Doch inzwischen geht es nicht mehr um Anliegen um bürgerrechtlichen Sinn, sondern um Identitätspolitik, die Partikularinteressen hervorhebt. Allerdings scheinen Interessen von Lesben und Schwulen darin kaum noch vorzukommen. Favorisiert war fortan: Trans, Bi, Inter und nun auch Asexuell.

Was gerade bei Asexualität der Diskriminierungsinhalt sein könnte, ist nie so recht erklärt worden: Da ist jemand nicht triebstrukturhaft sexuell begehrend unterwegs – womöglich nicht am Körperlichen in sexueller Hinsicht interessiert?  „Na und?“ möchte man ausrufen, dann nicht. Sexuelle Appetitlosigkeit kommt in den schönsten (und ältesten) Lebenslagen vor – aber darum ein Bohei zu machen? Aus etwas Selbstverständlichem, das zum Leben gehört?  Doch wo es nur darum geht, alles Mögliche und Unmögliche mit einem Buchstaben in der Reihe sichtbar zu machen, macht sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit selbst der Diskriminierung verdächtig.

Der  Buchstabenkürzelantidiskriminierungstag  ist zu einem Fördergeldesel verkommen, bei dem sich jeder bedienen darf, der das Identitätenspiel ohne Sinn und Verstand mitmacht. Auch in Bezug auf Bisexualität lässt sich fragen, wo genau heutzutage schwerwiegende Diskriminierungsfragen abzuräumen wären. Akut würde es höchstens, wenn man gerade von Außenstehenden als homosexuell gesehen wird.

Dieser Tag gegen Buchstabensalat-Diskriminierung ist eine Schimäre, eine Behauptung, die durch keine messbare Realität gedeckt wird. Wer Diskriminierung auf Fragen von Sichtbarkeit fokussieren will, hat möglicherweise keine gesellschaftspolitisch relevanten Probleme mehr.

 

Community als Phantasie

Aber dann bleibt ja immer noch das magische Wort „Community“. Doch wir fragen uns: Gibt es diese wirklich? Was meint jemand wie Nemo mit Community?

Immer wieder gibt es Aufrufe, „die Community“ müsse untereinander solidarisch sein oder es wird einfach von „der Community“ gesprochen und impliziert, dass alle das Gleiche denken und wollen. Dabei gibt es unterschiedliche Interessen innerhalb der Buchstabensuppe, das lässt sich mit ein wenig Feldforschung schnell feststellen. Schwule und Lesben wollen gleiche Bürgerrechte, was sie inklusive Ehegesetz erreicht haben. Sie möchten aber auch anerkannt wissen, dass ihr sexuelles Begehren einen materiellen Geschlechtskörper als Grundlage hat, der sich nicht beliebig postmodern dekonstruieren lässt. Eine biologische Frau hat nun mal keinen Penis. Doch bereits hier gibt es Konflikte mit der Gruppe von Transmenschen. Viele von ihnen möchten in Ruhe ihr Leben leben und ihren Alltag im Identitätsgeschlecht gestalten können. Nicht jede Kante oder Ecke des biologischen Geschlechts lässt sich hierbei glätten. Während die einen mit dieser Diskrepanz einen guten Umgang finden können, möchten die anderen die biologische Definition von Geschlecht radikal ändern, um eben auch einen Penis zu einem weiblichen Genital erklären zu können. Doch homosexuelles Begehren ist ohne das bisherige Verständnis von Geschlecht nicht sinnhaft zu definieren, mithin sind homosexuelle Interessen nicht zu formulieren. Doch anstatt mit diesem Interessenskonflikt zwischen Homo und Trans ehrlich und konstruktiv umzugehen, werden Lesben und Schwule, die ihn thematisieren, von queeraktivistischen Social Justice Warriors auf das Übelste beschimpft. „Community“ gibt es offensichtlich nicht für alle.

Gerade Schwules hat kaum noch Platz in dieser imaginierten Phantasie-Community. Dafür stehen nicht nur die immer endloser werdenden Buchstabenreihen des Aktionstags am 17. Mai, sondern auch die Designverbrechen an der Regenbogenflagge. Das eigentlich universelle Symbol wird mit immer mehr Symbolen von Partikulargruppen zugekleistert. Zugleich haben sich all diese Gruppen inzwischen nicht nur einen eigenen Buchstaben, sondern auch eigene Flaggen kreiert und Aktionstage gesetzt. So gibt es inzwischen zwei Aktionstage für Trans, einen für Nonbinäre, einen Pronomen-Tag, einen Tag für lesbische Sichtbarkeit, einen Tag des aromantischen Spektrums, einen Tag für Bisexuelle, für Inter und es ließen sich noch weitere Aktionstage aufzählen. Doch für Schwule gibt es keinen Aktionstag.

Nemo, sich als nonbinär und weder männlich noch weiblich definierend, nutzt die Aufmerksamkeit durch den ESC-Gewinn nun dafür, sich in der Schweiz für eine rechtliche Anerkennung für Menschen wie ihn einzusetzen. Damit im Pass nicht mehr „männlich“ oder „weiblich“, sondern auch nichts stehen könnte. Ob Nemo, biologisch männlich und mit einer Frau liiert, nun deshalb diskriminiert ist, weil es diese Möglichkeit in der Schweiz noch nicht gibt, darüber ließe sich wohl streiten. Ob Nemo aber allein durch die Herausidentifizierung aus dem männlichen Geschlecht gesellschaftliche und körperliche Dynamiken von Männlichkeit loswerden kann, führt zu einem grundsätzlichen Dilemma um den Nonbinary-Begriff.  Begrifflich verweigert sich dieser einer kohärenten Definition und zugleich bestehen die körperlichen Begrenzungen des Geschlechts fort, ebenso wie Zumutungen durch Rollenerwartungen. Und natürlich führen inkohärente Eigendefinitionen zwangsläufig zu Konflikten mit der Außenwelt. Doch inwieweit ist dies eine bürgerrechtliche Fragestellung, die einen Aktionstag und staatliche Fördermittel braucht? Und: Vielleicht ist jemand, der den ESC gewinnt, gar nicht so schlimm diskriminiert, sonst wäre dies nicht möglich gewesen. Mit Opfertum und Diskriminierungsbehauptungen lassen sich heutzutage öffentliche Prestigegewinne erzielen.

 

Aktivismus nicht für Homos

Das führt dazu, dass manche mit queerer Community nichts zu schaffen haben wollen. Vor allem viele schwule Männer und lesbische Frauen wollen einfach leben und mit buchstabensalathaftem Kuddelmuddel nichts am Hut haben. Wie der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn: Er betont, schwul zu sein – nicht queer.

Eine besonders grässliche Verballhornung von politischem Aktivismus  für schwule, lesbische oder trans* Bürgerrechte geht von Gruppen wie „Queers for Palestine“ aus. Sie reden der Hamas das Wort und dämonisieren Israel, die einzige liberale Demokratie im Nahen Osten, wo LGBT bürgerrechtlich geschützt sind. Wahre Opfer bleiben von ihnen unerwähnt: Transpersonen, Drag Queens und Schwule die aus Gaza oder der Westbank fliehen mussten, um zu überleben.

Was aus dem einstigen sinnvollen Tag gegen Homophobie geworden ist, ist sinnlos. Anstatt die Buchstabenkette immer länger und die Regenbogenflagge immer hässlicher werden zu lassen, sollten wir ehrlicher erkunden, was tatsächliche Probleme sind, die es zu bearbeiten gilt, damit in unserem Land alle Menschen nach ihrer Fasson selig werden können. Für die reine Sichtbarkeit gibt es schließlich den CSD – und das mittlerweile nicht nur in Großstädten, sondern auch auf dem Land.

 


Till Randolf Amelung ist Redakteur des Blogs der Initiative Queer Nations.

Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.