Die Progress Pride Flag zerstört die universelle Bedeutung der ursprünglichen Regenbogenflagge. Daher sollte sie so schnell wie möglich wieder verschwinden.


Zwei kleine Ansteck-Buttons liegen nebeneinander. Der linke Button hat die klassischen Regenbogenfarben, der rechte den Progresskeil eingefügt

Die alte und die neue Pride Flag nebeneinander. Foto von Marek Studzinski auf Unsplash


 

6. April 2024 | Till Randolf Amelung

Screenshot vom Tweet des Londoner Bürgermeisters mit dem Foto der kritisierten Flagge

Der Tweet von Sadiq Khan am Transgender Day of Visibility

Zum Transgender Day of Visibility, der jedes Jahr am 31. März begangen wird und dieses Mal auf Ostersonntag fiel, postete der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan auf dem offiziellen X-Account „Mayor of London“ ein Foto mit einer neuen Version der Progress Pride Flag – und bekam ordentlich Gegenwind. Vielen Usern, die diesen Beitrag kommentierten, scheint die Flagge nicht zu gefallen. „Können wir die Flagge bitte wieder in einen Regenbogen verwandeln? Der Regenbogen repräsentiert bereits alle Menschen und stellt somit das gesamte Farbspektrum dar. Jede einzelne Gruppe einzeln hinzuzufügen ist überflüssig und ein schlechtes Flaggendesign “, kommentierte zum Beispiel ein User per Retweet. Die von Khan verbreitete Flagge zeigte nicht mehr nur einen Keil, sondern zwei. Auf der gegenüberliegenden Seite besteht der Keil aus zwei schwarz-braunen Streifen und der Bi Pride Flag.

 

Die Veränderung der Pride Flag

Die ursprüngliche Regenbogenflagge aus dem Jahr 1978 von Gilbert Baker, die weltweit zum ikonischen Symbol der LGBTIQ-Bewegung wurde, hat seit 2018 einen neuen Look. Daniel Quasar, sich als nicht-binär verstehende*r US-amerikanische*r Designer*in, fügte dem Regenbogen einen Keil hinzu, der aus zwei schwarz-braunen Streifen sowie der Transgender Pride Flag besteht. Es gibt noch nachfolgende Abwandlungen, bei denen der Keil weitere Pride Flags integriert, zum Beispiel die für Intergeschlechtliche Menschen oder nun die Londoner Variante. Mit dem neuen Design wollte Quasar Solidarität mit Gruppen zeigen, deren Kampf um gleiche Rechte noch nicht erfolgreich zu Ende geführt ist.

 

Universelle Symbolik

Mit dem zusätzlichen Keil schrumpft der Regenbogen optisch ein, sieht sich gar von zwei Seiten bedrängt. Die hinzugefügten Flaggen stehen allesamt für konkrete Gruppen und Identitäten – im Gegensatz zur ursprünglichen Regenbogenflagge. Baker ordnete jeder Farbe eine bestimmte Bedeutung zu: Rot für Leben, Orange für Heilung, Gelb für Sonnenlicht, Grün für Natur, Indigo für Gelassenheit und Violett für Geist. Damit verkörperte die Flagge universelle Werte und wurde wahrscheinlich genau deshalb ein weltweit bekanntes Symbol mit hohem Wiedererkennungs- und Sympathiewert auch bei Heteros.

Die Regenbogenflagge inspirierte andere, sich ebenfalls Symbole zu schaffen, so zum Beispiel Monica Helms, die die Transgenderflagge kreierte. Immer mehr Subgruppen entwickelten ihre eigene Flagge. Als schließlich vor zehn Jahren insbesondere in Onlineblasen sich als queer verstehende Identitätsbezeichnungen rasant zunahmen, passierte dies auch mit Flaggen. Doch nun scheint es nicht mehr zu genügen, sich eigene Flaggen zu gestalten, mit der man sich als etwas Besonderes herausstellen kann. Jetzt will man sich offenbar an die Popularität der Regenbogenflagge klemmen. Das identitätspolitische Zukleistern des Regenbogens mit anderen Flaggenfarben schert sich nicht einmal um Ästhetik. So wird ohne Not ein erfolgreiches Symbol zerstört.

 

Identitätspolitik zeigt Flagge

Mehr noch: Die Regenbogenflagge gilt inzwischen als veraltet und transausschließend – was sie aber nicht ist. Und wie so oft, kam diese Kritik mit deren Folgen „Top-Down“ zum Ausdruck: Beim Queer Pride vor drei Jahren im schwedischen Malmö war die halbe Stadt mit der verfälschten Flagge geschmückt. Die Anordnung ging von den kommunalen Gleichstellungsbehörden aus. Gruppen, die auf die klassische Regenbogenfahne beharrten, kamen nicht in die Gunst von finanzieller Unterstützung.

Screenshot von Tweet mit Kommentar zur Londoner Prideflag

Ein Userkommentar zum Londoner Design auf X.

Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk sieht in Identitätspolitik einen Angriff auf universelle demokratische Werte, weil es ihr nicht gelingt „eine Gesellschaft zu inspirieren, in der wir friedlich zusammenleben, uns wirklich ebenbürtig fühlen und einander als wahre Mitbürger erkennen.“ Die Progress Pride Flag ist eine traurige, grässlich anzusehende Manifestation dieses Irrwegs. Auch ein User kommentierte die Londoner Version der Progress Flag daher treffend auf X: „Was für eine schöne Illustration für den zentralen Fehler der Identitätspolitik.“

Bevor noch weitere Designverbrechen an der Regenbogenflagge begangen werden, sollten wir uns lieber auf gemeinsame, universelle Werte besinnen. Am besten schon in dieser CSD-Saison.

 

 


Till Randolf Amelung ist Redakteur des Blogs der Initiative Queer Nations.