Tage vor den Bundestagswahlen ist auch im LGBTI*-Spektrum eine Art moralische Panik ausgebrochen: Man fürchtet um die Errungenschaften der „queeren“ Bewegungen. Droht uns tatsächlich am 23. Februar 2025 um 18 Uhr die Apokalypse?
Bundestagswahlen 2025: Steht uns die queere Apokalypse bevor, wenn auf Februar der Merz folgt? (Foto von Tobias auf Unsplash.)
19. Februar 2025 | Jan Feddersen
Um nur ein persönliches Beispiel an den Anfang zu stellen: Der Mann, von dem hier gleich die Rede ist, heißt Alfonso Pantisano – und wenn man seinen Posts in den sozialen Medien glaubt, dann ist die aktuelle gesellschaftliche Situation nur Zentimeter von schlimmsten totalitären Heimsuchungen entfernt. Mindestens unmittelbar nach den Bundestagswahlen am kommenden Sonntag drohen offenbar Pech und Schwefel auf unsereins zu fallen. Entsprechend veröffentlichte er folgenden Beitrag auf Instagram und Facebook:
„Die Situation ist besorgniserregend. Das Gefühl ist von Verunsicherung und Angst geprägt. Und irgendwie dürfen wir gerade jetzt nicht stehenbleiben, sondern wir müssen dranbleiben und weitermachen. Ärmel hoch, Stimme erheben und arbeiten, verteidigen, schützen.
Gerade heute war es mir wichtig im Abgeordnetenhaus zu sein und Gespräche zu führen – manchmal sogar wortlos, wo eine Umarmung mehr sagt und mehr verspricht, als viele Worte.
Keine Ahnung, was morgen, übermorgen sein wird. Was aber klar ist, wir müssen gerade jetzt zusammenhalten. Wir Demokrat*innen. Im Parlament. In der Gesellschaft. Und in unserer Community. Gerade in unserer Community kommt es jetzt auf den Zusammenhalt an, denn es steht alles auf dem Spiel. Alles wofür wir gekämpft haben. Alles.“
Zum Verständnis für alle, die nicht in Berlin leben: Pantisano ist, „Ansprechperson der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“, so der offizielle Titel seiner Stelle. Das ist kein Minister- oder Senatorenamt, das ist auch kein beamteter Posten als Staatssekretär, aber immerhin: Ansprechperson. Als solche postet er auch – und vermutlich hält er das, was er formuliert, für die realitätstauglichste Wahrnehmung.
Wolkige Untergangspredigten zu den Bundestagswahlen
Aber sagt er tatsächlich etwas Konkreteres? Da ist von „weitermachen“ die Rede, von einer „Umarmung“, die mehr sage oder verspreche, „als viele Worte“, um die er andererseits nie verlegen ist, und zwar in wolkig-pastoralem Ton. Vor Monaten fuhr er dem inzwischen aus der Öffentlichkeit so gut wie verschwundenen, ehemaligen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert öffentlich in die Parade, weil dieser in einem Interview bekundet hatte, mit seinem Freund auch nicht gern an womöglich islamistisch aufgeheizten Männern vorbeizugehen. Pantisano schalt ihn fast einen Rassisten, nur die Angst vor einer Parteirüge (die aus der SPD, der er angehört) hielt ihn davon ab, den klügsten Jungpolitiker der Sozialdemokraten (selbst schwul, aber das nur nebenbei) wie einen unartigen Schuljungen abzuwatschen.
Pantisano aber hat mit der konkreten Verbesserung der Lebenslagen von queeren Personen gar nichts zu tun – wie auch? Er hat keine polizeiliche Macht, behördlichen Einfluss auch nicht so recht, als dass er mehr sein könnte als eine schwule Grüßtante* auf Steuerzahlerkosten.
Gehören nur linksgrüne WählerInnen zur Community?
Alfonso Pantisano hat sich ein schönes Berufsfeld mit Hilfe des SPD-Parteibuchs geschaffen. Aber ich möchte nicht allzu persönlich werden und manchmal hat er doch Lebenstipps parat, wie queer.de berichtete. „Kein Sex mit Nazis“ empfiehlt er – d.h. keine sexuellen Kontakte zu Menschen anzubahnen, die die AfD wählen. Aber wie sollen wir uns das vorstellen? Vor dem Darkroom ein Politcheck per Abfrageliste? Die Chats auf Kontaktbörsen schwuler Art um die Frage erweitert: „Bist Du Nazi? Nur ein bisschen, voll und ganz – nein, doch nicht?“ Mal davon abgesehen, dass es eventuell leichtfertig ist, die AfD politisch mit der NSDAP gleichzusetzen.
Da er von „Zusammenhalt“ der „Community“ spricht: Menschen diesseits der sog. Brandmauer zählen nicht dazu? Guckt man sich an, wie stark vermutlich der Anteil der jungen schwulen und lesbischen WählerInnen an rechtspopulistischen Wahlentscheidungen sind – bleibt zu fragen: Möchte die „Ansprechperson“ Pantisano sie alle aus seinem Sichtkreis ausschließen, weil diese Menschen seiner Meinung nach nicht zur Community gehören.
Islamismus als Gefahr für LGBTI
Angesichts der Umstände bleibt festzuhalten, dass Alfonso Pantisano und die anderen queeren Ansprechpersonen in Bundesländern, großen und kleineren Kommunen vor allem zu befürchten haben, dass ihre einseitige Sicht auf die Gefahren, die Homosexuellen und Transpersonen drohen, abgestraft werden wird. Denn sie alle eint, dass sie die Gefahr ausschließlich im politisch rechten Spektrum verorten, nicht jedoch in jenen Milieus, die islamistisch geprägt sind. Dabei gehen gerade in Metropolen von dort Gefahren aus, etwa von messerbewehrten Männern bedroht zu werden. Diese islamistischen Milieus sind nicht zu verwechseln mit muslimisch geprägten Menschen – aber selbst die Gewalttäter dürfen nicht benannt werden nach der Logik dieser queeren Ansprechpersonen und – als eben Islamisten und schariaverhetzte Menschen. Weil das angeblich Rassismus Vorschub leiste.
Eine ähnliche Weltuntergangsstimmung wie die von Pantisano wird in einem Text des Tagesspiegel anlässlich eines Winterpride-Umzugs in Berlin angestimmt: „Alles, was wir erreicht haben, wird gerade infrage gestellt.“ Aber das ist nicht wahr: Weder die Ehe für alle noch das Antidiskriminierungsgesetz werden von der Union und ihrem Kanzlerkandidaten angezweifelt.
Dafür wird aber das Selbstbestimmungsgesetz kritisiert, dass es männlichen Personen erlaubt, allein per Selbsterklärung zum weiblichen Wesen zu transitionieren und ihnen damit zum Beispiel ermöglicht, in Gefängnisabteilungen von Frauen verlegt zu werden. Kritikwürdig sind auch Regelungen, denen zufolge Minderjährige gegen den Willen der Eltern und auf familiengerichtliche Anordnung ihr amtlich dokumentiertes Geschlecht ändern können. Zu hinterfragen ist auch, dass Frauenräume von biologisch noch männlichen, aber sich weiblich erklärt habenden Personen ohne körperliche Geschlechtsangleichung genutzt werden können. Diese Punkte müssen neu verhandelt werden können, ohne gleich als transphob oder gar „Nazi“ gegeißelt zu werden.
Heute Abend im Queer Talk „Lieber Sekt statt Nazis“ wird Jan Feddersen auch darüber mit seinen Gästinnen, den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz und Co-Moderator Denis Watson, in die Diskussion gehen! Seien Sie live dabei – entweder um 19 Uhr in der taz Kantine oder im Stream auf YouTube!
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Trumps Dekrete oder: Die Kardinalfehler des Transaktivismus
In den USA rollt der Backlash, gerade Transpersonen wurden von mehreren Anordnungen des Präsidenten Donald Trump hart getroffen. Dabei gab es vor elf Jahren eine Aufbruchsstimmung, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz von Transpersonen zum Besseren wendet. Doch zwei prominente Transfrauen, Blaire White und Brianna Wu, machen gravierende Fehler im Transaktivismus für die Rückschläge verantwortlich.
Der Aufbruch für den Transaktivismus findet ein jähes Ende (Foto von Gareth Harrison auf Unsplash).
17. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Schon zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft wickelt Donald Trump einiges wieder ab, was rechtlich und gesellschaftlich für Transpersonen erreicht wurde. Per Dekret gibt es keine Änderung des Geschlechtseintrags in amtlichen Dokumenten mehr, gender-affirmative Behandlungen Minderjähriger wurden gestoppt, Transpersonen sollen nicht mehr im Militär dienen, und biologisch männliche Personen wurden aus dem Frauensport verbannt. All das sorgt unter vielen Transpersonen für Wut, aber auch Angst bezüglich ihrer weiteren Zukunft in den USA. Dies ist nachvollziehbar, aber ein Blick auf den Aktivismus seit 2014 zeigt: Der Backlash ist nicht vom Himmel gefallen.
Vom Aufbruch zum Backlash
Dabei gab es vor nunmehr elf Jahren durchaus eine Aufbruchsstimmung, die Transfrau und Orange is the new Black-Star Laverne Cox auf das Cover des renommierten Magazins Time brachte. Die US-amerikanische Zeitschrift titelte damals „The Transgender Tipping Point“. „Fast ein Jahr nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, dass Amerikaner die Person heiraten dürfen, die sie lieben, unabhängig von ihrem Geschlecht, ist eine weitere Bürgerrechtsbewegung im Begriff, lange geltende kulturelle Normen und Überzeugungen in Frage zu stellen“, hieß es in der Titelstory.
Weiter heißt es: „Diese neue Transparenz verbessert das Leben einer lange missverstandenen Minderheit und führt zu neuen politischen Maßnahmen, da Trans-Aktivisten und ihre Unterstützer auf Änderungen in Schulen, Krankenhäusern, am Arbeitsplatz, in Gefängnissen und beim Militär drängen.“ Doch gleich zu Beginn der zweiten US-Präsidentschaft Donald Trumps wird all das kassiert. Wie konnte das passieren?
Zwei Transfrauen gehen nun öffentlich schonungslos mit dem Transaktivismus ins Gericht. YouTuberin Blaire White, eine offene Unterstützerin Trumps, übt seit Jahren Kritik am woken Aktivismus und hat nun wesentliche Punkte nochmal in einem Video zusammengefasst. Brianna Wu, Videospielentwicklerin und Unterstützerin der Demokraten, äußerte sich mehrfach, zum Beispiel zuletzt im Kurznachrichtendienst X. Bemerkenswert ist, dass White und Wu in wichtigen Punkten übereinstimmen, obwohl sie politisch auf der jeweils entgegengesetzten Seite stehen. Aus den von beiden Transfrauen kritisierten Fehlern lässt sich auch viel für Deutschland lernen.
Erster Fehler: Entpathologisierung von Trans und SelfID
Seit 2022 führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Trans in der 11. Ausgabe ihres Klassifikationssystems aller medizinisch relevanten Diagnosen nicht mehr als psychische Störung. International setzten sich TransaktivistInnen und ihre Verbündeten lange und schließlich erfolgreich dafür ein: Trans als neues Normal. Am liebsten wäre vielen AktivistInnen die vollständige Streichung gewesen, aber da eine Verankerung in einem medizinischen Klassifikationssystem in einigen Ländern wichtig für die Kostenübernahme geschlechtsangleichender Eingriffe ist, wurde als Kompromiss eine neue Kategorie geschaffen.
Im Fokus der AktivistInnen steht aber, dass nur jede Person im Sinne von SelfID (Selbstidentifikation) allein wissen kann, dass sie trans ist und jeder Versuch einer Objektivierung, z.B. durch Diagnostikkriterien und die Erwartung, kongruent zur Selbstidentifikation aufzutreten, als „Gatekeeping“ und „Menschenrechtsverletzung“ verteufelt wird. Auch ein tiefgreifendes Empfinden von Geschlechtsdysphorie, also einem Leiden an der Diskrepanz zwischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen und -identität, wird als Bedingung zurückgewiesen.
This is the position on trans people the Democratic Party should retreat to.
✅ medical transition has to go back to the old school criteria. Extensive therapy, approval by doctors, formal letters written. no more of this self ID nonsense. ✅ no more trans women in women’s…
Sowohl Brianna Wu als auch Blaire White halten dies für einen großen Fehler. Wu fordert auf X: „Die medizinische Transition muss zu den alten Kriterien zurückkehren. Ausführliche Therapie, Zustimmung des Arztes, formelle Briefe. Schluss mit diesem Selbstidentifikations-Unsinn.“ Dahinter dürften folgende Überlegungen stecken: Eine klare medizinische Definition und der Hintergrund intensiverer ärztlich dokumentierter Begleitung haben es überhaupt erst ermöglicht, dass Transitionen mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfuhren.
Zweiter Fehler: SelfID auf Kosten von Frauen
Besonders fatale Folgen hat SelfID für die Sicherheit von Frauen, denn wenn eine Selbstdeklaration nicht mehr auf Plausibilität geprüft werden darf, können übergriffige biologische Männer Frauenräume aufsuchen, in denen ein höheres Schutzbedürfnis herrscht. Blaire White bringt in ihrem Video mehrere Beispiele, wo sich offensichtliche Männer unter dem SelfID-Paradigma in Sammelumkleiden und -sanitärräumen für Frauen aufhalten. Beschwerden der Frauen wurden auch von den jeweiligen Betreibern mit Hinweis auf Diversity und Inklusion abgebügelt.
So geschah es 2024 auch im von White erwähnten Fall um ein Fitnessstudio der Kette Planet Fitness in Fairbanks, US-Bundesstaat Alaska: Eine Kundin fotografierte einen offensichtlichen biologischen Mann in Frauenkleidung, der sich im Frauenbereich rasierte und veröffentlichte das Foto mit ihrer Beschwerde in Sozialen Medien. Daraufhin wurde der Frau gekündigt, weil das Fotografieren des Mannes gegen die Hausordnung verstieß. In der Folge kündigten viele Frauen ihre Mitgliedschaft bei Planet Fitness, was zu einem Verlust des Firmenwerts an der Börse um bis zu 400 Millionen Dollar führte.
Besonders umstritten wurde SelfID ohne Sinn und Verstand aber in Frauengefängnissen und im Frauensport. So wurden biologische Männer in den Frauenvollzug gelegt – auch ohne glaubwürdige Transition und obwohl sie wegen Sexualstraftaten verurteilt wurden. So kam es dann mehrfach durch solche SelfID-Fälle zu Vergewaltigungen im Frauengefängnis. Auch im Frauensport torpedierte SelfID die Transakzeptanz, da die körperlichen Vorteile von biologisch männlichen Personen in den meisten Sportarten zu unfairen Bedingungen führen, wie am Beispiel des Schwimmsports und der Kontroverse um Lia Thomas zu beobachten war.
Ab 2015 kamen immer mehr Personen in Transgruppen, die sich als nonbinary, genderfluid, bigender, trigender oder noch ausgefallener bezeichneten, inklusive Neopronomen wie „they/them“ oder „ze/zir“. Selbstverständlich ist auch Nonbinary gänzlich eine SelfID-Angelegenheit, und Geschlechtsdysphorie ist ebensowenig erforderlich, um bei diesen sprachekstatischen Akten mitzumachen. Dafür herrscht aktivistische Gewissheit, dass die Zweigeschlechtlichkeit ein patriarchales kolonial-westliches Konstrukt ist, was dringend überwunden werden müsse.
Blaire White beschreibt in ihrem Video, dass diese Klientel zunehmen klassische Transsexuelle in Transgruppen verdrängt hätten und gerade auch wegen ihnen Definitionen von Trans bis zur Unkenntlichkeit zum Zirkelschluss wurden. Vor allem auf Social-Media-Plattformen wurde das zunehmend sichtbarer. Zumeist junge Frauen und Männer präsentierten sich oft mit bunten Haaren, kunstvoll-schrägen Make-ups, einem obligatorischen Choker-Halsband in Videoclips und wiederholten, dass sie alle „valid“ seien und ein individuelles Geschlecht hätten.
Ein Beispiel ist die TikTok-Influencerin Emily Skvarch, die sich als „trigender“ definiert: „Ich bin ein Mann, eine Frau und nicht-binär, alles auf einmal und die ganze Zeit. Ich würde vermuten, dass es ähnlich wie bei gender-fluid ist und dass man sich in einem bestimmten Bereich des Geschlechts fühlt, und für mich fühle ich einen großen Teil dieses Bereichs zu jeder Zeit, anstatt durch diesen Bereich zu fließen, wie es eine geschlechtsfluide Person tun würde.“
Damit verbunden wird auch wiederholt behauptet, das biologische Geschlecht sei ein Spektrum. Doch die allermeisten NaturwissenschaftlerInnen gucken irritiert, wenn man sie davon überzeugen will. Zur Akzeptanz von Trans hat dies nicht beigetragen. Daher fordert auch Brianna Wu: „Beenden Sie diesen nichtbinären Unsinn noch heute. Biologisches Geschlecht aus dem Gesetz zu streichen ist Wahnsinn und schadet nur Frauen. Es gibt keine medizinischen Beweise für irgendetwas davon, und in zehn Jahren werden wir es als den sozialen Wahn betrachten, der es ist.“
Vierter Fehler: Gender-affirmative Behandlungen bei Minderjährigen
Gerade in den USA ist auch bei Kindern und Jugendlichen der gender-affirmative Ansatz angewandt worden, der wie bei Erwachsenen auf SelfID setzt und damit alles an entwicklungspsychologischen Erkenntnissen über Bord wirft. Denn: Die meisten geschlechtsdysphorischen Kinder und Jugendliche versöhnen sich im weiteren Verlauf mit ihrem Körper, viele haben auch ein lesbisches oder schwules Coming-Out. Doch statt die jungen PatientInnen entsprechend abwartend zu begleiten, werden im affirmativen Modell zügig pubertätsblockierende Medikamente und gegengeschlechtliche Hormone verordnet.
Die Praxis der unmittelbaren Bestätigung der Geschlechtsidentität ungeachtet dessen, ob der junge Mensch nicht doch eine andere, etwa therapeutische Lösung gebraucht hätte, hat für viele unzufriedene PatientInnen gesorgt. Die medizinische Beweislage für dieses Verfahren ist viel zu dünn, aber Warnungen wurden ignoriert, was vor allem auch White kritisiert. Und das, obwohl inzwischen aus mehreren Ländern systematisch erhobene Kenntnisse über die Risiken vorliegen und in vielen dieser Länder deshalb wieder psychotherapeutische Mittel die erste Wahl sind.
Here’s a very concrete policy change that could be easily made that would radically help trans people.
Stop all insurance payments for any treatment for transsexuals if they have not undergone the old school steps to ensure they are actually transsexual.
Fünfter Fehler: Queer-aktivistische Indoktrination in Schulen
Nicht nur im medizinischen, sondern auch im Bildungsbereich wurde das gender-affirmativen Modell etabliert. An vielen US-Schulen wurden Richtlinien implementiert, wonach soziale Geschlechtswechsel Minderjähriger aktiv vor den Eltern geheim gehalten wird, wenn es so vom Kind oder Jugendlichen gewünscht wird. Ebenso kann über den Kopf der Eltern hinweg ein Kind an affirmativ-aktivistische Beratungsstellen weitergeleitet werden.
Aber auch darüber hinaus sind aktivistisch motivierte Inhalte in Schulen gelandet, bei denen nicht berücksichtigt wurde, für welche Altersstufen sie passend sind. Besonders Bücher mit queeren Inhalten in Schulbibliotheken haben für erregte Kontroversen und bundesstaatlich angeordnete Book Bans gesorgt.
Ein häufig gebanntes Buch ist die Graphic Novel Gender Queer von Maia Kobabe. Für die Detransitioniererin Maia Poet ist es ein Paradebeispiel in Sachen „unverhohlene Transpropaganda“, auf X postet sie einige Auszüge. Auch Blaire White erwähnt dieses Buch und verweist auf sexuell explizite Szenen, die letztlich der Grund gewesen seien, dass es aus Schulbibliotheken entfernt wurde und Ähnliches auch auf viele andere umstrittene queere Bücher zuträfe. White nannte als weitere Beispiele Erwähnungen von Sexualpraktiken, die in der Sexualbiografie von Teenagern eigentlich noch keine Rolle spielen sowie detaillierte Beschreibungen von Dating-Apps, die erst ab Volljährigkeit nutzbar sind.
Doch republikanische Hardliner und andere GegnerInnen möchten nicht zwischen einer knappen, altersgerechten Aufklärung und solchen Exzessen differenzieren. So werden die Fehler der queeren AktivistInnen dankbar angenommen, um Aufklärung generell zu canceln. In Florida beispielsweise sollen queere Themen bis zur zwölften Klasse nicht mehr im Unterricht besprochen werden.
Was nun?
Blaire White spricht davon, dass man in den USA nun im „trans acceptance tipping point“ befinde und dass das gesellschaftliche Klima frostig geworden sei, was aber ihrer Meinung nach vermeidbar war. Brianna Wu fordert gerade von der Demokratischen Partei, dass sie die fehlerhaften Extrempositionen aufgibt, damit sich die Situation für Transpersonen wieder verbessern kann. Unterdessen berichtet sie davon, zum ersten Mal seit ihrer Transition vor über 20 Jahren offene Anfeindungen zu erfahren und dass sie den Eindruck hat, als Transperson aus dem öffentlichen Raum verdrängt zu werden.
I transitioned over 20 years ago. Not once in my entire life have I had someone scream at me and call me a tr*nny while doing an event like yesterday. More horrifying was the crowd cheering.
I wish people could see the open hate that is being fostered against people like me.
In Deutschland wären wir gut beraten, die Fehler in den USA nicht zu wiederholen, denn der Backlash wird für reaktionäre Kräfte zur willkommenen Gelegenheit, auch das im bürgerrechtlich-aufgeklärten Sinn Erreichte wieder abzuwickeln. Doch längst sind auch in unseren Schulen fragwürdige Inhalte aus dem queeren Aktivismus angekommen oder werden von entsprechenden Vereinen bereitgestellt – zum Beispiel in Form eines Malbuchs vom Queer Lexikon.
Für Ende Februar wurde außerdem die lange erwartete Veröffentlichung der umstrittenen, weil affirmativen Leitlinie für geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche angekündigt, die unter der Leitung des Psychiaters Georg Romers entstanden ist. Äußerungen der ebenfalls beteiligten Psychologin Sabine Maur auf LinkedIn lassen nicht vermuten, dass es einen Kurswechsel zu mehr Vorsicht gibt: „diese leitlinie ist auch deshalb so wichtig, um der politischen instrumentalisierung und der massiven verbreitung von falschinformationen und transfeindlichen narrativen einen wissenschaftsbasierten expert*innen-konsens gegenüberstellen zu können.“
Und seit November 2024 ist in Deutschland SelfID Gesetz geworden. Bereits zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten gibt es mit der Nutzung durch eine Person aus der rechtsextremistischen Szene den ersten, medial diskutierten strittigen Fall. Auch hier war das aufgrund der Vorhersehbarkeit solcher Probleme vollkommen unnötig.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Debatte um Schwangerschaftsabbruch in Deutschland – wo stehen wir?
Die von SPD, Grünen und FDP geführte Bundesregierung wollte auch den Schwangerschaftsabbruch straffrei stellen. Ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde vorgelegt, das Verfahren kann aber bis zu den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar nicht mehr abgeschlossen werden. Wie hat sich die gesellschaftspolitische Debatte um das Thema entwickelt?
Weltweit kämpfen Frauen für das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch (Foto von Jon Tyson auf Unsplash).
15. Februar 2025 | Marion Hulverscheidt
Worüber sprechen wir eigentlich (nicht)?
Reproduktive Rechte umspannen das Feld, auf dem sich eben auch die Sexualität tummelt. Sie beschreiben das Recht auf sichere Verhütungsmittel, das Recht zur eigenständigen Familienplanung und somit auch das Recht auf einen sicheren und erreichbaren Schwangerschaftsabbruch. Inwieweit reproduktive Rechte auch das Recht zur Reproduktion mit artifiziellen Methoden (Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft) beinhalten, wird von Staat zu Staat unterschiedlich gehandhabt.
Aktuell ist in Deutschland laut dem Embryonenschutzgesetz von 1980 die Spermienspende erlaubt, die Eizellspende verboten. Menschenrechte einräumen, schützen und sie auch einklagen zu können, das ist ein hohes Gut im Aushandlungsbereich zwischen Staat und Bürger:innen. Vielleicht muss es auch noch einmal deutlich gesagt werden, dass von der Natur der Sex für die Reproduktion und für die Lust vorgesehen ist. Die Möglichkeit, dass neues Leben entsteht, war über Jahrhunderte eben mit dem intravaginalen heterosexuellen Geschlechtsverkehr verknüpft – und diese Form der Sexualität stellt ja nur eine kleine Insel im großen Archipel der möglichen Sexualitäten dar.
Und Sexualitäten haben eben auch was mit Sex zu tun, und diese Begegnung zweier Menschen ist bei Frauen in der reproduktiven Lebensphase, also zwischen Menarche und Menopause, mit dem Gedanken, aber auch der Angst, vor einer ungeplant-ungewollten Schwangerschaft verbunden. Diese Gedanken verhindern einen vorbehaltlosen Sex, denn auch die Verhütung muss bedacht – und bezahlt werden.
Vor dieser Hintergrundfolie wird nun die aktuelle Debatte um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs erörtert, die sich mit Fragen der Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen der Ehrfurcht vor dem Leben und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau beschäftigt.
Rechtliche Regularien
Die rechtliche Debatte um den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland wird allein mit dem Schlagwort „§ 218“ nur unzureichend beleuchtet. Dieser Paragraph befindet sich seit 1871 im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches, der Weimarer Republik, der BRD und auch im wiedervereinigten Deutschland. Das Abtreibungsstrafrecht wird sowohl in den § 218 und § 219 im Strafgesetzbuch und im Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz geregelt. Somit steht der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe und gilt als rechtswidrig, aber straffrei unter bestimmten Bedingungen: Dauer der bestehenden Schwangerschaft, Nachweis für ein Beratungsgespräch und drei Tage Bedenkzeit sind einzuhalten. Näheres regelt das 1992 eingesetzte Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG).
Seit 1995 gilt dieser Kompromiss, der nicht vom Bundestag beschlossen, sondern vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diktiert wurde. Vor 1997 war die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar, und auch der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch (SSA) mit Mifeproston (RU486) wurde erst 1999 ermöglicht. In den vergangenen dreißig Jahren hat sich also vieles in der Gesellschaft und auf der rechtlichen Ebene verschoben. Es kann somit gefragt werden, ob dies die Tragfähigkeit des Kompromisses verändert hat. Denn kritisiert wurde der Kompromiss sowohl von Frauenrechtler:innen als auch von sogenannten Lebensschützenden.
Nachdem es radikalen Lebensschützern wie Klaus Günter Annen (Betreiber der mittlerweile indizierten Homepage babycaust.de) gelang, mit Anzeigen die lokalen Staatsanwaltschaften zu beschäftigen, weil sie bei der Information zum Schwangerschaftsabbruch auf den Homepages von frauenärztlichen Praxen einen Verstoß gegen § 219a vorliegen sahen, kam es ab 2017 zu einer gehäuften Annahme von Verfahren durch die Staatsanwaltschaften. Online zugängliche Informationen über den Ablauf und die Formen des Schwangerschaftsabbruchs wurden von Abtreibungsgegnern als Werbung gebrandmarkt und entfachten eine verunsichernde Situation. Wehrhafte angeklagte Ärztinnen, exemplarisch genannt seien Kristina Hänel aus Gießen und Nora Szász aus Kassel, scheuten weder die Klage noch die Öffentlichkeit und sorgten mit ihren Interviews für ein gutes Medienecho.[1]
Die Große Koalition versuchte den §219a zu verschlimmbessern, von der Ampelkoalition wurde im Jahr 2022 der Paragraph zur Werbung für den Schwangerschaftsabbruch jedoch gestrichen. Seit dem 5. Juni 2024 gibt es unabhängige, evidenzbasierte und gut verständliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch im Netz.[2] Das vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verantwortete Webportal Gesundheitsinformation.de erfüllt den gesetzlichen Auftrag dieser Einrichtung, allgemeinverständliche Informationen zu gesundheitlichen Fragen bereitzustellen. Nun gibt es dort endlich auch Informationen und Entscheidungshilfen zum Schwangerschaftsabbruch. Ärztinnen und Ärzte, die diese Informationen nicht auf ihrer eigenen Website veröffentlichen wollen, können stattdessen auf dieses externe Angebot verweisen.
Die aktuelle politische Situation
Die im Ampelkoalitionsvertrag vereinbarte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ wurde erst im März 2023 vom Bundesjustizministerium und vom Bundesfamilienministerium eingesetzt.[3] Fünfzehn Frauen und drei Männer, allesamt Professor:innen aus den Bereichen Recht, Ethik und Medizin, haben sich ein Jahr lang in zwei Unterkommissionen mit der zukünftigen rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sowie der Frage der Eizellspende und der Leihmutterschaft eingehend beschäftigt. Die Kirchen waren nicht in der Kommission vertreten und versuchten daher schon früh in den Medien ihre Haltung zu vertreten. So fordert der Sozialdienst der katholischen Frauen auf der Internetseite des Bistums Regensburg, dass die Beratungspflicht erhalten bleiben muss.[4] Sie formulierten gleichwohl auch, dass das Selbstbestimmungsrecht einer Frau neben dem Lebensrecht eines Ungeboren besteht. Ein Vertreter des Bundeslandes Bayern war auch nicht in der Kommission, doch das ist dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht aufgefallen.
Am 15. April 2024 übergaben im Rahmen einer Pressekonferenz Mitglieder dieser Kommission ihren 600-seitigen Bericht an die drei Minister:innen Lisa Paus, Karl Lauterbach und Marco Buschmann. Diese hochkarätige, interdisziplinär besetzte Kommission unterbreitete ihre konsensual getroffenen Vorschläge, wonach der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. SSW p.c.[5] rechtmäßig sein sollte. Auch die juristischen Mitglieder dieser Kommission sehen keinen Grund mehr für die notwendige Verankerung im Strafrecht. Hinsichtlich der reproduktiven Rechte wäre nach der konsensualen Auffassung der Kommission auch die Eizellspende unter streng formulierten Voraussetzungen zu legalisieren, insbesondere in Hinblick auf bereits gewonnene, sogenannte überzählige Eizellen. Die Leihmutterschaft wäre lediglich unter sehr engen Kautelen, die genauer zu bestimmen und zu formulieren wären, zu ermöglichen.
Die Minister:innen nahmen den Bericht entgegen, bedankten sich für das Engagement der Kommissionsmitglieder, versprachen zu lesen und plädierten im Anschluss vehement dafür, keine weitere Debatte anzustoßen, die die Gesellschaft noch weiter spalte. Die CDU habe ja schon damit gedroht, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.[6] Doch dann folgte: Schweigen der Bundesregierung.
Ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde von drei Juristinnen (Friederike Wapler, Maria Wersig, Liane Wörner), die auch in der von der Ampel-Bundesregierung berufenen Kommission angehörig waren, vorgelegt.[7] Dieser Entwurf von juristischen und feministischen Expertinnen belegt auch eindrücklich das hohe gesellschaftliche Engagement der Beteiligten. Die Neuregelung, die für eine Straffreiheit in den ersten 12 bis 22 Schwangerschaftswochen plädiert, fand eine breite Unterstützung von Verbänden und Organisationen.[8]
Ein darauf formulierter Gesetzentwurf[9] sieht vor, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen (p. c.) straffrei und rechtmäßig zu stellen. Die Krankenkassen sollen die Kosten hierfür übernehmen, eine kostenlose Beratungspflicht bliebe bestehen, allerdings entfiele die verordnete Bedenkzeit von drei Tagen. Der § 218 bleibt bestehen für die strafrechtliche Erfassung von nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen.
Nach der ersten Lesung im Bundestag am 5. Dezember 2024[10] wurde der Gesetzesentwurf an die Ausschüsse verwiesen. Demonstrationen in Berlin und in Karlsruhe für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs folgten am 7. Dezember 2024.[11] Auch in der FAZ erschien eine prominente Stellungnahme „Den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren. Dem ungeborenen Leben hilft es nicht, Schwangere mit Gefängnis zu bedrohen oder mit einem juristischen Unwerturteil zu belegen“ von namhaften Rechtsprofessor:innen auf deutschen Lehrstühlen.[12]
Gesellschaftliche Debatten um gesetzliche Regularien, zumal im Strafrecht, sind zäh, und sie werden gerne solitär, ohne intensive Kontextualisierung, diskutiert. Es führt häufig zu Erstaunen, wenn erläutert wird, dass der Schwangerschaftsabbruch im deutschen Strafgesetzbuch im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ nach § 211 Mord und § 216 Tötung auf Verlangen niedergelegt wird.
In den Medien wurde fieberhaft überlegt, wie in einem fraktionszwanglosen Bundestag eine namentliche Abstimmung für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vielleicht doch noch möglich wäre.[13] Am 10. Februar, wurden eine Petition mit mehr als 300.000 Unterschriften, die auch von prominenten und mitgliederstarken Verbänden wie dem Deutschen Frauenrat und dem Deutschen Gewerkschaftsbund unterzeichnet wurde, übergeben.[14] Denn an diesem Tag fand die Anhörung zu „Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen“ im Rechtsausschuss[15] statt, zwar medial hoch beachtet,[16] doch zu einer Abstimmung am letzten Sitzungstag des Bundestages in dieser Legislaturperiode kam es nicht.
Und nun?
Immerhin gibt es eine Bundestagsdrucksache mit einem Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Im Sommer 2024 beschloss der Deutsche Bundestag ein Verbot der Gehsteigbelästigung, um den Zugang zu den ärztlichen Praxen zu sichern und die Mitarbeitenden derselben nicht einem höhen psychischen Druck auszusetzen.[17] Das steht in der Bilanz der andauernden Aushandlungen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite steht beispielsweise, dass der Bayerische Landtag den Versand des für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch zugelassene Medikament Mifeproston per Post in und nach Bayern untersagt hat. Damit wird die Durchführung eines telemedizinischen medikamentösen Abbruchs in Bayern, wo die Versorgungslage von abtreibungswilligen und -erwägenden Frauen schwierig ist, noch stärker erschwert.[18]
Demokratische Gesellschaften zeichnen sich eben durch ihre Veränderungsfähigkeit aus, der ein Beharrungsvermögen eingewoben ist. Mutig und angemessen wäre, die Entwicklungen in europäischen Nachbarländern wie Dänemark, Frankreich, Österreich und den Niederlanden zu analysieren und festzustellen, dass durch eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht die Rate der Schwangerschaftsabbrüche steigt und die Geburtenrate sinkt, sondern Frauen sich sicherer fühlen und auch Schwangerschaftsabbrüche sicherer durchgeführt werden. In der Gegenüberstellung von Lebensrecht des Ungeborenen und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau geht der Blick verloren auf diejenigen, die ungewollt geboren wurden.[19] In einem Verdacht auf Kindesmisshandlung wurde in einer Fürsorgeakte notiert:
„Die Mutter [Frau R.] hatte die Schwangerschaft nicht gewollt und sich auch gegen die Austragung der Schwangerschaft gesträubt. Zu der neugeborenen Anna […] fand Frau R. keine positive Zuwendung und gab sie daher in ein Säuglingsheim.“
Dass frustrierte und gegängelte Frauen weder sich selbst noch ihrer Familie noch einer Gesellschaft zum Guten gereichen, ist zwar bekannt, wird jedoch kaum beachtet. Achtung und Respekt vor jedem einzelnen Menschen, in der Konsequenz auch an das Unglück denkend, und sich an dem Glück eines gewollten Lebens erfreuend, sind moralische Leitplanken, die mehr Aufmerksamkeit verdienen.
Die Argumente liegen auf dem Tisch, dies auch schon seit Jahren – die nächste Bundesregierung unter höchstwahrscheinlicher Beteiligung der CDU wird sich mutmaßlich dieser Thematik nicht annehmen, so bleibt die harrende Geduld, von Hoffnung nicht zu sprechen.
[5] In rechtlichen Regularien wird die Schwangerschaftswoche (SSW) gerechnet nach der Konzeption, der Empfängnis – p.c., post conceptionem. Im medizinischen Bereich wird die Schwangerschaft nach dem ersten Tag der letzten Menstruation – p. m. post menstruationem, berechnet. Dazwischen gibt es eine rechnerische Distanz von zwei Wochen.
[12] „Den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren. Dem ungeborenen Leben hilft es nicht, Schwangere mit Gefängnis zu bedrohen oder mit einem juristischen Unwerturteil zu belegen“ unterzeichnet von neun Jura-Professor:innen, u. a. Prof. Dr. Martin Asholt, Prof. Dr. Karsten Gaede und Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oglakcıoglu, FAZ vom 23.1.2025, S. 6.
Marion Hulverscheidt gehört als Schatzmeisterin dem IQN-Vorstand an, ist als Ärztin tätig und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte der Universität Kassel sowie Mitglied im Klinischen Ethik-Komitee des Klinikum Nordhessen. Ihre Forschungsgebiete umfassen die Körpergeschichte im Spannungsfeld zwischen Medizin und Gesellschaft, Inter* im binären 20. Jahrhundert sowie Erinnerungskultur im Post-Kolonialismus. Seit 2022 in der Redaktion des Jahrbuch Sexualitäten.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Queere Verbände und Medien haben zur Bundestagswahl in ihren Wahlempfehlungen linke Parteien und die Grünen empfohlen. Doch Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage des schwulen Datingportals Planetromeo zeigen hohe Zustimmungswerte für die AfD. Sind queere Verbände noch ausreichend in Kontakt mit der Basis?
In knapp zwei Wochen finden die Bundestagswahlen statt. Um kurz nach 18 Uhr am 23. Februar wird mit den ersten Hochrechnungen ermittelt, welche Partei mit welcher Prozentzahl abschneidet. Auch die queere Szene – das sammelsurisches Wort für alle, die schwul, lesbisch, trans, bi oder inter sind – hat hierzu ein paar Worte eingelegt. Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt mit seinen Wahlprüfsteinen, der Berliner CSD e.V. – und Szenemedien wie queer.de haben sich thematisch zu diesem Thema positioniert.
Und in der Summe kommt heraus: Alles diese gewichtigen Teile der LGBTI-Szene geben eine Wahlempfehlung für die Grünen. Nur diese Partei, die bislang der letzes Jahr im November geplatzten Ampel-Regierung angehörte, stehe programmatisch für das volle Programm.
Wesentliche queeraktivistische Forderungen sind:
Ergänzung des Grundgesetzes durch eine Passage, in der die „sexuelle Identität“ schützend erwähnt wird;
Aufnahme von queeren Flüchtlingen und Schutz von LGBTI*-Lebensweisen ; Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht anerkennen;
Leihmutterschaftschancen für schwule Eltern.
Diskussionswürdige queere Forderungen zur Bundestagswahl
Aber diese Fragen sind nicht unumstritten. Dass zwei schwule Männer mit dem Sperma des einen über eine Leihmutter zu einer Elternschaft kommen, wird von Feministinnen heftig kritisiert. Der Schutz der durchaus ja fluiden sexuellen Identität durch das Grundgesetz, muss auch nicht einleuchten. Das Grundgesetz schützt vielleicht die Sexualität, sofern sie nicht jemanden schadet. Aber wie soll eine sexuelle Identität zu schützen sein?
In der queeren Community aber, sind sich offenbar nicht alle einig, ob die Wahlprüfsteine wirklich weiteres Glück verheißen. Vielmehr lassen sich viele schwule Männer, lesbische Frauen und trans Menschen bei ihrer Wahl für eine Partei nicht auf das reduzieren, was queere Interessensverbände für richtig halten.
Die queeren Verbände aber treten öffentlich auf, als seien ihre Anliegen die wichtigsten für queere WählerInnen. Am 23. Februar mag sich das Gegenteil herausstellen: Vor allem jüngere Schwule scheinen die AfD nicht für den homophoben Horror schlechthin zu halten. Sie halten offenkundig, ob berechtigt oder nicht, gewaltvoll entgrenzte Islamisten für die größte Gefahr.
Auch gibt es weiterhin Schwule und Lesben, die Wert darauf legen, dass es nach wie vor wissenschaftlich korrekt nach biologischem Verständnis zwei und nicht mehr Geschlechter gibt, das weibliche und das männliche. Die seltenen Fälle von Intergeschlechtlichkeit oder Trans gehören zu den Raritäten der Schöpfung und sind nicht ihr Kern.
Planetromeo-Umfrage schockiert Aktivisten
Insofern mag es nur queere Aktivistas verwundern, dass bei einer Planetromeo-Umfrage die Jüngeren am stärksten die AfD wählen wollen, aber nicht die Grünen. Jedoch wunderte das nur jene Aktivisten, die im ideologischen Geflecht der siebziger bis achtziger Jahre aufgewachsen sind und dem bis heute treu geblieben sind.
Die Umfrage mag nicht wirklich repräsentativ sein, aber ihre Ergebnisse entsprechen den Resultaten der Wahlen in Österreich, den USA und anderen Ländern: Überall dort bevorzugten Schwule und Lesben Parteien, von denen sie sich mehr für ihre eigene Sicherheit versprechen. Parteien, die beispielsweise wie die Demokraten in den USA einseitig Transinteressen beförderten und zugleich Kritik an islamischen Einwanderern als unmoralisch diskreditierten, wurden an der Wahlurne abgestraft.
Was die Aktivistas früherer und heutiger Tage verkennen, ist, dass unsereins nicht nach politischer Korrektheit wählt, weil Schwule und Lesben und Trans als solche in Ruhe gelassen werden wollen und ihre politischen Entscheidungen nicht notwendigerweise an den Expertisen der queeren Verbände ausrichten.
Queerpolitische Verbände repräsentieren nicht alle
Schwulen- wie Lesbenbewegung waren in den siebziger Jahren normative Bewegungen: Der gute Schwule, die gute Lesben – sie waren offen, outingbereit und schwullesbisch politisch fokussiert. Allerdings stimmte das mit der Wirklichkeit nicht überein: Schwule wählten zwar gern früher FDP, viele später die Grünen, oft auch die SPD, auch die CDU stand auf ihren Zetteln, aber diese Wahlentscheidungen waren nur selten von ‚queeren‘ Kriterien bestimmt.
LGBTI*-Verbände repräsentieren nur sich selbst, nicht das gesamte queere Spektrum. Die Verbände müssen abwägen, welche Dinge sie fordern, um das Leben von Queers zu erleichtern. Leihmutterschaft gehört für mich nicht dazu, auch nicht das grundgesetzlich geschützte Recht auf diverseste Identitäten im sexuellen Spektrum. Die kann sich ohnehin jeder und jede backen, wie er oder sie oder es möchte – das alles braucht keine Gesetze.
lch würde nie CDU wählen, aber das hat familiäre Gründe: Ich bin durch und durch sozialdemokratisch geprägt. Aber dem Unionskandidaten Friedrich Merz transphobe Aussagen zu attestieren, weil er findet, der neue US-Präsident Donald Trump habe recht gesprochen, als er sagte, es gebe nur zwei Geschlechter, ist irre: Dabei ist diese Aussage über die Anzahl Geschlechter immer noch state of the art in der Wissenschaft. Jede andere Auffassung verdient soviel Respekt wie jemand der sagt, die Gesetze der Schwerkraft seien eigentlich Unfug. Aber: auch das ist vom Grundgesetz in Form der Meinungsfreiheit geschützt.
Geschlecht und Islamismus
Mit anderen Worten: Die LGBTI*-Bewegung in Gestalt ihrer Verbände wirken selbst gaga, wenn sie weiter denken, sie würden trans Menschen helfen, indem sie viele eigene Geschlechter attestieren. Ohnehin ist man auch in Deutschland gut beraten, Pubertätsblocker oder andere medizinische Eingriffe einer Transition für Minderjährige zu verbieten: Das wäre hilfreich vor allem für geschlechtsdysphorische Jugendliche. Denn sie können in ihrem Alter nicht wissen, was sie tun.
Tatsächlich sind die politischen Verhältnisse so, wie sie für soziale Bewegungen immer sind: Man dankt ihnen nicht für das, was sie geschafft haben. Im queeren Bereich sind es eine Fülle von Reformen, vor allem die Aushebelung des biologistischen Verständnis von Ehe 2017 – so dass die Ehe nun für alle ist, auch für homosexuelle Paare.
Es scheint, als würde ein Gros gerade junger schwuler Männer und lesbischer Frauen das alles für selbstverständlich nehmen – gut so! Nun aber legen sie starken Wert auf Sicherheit und Integrität. Sie wollen als Homosexuelle nicht gedisst oder mit Gewalt malträtiert werden. Deshalb haben sie vermutlich eine Neigung zur AfD, selbst wenn diese Partei rechtspopulistisch bis rechtsextrem gesinnt ist.
Die Grünen und die SPD jedenfalls stehen für eine ausgesprochen fehlerhafte Politik, wenn es um Islamistisches geht. Bloß nicht den Islam zu stark kritisieren, es könnte ja den Rechten nützen. Das wird diesen beiden Parteien von Teilen der queeren Szene angelastet: Die schützen mich nicht genug.
Am 23. Februar ab 18 Uhr wissen wir mehr!
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Donald Trump hat ein weiteres Dekret mit Transbezug erlassen. Dieses Mal betrifft es die Teilnahme biologisch männlicher Personen am Frauensport, die nun untersagt wird. Warum kann sich ein wegen Vergewaltigung verurteilter Mann wie Trump jetzt als Bewahrer von Frauenrechten inszenieren?
Trump spricht im Weißen Haus zu den eingeladenen Sportlerinnen und kündigt die Unterzeichnung des Dekrets an (Foto: Eigener Screenshot).
7. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
US-Präsident Donald Trump hat ein Gespür für publikumswirksame Inszenierungen. Das stellte er auch am Mittwoch unter Beweis, als er direkt aus dem Weißen Haus übertragen und umringt von Sportlerinnen aller Altersklassen seine neue Executive Order unterzeichnete, die biologische männliche Personen, d.h. Transfrauen, vom Frauensport ausschließt. Unter Beifall der anwesenden Frauen und Mädchen lässt er sich als deren Beschützer feiern. Einigen Frauen steht die Freude über das bevorstehende Dekret förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch hier setzt Trump ein wichtiges Wahlkampfversprechen um.
Ausschluss von Transfrauen aus Frauensport
Künftig dürfen weder im Schul- noch im Hochschulsport biologisch männliche Personen am Frauensport teilnehmen. Auch die Nutzung von Umkleide- und Sanitäreinrichtungen wird ihnen untersagt. Bei Verstoß drohen den Bildungseinrichtungen der Entzug staatlicher Gelder. Gerade Schulen und Universitäten haben in den USA eine wichtige Rolle in der Förderung von sportlichen Talenten, vor allem über Stipendien.
Auch auf der Ebene des internationalen und olympischen Spitzensports verlangen die USA, dass biologisch männliche Personen aus dem Frauensport verbannt werden. Die nächsten Olympischen Sommerspiele finden 2028 in Los Angeles statt. Trump kündigte bereits an, in diesem Zusammenhang alle Visaanträge von Personen mit weiblichem Passeintrag ablehnen zu lassen, wo dieser nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt.
Politisches Versagen der Linken
Joanne K. Rowling, die global ultraprominente Harry-Potter-Autorin, ist eine der schärfsten Kritikerinnen jener Entwicklungen, deren Ursache darin liegt, dass die biologische Grundlage von Geschlecht vollständig negiert wurde. Im Kurznachrichtendienst X kommentierte sie ein Bild von Trump, der umringt von Mädchen und Frauen das unterschriebene Dekret hochhält: „Herzlichen Glückwunsch an jeden einzelnen Linken, der sich für die Zerstörung der Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt. Ohne Sie gäbe es keine Bilder wie dieses.“
Congratulations to every single person on the left who’s been campaigning to destroy women’s and girls’ rights. Without you, there’d be no images like this. pic.twitter.com/mzR7l5k1OW
Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet Trump sich als Frauenschützer inszenieren kann. Ein Mann, der 2023 wegen einer 1996 begangenen Vergewaltigung der Autorin E. Jean Carroll gerichtlich verurteilt wurde. Ein Mann, der bereits im Wahlkampf 2016 mit früheren sexistischen Äußerungen wie dieser konfrontiert wurde: „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun. Du kannst alles tun […] Ihnen an die Muschi greifen. Du kannst alles tun.“
Umso deutlicher tritt das Totalversagen der politischen Linken zutage, die sich bei Transfrauen im Frauensport von jedweder wissenschaftlichen Evidenz verabschiedet haben. Personen, die eine biologisch männliche Pubertät durchlaufen haben, haben gegenüber biologisch weiblichen Personen einen fortwährenden, gravierenden Leistungsvorteil im Sport – dazu gehören neben Transfrauen auch einige Varianten der Geschlechtsentwicklungen. Man denke nur an Imane Khelif und das Frauenboxen bei den olympischen Sommerspielen von Paris 2024.
Inklusion vs. Sportliche Fairness
Schon länger beschweren sich Frauen, darunter ehemalige Spitzensportlerinnen wie die lesbische Tennisspielerin Martina Navratilova, dass biologisch männliche Personen im Frauensport unfair sind. Entsprechend äußerte auch sie sich auf X zum Trump-Dekret: „Ich finde es schrecklich, dass die Demokraten Frauen und Mädchen in der ganz klaren Frage, dass Frauensport nur Frauen vorbehalten ist, völlig im Stich gelassen haben.“ Zuletzt zeigten Zahlen einer IPSOS-Umfrage, dass die Mehrzahl der US-BürgerInnen biologisch männliche Personen im Frauensport ablehnt.
I hate that the democrats totally failed women and girls on this very clear issue of women’s sports being for females only. https://t.co/mevCXPDFFm
Das Fass zum Überlaufen brachte 2022 Transfrau Lia Thomas, die Schwimmwettbewerbe für Frauen im Hochschulbereich dominierte. Die Fotos von den Siegerehrungen gingen um die Welt und Thomas‘ biologisch männliche Physis war für alle offensichtlich, die nicht mehr an des Kaisers neue Kleider glauben mochten. Der Weltschwimmverband setzte dem ein Ende und schloss im Sommer 2022 Personen von Frauenwettbewerben aus, die eine männliche Pubertät durchliefen. Mehrere andere Sportverbände trafen in der Folgezeit ähnliche Entscheidungen.
Leugnung von Biologie torpediert Trans-Akzeptanz
2024 versuchte Thomas die Entscheidung des Schwimmverbands vor dem Sportgerichtshof CAS anzufechten, war aber erfolglos. Zeitgleich mit Trumps Dekret wurde bekannt, dass ehemalige Teamkolleginnen von Thomas Klage gegen die Universität sowie zuständige Sport- und Hochschulverbände eingereicht haben. Begründung: Thomas‘ Teilnahme an Frauenwettbewerbe hätte ihre Rechte verletzt. Zudem seien sie gezwungen worden, sich gemeinsam mit Thomas Umkleide- und Duschräume zu teilen.
Wer auch immer glaubte, es würde Transpersonen helfen, biologische Tatsachen zu leugnen, bekommt jetzt die brutale Realität vorgeführt. Die Akzeptanz nimmt als Folge rapide ab, sodass man Transfrauen auch dort nicht mehr tolerieren will, wo die körperlichen Unterschiede zwischen biologischen Männern und Frauen nicht relevant sein sollten. Ob sich linksprogressive und queere AktivistInnen das so vorgestellt hatten?
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Das schwule Datingportal wollte von seinen Usern wissen, welcher Partei sie bei der nächsten Bundestagswahl ihre Stimme geben wollen. Die AfD belegt den Spitzenplatz, besonders bei jungen Männern. Unterdessen mobilisiert eine Kampagne vom CSD Deutschland gegen die Wahl einer Partei wie die AfD. Was ist da los?
Offensichtlich lehnen nicht alle Schwule die AfD ab(Foto von Markus Spiske auf Unsplash).
5. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Zur Bundestagswahl hat das schwule Datingportal Planetromeo seinen Usern wie schon im vergangenen Jahr zur Europawahl die „Sonntagsfrage“ gestellt, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden. 27,9 Prozent votierten für die in Teilen rechtsextreme AfD. Besonders deutlich fielen die Ergebnisse in der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen aus: 34,7 Prozent wollen die AfD wählen. Und das, obwohl die Partei zum Beispiel die „Ehe für alle“ wieder abschaffen will. An der nicht-repräsentativen Umfrage nahmen vom 24. Januar bis 2. Februar 2025 60.560 Männer teil.
Die Umfrageergebnisse von Planetromeo (Foto: Planetromeo)
Manipulierte Zahlen?
Planetromeo räumte ein, dass Manipulationen nicht ausgeschlossen werden könnten und zum Beispiel der Umfragelink außerhalb der Plattform weitergegeben worden sein könne. Vor den Europawahlen 2024 erzielte die AfD in einer vergleichbaren Umfrage hohe Zustimmungswerte, was bereits damals für schockierte Schlagzeilen über das Wahlverhalten schwuler Männer sorgte. Das Newsportal Queer.dehielt den jüngsten „Romeo“-Daten Zahlen einer eigenen, ebenfalls nicht-repräsentativen Umfrage von Dezember 2024 entgegen, wo immerhin 44 Prozent der Befragten die Grünen wählen würden. Die AfD würde mit 4,6 Prozent nicht mal über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Die Ergebnisse auf Queer.de und Planetromeo sagen wohl mehr über die jeweiligen User, als über „die“ schwule Community generell.
Alfonso Pantisano, der Queerbeaufragte des Berliner Senats, teilte aus diesem Anlass auf seinen Social-Media-Profilen den Slogan „Aus Gründen: Kein Sex mit Rassisten und Nazis!“ Dazu schrieb er noch: „Unabhängig davon, ob Umfragen auf Dating-Portalen je repräsentativ sein können, bin ich der Auffassung, dass auch wir in unserer Community große Probleme mit unseren internalisierten Rassismen haben.“ Mit einer ähnlich gelagerten Reaktion verzockte er sich bereits 2024, als er den ehemaligen Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert für Aussagen zu Erfahrungen mit muslimischen Männergruppen scharf angriff.
Der Dachverband CSD Deutschland e.V. hat zur Bundestagswahl die Kampagne „Wähl Liebe“ gestartet, die sich gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien richten will. Die Kernforderungen sind: „Als queere Community fordern wir außerdem von der zukünftigen Regierung, dass queere Menschen endlich ins Grundgesetz aufgenommen werden, die finanzielle Absicherung unserer Communitystrukturen und mehr Engagement gegen Hasskriminalität.“ Flankiert wird die Kampagne von Demonstrationen für die Demokratie am 15. Februar in mehreren Städten. Uhrzeit: Fünf vor Zwölf.
Offenbar aber haben nicht alle in „der“ Community den Eindruck, es sei „Fünf vor Zwölf“ für die Demokratie oder werden durch queere Organisationen und Medien zumindest ideologisch nicht mehr erreicht. Interessant sind daher zwei Artikel in der Frankfurter Rundschau und auf der Website der ZDF heute-Nachrichten, die im Januar 2025 veröffentlicht wurden. Beide beschäftigten sich mit homosexuellen AfD-Wählern und ihren Beweggründen.
Migration, Sicherheit und Wirtschaft
Die Frankfurter Rundschau fragte bereits 2023 lesbische und schwule AfD-WählerInnen, warum sie ihre Stimme ausgerechnet dieser Partei geben. Schon damals waren Sicherheit und Wirtschaft die ausschlaggebenden Themen. Ein 29-Jähriger aus Berlin sagte: „Es wird immer schlimmer. Mehr denn je werde ich als erkennbar queerer Mensch in Berlin angefeindet, beschimpft, bespuckt und auch körperlich angegangen. Ich brauche keine Aktionspläne oder einen Ehering, ich will mich wieder sicher fühlen, ohne Angst haben zu müssen, verprügelt zu werden.“ Grüne, SPD und FDP warf dieser Mann gegenüber FR völliges Versagen vor.
Die ZDF heute-Nachrichten haben ein schwules Ehepaar interviewt. Beide sagten, in ihrem Freundeskreis würden viele die AfD wählen. Die Ablehnung der „Ehe für alle“ spiele bei der Entscheidung keine Rolle, vielmehr zeigten sich die beiden Männer überzeugt, dass die AfD sich am Ende wichtigeren Themen zuwenden würde und in der Hinsicht nichts passiere. Wahrscheinlich trägt zu diesem Glauben die offen lesbische Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin Alice Weidel bei, die das Berufliche und Private beinahe schizophren zu trennen weiß.
Die beiden vom ZDF interviewten Männer gaben „Sicherheit und Migration“ als wesentliche Gründe an. „Das haben die etablierten Parteien jahrelang verschlafen, erst Angela Merkel, jetzt die Ampel-Parteien. Wir glauben, dass die AfD die einzige Partei ist, die das Thema momentan angeht und verbessert“, sagte einer der beiden dazu. Und: „Ich wurde noch nie von Rechten oder Deutschen angegriffen, dafür aber von Arabern, Türken und Flüchtlingen. Man kann, glaube ich, erahnen, dass ich schwul bin. Und genau dieser Personenkreis hat ein Problem mit meiner Sexualität.“
Mit der Einstellung gegenüber Migration passen die Männer in die derzeitige Stimmungslage, die es innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt. Eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der ARD von Ende Januar zeigt, dass eine deutliche Mehrheit mit der derzeitigen Steuerung der Zuwanderung unzufrieden ist – sogar unter den WählerInnen der Grünen.
Alles Rassismus?
Lassen sich diese Stimmungen allesamt in Gänze dem rassistischen Ressentiment zurechnen, wie es beispielsweise Alfonso Pantisano tut? Das leugnet, dass es durchaus ein Sicherheitsproblem im öffentlichen Raum gibt, was mit rechtsstaatlichen Mitteln bearbeitet werden sollte. Mit Rassismus-Vorwürfen wird man keinen schwulen AfD-Wähler mehr zurückholen – eher im Gegenteil.
Ein Blick auf das bekannte Modell der Bedürfnishierarchie nach Abraham Maslow macht klar, woran das liegen könnte: Existenz- und Sicherheitsbedürfnisse bilden das Fundament. Erst danach kommen soziale Bedürfnisse wie Liebe. Die Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Raum sowie eine bessere Wirtschaftslage könnten eher dabei helfen, auch schwule Wähler von der AfD zurückzuholen, anstatt Demos, die diese Probleme nicht angemessen adressieren.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Nun hat US-Präsident Donald Trump zwei weitere Executive Orders erlassen, die unmittelbar Trans betreffen: Jegliche medizinische Eingriffe zum Zwecke einer Transition von Unter-19-Jährigen erhalten keine staatliche Unterstützung mehr. Außerdem sollen Schulen keine Inhalte mehr im Sinne der Queer Theory vermitteln und auch keine sozialen Transitionen unterstützen.
Donald Trump und gender-affirmative Behandlungen von Minderjährigen: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn (Foto von charlesdeluvio auf Unsplash).
31. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Am Dienstag hat US-Präsident Donald Trump eine weitere Executive Order erlassen, die das Transthema betrifft: Nun wird die bundesstaatliche Unterstützung für gender-affirmative Behandlungen von Minderjährigen beendet. Das betrifft insbesondere die Gabe von Pubertätsblockern, Geschlechtshormonen sowie chirurgische Eingriffe bei Personen unter 19 Jahren.
Normalerweise gilt man in den USA mit 18 Jahren als volljährig. Eine Begründung für das höhere Schutzalter bei geschlechtsangleichenden Eingriffen wurde im Dekret nicht genannt. Zuvor hat Trump bereits ebenfalls per Executive Order Transpersonen vom Militär ausgeschlossen sowie verfügt, dass nur noch zwei biologische Geschlechter in bundesstaatlichem Kontext anerkannt werden. Änderungen des Geschlechtseintrags gemäß der Identität sind nicht mehr möglich.
Queer Theory fliegt aus den Schulen
Gleichzeitig mit den medizinischen Aspekten des gender-affirmativen Modells hat Trump – ebenfalls per Executive Order – staatliche Mittel für Schulen gestrichen, die Inhalte gemäß der „Critical Race Theory“ und „Gender und Queer Theory“ unterrichten oder in der Betreuung von SchülerInnen anwenden. Bei Geschlecht geht es vor allem um das Transthema.
Die Executive Order weist den Attorney General – den obersten Rechtsberater der Regierung – an, mit den entsprechenden AmtskollegInnen auf der Ebene der Bundesstaaten und den örtlichen Bezirksstaatsanwälten zusammenzuarbeiten, um „Klagen gegen Lehrer und Schulbeamte einzureichen, die Minderjährige sexuell ausbeuten oder durch Praktiken der ’sozialen Transition‘ ohne Lizenz Medizin praktizieren“. Der Punkt der sexuellen Ausbeutung im Zusammenhang mit sozialer Transition wird nicht weiter erläutert.
Gerade der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert wurde, hat sich in den letzten Jahren zu einer erbitterten Kontroverse entwickelt – nicht nur in den USA. Aber besonders in den USA hat sich das gender-affirmative Modell verbreitet, wonach die geäußerte Geschlechtsidentität in jeder Altersstufe umgehend anzuerkennen sei.
Ein Infragestellen, gar eine explorative Differentialdiagnostik wird als „Konversionstherapie“, also Umpolung, diffamiert. Ohne vorherige sorgfältige Diagnostik soll es dann auch Pubertätsblocker, Geschlechtshormone sowie chirurgische Eingriffe geben, sobald gewünscht. Ebenso soll die Geschlechtsidentität unabhängig vom Alter unmittelbar im sozialen Bereich anerkannt werden – egal, ob die Eltern dem zustimmen, geschweige denn überhaupt davon wissen.
Doch mit Trumps Dekreten ist dem nun ein Ende gesetzt worden. Staatlich finanzierte Gesundheitsdienstleister wie Medicaid, Medicare oder TRICARE sollen die Kosten für gender-affirmative Behandlungen nicht mehr übernehmen. Außerdem sollen medizinische Einrichtungen, die staatliche Finanzierung erhalten, solche Behandlungen nicht mehr anbieten. Zuvor waren seit 2022 bereits in 26 Bundesstaaten geschlechtsangleichende Eingriffe gesetzlich verboten worden.
In den Schulen wird es keine von Lehrkräften unterstützten sozialen Transitionen mehr geben, vor allem nicht ohne Zustimmung der Eltern. Queere Bildung mit Alternativpronomen und Aufklärung über Trans und Nonbinary ebenso wenig. Einen Eindruck vom Tenor trans-affirmativer Bildungsangebote liefert ein mittlerweile offline genommenes Video von Amaze, einem Projekt für sexuelle Aufklärung. Colin Wright, Biologe und langjähriger Kritiker gender-affirmativer Theorie und Praxis, hat das Video auf X dokumentiert:
Why did @amazeorg remove this 5-year-old video from their YouTube channel today when @BillAckman brought attention to it on X?
Is it be because, as Bill said, it acts as a "transgender recruitment cartoon" for kids feeling awkward about their bodies during puberty?
Innerhalb der letzten sechs Jahre wurden innerhalb und außerhalb der USA immer mehr Kritik an diesem affirmativen Modell laut, was gerade von queeren und TransaktivistInnen als einziger menschenrechtskonformer Ansatz propagiert wird. Mehrere Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass die medizinische Evidenzbasis für diese Praxis schwach ist. Das bedeutet, der Nutzen ist nicht gut belegt, schwerwiegende Risiken können nicht ausgeschlossen werden. Das betrifft sowohl das Medizinische als auch das Soziale.
Ein besonders eindrückliches Dokument ist der britische Cass-Report, der im April 2024 veröffentlicht wurde und maßgeblich dafür sorgte, dass man im Vereinigten Königreich vom affirmativen Modell wieder abrückt. Zuvor gab es in Finnland, Schweden und Dänemark ähnliche Entwicklungen. Inzwischen wird in allen westlichen Staaten, in denen gender-affirmative Behandlungen für Minderjährige angeboten werden, skeptischer auf das Nutzen-Risiko-Profil geschaut. Selbst in Deutschland, wo gender-affirmative MedizinerInnen zusammen mit TransaktivistInnen noch eine neue Leitlinie durchbringen wollen, wächst daran Kritik.
Zuletzt hat in Australien der Bundesstaat Queensland die Verordnung von Pubertätsblockern und Hormonen bei Minderjährigen gestoppt. Im Juni sollen dort Ergebnisse einer Untersuchung vorgelegt werden, die darüber entscheiden, ob in Queensland gender-affirmative Behandlungen für Minderjährige überhaupt wieder verfügbar gemacht werden. Außerdem hat inzwischen auch der Gesundheitsminister Australiens Mark Butler angeordnet, bisherige landesweit gültige Leitlinien für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie zu überprüfen.
In allen westlichen Industrienationen stiegen innerhalb der letzten zehn Jahre die Zahlen unter Minderjährigen, die eine geschlechtsangleichende Behandlung begehrten, deutlich an. Besonders stark haben die Zahlen bei biologisch weiblichen Teenagern zugenommen. Die Gründe dafür werden kontrovers diskutiert. Mit dem gender-affirmativen Ansatz sind solche Gründe jedoch unwichtig, allein der Wille der Behandlungssuchenden zählt.
Transitionen in jungen Jahren ermöglichen
Das Modell mit Pubertätsblockern entstand zuerst in den Niederlanden, bevor es sich in den USA radikalisierte. Der Grundgedanke war, denjenigen möglichst früh zu helfen, von denen man annahm, dass sie erwachsene Transpersonen werden. Viele volljährige Transpersonen litten unter psychischen Begleiterkrankungen und man nahm an, dies läge hauptsächlich an der unerwünschten Entwicklung des Geschlechtskörpers sowie mit medizinischen Mitteln nicht mehr ausreichend zu korrigierenden Tatsachen durch diese Entwicklung. Im Fokus stehen bei diesen Überlegungen vor allem Transfrauen, die eine biologisch männliche Pubertät durchliefen.
TransaktivistInnen begrüßten diesen Ansatz enthusiastisch und sorgten dafür, dass dieser weltweit zum Standard wurde. Außerdem waren diese AktivistInnen sehr darum bemüht, dass es am besten keinen längerfristigen Diagnostikprozess mehr geben soll und vor allem keine Ausschlussgründe für eine Transition.
Geschlechtsdysphorie ist komplex
Geschlechtsdysphorie aber ist eine komplexere Angelegenheit, als es vielen TransaktivistInnen lieb ist. Es ist mit Studien gut belegt, dass bei über 80 Prozent der Minderjährigen eine Geschlechtsdysphorie im weiteren Reifungsprozess wieder verschwinden oder sich abmildern kann, wenn nicht medikamentös in die Pubertät eingegriffen wird. Bei vielen ehemals geschlechtsdysphorischen Kindern gibt es dann ein lesbisches oder schwules Coming-Out, weshalb es eine wachsende Zahl kritischer werdender homosexueller Frauen und Männer gibt. Und: Gerade Mädchen sind anfälliger für Pubertätskrisen.
Der Cass-Report zeigte beispielsweise, dass sehr viele Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen, sexuellen Missbrauch erlebt oder unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depressionen leiden. Auffällig ist zudem die hohe Zahl an Jugendlichen mit Autismus unter ihnen. Diese Beobachtungen gibt es auch in den USA, beispielsweise im Bericht der Whistleblowerin Jamie Reed, die vier Jahre lang im Washington University Transgender Center arbeitete und heute u.a. in den Zeugenstand tritt, wenn es um die Risiken des affirmativen Modells und gesetzliche Verbote geht.
„In den vier Jahren, in denen ich in der Klinik als Fallmanagerin tätig war – ich war für die Aufnahme und Überwachung der Patienten zuständig -, kamen etwa tausend junge Menschen in Not durch unsere Türen. Die meisten von ihnen erhielten Hormonrezepte, die lebensverändernde Folgen haben können – einschließlich Sterilität. […] Neben Mädchen im Teenageralter wurde eine weitere neue Gruppe an uns verwiesen: junge Menschen aus der stationären psychiatrischen Abteilung oder der Notaufnahme des St. Louis Children’s Hospital. Die psychische Gesundheit dieser Kinder war äußerst besorgniserregend – es gab Diagnosen wie Schizophrenie, PTBS, bipolare Störung und mehr. Oft nahmen sie bereits eine ganze Handvoll Medikamente ein.
Das war tragisch, aber angesichts des schweren Traumas, das einige von ihnen erlitten hatten, nicht überraschend. Doch gleich, wie viel Leid und Schmerz ein Kind ertragen hatte oder wie wenig Behandlung und Liebe es erhalten hatte, unsere Ärzte sahen in der Geschlechtsumwandlung – trotz aller Kosten und Entbehrungen, die sie mit sich brachte – die Lösung.“
„Als lebenslange Demokratin, die viele Vorbehalte gegenüber Donald Trump hat, kann ich dennoch zugeben, dass diese Kinder den Schutz brauchen, den er gerade angekündigt hat.“
Mehr Detransitioniererinnen in der Öffentlichkeit
Inzwischen gibt es auch in den USA mehrere junge Frauen, die als Teenager gender-affirmativ behandelt wurden und dann wieder detransitionierten. Alle sagen rückblickend, sie hätten etwas anderes gebraucht, insbesondere eine gute Psychotherapie. Das ist aber im affirmativen Modell nicht vorgesehen, sobald das magische Wort „trans“ fällt. Da müssen ÄrztInnen und TherapeutInnen alles vergessen, was sie über die psychische Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen gelernt haben.
Einige dieser jungen detransitionierten Frauen sind an die Öffentlichkeit getreten, verklagen gar ihre ehemaligen ÄrztInnen wegen Fehlbehandlung. Zuletzt ging der Fall von Clementine Breen durch die Medien. Die jetzt zwanzigjährige Studentin verklagte die Ärztin Johanna Olson-Kennedy, der sie vorwirft, zu schnell eine Transidentität diagnostiziert und also affirmiert zu haben – mit anschließender Gabe von Pubertätsblockern. Olson-Kennedy habe Breen mit 12 Jahren Pubertätsblocker, mit 13 Jahren Testosteron und mit 14 Jahren eine Mastektomie, also Entfernung der weiblichen Brust, verordnet. Breen möchte auch deshalb juristisch gegen ihre ehemalige Ärztin vorgehen, um Behauptungen als Lüge zu entlarven, dass vorschnelle Transitionen nur Einzelfälle seien.
Breens Darstellung ihres persönlichen Hintergrunds gegenüber The Economist fügt sich exemplarisch darin ein, weshalb die Kritik am affirmativen Ansatz zunimmt:
„Die Geschichte von Frau Breen beginnt Anfang des Schuljahres 2016/17, als sie 12 Jahre alt wurde. Sie fühlte sich deprimiert und suchte Hilfe bei einer Beraterin. ‚Ich erwähnte, dass ich trans sein könnte‘ (Herv. d. Red.), erinnerte sie sich im Interview, „aber ich erwähnte auch, dass ich lesbisch und bisexuell sein könnte, ich war mir meiner Identität überhaupt nicht sicher.“
Im Nachhinein glaubt sie, dass ihre Unsicherheit in Bezug auf die Pubertät auf eine gewalttätige Situation zu Hause zurückzuführen ist, in die ihr älterer Bruder verwickelt war, der unter schwerem Autismus leidet, sowie auf den Missbrauch, den sie im Alter von sechs Jahren durch eine Person außerhalb der Familie erfuhr und den sie erst viel später jemandem gegenüber offenbarte.“
Eine bekannte Detransitioniererin und Aktivistin für die Beendigung des affirmativen Modells, die ebenfalls Klage gegen ihre ehemaligen ÄrztInnen eingereicht hat, ist Chloe Cole. Sie habe mit dreizehn Jahren Pubertätsblocker, dann Testosteron und eine Mastektomie im Alter von fünfzehn Jahren erhalten. Mit 17 Jahren begann sie zu detransitionieren, d.h. ihr biologisches Geschlecht zu akzeptieren und auch sozial als Frau zu leben. Sie berichtete, dass sie als Minderjährige mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt habe sowie mit Autismus. All das wird im affirmativen Modell nicht berücksichtigt. Cole gilt als glühende Unterstützerin Trumps. Entsprechend begrüßte sie auch die Executive Order im Kurznachrichtendienst X: „Trumps Executive Order zum Schutz von Kindern vor chemischer und chirurgischer Verstümmelung ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen die Genderideologie.“
Kritik an schlampiger Betreuung
All diese Probleme sind nicht neu: Bereits 2021 brachte der TV-Sender CBS im Format 60 Minutes eine Reportage über DetransitioniererInnen. Alle jungen Frauen und Männer sagten, sie seien sehr schnell auf dem Transitionspfad gelandet. Es sei nicht geprüft worden, ob das wirklich die einzige Lösung ihrer Probleme sei. Dabei hätten sie genau das gebraucht. Im selben Jahr warnten die Psychologinnen Erica Anderson und Laura Edwards-Leeper in der Washington Post vor schlampigen Behandlungen und kritisierten den zunehmenden Verzicht auf sorgfältige psychiatrische Begutachtung. Dafür wurden sie heftig von den gender-affirmativ arbeitenden TherapeutInnen und ÄrztInnen gerügt.
Nicht nur in der Medizin, sondern auch im Bildungssektor hat sich der gender-affirmative Ansatz etabliert. Das bedeutet nicht nur, dass das queere Verständnis von Geschlecht im Unterricht vermittelt und Progress-Prideflaggen in den Schulen gehisst werden. Es beinhaltete auch die Übernahme des gender-affirmativen Ansatz in der pädagogischen Betreuung. Viele Schulen erließen dafür Richtlinien.
Demnach sollen SchülerInnen in ihrer sozialen Transition uneingeschränkt unterstützt werden – selbst, wenn das Einverständnis der Eltern fehlt oder diese nicht mal davon wissen. 2023 berichtete die New York Times darüber, auch über die wachsende Verärgerung unter Eltern, die sich zunehmend gegen die solche Konzepte unterstützende Demokratische Partei richtete.
In einer Meinungsbefragung durch IPSOS im Auftrag der New York Times zum Antritt Trumps wurde die Frage gestellt, ob schon Minderjährige geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone bekommen sollten. 90 Prozent der befragten republikanischen WählerInnen sind der Ansicht, dass es geschlechtsangleichende Behandlungen nicht vor dem 18. Lebensjahr geben sollte. 54 Prozent der WählerInnen der Demokratischen Partei teilten diese Meinung. Trumps jüngste Maßnahmen dürften daher den Nerv vieler US-BürgerInnen treffen.
Pubertätsblocker als harmlose Pausentaste?
Die BefürworterInnen des affirmativen Modells sagen, Pubertätsblocker seien eine harmlose, da vollständig reversible „Pausentaste“. Doch es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass diese Darstellung irreführend ist: Forschungen zeigen, dass Pubertätsblocker keine Pausentaste, mit dem die körperliche Entwicklung während der Pubertät in den Wartestand gebracht wird, sondern der erste Schritt einer medizinischen Geschlechtsangleichung sind: Mehr als 90 Prozent der Minderjährigen führt die Behandlung ohne Unterbrechung mit Hormonen und chirurgischen Eingriffen weiter.
Weitere Hinweise deuten darauf hin, dass diese angebliche Pausentaste negative Auswirkungen auf die Knochendichte hat, d.h. für Brüche anfälligere Knochen schon im Jugendalter. Bei biologischen Jungen reichten schon kurze Zeiträume der Gabe von Pubertätsblockern für krankhafte Veränderungen am Hodengewebe aus. Auch auf die Hirnentwicklung wurden negative Auswirkungen wie ein niedrigerer IQ festgestellt.
Doch all dies ficht die AdvokatInnen für den gender-affirmativen Ansatz nicht an. Sie verweisen darauf, dass wichtige Fachverbände wie die American Academy of Pediatrics (AAP) das gender-affirmative Modell unterstützen und natürlich auf die entsprechenden Empfehlungen und Leitlinien der World Professional Association for Transgender Health (WPATH).
WPATH ist nicht integer
Gerade aber die WPATH wurde von Trumps Executive Order angezählt. Darin heißt es nüchtern, dass es den Leitlinien der WPATH an wissenschaftlicher Integrität mangele. Trump ist nicht der erste mit dieser Feststellung. In Schweden hat man sich schon 2022 von der WPATH distanziert, nachdem diese in ihren aktuellen Behandlungsempfehlungen bei Minderjährigen jegliche Altersgrenzen für Pubertätsblocker, Hormone und chirurgische Eingriffe gestrichen hat. Auch habe WPATH systematische Evidenzüberprüfungen unterdrückt, weil sie eine geschlechtsangleichende Behandlung von Jugendlichen nicht unterstützten.
Das Entfernen jeglicher Altersgrenzen soll auf politischen Druck durch Transfrau Rachel Levine, ein Mitglied der vorherigen Biden-Administration im Gesundheitsministerium, zustande gekommen sein. In der 2022 veröffentlichten achten Fassung der WPATH-Empfehlungen ist aber noch etwas Ungeheuerliches zu finden: ein Kapitel über „Eunuch“ als Geschlechtsidentität. Sogar Kinder sollen sich so definieren können. Als Primärquelle diente eine dubiose Sexseite namens Eunuch Archives.
Für den schwedischen Kinderarzt Mats Reimer sowie viele seiner KollegInnen sei dies ein klares Zeichen gewesen, dass es sich bei der WPATH nicht um eine wissenschaftliche Organisation, sondern um eine Aktivistengruppe handele. Als Reaktion auf die Executive Order kam von der WPATH bislang lediglich eine knappe Bekundung von Enttäuschung.
TransaktivistInnen indes haben schon angekündigt, gerichtlich gegen Trumps Verordnungen vorgehen zu wollen. Langjährige kritische BeobachterInnen wie die Journalistin Lisa Selin Davis jedoch, sehen diese Maßnahmen als „notwendiges Korrektiv“. Wahrscheinlich teilen viele andere US-BürgerInnen diese Sicht. Traurig aber ist, dass es einem Populisten wie Trump vorbehalten war, gravierende Fehlentwicklungen abrupt zu stoppen und dass es in den Transorganisationen sowie den mit ihnen verbündeten MedizinerInnen nicht vorher zu Kurskorrekturen gekommen ist. Wer verstehen will, wie es überhaupt zu Trumps Dekreten kommen konnte, sollte auch die Teile der Geschichte kennen, die TransaktivistInnen nicht so gern hören.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Trumps erstes Trans-Dekret – Schikane oder Vernunft?
Zum Start seiner zweiten Präsidentschaft erließ Donald Trump mehrere Executive Orders – darunter auch eine, die Transpersonen betrifft. Queere Aktivisten sehen ihre Rechte in Gefahr, für andere sind die präsidentialen Weisungen lediglich ein notwendiges Korrektiv.
US-Präsident Donald Trump unterzeichnete am 23. Januar 2025 einige seiner ersten Dekrete und inszenierte sich dabei medienwirksam. (Foto: Eigener Screenshot).
26. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Donald J. Trump ist zurück im Weißen Haus in Washington, dem US-amerikanischen Machtzentrum. Am 20. Januar 2025 wurde er zum 47. Präsidenten der USA vereidigt, und gleich zum Start erließ er eine Durchführungsverordnung, die Transpersonen betrifft. Trump hatte im Wahlkampf versprochen, dass er vom ersten Tag an gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ vorgehen werde.
Diese Anordnung ist eine von fast 200 Durchführungsmaßnahmen, mit denen Trump seine Amtszeit beginnt. Weitere betreffen zum Beispiel die Ausrufung des nationalen Notstands an der Grenze vor allem der zu Mexiko, die Beendigung aller Diversity-Programme in der gesamten Bundesregierung und der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen.
Biologie per Dekret
Nun unterzeichnete er die Durchführungsverordnung dem Titel „Defending Women from Gender Ideology Extremism and Restoring Biological Truth to the Federal Government“.
Was genau beinhaltet diese Verordnung?
Die Durchführungsverordnung legt regierungsweit die biologische Realität von zwei Geschlechtern fest und definiert eindeutig männlich und weiblich.
Alle radikalen geschlechtsideologischen Anleitungen, Mitteilungen, Richtlinien und Formulare werden entfernt.
Die Behörden werden bei der Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Diskriminierung nicht mehr so tun, als könnten Männer Frauen und Frauen Männer sein.
„Frau“ bedeutet eine „erwachsene weibliche Person“.
Die Executive Order schreibt vor, dass staatliche Ausweise wie Pässe und Personalakten die biologische Realität und nicht die selbst eingeschätzte Geschlechtsidentität widerspiegeln sollen.
Die Executive Order beendet die Praxis der Unterbringung von Männern in Frauengefängnissen und die vom Steuerzahler finanzierte „Transition“ für männliche Gefangene.
Die Durchführungsverordnung beendet die erzwungene Nennung von „bevorzugten Pronomen“ und schützt das Recht der Amerikaner auf Anerkennung der biologischen und binären Natur des Geschlechts nach dem ersten Verfassungszusatz und dem Gesetz. Dies schließt den Schutz am Arbeitsplatz und in staatlich finanzierten Einrichtungen wie Schulen ein.
Transthema war wahlentscheidend
Auf die Frage des konservativen Online-Mediums The Free Press, warum Trump diesem Thema eine derartige Priorität einräumt, sagte ein hochrangiger Beamter: „Das war wirklich ein entscheidendes Thema im Wahlkampf. Der Präsident wird die Versprechen einlösen, die er im Wahlkampf gemacht hat.“ In der Durchführungsverordnung heißt es darum auch: „Die radikale Gender-Ideologie hat die biologische Wahrheit, die Sicherheit und die Chancen der Frauen zerstört.“
Der Deutschlandfunk erklärt die Bedeutung solcher Dekrete: Sie beinhalten verbindliche Anordnungen des Präsidenten für die Exekutive (also die gesetzesausführenden Institutionen), sie können bestehende Gesetze präzisieren oder weiterentwickeln oder auch den nationalen Notstand anordnen.
Die Dekrete durchlaufen nicht den Gesetzgebungsprozess im US-Kongress, sie müssen aber von der Verfassung gestützt sein. Der Präsident selbst oder dessen Nachfolger kann die Dekrete jederzeit aufheben. Ebenso können Gerichte ein Dekret aufheben, wenn es als verfassungswidrig eingestuft wird.
Transaktivisten bereiten sich auf Kampf vor
Es ist also gut möglich, dass queere Verbände zum Beispiel die Gerichte bemühen werden. Die American Civil Liberties Union (ACLU) bereitet sich laut einer eigenen Meldung darauf vor. Die ACLU ordnet kurz ein, welche Konsequenzen sich schon jetzt aus Trumps Executive Order ergeben: Kurz nach deren Erlass habe ein Beamter gesagt, dass die Richtlinie, die sich auf den Geschlechtseintrag in US-Pässen beziehe, nicht rückwirkend auf bereits geänderte Pässe angewandt würde. Trumps Anordnung wird jedoch trans- und intergeschlechtliche Menschen daran hindern, neue Pässe, Visa und sonstige Reisedokumente zu erhalten, die das Identitätsgeschlecht widerspiegeln.
Trumps Maßnahmen scheinen von seinen WählerInnen begrüßt zu werden. Ergebnisse einer Meinungsbefragung durch IPSOS im Auftrag der New York Times bestätigen aber auch sonst, dass die Mehrheit der US-BürgerInnen wichtige progressive Grundüberzeugungen in der Transfrage nicht mittragen.
Pubertätsblocker und Frauensport
Auf die Frage „Überlegungen zu Transgender-Sportlerinnen – d. h. Sportlerinnen, die bei der Geburt männlich waren, aber die sich in der Jugend als weiblich identifiziert haben, sollte es ihnen erlaubt sein, am Frauensport teilzunehmen?“ antworteten WählerInnen der GOP, also der Partei Donald Trumps, zu 94 Prozent mit „Nein“, auch befragte WählerInnen der Dems antworteten mit 67 Prozent entsprechend.
Ebenso brisant wie das, je nach Perspektive, Problem biologisch männlicher Personen im Frauensport ist die Frage, ob schon Minderjährige geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone bekommen sollten. Hier sind 90 Prozent der befragten republikanischen WählerInnen der Ansicht, dass es geschlechtsangleichende Behandlungen nicht vor dem 18. Lebensjahr geben sollte. Immerhin 54 Prozent der WählerInnen der Demokratischen Partei sahen das genauso.
Die Fragen mit Transbezug aus der IPSOS-Befragung (Foto: Eigener Screenshot).
Der schwule liberal-konservative Journalist Andrew Sullivan, der in den vergangenen Jahren zur Wahl von KandidatInnen der Demokraten aufrief, ordnet Trumps Entscheidungen in seinem Blog ein:
„Bedeutet dies einen Krieg gegen transsexuelle Amerikaner? Nein, natürlich nicht. Sie sind durch das Bürgerrechtsgesetz vor Diskriminierung geschützt – laut Trumps eigener Wahl für den Obersten Gerichtshof, Neil Gorsuch. Erwachsene sollten weiterhin uneingeschränkten Zugang zu Übergangsmedikamenten haben und mit Anstand und Respekt behandelt werden. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich mich genauso lautstark beschweren, wie ich es bei der Transition von Kindern getan habe. Aber es sollte keine biologischen Männer geben, die mit Frauen im Sport konkurrieren; keine Verletzung der Privatsphäre von Frauen durch biologische Männer, die mit ihren Schwänzen und Eiern in intimen Räumen herumwedeln; und ein Ende der grotesken Praxis, biologische Männer mit Sexualdelikten in Frauengefängnisse zu lassen. Ernsthaft, was für ein Wahnsinn war das alles?“
In wenigen Worten fasst Sullivan die wesentlichen Gründe zusammen, die um die Transfrage für hitzige Kontroversen sorgen und in denen Aktivisten sowie Demokraten höchst unklug, gar jenseits von wissenschaftlicher Evidenz agiert haben. Nun ist der sogenannte Backlash am Laufen, und auch in Deutschland täte man gut daran, die richtigen Lehren aus den Vorgängen jenseits des Atlantiks zu ziehen. Denn all das, was in den USA zur Transfrage nicht mehrheitsfähig ist, ist es hier auch nicht.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Marla-Svenja Liebich oder: Das Selbstbestimmungsgesetz als Waffe für Staatsfeinde
Bekannte rechtsextremistische Person sorgt mit Geschlechtsänderung für Aufregung
Marla-Svenja Liebich, eine rechtsextremistische Person aus Halle, hat das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen. Es wird bezweifelt, ob tatsächlich eine Geschlechtsdysphorie den Ausschlag dafür gab. Der Fall entfacht erneut Diskussionen, wie sicher das neue Gesetz vor Menschen mit missbräuchlichen Absichten schützt.
Das Selbstbestimmungsgesetz, welches die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags regelt, ist erst 2,5 Monate alt, und schon werden die transaktivistischen Überzeugungen, auf denen es fußt, schwer erschüttert. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes kann man Vornamen und Geschlechtseintrag mit einem Formular und dreimonatiger Wartezeit und gegen eine schlappe Gebühr von höchstens 60 Euro auf dem Standesamt ändern lassen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt die vorherigen Regelungen für Transpersonen und intergeschlechtliche Personen – erstere brauchten ein Verfahren beim Amtsgericht mit zwei Sachverständigengutachte, letztere ein ärztliches Attest und einen Gang zum Standesamt. Nun entfallen solche Auflagen. Es hieß immer – sowohl von TransaktivistInnen als auch ihren Allies aus der nun zerbrochenen Ampel-Koalition –, niemand würde eine voraussetzungslose Änderung missbrauchen. Transsein sei zu marginalisiert, als dass sich wirklich jemand ohne Not dem Diskriminierungsrisiko aussetzen würde.
Doch am 14. Januar 2025 wurde ein Fall bekannt, der an dieser Überzeugung Zweifel aufkommen lässt. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete zuerst über eine bekannte rechtsextremistische Person aus Halle, die mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes ihren Namen zu „Marla-Svenja“ und ihren Geschlechtseintrag zu „weiblich“ ändern ließ. Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung habe sich Liebich zu dem vorgenommenen Wechsel nicht äußern wollen – aus Angst vor Diskriminierung, wie die Person selbst angab. Die Journalisten hätten Liebich auf einem Firmengelände in Halle-Ost angetroffen. „Mit Vollbart und Basecap, in Jeans und Pullover“ sei die Person gut zu erkennen gewesen.
Liebich selbst ist für Provokationen bekannt. Diese Person ist seit Jahrzehnten in der rechtsextremistischen Szene in Halle aktiv, meldete u.a. Demonstrationen an und betrieb einen Onlineshop. Ein Produkt im Sortiment war z.B. ein Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“. Derzeit laufen gegen die Person mehrere Strafverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung und übler Nachrede. Im vergangenen August wurde Liebich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt, wogegen Revision eingelegt wurde, die noch nicht abgeschlossen ist.
Queerfeindliche Hetze
Liebich ist in der Vergangenheit auch mit Hetze gegen LGBT aufgefallen. 2022 störte die Person beispielsweise den CSD Halle und rief Teilnehmenden zu: „Ihr seid Parasiten dieser Gesellschaft!“ Diese Person Liebich möchte jetzt als Frau behandelt werden. Bereits Ende 2024 ließ Liebich beim zuständigen Standesamt in Schkeuditz Personenstand und Vornamen über das Selbstbestimmungsgesetz ändern. Wie erwähnt galt auch für diese Person: Diese Änderung ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden, lediglich eine Erklärung muss abgegeben werden, dass der gewählte Vorname und Geschlechtseintrag der Geschlechtsidentität am besten entspreche.
Es herrschen einhellig Zweifel daran, ob bei Liebich tatsächlich eine tiefempfundene Geschlechtsdysphorie der Anlass für diesen Schritt war. Doch das ist irrelevant, denn immerhin fragt das Selbstbestimmungsgesetz nicht nach so einer Voraussetzung. In Paragraf 1 dieses Gesetzes heißt es: „Ziel dieses Gesetzes ist es, die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken“. Jede Bürgerin, jeder Bürger dieses Landes kann mit ihrer Volljährigkeit einmal jährlich auf dem Standesamt diese Änderung vollziehen. Liebich handelte also vollkommen gesetzeskonform.
Herausforderung für den Rechtsstaat
Doch was könnte eine Person wie Liebich dazu motiviert haben? Einer Haftstrafe kann man sich auf diese Weise nicht entziehen, aber über einen geänderten Geschlechtseintrag zu „weiblich“ lässt sich eine Unterbringung in einer Frauen-Justizvollzugsanstalt einfordern. Dieser Forderung muss nicht zwingend stattgegeben werden, aber mittels Einlegens von Rechtsmitteln kann sich der Haftantritt zumindest so lange verzögern, bis geklärt ist, ob Liebich die Haftstrafe in einer JVA für Frauen oder für Männer verbüßen müsste.
Das Selbstbestimmungsgesetz bietet aber noch eine weitere interessante Möglichkeit, den Rechtsstaat auf Trab zu halten: das strafbewährte Offenbarungsverbot regelt, dass der alte Vorname und Geschlechtseintrag nicht gegen den Willen der betreffenden Person offenbart werden darf. Im Falle eines Verstoßes kann ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro drohen. Liebich hat bereits signalisiert, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. Die Bild-Zeitung berichtete, Liebich wolle alle verklagen, die diese Person als „Mann“ bezeichnen. In einem Bericht des Tagesspiegel heißt es, ein entsprechendes Anwaltsschreiben liege bereits vor.
Liebich wird sicherlich einige Möglichkeiten finden, den Rechtstaat am Nasenring durch die Manege zu ziehen – beispielsweise durch das Stellen von Anträgen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Ähnlichem. Künftig könnte auf diese Weise so mancher Sachverhalt zur Abwägung zwischen der Geschlechtsidentität und dem biologischen Geschlecht die Gerichte beschäftigen. Für Transpersonen besteht das Risiko, dass einiges, was der Transaktivismus in den vergangenen 15 Jahren erreicht hat, wieder zurückgenommen wird – soll heißen: der Geschlechtsidentität nicht mehr ohne Weiteres der Vorrang eingeräumt wird.
Weiterer Fall aus rechtsextremer Szene bekannt
Dies ist nicht der einzige Fall aus dem rechtsextremen Spektrum, wo das Selbstbestimmungsgesetz als Vehikel zum Triezen des ihnen verhassten Staates benutzt werden könnte. Bereits im Dezember berichtete IQN über den bayrischen AfD-nahen Aktivisten Johannes Normann, der auf dem Kurznachrichtendienst X sein ausgefülltes Formular für eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz postete. Auch er will damit die Justizbehörden zum Narren halten. Offenbar haben die ArchitektInnen des Selbstbestimmungsgesetzes nicht auf dem Schirm haben wollen, dass es Personengruppen gibt, die diesen Staat ablehnen und jede Möglichkeit bereit sind zu nutzen, um ihn vorzuführen.
KritikerInnen des Selbstbestimmungsgesetzes haben von Anfang an davor gewarnt, dass eine voraussetzungslose Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag Probleme wie dieses schaffen könnte. Dazu gehört auch die CDU/CSU. Deren Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz sagte gegenüber Welt, die Ampel habe einen großen Fehler gemacht und sie sei „erstaunt“, wie schnell ein solcher Fall eingetreten sei, vor dem sie immer gewarnt habe, was aber niemand habe hören wollen. Lindholz sagte ebenfalls, dass die Ampel auch Trans-Personen keinen Gefallen getan habe, wenn die Akzeptanz in der Gesellschaft letztlich sinke und der Personenstand ad absurdum geführt werde. Die CDU/CSU hat in ihrem Wahlprogramm bereits verkündet, dass Selbstbestimmungsgesetz in dieser Form nicht belassen zu wollen und dafür heftige Kritik von queeren AktivistInnen einstecken müssen.
Transaktivisten halten unerschütterlich an Self-ID fest
Im queeren Aktivismus ist man nach Kräften bemüht, daran festzuhalten, dass das Selbstbestimmungsgesetz eine richtige Sache war. Im Szenemedium queer.de etwa spielt man das Missbrauchspotenzial des Selbstbestimmungsgesetz sogar in einem Bericht über die Causa Liebich herunter, indem man Parallelen zu abstrus anmutenden Argumenten gegen die „Ehe für alle“ zieht.
Noch hanebüchener ist allerdings ein ebenfalls auf queer.de veröffentlichter Kommentar von Gabriel_Nox König, die Person ist zuständig für die Pressearbeit beim Bundesverband Trans*. Darin gibt König im Wesentlichen den KritikerInnen, die vor Missbrauchsmöglichkeiten warnten, die Schuld daran, dass jemand wie Liebich auf die Idee kommt, das Selbstbestimmungsgesetz zu nutzen.
In Königs Kommentar heißt es: „Wenn sich herausstellen sollte, dass die Vornamens- und Personenstandsänderung Liebichs ein PR-Stunt ist, wäre es besser gewesen, den Raum, den die Medien dieser Änderung einordnen, bei einer Fußnote zu belassen.“ Soll übersetzt heißen: Medien sollen doch bitte nichts berichten, was die transideologische Verblendung erschüttern könnte. Das klingt wie: „Nur, weil immer wieder auf die Gurtpflicht hingewiesen wird, sterben Menschen bei Autounfällen, die sich nicht angeschnallt haben!“
Auch wenn es TransaktivistInnen und ihre Verbündeten noch nicht einsehen wollen: Das Selbstbestimmungsgesetz war ein gehöriger Schuss in den Ofen. Je früher seine Fehler bezüglich der fehlenden Nachweispflicht über die Berechtigung der Motive der antragstellenden Person korrigiert werden, desto besser. Auch für die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Transpersonen.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.2023 war er auf Einladung der CDU/CSU Sachverständiger im Familienausschuss des Bundestags, die Stellungnahme ist online einsehbar.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Ein Leitfaden des Deutschen Sauna-Bunds sorgt für Aufregung
Seit dem 1. November 2024 ist in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Der Deutsche Sauna-Bund hat zum Jahresende einen kurzen Leitfaden veröffentlicht, wie Saunabetriebe mit dem Zutritt zu geschlechtsspezifischen Angeboten – zum Beispiel Frauensauna – umgehen sollten. Das Schriftstück bekam viel Aufmerksamkeit – vor allem von transaktivistischer Seite.
Schwitzen in der Sauna: Einigen Männern und Frauen ist es wichtig, dabei unter sich zu bleiben (Foto von HUUM auf Unsplash).
9. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Wahrscheinlich war es unabsichtlich die beste PR-Maßnahme eines Verbands: Der Deutsche Sauna-Bund, der bis vor Kurzem wohl nur Brancheninsidern ein Begriff war, sorgte mit einem am 27. Dezember 2024 veröffentlichten Leitfaden zum Umgang mit dem Selbstbestimmungsgesetz bundesweit für Schlagzeilen. In diesem Leitfaden erhalten Mitgliedsbetriebe Empfehlungen, wie unter dem Selbstbestimmungsgesetz mit Gästen umgegangen werden soll, die geschlechtsspezifische Angebote und Sanitäreinrichtungen nutzen wollen, aber augenscheinlich nicht dazu passen.
Primäres Geschlechtsmerkmal entscheidend
In dem knapp gehaltenen Text heißt es, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags keine automatische Zugangsberechtigung zu anderen geschlechtsspezifischen Bereichen bedeute. Weiter wird festgehalten: „Zum Eintritt in diese, insbesondere auch die Frauensauna, sind nur Personen berechtigt, deren primäre Geschlechtsmerkmale entsprechend sind. Der Eintrag des Geschlechts beim Standesamt und/oder im Reisepass sind nicht entscheidend.“
Eine erste Filterfunktion hat hierbei die Kassenkraft, die „nach Sichtkontrolle des Erscheinungsbildes“ über den Zutritt entscheidet und sich bei Zweifeln den Ausweis vorlegen lassen soll. Ebenso wird der Hinweis gegeben, dass für den geschlechtsspezifischen Bereich das primäre Geschlechtsmerkmal, also das Genital entscheidend ist. Um Missverständnisse auszuräumen habe ein Gast die Möglichkeit, freiwillig sein Genital zu zeigen, er solle aber nicht dazu aufgefordert werden.
Transaktivistin beklagt Ausgrenzung
Während viele Kritikerinnen und Kritiker des Selbstbestimmungsgesetzes diesen Leitfaden begrüßen, schreien Transaktivisten Zeter und Mordio. Auch der LSVD*-Verband Queere Vielfalt hat am 7. Januar 2025 dazu eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin beklagt das Vorstandsmitglied und Transaktivistin Julia Monro: „Trotz ausführlicher Klarstellungen in der Gesetzesbegründung wird hier eine Debatte angestachelt, die nur eine Spaltung zur Folge haben kann. Ein demokratisches Miteinander würde hingegen bedeuten, sich um Lösungen zu bemühen, wie allen Menschen in ihrer Vielfalt die Teilhabe für ein Angebot ermöglicht werden kann. Stattdessen wird eine Minderheit weiter ausgegrenzt, die sich ohnehin in vielen Lebenslagen immer wieder beweisen muss.“
Man könnte den Eindruck gewinnen, als gäbe es in Deutschland nur geschlechtshomogene Saunaangebote. Doch genauso wie Frauenschwimmtage sind es einzelne Zeiten oder Tage, an denen die meisten Saunen nur Frauen oder Männer reinlassen. Die meisten Zeiten sind für alle Geschlechter offen. Was also wäre so schlimm daran, an einem Unisex-Tag die Sauna zu nutzen, wenn man die Zutrittskriterien für das geschlechtsspezifische Angebot nicht erfüllt?
Transpersonen unter Generalverdacht?
Monro beklagt weiter: „Der Leitfaden stellt trans* Menschen unter einen Generalverdacht und zementiert Vorstellungen von Rollenbildern, wie Menschen geschlechtsspezifisch auszusehen haben. Diese Rollenbilder erfassen die gelebte gesellschaftliche Vielfalt nicht. Zudem ist es unklar, nach welchen Kriterien eine nicht-binäre Person am Erscheinungsbild identifiziert werden soll. Der Leitfaden drängt Sauna-Personal und Besucher*innen in ein ethisches Dilemma und wird auch cis Personen treffen, die nicht den heteronormativen Vorstellungen des Personals entsprechen.“
Geschlechtsmerkmale sind oft sehr aussagekräftig, unabhängig davon, was für eine Geschlechtsrolle jemand lebt. In den allermeisten Fällen können wir Menschen, denen wir auf der Straße begegnen, schon auf den ersten Blick geschlechtlich verorten – mit korrektem Ergebnis – und tun das auch unbewusst. Der Leitfaden des Sauna-Bunds spricht im Übrigen nicht von Rollenbildern, sondern von Geschlechtsmerkmalen. Für nicht-binäre Personen stellt sich die Frage, warum jemand, der sich keinem Geschlecht zuordnen will, dann doch ein geschlechtsspezifisches Angebot nutzen möchte.
Der Leitfaden wird von Julia Monro gar auf eine Ebene mit den „Bathroom Bills“ in den USA gestellt, die gesetzlich bestimmten, dass Transpersonen die geschlechtsspezifischen Einrichtungen für ihr biologisches Geschlecht zu nutzen haben. „Diese erste deutsche Bathroom Bill darf nicht zu einer politischen Hetzjagd gegen trans* Personen wie in den USA werden. Wir appellieren an Politik und Gesellschaft, der Verantwortung nachzukommen, Minderheiten zu schützen“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
Respekt auch für Bedürfnisse von Frauen
In der Alltagspraxis aber wird es auf das äußere Passing ankommen, also wie gut man als Transperson von anderen Menschen entsprechend der Geschlechtsidentität wahrgenommen wird. Warum will man in einen geschlechtsspezifischen Bereich, wenn nicht mal annähernd ein Passing vorhanden ist?
Es ist zu respektieren, dass gerade Frauen geschlechtsspezifische Angebote wünschen, die penisfrei sind. Für einige Frauen, zum Beispiel religiöse Muslima, ist dies gar eine notwendige Bedingung. Der Deutsche Sauna-Bund hat seinen Mitgliedsbetrieben nun eine praktische Orientierungshilfe an die Hand gegeben, um solche Angebote weiter aufrechterhalten zu können.
Wer eine politische Hetzjagd verhindern will, sollte auch als Transaktivistin einen Beitrag dazu leisten und nicht nur die eigenen Befindlichkeiten sehen, sondern auch die Bedürfnisse anderer achten. Vielleicht sind ein Leitfaden wie dieser oder sogar die „Bathroom Bills“ ja auch eine Reaktion auf den aktivistischen Versuch, ein radikales Geschlechterbild in der ganzen Gesellschaft durchboxen zu wollen, in dem die Biologie überhaupt nichts mehr zu sagen hat? Auch darüber könnten Aktivistinnen wie Monro mal nachdenken.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Queeres Archivhaus in Berlin – kein Ort für Kultur und Begegnung?
Drei queere Archive wollen in Berlin in Neukölln ein gemeinsames Archivzentrum errichten. Nun werben sie um Spenden, um die notwendigen Genossenschaftsanteile der avisierten Immobilie finanzieren zu können. Noch ist das Spendenziel nicht erreicht. Doch ist ein reiner Sammlungsort ohne öffentlichkeitsinklusive Anteile noch zeitgemäß?
In Berlin mühen sich seit einigen Jahren drei im LGBTI*-Spektrum arbeitende Archive um ein gemeinsames Archivhaus. Nun scheint es konkreter zu werden. Unter der Überschrift „Endlich (alles) an einem Ort“ heißt es: „Drei der ältesten und bedeutendsten Gedächtniseinrichtungen Berlins – das feministische Archiv FFBIZ, die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und das Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek – bauen ein gemeinsames Archivzentrum auf.“ Und zwar in Neukölln, stadtauswärts betrachtet rechts der Karl-Marx-Straße gleich hinter dem wuchtigen Rathaus des Bezirks.
„Das gemeinsame Archivzentrum wird in einem Gebäudekomplex auf dem Gelände des sog. Vollgutlagers der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln entstehen. Das Gelände gehört der Schweizer Stiftung Edith Maryon. Eines der Ziele der Stiftung ist es, Grund und Boden der Spekulation zu entziehen und damit günstige Mieten zu ermöglichen. Das künftige Erbbaurecht der Vollgut eG i. Gr. sichert den Standort langfristig; und die von uns zu mietenden Flächen bieten ausreichend Platz für Zuwächse von Bibliothek und Archiv – bei Garantie günstiger Mietpreise.“
Und zur Zielsetzung generell, sprachlich nicht ganz frei von Antragsprosa in Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien noch keinen Einfluss auf Behörden und Subventionstöpfe haben:
„Sammlung und Erhalt lesbischer, schwuler, queerer und feministischer Geschichte wird in Zeiten eines erneuten Rechtsrucks immer wichtiger! Die Kämpfe von damals sind unser Auftrag heute – um die Generationen, die nach uns kommen, zu informieren, zu stärken und zu inspirieren. Die Zusammenführung als Archivzentrum bedeutet die langfristige Sicherung der drei beteiligten Archive: Verträge über 99 Jahre mit der Garantie stabiler Mieten und mehr Platz für die wachsenden Bestände!“
Spenden für Archivhaus gesucht
Die drei Archive würden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum traditionsreichen SchwuZ ansiedeln. Es wäre der zweite größere Standort für die Sammlungen, Bibliotheken sowie Vor- und Nachlässe aus der LGBTI-Community – denn Marktführer im Hinblick auf das Sammeln dieser Kulturschätze ist das Schwule Museum.. Ermöglicht werden soll das Neuköllner Projekt durch Spenden – eine Anschubfinanzierung gibt es außerdem von der 2023 neu gegründeten privaten Schachtsiek Familien Stiftung.
„Bislang sind 642 Spenden eingegangen, und es ist ein Betrag von 159.846 Euro eingesammelt worden. Das entspricht 53 Prozent der nötigen Gesamtsumme. Kurz vor Weihnachten erklärte Giuseppina Lettieri als Verantwortliche der Aktion, dass der Pachtvertrag für das Vollgut-Areal trotz der noch fehlenden Gelder unterzeichnet worden sei. Aber: ‚Für unseren 3. und letzten Genossenschaftsanteil fehlen uns noch gut 130.000 Euro. Falls sie/ihr unsere Spendenkampagne nochmal mit bewerben könntet, wären wir euch sehr dankbar.‘“
Der Spendenaufruf auf der Website des geplanten Archivzentrums (Foto: Eigener Screenshot).
Wir wünschen dieser schönen Idee viel Glück, es werden gewiss noch weitere Gelder akquiriert werden können. Die drei bislang verstreut in der Berliner Queertopographie verteilten Archive könnten gemeinsam in einem Gebäude ihren BesucherInnen viel Fahrerei ersparen, wenn sie deren Bestände nutzen wollen. Auch ist der Weg nicht weit ins Schwule Museum – wo auch immer dieses in mittlerer Zukunft Quartier beziehen wird. Denn auch dieses traditionsreiche Haus steht in der Not, mit immer höheren Mietforderungen konfrontiert zu werden und die Dauerförderung durch den Senat könnte auch nicht für ewig in gleicher Höhe fließen.
Obendrein sind es aus dem Rollberg-nahen Kiez in Neukölln nur wenige Schritte um zum vielleicht kostbarsten Archiv aus dem LGBTI*-Spektrum zu kommen, dem Lili-Elbe-Archiv, das – Stand 2020 – in einer halbwegs geräumigen Wohnung in der Weserstraße angesiedelt war. Unklar ist, wie es um dieses Archiv aktuell bestellt ist, dessen Archivmaterial qualitativ nur das Transgender Archive an der kanadischen University of Victoria als würdige Vergleichsgröße hatte.
Archivpläne ohne Gastronomie und Veranstaltungen
Insgesamt entsprechen die seit einigen Monaten öffentlich werdenden Pläne der drei ArchivträgerInnen jenen, die sie auch beim Plan für ein Queeres Kulturhaus eingebracht haben. Dieses Queere Kulturhaus war bis Ende 2020 geplant als ein Haus der queeren Archive, wo zugleich auch Kulturveranstaltungen stattgefunden hätten und mit einer gastronomischen Einrichtung, die zum neugierigen Spontanbesuch einladen sollte. Das aber wollten die VertreterInnen der Archive nicht: Sie wollten keineswegs nur zufälligen Publikumsverkehr. Oder wie es ein Verantwortlicher der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sagte: „Wir sind ja kein CSD.“
Mit anderen Worten: Sie möchten ein Archivhaus ohne kulturellen „Schnickschnack“ (so ein Ausdruck einer Frau des Spinnbodenarchivs) – und scheiterten mit diesem Plan am damaligen Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer, der dem gesamten Projekt, Stand Juni 2020, 23 Millionen Euro zusagte, aber nur unter der Voraussetzung, dass es nicht nur eine allgemeine Archivstätte ist. Der Raumplan für das Archivhaus, wie die drei TrägerInnen ihn sich vorstellen, ist noch nicht weiter öffentlich bekannt, aber aus Erfahrung mit ihnen lässt sich vermuten, dass man kein Interesse an einem regen Publikumsverkehr hat. Bereits bei der Ausrichtung der Weltkonferenz queerer Archive 2019 versäumten diese Archive Bemühungen, eine professionelle Medienarbeit zu verankern oder sich über die Fachöffentlichkeit hinaus bekannt zu machen.
Öffentlichkeitsbewusste Inklusion fehlt
Das Archivhaus hat natürlich jedes Recht, sich auch in Neukölln anzusiedeln. Warum aber viel preisgünstigere Mietimmobilien etwa am Stadtrand für eine reine Aufbewahr- und Forschungseinrichtung nicht ausreichen würden, bleibt ein Rätsel. Und wer weiß: Vielleicht wäre ein Konzept mit Kultur- und Begegnungsprogramm auch für potenzielle SpenderInnen attraktiver? Jede moderne Bibliothek (mit angeschlossenen Sammlungsbeständen) wie etwa die in der finnischen Hauptstadt Helsinki ist auf Publikumsnutzung angelegt – man heißt es willkommen! Oodi (finnisch für „Ode“) heißt diese Bibliothek, die immerhin 2019 zur besten der Welt gekürt wurde.
Das finnische Beispiel hat im Vergleich mit queeren Projekten gigantischere Ausmaße, aber die Idee der öffentlichen Transparenz ist der entscheidende Punkt. So wie in Hamburg das alte Postamt am Hauptbahnhof, der Hühnerposten, nicht nur Bibliothek, sondern vor allem BürgerInnentreffpunkt ist. All diese Aspekte der öffentlichkeitsbewussten Inklusion spielen leider beim Archivhaus keine Rolle: Möchte man lieber unter sich im kleinen Kreis bleiben?
Transparenzhinweis: Der Autor war Initiator des Queeren Kulturhauses im Jahr 2012 als Projekt für einen queeren Leuchtturm in Berlin und ist für IQN Mitglied des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
In einem Spiegel-Interview spricht der Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski darüber, warum es Homosexuelle gibt, die sich in der in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) engagieren. Doch anstatt lebensnaher Erklärungen gibt es nur vorgestanzte Schablonen aus den Gender und Queer Studies.
Offen schwul und Mitglied in der AfD? Wahrscheinlich würden sich schwule AfD Mitglieder nicht mit aktivistischen Symbolen wie der Regenbogenflagge zeigen (Foto: Freepik)
4. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Wie passen Homosexualität und eine Mitgliedschaft in der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zusammen? Mit Alice Weidel hat die Partei zwar eine offen lesbische Vorsitzende, aber politisch stellt sich die AfD gegen queeren Aktivismus – insbesondere auf das Transthema haben sie sich eingeschossen. Im vergangenen Sommer wurde der von der Bundesregierung eingebrachte Aktionsplan „Queer leben“ von der AfD abgelehnt. Der Abgeordnete Martin Reichardt bezeichnete die politischen Vorhaben als „queeren Firlefanz“ und als „linksideologischen Angriff auf die traditionelle Familie, die Wissenschaft und das Wohl insbesondere von Kindern, Jugendlichen und Frauen“.
Homosexuelle in der AfD
Der Spiegel hat nun den Berliner Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski gefragt, warum es trotz dieser politischen Äußerungen aus der Partei Homosexuelle gibt, die der AfD zugeneigt sind – der Mann hat jüngst seine akademische Qualfikationsarbeit zum Thema veröffentlicht. Doch das Interview schafft es nicht, diese Frage plausibel zu beantworten. Vielmehr offenbart es die Denkschablonen, die im Bereich der Gender und Queer Studies kursieren, denen sich Wielowiejski zurechnet.
Kulturwissenschaftler Wielowiejski verweist, um die Attraktivität der AfD auf einige homosexuelle Menschen zu erklären, vor allem auf Vorstellungswelten, die den erotischen Männerbund als „staatstragend“ idealisierten:
„Seit den Siebzigerjahren waren es vor allem linksgerichtete und liberale Bewegungen, die Rechte für Homosexuelle erkämpft haben. Deswegen nehmen wir Homosexualität und rechte Gesinnung meist als Widerspruch wahr. Früher war das keinesfalls selbstverständlich. Schon während der homosexuellen Emanzipation ab Ende des 19. Jahrhunderts gab es Schwule, für die Homosexualität eine höhere Form der Männlichkeit bedeutete. Das war eine misogyne, antifeministische, in Teilen antisemitische Vorstellungswelt, die sich in der Tradition antiker erotischer Männerbünde sah. In dieser Vorstellung basiert auch der Staat auf solchen Männerbünden.“
Toxische Männerbunderotik und Islamfeindlichkeit
Einen Popularisierungsschub erhielten diese Vorstellungen in der Zeit der Weimarer Republik durch das Werk von Hans Blüher und wurden laut dem Historiker Alexander Zinn aufgrund ihrer Radikalität unter Intellektuellen populär. Doch auch der spätere SS-Chef Heinrich Himmler las Blühers Werk – und verkehrte dessen Ideen ins Gegenteil. Die staatstragenden Männerbünde wurden bei Himmler zu staatszersetzenden Gemeinschaften – und dies wiederum bildete in der NS-Ideologie eine Rechtfertigung zur Verfolgung Homosexueller. Doch solche Aspekte finden sich nicht im „Spiegel“-Interview. Hauptsache, die Männlichkeit ist „toxisch“.
Als weiterer Aspekt, der die AfD für Homos attraktiv machen könne, wird die Ablehnung des Islams genannt. Wielowiejski will einigen Homosexuellen zwar zugestehen, aufgrund schlechter Erfahrungen negativ gegenüber Muslimen eingestellt zu sein, spricht jedoch nur vom antimuslimischen Rassismus, anstatt auch von ebenfalls vorhandener Homophobie unter religiös orientierten Muslimen. Im Oktober 2024 traf der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert einen Nerv, als er gegenüber dem Spiegel sagte, aus muslimisch gelesenen Männergruppen käme es häufiger zu einem homophoben Spruch. In linksprogressiven Kreisen werden auch Äußerungen wie diese sehr schnell unter den Verdacht des antimuslimischen Rassismus gestellt, was eine sachlich-konstruktive Problembewältigung erschwert, zum Beispiel durch Alfonso Pantisano, Ansprechperson für queere Menschen und deren Anliegen beim schwarz-roten Senat Berlins.
Effekte gesellschaftlicher Modernisierung
Wielowiejski zufolge hätten es außerdem gesamtgesellschaftliche Modernisierungsprozesse erleichtert, dass inzwischen auch Rechtsextreme Homosexuelle anerkennen müssten, sofern sie noch irgendwie in die sogenannte Volksgemeinschaft passten:
„Die Grenzen zwischen einem »Wir« und »den anderen«, die im Rechtsextremismus sehr scharf gezogen werden, verschieben sich. Das ist eine Reaktion auf veränderte Bedingungen. Homosexualität wird in vielen westlichen Ländern von einem Großteil der Bevölkerung toleriert. Damit wird es auch für eine sich modernisierende extreme Rechte, die für viele attraktiv bleiben will, schwierig, Homosexuelle per se auszuschließen.“
Kontroverse bei Trans verfehlt
Verfehlt wird von Wielowiejski allerdings der Kern dessen, was die Transthematik aktuell so kontrovers macht und wie gefährlich emanzipatorisch gemeinte Traumwelten vom ausschließlich sozial konstruierten (d.h. nicht mehr biologisch begründeten) und frei wählbaren Geschlecht sind, die sich von natur- und auch sozialwissenschaftlicher Evidenz entfernt haben:
„Jenseits der Binarität geht für die AfD nichts. Alles, was darüber hinausgeht, gilt für sie als »pervers«: Wenn Geschlecht als soziales Konstrukt verstanden wird, wenn Menschen selbst über ihre Sexualität und ihre Geschlechtsidentität bestimmen dürfen, wenn sie selbst entscheiden dürfen, wie sie geschlechtlich verortet sind und mit welchen Pronomen sie angesprochen werden möchten.“
Es gibt spätestens seit der Veröffentlichung des Cass-Reports in Großbritannien überdeutliche Hinweise auf die Risiken von frühen affirmativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei Minderjährigen. Doch das politisch linksprogressive Lager spielt lieber Vogel Strauß. Zum Jahresende verkündete die AfD-Bundestagsfraktion, dass sie ein Verbot von Geschlechtsanpassungen bei Minderjährigen wollen, also bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie. Offenbar haben Weidel und Co. in die USA geschaut und vom erfolgreichen Trump-Wahlkampf gelernt.
Insgesamt krankt das Spiegel-Interview daran, dass es lebensfern ist. Das Magazin hätte besser homosexuellen AfD-Mitgliedern selbst Fragen zu ihren Beweggründen gestellt, sich in dieser Partei zu engagieren. Mit Sicherheit wären diese Antworten aufschlussreicher gewesen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil an Gender und Queer Studies Geschulte gern den Fehler begehen, Homosexuelle nur von dieser Eigenschaft, der sexuellen Orientierung, aus zu betrachten, die am gesamten Menschen doch nur eine von vielen anderen ist. Und schon gar nicht muss sie für ein Individuum das zentrale Kriterium bei der Bewertung von Wahlprogrammen und Parteien sein.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
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