Zum Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, welches eine Rehabilitierung der Opfer Paragrafen 175 empfiehlt, kommentierte IQN-Vorstand Jan Feddersen für den Deutschlandfunk.
Sie können den Kommentar hier nachhören. Desweiteren dokumentieren wir den Kommentar im folgenden im Wortlaut:
Eine Entschuldigung tut not
Für die zwischen 1949 und 1969 in Deutschland verfolgten homosexuellen Männer müsse es eine Entschuldigung von den höchsten Stellen geben, kommentiert Jan Feddersen von der „taz“ im DLF. Eine Rehabilitierung reiche nicht aus. Das 20 Jahre bewusst mitgeschleppte Nazierbe der Homophobie sei der Grund dafür, dass Homosexualität in Deutschland nach wie vor nur gnädig toleriert werde.
Das Gutachten eines Münchner Juraprofessors, am Mittwoch durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlicht, hat ein kleines, schmutziges Geheimnis der bundesdeutschen Frühgeschichte offenbart. Dass zwischen 1949 und 1969 homosexuelle Männer durch den § 175 verfolgt wurden. Und zwar in seiner vom NS-Staat verschärften Qualität. In den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik wurden ebenso viele schwule Männer angezeigt, angeklagt, verurteilt – und in Gefängnisse gesteckt wie unter den Nationalsozialisten.
Homosexualität war verboten. Es war eine entwürdigende Zeit für schwule Männer. Die Nachbarn – Denunzianten? Die Eltern – enterbend und Kontakt abbrechend. Arbeitskollegen – gern die „warmen Brüder“ im Job an die Personalabteilung verpetzend. Und auf der Straße bei Umfragen? „Die haben sie wohl vergessen zu vergasen“ – so viele Stimmen aus der früheren Volksgemeinschaft.
Dieser Schandparagraf war für die junge Bundesrepublik kein übersehener Rest brauner Willkür. Nein, diese Strafbestimmung sollte am Leben erhalten werden – absichtsvoll. Es waren die christlichen Kirchen, CDU/CSU und die FDP, die keine Liberalisierung wollten. Die SPD, nebenbei, war schon damals aus Feigheit nicht bereit, als Kämpferin für Bürgerrechte aufzutreten. Die Tyrannisierung homosexueller Männer, die Zerstörung ihrer Existenzen, wurde man ihrer habhaft, hatte System.
Mit ein paar warmen Worten ist es nicht getan
Es ist zu begrüßen, dass, in der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte bislang einzig, die Opfer des § 175 bis zu seiner Liberalisierung 1969 rehabilitiert werden sollen. Findet sogar Bundesjustizminister Heiko Maaß – der sich in dieser Frage zuvor nicht als Kämpfer für die Kassation des eigentlich schon 1949 verfassungswidrigen Willkürparagrafen erwiesen hat.
Aber mit ein paar warmen Worten kann diese Sache nicht abgetan werden. Vielmehr käme es darauf an, dass von höchsten Stellen um Entschuldigung bei den Opfern dieser Strafbestimmung nachgesucht wird. Etwa durch den Bundespräsidenten. Der könnte sagen: Im Namen des Volkes bitten wir um Verzeihung für das demokratisch begründete Unrecht. Und er könnte anfügen: Ein präsidentielles Wort kann nicht reichen, es muss in den Familien gesprochen werden. Über schwule Angehörige und Verwandte beispielsweise, die beschwiegen wurden, deren Namen nicht mehr genannt sein sollten – sozial sozusagen ausgestoßen.
Das kleine schmutzige Geheimnis der Bundesrepublik: Die Fünfzigerjahre und auch noch die frühen Sechzigerjahre waren gruselig. Peinvoll. Für Frauen, die buchstäblich nicht gleichberechtigt waren. Für lesbische Frauen, in sozialer Hinsicht. Aber für schwule Männer hießen diese Zeiten: Leben in Furcht und Angst, sich verstecken zu müssen.
Nun ließe sich fragen: Reicht das nicht aus, dass die Bundesrepublik die „warmen Brüder“ von einst rechtlich rehabilitiert? Nein, das tut es nicht. Das wäre eine Gratisgeste. Allzu schnell käme man zur Tagesordnung zurück – schwul, na und?
Das bewusst mitgeschleppte Nazierbe der Homophobie
In Wahrheit ist dieses 20 Jahre bewusst mitgeschleppte Nazierbe der Homophobie der Grund dafür, dass Homosexualität in Deutschland nach wie vor nur gnädig toleriert wird. Und dass Deutschland in puncto bürgerrechtliche Gleichstellung nicht das Niveau von Irland, Spanien, Großbritannien oder den skandinavischen Ländern erreicht hat. Besser: nicht erreichen will.
Denn das fänden die Kirchen unangemessen und die ihr stark gewogenen Parteien auch. Das ist übrigens auch eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass die rot-grüne Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 nicht an dieses Thema heranwollte: Lieber speiste man homosexuelle Paare mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz ab – und auch dies erst nach einer Klarstellung durch die Karlsruher Verfassungsrichter. Aber eben nicht: die Ehefähigkeit. Für die Homos, ließe sich sagen, nur die B-Lösung, wenn sie heiraten wollen.
Mit anderen Worten: Das Gutachten, das die Rehabilitierung der vielen zehntausend Opfer empfiehlt, kann nur ein Anfang einer sehr gründlichen Debatte um die Politik der frühen Bundesrepublik sein. Und weshalb sie bis heute nachwirkt – wie ein Signum der Furcht bis in alle familiären Poren hinein, in Schulen, in Vereine, in die Institutionen und in Betriebe.
Von Joachim Gauck könnte so eine Initiative ausgehen. Ihm, besonders ihm, dem furchtlosen Bundespräsidenten, ist zuzutrauen, den Spuk dieser bis heute nachfühlbaren Zeit zum Thema zu machen. Er könnte sagen: Homophobie ist in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht tragbar.
Dieser Kommentar wurde zuerst am 15. Mai 2016 im Deutschlandfunk gesendet.