Warum die Gefechte um die Vorherrschaft im US Supreme Court auch aus queer-politischer Sicht von größter Bedeutung sind

von Benno Gammerl, Vorstandsmitglied der Initiative Queer Nations e.V.

 

Zuletzt schien die ganze Welt gebannt zu verfolgen, wie das liberale Amerika – vergeblich – versuchte, die Berufung Brett Kavanaughs an das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten zu verhindern. Der Vorwurf der versuchten Vergewaltigung und Kavanaughs Ansichten zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern standen dabei im Zentrum. Aber nicht nur aus feministischer, auch aus queerer Perspektive bietet Kavanaughs Vereidigung Anlass, wenn nicht zur Furcht, so doch zumindest zur berechtigten Sorge.

Wie wichtig das Supreme Court und dessen Besetzung für die Durchsetzung der Rechte von LSBTI* Personen war und ist, zeigt Patrick Bahners in seinem Aufsatz Marriage can’t wait. Das Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten zur gleichgeschlechtlichen Ehe von 2015 und der Weg dorthin im Jahrbuch Sexualitäten 2017. Bahners unterstreicht dabei vor allem die Rolle von Richter Anthony Kennedy, der in mehreren Fällen die Begründungen für die homo-freundlichen Entscheidungen des Gerichts verfasste. Ausgerechnet Kennedy ist derjenige Richter, den Brett Kavanaugh nun ersetzt.

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Wie sich Brett Kavanaugh in queerpolitisch relevanten Rechtsfragen positionieren wird, dazu hat er sich in seinem Berufungsverfahren nicht eindeutig geäußert. Zahlreiche Kommentator_innen erwarten gerade deswegen wenig Gutes. Die Akzeptanz sexueller Vielfalt dürfte am Supreme Court weiter abnehmen. Als Ausdruck des Erfolgs einer konservativen Revolution im US-amerikanischen Rechtswesen wertete Patrick Bahners die Nominierung Brett Kavanaughs bereits im Sommer 2018. Und Eugene Scott beschrieb Kavanaughs Weigerung, sich in der Senatsbefragung Anfang September zur Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe zu positionieren, in der Washington Post als eine „troubling answer“ – als eine beunruhigende Antwort.

Seine letzte mit Blick auf die Diskriminierung oder die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben zentrale Entscheidung traf das Supreme Court im Juni 2018. In Masterpiece Cakeshop v. Colorado Civil Rights Commission befand die Mehrheit der Richter_innen, dass die Bürgerrechtskommission von Colorado einen Konditor nicht wegen Diskriminierung belangen dürfe, der einem schwulen Paar die Herstellung einer Hochzeitstorte verweigert hatte. In dieser Entscheidung gab das Gericht dem Recht des Konditors auf seine religiösen Überzeugungen den Vorrang vor dem Recht des schwulen Paares auf Schutz vor Diskriminierung. In seinem lesenswerten Rezensions-Essay Melodrama and the Politics of Same-Sex Marriage zeigt Michael Amico, dass diese Opposition zwischen Religionsfreiheit und Antidiskriminierungsschutz, die für die Zukunft der Gleichberechtigung von LSBTI* Personen in den USA von zentraler Bedeutung sein wird, letztlich auf sorgfältig konstruierten emotionalen Erzählungen basiert. Auf der einen Seite steht das Recht von gleichgeschlechtlichen Paaren auf das glückliche Ende ihrer romantischen Liebesgeschichte und auf der anderen Seite das Recht der Gläubigen verschiedener Couleur auf ihren gerechten Zorn gegen und ihren Ekel vor Homosexuellen.

So gesehen geht es nun vor allem darum, welche Erzählung und welches Gefühl – Liebe oder Hass – letztlich mehr gesellschaftliche Überzeugungskraft entfalten wird. Oder gibt es auch noch einen anderen, weniger auf Kampf gebürsteten, weniger kontrastiven oder schwar-weiß-malerischen Ausweg aus der Konfrontation zwischen religiös begründeter Ablehnung und liberal gesonnener Akzeptanz sexueller Vielfalt?