Es war kein Virus, der die Planungen für die Queer Lecture im März 2020 über den Haufen warf. Es ist jedoch ein Virus, der unsere Planungen für die nächsten Monate obsolet macht. Gründe genug für eine Bestandsaufnahme der Initiative Queer Nations.


Im April hätten wir wieder zu Queer Lectures eingeladen, Eszter Kovats und Fabian Hennig mit ihren Expertisen zum Kampf gegen „Gender“ in Ungarn sowie zur Frage, weshalb es nach wie vor keine „Verhütung“ für (heterosexuelle) Männer gibt, hatten sich so gefreut wie wir uns auf sie.

Aber wir müssen die Öffentlichkeit, die Queer Nations seit 2005 mit ihren Lectures entfaltet hat, pausieren lassen: Wir fügen uns so wie viele andere Vereine und Veranstalter den in der Tat sinnvollen behördlichen Wünschen und Auflagen, die in dieser virologisch hochriskanten Zeit menschliche Versammlungen über den unmittelbar familiären Bereich hinaus – und damit sind queere Familienverhältnisse ausdrücklich mit gemeint – untersagen.

Gerade die jüngsten Queer Lectures wie etwa „Pädophilie: Verbrechen ohne Opfer?“ am 15. Januar mit Jan-Hendrik Friedrichs im neuen taz Haus an der Friedrichstraße 23 waren sehr gut besucht mit 70, durchaus eng beieinander sitzenden Zuhörenden. Wir würden die gesundheitliche Integrität unserer Mitglieder und Freund*innen riskieren, wären wir darauf aus, unser Programm stur und beharrlich weiterzuführen.

Fehlendes Maß an Respekt

Die für den März geplante Queer Lecture von Gunda Schumann zum Thema „Transgender: Geschlechtergerechtigkeit passé?“ konnte aus anderen, nicht pandemischen Gründen nicht stattfinden. Auch aufgrund unserer eigenen Hilflosigkeit in öffentlich-kommunitiver Hinsicht wurde diese Veranstaltung mit einem Text angekündigt, der als transfeindlich und als verächtliche Äußerung über eine bestimmte Gruppe von Menschen verstanden werden konnte und musste.

Verschiedene Seiten reagierten auf diese Ankündigung mit scharfer, überwiegend uns einleuchtender Kritik, auch wenn die Tonlage etlicher Angriffe gegen die Ankündigung des Vortrags von Gunda Schumann – die inzwischen ihre Bereitschaft zur Queer Lecture zurückgezogen hat – das nötige Maß an Respekt, das die Kritiker*innen selbst einfordern, vermissen ließen.

Wir als Vorstand der Initiative Queer Nations bedauerten daraufhin in einer öffentlichen Stellungnahme dieses Missverständnis und betonten, dass uns nichts ferner liegt als die Diffamierung von Transpersonen, die uns als Mitstreiter*innen immer willkommen waren, sind und sein werden. Wir wollen kontroverse Debatten ermöglichen, aber auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung.

Neue Lectures nach der Sommerpause

Deswegen wollen wir Fragen, die sich aus bestimmten radikal-feministischen Perspektiven auf das Thema Transgender ergeben, auch weiterhin diskutieren. Wir denken, dass sich durchaus konstruktive Antworten finden lassen: Wie lässt sich die Vervielfältigung geschlechtlicher Identitäten mit einer an der Unterscheidung von Mann und Frau orientierten Gleichstellungspolitik verbinden? Darüber möchten wir weiterhin gerne in angemessener Form debattieren, wenn sich die Aufregung über die ursprünglich geplante Queer Lecture etwas gelegt hat.

Das heißt: Wir halten aus diesem Grund sowie wegen der aktuellen Corona-Krise inne – und haben unsere Vortragenden eingeladen, ihre Expertisen mit dem Ende der Sommerferien in unsere öffentliche Arena zu tragen: Neben Eszter Kovats und Fabian Hennig sind dies Götz Wienold und der Schriftsteller Stephan Wackwitz, die einen Abend zu einem legendären deutschen Autor veranstalten werden: „Der queere Hölderlin“.

Monty Ott wird darüber hinaus eine Lecture halten, in der er ausführt, warum der Intersektionalitätsbegriff Jüdisches ausschließt und damit den Blickwinkel auf antisemitische Weltbilder verstellt; Aaron Lahl wiederum wird zu einer Relektüre Herbert Marcuses einladen – und fragen, was es mit der Kategorie der „repressiven Toleranz“ heutzutage auf sich hat; Viktoria Preis wird außerdem über „Angst (vor) der Psychoanalyse“ sprechen – mit Überlegungen zum Vorwurf der Homosexuellenfeindlichkeit in dieser von Sigmund Freud begründeten Subjektwissenschaft.

Die neue Ausgabe des Jahrbuch Sexualitäten kommt

Mit diesem Programm zeigen wir, dass es Queer Nations nicht darum geht, einer wissenschaftlichen oder ideellen Richtung allein Raum zu geben – bei uns kommt zur Geltung, was uns interessant scheint und was neu zu denken und wahrzunehmen lohnen könnte.

Wir können dies in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie nur eingeschränkt tun – wir bedauern dies sehr.

Im Juli erhalten alle Mitglieder die in diesen Tagen gerade redaktionell fertig betreute neue Ausgabe des „Jahrbuch Sexualitäten“, auf dem Cover und in dem „Jahrbuch Sexualitäten“ selbst Arbeiten des schwulen Zeichners Ralf König, der im August seinen 60. Geburtstag feiert. Ob es einen Release-Abend zum neuen „Jahrbuch Sexualitäten“ geben wird, können wir aktuell nicht wissen.

Wir gehen indes in gewisser Weise schon jetzt davon aus, dass die längst in intensiver Vorbereitung befindliche CSD-Saison in diesem Jahr ausfallen muss. Immerhin, mittelironisch angefügt, geschieht dies weder aus homo- oder transphoben Gründen, sondern weil diese Epidemie allen Rücksichtnahme abverlangt.

Ihnen und Euch alles Gute – vor allem gute Gesundheit!

Der Vorstand von IQN e.V.


Titelbild: Unsplash/Marcus Lenk