Der Philosoph Dr. Karsten Schubert von der Universität Freiburg, sprach in seiner Queer Lecture über „PrEP ändert Sex – Schwule Subjektivität, Biopolitik und Demokratie“. IQN-Gastautor Dr. Torsten Flüh hat die Lecture gehört.


Freitag, am 7. Februar 2020, hielt der Freiburger Philosoph Dr. Karsten Schubert seine äußerst gut besuchte Queer Lecture im taz-Neubau in der Friedrichstraße. Sein Thema betrifft alle Schwule, die Sex mit männlichen, menschlichen Körpern haben.

Das muss so formuliert werden, weil es heute ja auch Virtual Reality gibt, die nicht nur in Pornos auf die eine oder andere Weise in die Handlungen und Orgasmen eingebaut wird. Dating-Apps und Chats haben sich seit gefühlten Hundertjahren über nicht nur schwule Sexualpraktiken gelegt, um das Sexualleben in Pics, Icons und Schwanzlängen, PrEP-Usern und PrEP-Combats zu verdaten.

Nina Q. und die BILD

PrEP ist die Abkürzung für „Pre-exposure prophylaxis“ (Präexpositionsprophylaxe). Was heißt das hier für die avisierte Fragestellung? PrEP ist die Pille davor, mit deren pharmakologischem Support das Sexwesen sich keine HIV-Infektion zuzieht.

Karsten Schubert eröffnet seinen Vortrag mit einem Bild der „BILD“-Kolumnistin Nina Queer, die ganz im konservativ, bürgerlich-nichtbildungsbürgerlichen Sozialsprech verhaftet ist. In „BILD“ titelte sie Ende Oktober 2019: „Freie Fahrt für wilde Nutten – ‚So gefährlich ist PrEP!‘“ Das Ausrufezeichen ist wichtig, weil es vor allem einen Befehl markiert.

Nina Queer sei ein Familienmensch und befürchtet, dass ihre Familie dann von anderen sexuellübertragenen Krankheiten (STDs) wie Syphilis, Tripper, Herpes und Pilzen infiziert wird. Und wenn die Syphilis nicht entdeckt wird, dann gibt es „schwere Gehirnschäden“.

Pharmaindustrie liegt mit im Bett

Der queere „BILD“-Alarmismus von Nina Queer dient Karsten Schubert als Einstieg in eine Theoriediskussion in den queeren Sozialwissenschaften, die in den USA besonders engagiert geführt wird. Es geht nämlich um Biopolitik und wie die gestaltet werden soll. Den Begriff der Biopolitik hat Michel Foucault für seine Geschichte der Sexualität seit Anfang der 70er Jahre entwickelt.

Foucault interessierte die Frage, wie seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein Wissen über die Sexualität herausgebildet, wie dieses das Sexualverhalten durch Bestrafung und Belohnung reguliert und die Menschen danach ihre Sexualpraktiken ausgerichtet haben. Er hat also genau nach dem Ausrufezeichen bei Nina Queer gefragt. Wie kann Sie so etwas formulieren?

Karsten Schubert arbeitete nun erst einmal heraus, dass „PrEP“ Biopolitik ist, weil die Pharmaindustrie mit den neuen Medikamenten das Sexualverhalten insbesondere unter Homosexuellen mit wechselndem Geschlechtsverkehr verändere. Was als neue Freiheit nach dem Zeitalter von AIDS und des Kondoms als Infektionsverhütung wahrgenommen wird, unterwirft jeden Prep-User zugleich den kapitalistischen Interessen der globalen Pharmaindustrie und ihren Anteilseigner:innen.

„Unlimited Intimacy“ vs. „Vital Politics“

Wer sich Prep nicht leisten kann, bleibt draußen oder wird krank. Zugleich gefährde, so Tim Dean, Sozialwissenschaftler in den USA, Prep die „Unlimited Intimacy“ der Barebacking Community als subversive, quasi anti-kapitalistische soziale Form. Tim Dean lehne in seiner Govermentalitätsanalyse Prep als Macht ab. Dagegen hat sich sein Kollege Nicolas Rose mit seinen „Vital Politics“ mit einem demokratischen Modell gewendet. Durch Selbstorganisation einer „biologischen Bürgerschaft“ könnten sich die Gegensätze zwischen Natur und Kultur, normal und pathologisch, Krankheitsbehandlung und Körperoptimierung auflösen.

Karsten Schubert plädiert für eine demokratische Aushandlung des Sexualverhaltens und sieht Prep nach genauer Überprüfung aller medizinischen Argumente als eine Chance für eine Demokratisierung der Schwulen-Community. Seine genaue und detailreiche Argumentation wird im im Juli 2020 erscheinenden „Jahrbuch Sexualitäten“ nachgelesen werden können.

Text: Dr. Torsten Flüh


Titelbild: Unsplash/Taras Chernus