Der Sammelband Einfach selbst bestimmt.Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen will über die Notwendigkeit des Selbstbestimmungsgesetz aufklären. Versprochen wird, dies differenziert und unaufgeregt zu tun. Leider ist das im Ergebnis nicht gelungen.

Bereichert das rezensierte Buch die eigene Bibliothek? (Foto von Luisa Brimble auf Unsplash).

Till Randolf Amelung | 27. September 2024

Julia Monro und Janka Kluge, zwei Transaktivistinnen aus dem Umfeld der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V., haben einen Sammelband herausgegeben, der laut Verlagsbeschreibung „ein differenziertes und unaufgeregtes Bild“ vom „Leben jenseits der Geschlechternormen“ entwerfen will. Zusammen mit 13 weiteren Autor*innen wollen Monro und Kluge in 19 Beiträgen „sachlich auf die Auseinandersetzung um das geplante Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) reagieren“.

Bemerkenswert am Rande ist, dass der Sammelband der beiden Transaktivistinnen im KiWi-Verlag erscheint, der zwei Jahre zuvor den Sammelband von Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer und Chantal Louis publizierte und damit gerade bei Transaktivist*innen für Empörung sorgte. Petra Weitzel, die Vorsitzende der dgti e.V., schrieb in diesem Sinn einen Werbebeitrag auf der Vereinswebsite: „Er möchte ein differenziertes Bild von dem schaffen, was jenseits der Geschlechternormen liegt und kann so dem diffamierenden Sammelband von Alice Schwarzer und Chantal Louis, der im selben Verlag erschienen ist, entgegentreten.“ 

Selbstbestimmungsgesetz erntet harsche Kritik

Das Selbstbestimmungsgesetz, dass nun zum 1. November 2024 in Kraft treten wird, sorgt aus mehreren Gründen für harsche Kritik. Die wichtigsten Gründe sind: Erwachsene können auf dem Standesamt eine Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags vornehmen. Es findet keine Überprüfung statt, ob man tatsächlich zur Personengruppe gehört, für die das Gesetz gedacht ist. Gerade Frauen fürchten, dass Räume sowie Angebote für biologische Frauen in ihrer Existenz gefährdet sind.

Minderjährige können mit ihren Eltern diese Änderungen vornehmen, auch hier ist keine Überprüfung oder Beratung vorgesehen, ob dieser Schritt dem Kindeswohl am besten entspricht. Dabei zeigen die jüngsten Entwicklungen um die S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung“, dass es erhebliche Kontroversen darum gibt, als wie gesichert ein Transitionsbegehren im Kindes- und Jugendalter angesehen werden kann. Die medizinische Evidenzbasis für frühe identitätsbestätigende Maßnahmen erweist sich als schwach. Vor allem im Ausland setzt deshalb bereits ein Umdenken ein.

Wie verhalten sich Texte des Sammelbands zu diesen Einwänden? Alle Beiträge wehren kritische Punkte an einem Selbstbestimmungsgesetz oder dem gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen in toto ab. Zudem wird jede Kritik in die Nähe von Rechtsextremismus und Rückständigkeit gestellt. Der Zustand der Debatte und der transaktivistischen Positionen lässt sich beispielhaft an drei ausgewählten Beiträgen dieses Sammelbands demonstrieren.

Selbstbestimmungsprinzip als einzig richtiger Weg

Das Prinzip des Selbstbestimmungsgesetz, Änderungen des Vornamens und Geschlechtseintrags, ohne jedweden Plausibilitätsnachweis zu ermöglichen, wird durchweg als einzig richtigen Weg dargestellt. In ihrem Essay Der lange Weg zur Selbstbestimmung, der exemplarisch die Auffassung im zeitgenössischen Transaktivismus widerspiegelt, fragt die Aktivistin Nora Eckert in dramatisch anmutender Pose: Warum aber erst vierundsiebzig Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes? Warum erst jetzt die Verwirklichung elementarer Menschenrechte, wie sie die ersten drei Artikel unserer Verfassung formulieren, dem unbestritten Wertvollsten unserer Rechtsordnung?“

Eckert schreibt folgerichtig, dass das Selbstbestimmungsgesetz Ausdruck eines Paradigmenwechsels ist, „der darin besteht, der Geschlechtsidentität eines Menschen (alle Menschen besitzen eine solche, auch wenn es manche leugnen) bei der Frage nach der Geschlechtszugehörigkeit den Vorrang zu geben.“ Dies bedeute eine „überfällige Anerkennung von Lebenswirklichkeiten“.

Janka Kluge, Julia Monro (Hg.): Einfach selbstbestimmt. Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen, Köln: Kiepenheuer & Wisch 2024, ISBN: 978-3-462-00585-1, 304 Seiten, broschiert, 15 Euro.

Beschränkungen durch biologische Geschlechtsdefinition inakzeptabel

In ihren weiteren Ausführungen macht Eckert klar, dass dem Selbstbestimmungsprinzip in jedem gesellschaftlichen Bereich Vorrang einzuräumen sei. Einschränkungen, wie z.B.  in verschiedenen Sportarten durch Testosteronobergrenzen sind für sie nicht akzeptabel: „Fakt ist jedoch, egal um welches Merkmal es geht, jeder Versuch, natürliche Merkmale zu normieren, ist auch immer ein Versuch, die Menschen in unterschiedliche Kategorien einzuteilen. Und es ist immer ein Versuch von Menschen, die in der Mehrheit sind, über das Leben einer Minderheit zu entscheiden. Sie wollen über die Natur anderer entscheiden. Sie versuchen, fremdzubestimmen. In anderen Worten: sie versuchen, zu herrschen.“ Triftige Gründe für Regelungen und Unterscheidungen werden erst gar nicht seriös in Erwägung gezogen.

Kritik kann nur transfeindlich sein

Diese Herangehensweise findet sich auch im Text Verschwörungsmythen in der politischen Kommunikation — Begriffe und Widerstände — Transfeindlichkeit entlarvt der Herausgeberin Julia Monro. In diesem will sie entlarven, dass alle Kritik auf Transfeindlichkeit zurückzuführen sei. Monro behauptet beispielsweise: „So wird gut gemeinten progressiven Vorhaben schnell »Cancel Culture« unterstellt, sobald sie Gleichberechtigung verlangen. Der Fokus wird bewusst und auf heimtückische Art verlagert: Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt und die gesellschaftliche Benachteiligung wird relativiert oder gar vollständig geleugnet.“ Hier gibt sie nicht nur eine irreführende Darstellung von „Cancel Culture“, sondern versäumt es auch, konkrete Beispiele für Kritik zu bringen. Stattdessen will sie suggerieren, dass offenbar unbegründet „Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderungen dieser Minderheit“ aufkommen. Für Monro ist dies nur so erklärbar: „Aber eine privilegierte Mehrheit gibt von ihrem Wohlstand ungerne etwas ab.“

Schließlich kommt Monro zu Personen und Organisationen, die trans- und queeraktivistische Begriffe und Positionen aus verschiedenen Hintergründen kritisieren. Dabei setzt sie die Kritik der konservativen Publizistin Birgit Kelle und des Vatikans an „Gender“ mit der von Lesben und Schwulen gegründeten LGB Alliance gleich. Während es Kelle und dem Vatikan um das christliche, heteronormative Familienbild geht, stehen für die LGB Alliance die Negierung des biologischen Geschlechts als Grundlage für sexuelles Begehren sowie ein unkritischer Umgang mit medikamentösen Transitionsmaßnahmen wie Pubertätsblockern bei Minderjährigen im Vordergrund. Doch so viel Sorgfalt in der Differenzierung nimmt Monro nicht vor.

Störende Detransitioniererin

Im deutschen Ableger der LGB Alliance sei auch die deutsche Detransitioniererin Sabeth Blank aktiv, die inzwischen mehrfach in Medien über ihre Erfahrungen berichtete. Monro ätzt gegen die junge Frau und verweist darauf, sie habe „Ratschläge der trans*Community ignoriert, sich nicht an die vorgeschriebenen Therapien gehalten und nach Alternativen gesucht, um Hormontherapie und Brust-Operation vorzeitig durchzuführen.“  Monro wäre gut beraten, sich zu fragen, ob alle in der „trans*Community“ nur den vorgeschriebenen Weg empfehlen oder wie Blank überhaupt auf die Idee kam, Abkürzungen zu nehmen. Wer sich jahrelang im Transaktivismus tummelt, dürfte schon auf den Begriff „Zwangstherapie“ gestoßen sein, mit dem die für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung obligaten Psychotherapiesitzungen geschmäht werden.

Stattdessen beklagt sich Monro in ihrem Essay, dass Detransition immer häufiger als Argument gegen das Selbstbestimmungsgesetz verwendet werde und zunehmende Medienberichterstattung dazu geführt habe, dass ein Übereilungsschutz im Selbstbestimmungsgesetz integriert worden sei. Aus Sicht der Aktivistin sei das nicht fachlich fundiert, da das Gesetz mit medizinischen Maßnahmen nichts zu tun habe. Dies ist ein beliebtes aktivistisches Argument, was aber bewusst ignoriert, dass jede Maßnahme den Weg zu einer anderen verfestigen kann.

Genozidvorwurf aus zweifelhafter Quelle

Stattdessen fährt Monro nun ein schweres Geschütz auf und verweist darauf, dass das US-amerikanische Lemkin Institut für Genozidprävention die gesamte gender critical (GC)-Bewegung sogar als faschistisch eingestuft habe.

Hier sind nun mehrere Aspekte klärungsbedürftig: als „gender critical“ werden Personen bezeichnet, die trans- und queeraktivistische Inhalte kritisieren, teils auch sogar ablehnen. Unter dieser Sammelbezeichnung finden sich Konservative, Rechtsextreme, aber auch Homosexuelle und Feministinnen. Von einer homogenen und einheitlichen Bewegung kann nicht die Rede sein. Auch die von Monro angeführte Referenz, das „Lemkin Institut für Genozidprävention“, ist eine nähere Betrachtung wert. Der ehrenwerte polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin, der den „Völkermord“-Begriff maßgeblich prägte, hat mit diesem erst 2017 gegründeten Institut nichts zu tun. Wie es um die Seriosität dieser Quelle steht, davon zeugen die willkürliche Behauptung eines „Anti-Trans Genocide“ sowie die Behauptung, Israel verübe einen Genozid gegen die Palästinenser.

„Frauenschutzraum“ als manipulativer Begriff

Doch Monros Text gewinnt im weiteren Verlauf nicht an Substanz, aber nun zumindest benennt sie einige Streitpunkte um das Selbstbestimmungsgesetz, so zum Beispiel Kritik von Frauen, ihre Schutzräume würden gefährdet. Monro dazu: „Besonders gefährlich ist die Umdeutung von WCs und Umkleidekabinen zu »Schutzräumen« und die Behauptung, dass mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz eine Gefahr für Frauen entstünde.“ Für Monro ist bereits der Begriff „Frauenschutzraum“ manipulativ, denn: „Männer betreten Frauen-WCs auch heute schon und das ganz ohne Selbstbestimmungsgesetz.“ Als Beispiel führt sie Väter, die ihr Baby wickeln müssen, an. Zunächst einmal hat kaum eine Frau etwas gegen diese Gruppe Männer einzuwenden, wobei sich in den meisten Fällen der Wickeltisch im barrierefreien WC befindet, was ohnehin unisex ist.

Doch Monro setzt ihre zweifelhafte und faktenarme Argumentation fort: „Mit der Verwendung des Begriffs »Schutz« werden Lesende bewusst getäuscht. Denn ein WC oder eine Umkleidekabine sind nicht dafür gedacht, Menschen vor Gewalt zu schützen.“ Interessanterweise ist es in der internationalen Entwicklungsarbeit ein Baustein, nach Geschlecht getrennte Toiletten zu errichten, um eben Frauen mehr Schutz zu bieten. In diesem Stil werden noch weitere Kritikpunkte der Gegenseite werden von Monro aufgegriffen, aber nicht redlich wiedergegeben.  

Autorin beriet Böhmermann-Redaktion

Schließlich kommt Monro auf Finanznetzwerke religiös-fundamentalistischer und rechtsextremer Akteure zu sprechen, die mit 700 Millionen Dollar angegeben wird. Dem stellt sie gegenüber, dass es keine von diesen Kreisen behauptete „Genderlobby“ gebe, da Transpersonen nur etwa 0,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ausmachten und überproportional viele arbeitslos seien. Allerdings unterschlägt Monro, dass in westlichen Ländern in den letzten 10 Jahren deutlich mehr Fördermittel von staatlicherseits oder von Stiftungen in LGBTI-Projekte und Organisationen geflossen sind.

Ob diese Förderung an die 700 Millionen Dollar der Gegner heranreicht, müsste addiert werden, aber LGBTIQ-Vereine sind keine „armen Hascherl“ ohne jedwede Förderung und Einfluss, wie Monro suggerieren möchte. Ohne sich des Widerspruchs zu ihren vorherigen Ausführungen bewusst zu sein, brüstet sie sich zum Schluss mit ihrer Beteiligung an der Folge der Böhmermann-Show „ZDF Magazin Royale“, die sich mit Transfeindlichkeit beschäftigt hat. Diese Sendung stand in Substanzlosigkeit und Unredlichkeit in der Auseinandersetzung mit Kritik am Transaktivismus Monros Text in nichts nach.

Zerrbilder der Kritik

In die aktivistischen Fragwürdigkeiten reiht sich auch das dritte Beispiel, der Essay der Psychotherapeutin Sabine Maur ein. In »Ich möchte einfach nur mein Leben leben« — Erfahrungen aus der Psychotherapie mit trans*Kindern und Jugendlichen verteidigt sie den gender-affirmativen Ansatz bei Kindern und Jugendlichen gegen die zunehmende Kritik. Zunächst aber leitet sie ihren Text mit der Feststellung ein, dass in der aktuellen Debatte Zerrbilder von Transpersonen gemalt würden und malt wiederum ihrerseits Zerrbilder von vermeintlichen Positionen ihrer Kritiker*innen. So behauptet Maur: „Unterstellt wird dabei, dass trans*Menschen sozial und geschlechtlich transitionieren, um andere gefährden zu können bzw. um die »Genderideologie« und ihre (vermeintliche) »internationale Macht« auszubauen.“ Belege, wo solcherlei gesagt oder geschrieben wurde, werden nicht angegeben.

Schließlich konstatiert sie: „Wir haben durch die Coronapandemie schmerzlich lernen müssen, dass keine Verschwörungstheorie zu absurd und kein rabbit hole zu tief ist, als dass Menschen nicht darin voll tiefster Überzeugung verschwinden könnten, völlig immun gegen Fakten und emotional aufgeladen genug, (politisch) aktiv zu werden und im Zweifelsfall auch noch mit Rechtsextremen an einem Strang zu ziehen.“

Manipulatives Framing von Kritik als „rechts“

Damit setzt die Autorin, die hier offenbar mehr Aktivistin, als Psychotherapeutin ist, die Stimmung, indem sie jede Kritik in die Nähe von Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus rücken will. Entsprechend fährt Maur in ihrem Text fort und behauptet, dass Medien „False Balance“ betreiben, „empathie- und erfahrungsfrei vor sich hinschwurbeln“ und „medizinische Außenseiterpositionen durchreichen“ würden. Außerdem werde „Biologismus auf Grundschulniveau propagiert“. Auch hier bleibt sie Belege für die angeprangerten Verfehlungen schuldig.

Wer die Debatten um den medizinischen Umgang mit geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren verfolgt hat, ahnt, dass Maur auf kritische Feministinnen und Ärzte wie den Münchener Psychiater Alexander Korte anspielen will. Diese Feministinnen, darunter Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, weisen darauf hin, dass mit einem Selbstbestimmungsgesetz eben gar nicht mehr nach den Motiven für einen Wechsel des Geschlechtseintrags gefragt wird oder in den letzten Jahren die Zahl biologisch weiblicher Teenager mit Transitionsbegehren enorm zugenommen hat. Der Mediziner Korte wiederum, weist auf die ungeklärten Risiken bei der zum gender-affirmativen Ansatz gehörende Behandlung mit Pubertätsblockern hin.

In allen skandinavischen Ländern und in Großbritannien ist man in den letzten Jahren nach eigener Prüfung der Evidenzbasis für den gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen zu dem Schluss gekommen, dass diese ungenügend ist. Daher sind Pubertätsblocker bei Minderjährigen in diesen Ländern zumeist nur noch im Rahmen von klinischen Studien zugelassen. Eines dieser skandinavischen Länder ist Schweden. Zuletzt berichtete der schwedische Psychiater Sven Roman in einer Expertenanhörung vor dem US-amerikanischen Supreme Court im Rahmen des Prozesses gegen gesetzliche Einschränkungen von gender-affirmativen Behandlungen bei Minderjährigen im Bundesstaat Tennessee, wie es zur Kehrwende in seinem Land kam.

Diese Entwicklungen lassen die von Maur so geschmähten „Außenseiterpositionen“ nicht mehr als solche erscheinen. Daher vermeidet sie es, diese konkreter zu erwähnen. Stattdessen beklagt sie: „Es verstärkt den Minoritätenstress von trans*Menschen und beeinflusst ihre psychische Gesundheit negativ. Es spielt denjenigen in die Hände, deren politische Agenda durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bestimmt wird.“

Auseinandersetzung mit Kritik am gender-affirmativen Ansatz fehlt

Nun ist Maur zumindest dahingehend zuzustimmen, dass ein öffentlicher Diskurs respektvoll sein sollte, doch Kritik am gender-affirmativen Ansatz ist nicht automatisch diskriminierend. Allein in diesem Jahr sind weitere Publikationen erschienen, die die Berechtigung dieser Kritik erhärten. Hervorzuheben ist zum Beispiel des Abschlussbericht von der britischen Pädiaterin Hilary Cass, die die Behandlungsqualität des mittlerweile abgewickelten Gender Identity Developement Service (GIDS) der Londoner Tavistockklinik untersuchte. Der GIDS behandelte nach dem affirmativen Ansatz und ignorierte ebenfalls jahrelang Warnhinweise, bis es schließlich nach dem Gerichtsprozess der ehemaligen Patientin und Detransitioniererin Keira Bell zur unabhängigen Untersuchung durch Cass kam.

Ebenfalls 2024 veröffentlichten deutsche Psychiater um Florian D. Zepf eine Übersicht zur Evidenzlage bei Pubertätsblockern, die an britische Arbeiten von 2020 anknüpft und feststellt, dass die Studienlage sich nicht verbessert hat. International Aufsehen erregten zudem die sogenannten WPATH-Files, Auszüge aus internen Chats von Mitgliedern der World Professional Association for Transgender Health, in denen deutlich wurde, dass auch dort die teils erheblichen Risiken des Ansatzes mit Pubertätsblockern und gegengeschlechtlichen Hormonen bekannt sind. In Fachkreisen sorgte auch eine Studie für Diskussionen, die bei biologischen Jungen schon nach kurzer Zeit durch Pubertätsblocker beeinflusste Gewebeveränderungen in den Hoden nachwies, die irreversibel sein können.

Es gäbe also einiges aufzuarbeiten, anstatt weiterhin jedwede Kritik braun anzumalen oder mit dem Etikett der irrationalen Verschwörungsideologie zu versehen. Doch diese Chance verpasst nicht nur Sabine Maur in ihrem Beitrag, sondern der gesamte Band.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.