Koschka Linkerhands neuer Essayband entsexualisiert Lesbischsein

In „Feministisch streiten 2“, ihrem neuen Sammelband, wirbt Koschka Linkerhand für Definitionen von „Frau“ und „lesbisch“, die mit den Dogmen des queeren Transaktivismus im Einklang zu stehen haben. IQN-Autorin Chantalle El Helou erläutert, warum dieses Vorhaben grotesk ist.

Das war auch auf dem diesjährigen Dyke* March Berlin unerwünscht: Ein klares Bekenntnis zur lesbischen Sexualität (Foto: Güleren E.)

16. Oktober 2024 | Chantalle El Helou

Ein Zitat Koschka Linkerhands bringt den Zustand desjenigen Feminismus, für den auch diese Autorin einzustehen bereit ist, auf den Punkt. Ihr geht es um eine Harmonisierung mit den ideellen Grundlagen des Transaktivismus: „Manchmal kommt sich eine cisweibliche Feministin im selben Raum mit schillernden Drag Queens und trans Frauen, die ihre Schönheit zelebrieren und sich politisch artikulieren, wie eine graue Maus vor. […] Warum erfährt diese andere Frau so viel politische und erotische Aufmerksamkeit? Hier wäre es kein guter Ausweg, der Schillernden ihre Weiblichkeit abzuerkennen, sich selbst als richtige Frau zu setzen und dabei in transfeindliche Ressentiments zu flüchten“ (Linkerhand 2023, S. 16). Immerhin: Dass burschikose Frauen hässlich, frustriert und missgünstig sind, darin sind sich sowohl Feministen als auch Antifeministen einig.

Ein als gemeinsam unterstelltes Leiden an der biologischen Binarität soll Ausgangspunkt sein, von feministischen Grunderkenntnissen und Kritiken abzuweichen und sich auf die Forderungen des Transaktivismus zuzubewegen. Konkret heißt das bei Linkerhand eine Neudefinition von Homosexualität und des Frauseins.

Linkerhands Geschlechtsbild

Linkerhand möchte den Frauen weismachen, dass die Leugnung der geschlechtlichen Binarität auch in ihrem Interesse wäre und arbeitet dafür vor allem mit Pappkameraden: „Die ‚volle Identifikation‘ mit einem Geschlecht und einem Geschlechtscharakter weist keinen Weg zur Befreiung, sondern richtet sich letztlich immer projektiv gegen Andere“ (Ebd., S. 12). Die Kritik am Transaktivismus wäre außerdem das „autoritäre Beharren auf einem Identischsein mit der Weiblichkeit […]“ (Ebd., S. 15).

Dass die Einsicht in die eigene Geschlechtlichkeit auf der projektiven Abgrenzung des Selbst vom Anderen beruhen würde, ist eine bloße Setzung Linkerhands, in der die Möglichkeit, eine Frau zu sein, ohne sich damit zu identifizieren, ausgeschlossen ist. Die Umstände des Frauseins als Frau zu kritisieren, setzt jedoch voraus, dass keine „volle Identifikation“ mit den sexistischen Geschlechtscharakteren stattgefunden hat.

Für Linkerhand besteht indes das Frausein als auch das Mannsein in der Harmonisierung mit dem sexistischen Stereotyp: Die Aussage, dass „männlich gemeinte Sozialisation auf ein Kind treffen kann, das trotz Penis und Hoden nicht die Möglichkeit hat, zum Mann zu werden, sondern vielmehr zur Frau wird […]“ (Daria Majewski 2018, zitiert nach Linkerhand 2023, S. 8, Hervorheb. i.O.), unterstellt, dass es Menschen gibt, die der geschlechtlichen Anforderung total entsprechen, eine „volle Identität“ aufweisen und das diejenigen, die das nicht tun, auch keine Männer bzw. Frauen sind, es also in Harmonie lebende stereotyp-männliche Männer und stereotyp-weibliche Frauen gibt. Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, würde das auch bedeuten, dass „binäre“ Menschen nicht unter geschlechtlichen Rollen leiden, schließlich verwirklicht sich in ihnen die geforderte Stereotyp-Werdung.

Wieso ist Linkerhand dann aber als Frau – ihrer Definition nach ein Mensch, bei dem die weiblich gemeinte Sozialisation  fruchtete – selbst zur Kritik an sexistischen Verhältnissen in der Lage? Eine Kritik würde schließlich die Differenz einer Frau – also eines bereits geschlechtlichen Wesens – zu der potenziellen Bedeutung ihrer Geschlechtlichkeit in einer sexistischen Gesellschaft voraussetzen. Die Antwort ist, dass Linkerhand die Distanz zwischen dem konkreten Frausein und dem Klischee annehmen muss, ohne ihre Herkunft begründen zu können. Sie muss stillschweigend die Nichtidentität der Frau mit dem Klischee über die Frau voraussetzen – was bedeutet, dass auch für Linkerhand eine vorgesellschaftliche, eine körperliche Frau existiert.

Koschka Linkerhand: Feministisch streiten 2, Berlin: Querverlag 2024, ISBN: 978-3-89656-348-4, 240 Seiten, broschiert, 20 Euro.

Um nun aber ihren Schlag gegen die biologische Binarität auszuführen, muss sie die Ermöglichungsbedingungen ihrer eigenen Kritik leugnen und ihre Annahmen verleumderisch gegen andere richten. Nicht sie selbst, sondern die anderen würden die Geschlechterzwänge reproduzieren: „Das Beharren auf Binarität verlangt eine geschlechtliche Eindeutigkeit, die die Geschlechterzwänge des kapitalistischen Patriarchats wiederholt“ (Linkerhand 2023, S. 11).

Tatsächlich ist es gerade die Behauptung, es gäbe kein biologisches Geschlecht, die die Geschlechterzwänge reaktiviert. Wenn Geschlecht nichts Materielles ist, dann ist Geschlecht zwangsläufig nicht außerhalb des geschlechtlichen Stereotyps denkbar. Wenn man danach fragt, was eine Frau ist, zur Beantwortung dieser Frage aber nicht mehr auf den Körper referieren kann, bleibt nur die Antwort: Eine Frau ist das, was die sexistische Gesellschaft darunter versteht. Dann sind nur noch die Geschlechterzwänge geschlechtlich.

Die Behauptung, dass „Binarität […] Weiblichkeit und Männlichkeit als zwei säuberlich voneinander getrennte, übergangslose Phänomene“ (Ebd.) setzt, ist unbegründet fatalistisch. In ihrer Vorstellung hat die biologische Binarität des Geschlechts zwangsläufig polare Geschlechtscharaktere zur Folge, sie kann sich die Binarität nicht mit anderen oder ohne Folgen vorstellen. Deswegen dürfen die Körper nicht binär sein. Was hier als Vorwurf an die sogenannten Radikalfeministinnen gedacht ist, zeugt von Linkerhands eigener Verwirrtheit: Nicht der gesellschaftliche Umgang mit der binären Differenz der Körper gilt ihr als diskriminierend, sondern die Differenz selbst, weswegen diese geleugnet werden muss.

In diesem Sinne betreibt Linkerhand selbst Biologismus. Ihre Annahme ist: Wäre der Geschlechtskörper binär, hätte diese Binarität auch totale Wirkungsmacht.

Die Wiederkehr des Phallozentrismus

Damit aber nicht genug: Die Versöhnung mit dem Transaktivismus erfordert auch die Erledigung der Homosexualität. Linkerhand bemängelt, dass es im transkritischen Feminismus nicht vorrangig um die Feier von Vulven, sondern „um die Abwehr der Penisse von trans Frauen […]“ ginge (Ebd., S. 7). Warum Penisse nicht abgelehnt werden dürfen, ist fraglich: Lesbischsein heißt immerhin nicht nur einen sexuell-positiven Bezug zu Vulven zu hegen, sondern Penisse abzulehnen.

Die Lesbe begehrt ja nicht nur auch Frauen neben Männern, sondern ausschließlich Frauen. Die Frauen, die beides begehren, nennt man Bisexuelle. Die Lesbe steht dem männlichen Körper auch nicht neutral gegenüber. Im Phänomen der weiblichen Homosexualität ist die sexuelle Anziehung zum weiblichen Körper genauso inbegriffen wie die Ablehnung des männlichen. 

Linkerhand hat aber ihren Ausführungen entsprechend einen „[…] großen Widerwillen dagegen, Lesbischsein auf den expliziten Ausschluss von Männern oder trans Frauen zu gründen. Ich möchte es auf Lust gründen und ein offenes und lebendiges Zugehen auf Menschen und auf die Welt. Ich möchte es auf Neugier und ein Begehren gründen, das in erster Linie anderen Frauen gilt und möglichst frei ist von heteronormativen, frauen­- und sexualfeindlichen Beschränkungen; ein Begehren, das durchlässig ist in Richtung Sympathie, Freundschaft, spannende Alltagsbegegnungen, politische und kollegiale Zusammenarbeit“ (Linkherhand 2024, S. 331f.).

Weltoffenheit ist gut und schön. Weder ist aber eine unbeschränkte Sexualität notwendige Bedingung für Weltoffenheit noch ist das umgekehrt der Fall (Feddersen 2018, S. 184 f.). Für das Phänomen der Weltoffenheit gibt es bereits einen Begriff, nämlich „Weltoffenheit“ und keinen Grund, dasselbe Phänomen nun „lesbisch“ zu nennen.

Vergeistigung des Lesbischen

Damit das Lesbischsein möglichst inklusiv ist, muss es alles beinhalten, außer der Sexualität. Linkerhand betreibt hier die für ihr Projekt der Transinklusion notwendige Entsexualisierung des Sex: „Mit einem solchen weit offenen Sinn für Liebesobjekte will ich mein weibliches Begehren verstehen […]“ (Ebd., S. 332) – und genau das ist es; die Reproduktion der Erzählung vom Weibchen. Offen und flexibel wird die Sexualität bis hin zur allgemeinsten Regung und Beziehung ausgeweitet. Exemplarisch dafür ist die Tabuisierung des sexuellen Akts selbst. Für Sex müsste man sich schließlich eine konkrete körperliche Interaktion vor Augen führen, die Linkerhands Vergeistigung des Lesbischen diametral entgegensteht.

Das Lesbischsein soll zu höherem als Sex bestimmt sein. Diese Argumentation ist so perfide, weil sie behauptet, sich selbst längst nicht mehr mit Sex und der dazugehörigen Geschlechtlichkeit abzugeben, zielt aber auf die Sexualität von Lesben ab. Der Aktivismus von Transfrauen in Lesbenräumen ist eben einer des Anspruchs gegenüber Frauen, Teil ihrer Sexualität zu sein. Lesben werden im Transaktivismus nicht ausgeschlossen, es ist ein Projekt, sich in ihre Sexualität zu inkludieren. Die Aussage „Transfrauen sind Frauen“ zielt immer schon darauf ab, eine Transfrau auch als potenzielles Objekt lesbischen Begehrens zu definieren.

Mit der Ausgrenzung von Transfrauen würde man sich somit „verschanzen […] gegen eine offene, welthaltige Auseinandersetzung“ (Linkerhand 2023, S. 11). Lesben seien verstockte Partikularisten und damit ein Hindernis auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle. Die Homosexualität muss dementsprechend für ein „utopisches feministisches Denken […]“ (Ebd., S. 15) geopfert werden – natürlich nach bestem Wissen und Gewissen, nicht zuletzt in ernster Sorge um die Lesben selbst.

Mutlose Thematisierung des Frauenkörpers

Mutlos kommen dagegen Linkerhands Forderungen einher, Frauenkörper zu thematisieren. Das ist nur folgerichtig: Wer seitenweise Text darauf verwendet, die Nichtigkeit des Körpers für Geschlechtlichkeit und Sexualität zu behaupten, gerät am Ende dieser Ausführungen gegenüber jenen in eine Bettelposition, bei denen man sich über diese Zugeständnisse Legitimität verschaffen will. Und so hofft Linkerhand, der Transaktivismus möge nicht allzu konsequent sein: „Einzubeziehen, dass nicht alle Frauen eine Vulva haben, darf nicht bedeuten, Vulven und cisweibliche Körpererfahrungen zu dethematisieren. Hier müssen die jahrzentelangen Kämpfe älterer Feministinnen, die Kategorie Frau auf allen Ebenen der Gesellschaft zu etablieren, ernstgenommen werden […]“ (Ebd., S. 16).

Warum sie vom Transaktivismus allerdings ernst genommen werden sollten, kann Linkerhand selbst nicht begründen. Es scheint: Aus Nostalgie und reinem Respekt vor dem Alter, nicht jedoch, weil die Körperlichkeit selbst von Belang wäre.

Literaturverzeichnis

Feddersen, Jan, »Es gibt kein queeres Begehren«. Jan Feddersen im Gespräch mit dem Sexualwissenschaftler Martin Dannecker, in: Jahrbuch Sexualitäten 2018, hrsg. v. Janin Afken, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf,  Göttingen 2018, S. 175-200.

Linkerhand, Koschka, Gegen das Beharren auf Binarität, 2023.

Linkerhand, Koschka, Feministisch streiten 2, Berlin 2024.


Chantalle El Helou, geb. 2000, B.A. in Politikwissenschaft, zurzeit Masterstudium in Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; auf Ideologiekritik fokussiert, Publikationen zur Kritik an Prostitution, Queertheorie und Antizionismus, engagiert im lesbischen Nachtleben Berlins.


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