Die Wiederwahl Donald Trumps hat viele im linken Spektrum schockiert. Einer von mehreren Gründen, der viele US-Wähler zu Trump trieb waren identitätspolitische Positionen der Demokraten, insbesondere zum Transthema. Das hat auch Bedeutung für uns in Deutschland.
17. November 2024 | Jan Feddersen
Der Kandidat der Republikaner in den USA, Donald Trump, hat nicht allein die meisten Wahlmänner (und -frauen) gewonnen, um am 20. Januar kommenden Jahres als 47. Präsident der USA ins Amt zu kommen. Vielmehr, und das ist der Unterschied zu seiner Wahl im Jahr 2016, hat er auch das „Popular Vote“ gewonnen. Er hat fünf Millionen mehr Stimmen erhalten als seine Rivalin Kamala Harris. Der Sieg der Republikaner überhaupt ist ein „landslight victoriy“, ein erdrutschartiger Triumph über die Demokratische Partei. Die Demokraten verfügen außerdem weder im Repräsentantenhaus noch im Senat über eine Mehrheit, im Senat büßten sie diese Majorität ein.
Sogar Minderheiten stimmten mehrheitlich für Trump
Millionen frühere Wähler Joe Bidens oder Barack Obamas haben sich diesmal für Trump entschieden – ihnen war offenkundig aufgefallen, das Kamala Harris nicht genau zu sagen wusste, für welches Programm sie steht. Auffällig: Mehr denn je haben auch Lesben und Schwule sich für Trump entschieden. Mehr noch: Die Strategie der Demokraten, millionenfach Stimmen von Minderheiten wie Hispanics oder auch schwarzen Menschen zu bekommen, ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil: Trump konnte auch in diesen Gruppen Mehrheiten für sich gewinnen..
Dieses Wahlergebnis war auch wesentlich eine Kritik an – eben an Minderheiten gerichtete – Identitätspolitiken, die sich Ausdruck verschafft hat: Gerade Hispanics oder auch schwarze Menschen entschieden sich für eine Kritik an den letzten vier Jahren, die auch von einer stark gestiegenen Inflation gekennzeichnet waren. Es ging ums Ökonomische gerade bei den materiell Nichtpriviligierten, nicht um Rassismus, Sexismus etc.
Trans als Wahlkampfthema
Woran liegt dieses Wahlergebnis begründet? In der New York Times erklärt Pamela Paul das Dilemma der Kandidatin der Demokraten:
„In den letzten Wochen des Wahlkampfs gaben die Republikaner über 65 Millionen US-Dollar für Anzeigen aus, in denen unter anderem Kamala Harris verspottet wurde, weil sie „vom Steuerzahler finanzierte Geschlechtsumwandlungen für Gefangene“ und „illegale Einwanderer“ befürwortete. Alle endeten mit Variationen des Slogans: „Kamala Harris ist forr they/them. President Trump is for YOU.“
Bei Wahlkampfveranstaltungen griff Trump die Idee an, Transgender-Mädchen und -Frauen in weiblichen Sportteams spielen zu lassen, und deutete an, dass Kinder in Klassenzimmern geschlechtsangleichende Operationen erhielten.
„Können Sie sich vorstellen, dass Sie ein Elternteil sind und Ihr Sohn das Haus verlässt„, sagte er bei einer Kundgebung in Wisconsin, ‚und Sie sagen: ‘Jimmy, ich liebe dich so sehr, geh und hab einen schönen Tag in der Schule“, und Ihr Sohn kommt mit einer brutalen Operation zurück?“
Pamela Paul fragt: „Warum haben Trump und seine Verbündeten so viel Aufmerksamkeit und Ressourcen für etwas aufgewendet, das im Vergleich zu den wichtigsten Anliegen der Wähler wie Einwanderung, Wirtschaft, Kriminalität, Abtreibung und Demokratie scheinbar nur eine kleine Anzahl von Menschen betrifft? Vielleicht, weil es funktioniert hat.“
Demokraten schweigen zu Widersprüchlichkeiten beim Transthema
Tatsächlich haben die Demokraten im Wahlkampf keine direkten Fürsprachen in Sachen Transrechte formuliert, aber es reichte dem Trump-Team, dass Harris sich in jüngerer Vergangenheit diesbezüglich positiv für die Möglichkeit aussprach, dass illegal Eingewanderte in Gefängnissen eine Transition bekommen können. Das hatte sie vor Jahren auf Druck von AktivistInnen nicht ausgeschlossen – und flog ihr und ihrer Partei nun um die Ohren.
Mehr noch schreibt Pamela Paul:
„Das Ministerium für Gesundheit und menschliche Dienste beharrt jedoch weiterhin darauf, dass eine geschlechtsangleichende Behandlung für junge Menschen „von entscheidender Bedeutung“ ist und „nachweislich die positiven Ergebnisse für Transgender- und nicht-binäre Kinder und Jugendliche verbessert“ – obwohl der umfassendste Überblick über die Forschung, in dem alle wichtigen amerikanischen und globalen Studien zu diesem Thema ausgewertet wurden, kaum Belege dafür fand. Dennoch unterstützen alle führenden amerikanischen Ärzteverbände weiterhin eine geschlechtsangleichende Behandlung.
In meiner Berichterstattung habe ich mit vielen Eltern geschlechtsdysphorischer Kinder gesprochen, die überwiegend liberal und demokratisch eingestellt sind und mir sagten, dass sie sich von den Demokraten und der Biden-Regierung in dieser Angelegenheit verraten fühlen. Sie ärgern sich darüber, als „Anti-Trans“ abgestempelt zu werden, weil sie in Frage stellen, ob es richtig ist, einfach zu akzeptieren, was ihre Kinder über ihr Geschlecht sagen, zumal diese Kinder oft unter anderen psychischen Problemen leiden.
Die Zahl der Menschen, die sich als Transgender identifizieren, ist noch immer gering, wächst aber rasant. Während Umfragen zeigen, dass sich insgesamt etwa 1 Prozent der erwachsenen Amerikaner als Transgender oder nicht-binär (d. h. sie entscheiden sich dafür, sich keinem der beiden Geschlechter zuzuordnen) identifizieren, sind es laut einer Umfrage etwa 5 Prozent der Erwachsenen unter 30 Jahren.
Politiker der Demokratischen Partei, die Medien und Eliteinstitutionen verweisen häufig auf unser „sich weiterentwickelndes Verständnis von Geschlecht und Gender“. Aber eine Mehrheit der Amerikaner glaubt immer noch, dass das Geschlecht bei der Geburt festgelegt wird.
Das liegt nicht daran, dass Amerikaner sich mit der Existenz von Transgender-Personen „unwohl“ fühlen oder sich anpassen müssen. Etwa 44 Prozent der Amerikaner kennen bereits jemanden, der Transgender ist. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Menschen fortschrittliche Ideen zur Geschlechtsidentität weniger unterstützen, je mehr sie verbreitet und verstanden werden. Laut Pew gaben 60 Prozent der Amerikaner im Jahr 2022 an, dass das Geschlecht durch das Geschlecht bei der Geburt bestimmt wird, gegenüber 54 Prozent im Jahr 2017. Laut Gallup stieg die Ablehnung der Demokraten, trans Mädchen und Frauen an Frauensportarten teilnehmen zu lassen, von 41 Prozent im Jahr 2021 auf 48 Prozent im Jahr 2023, während die Ablehnung der unabhängigen Wähler von 63 Prozent auf 67 Prozent stieg.“
Woke Genderideologie vertreibt Wähler
Mit anderen Worten: Die Demokraten haben mit der Transfrage wichtige Anhängerschaften verloren, gerade unter jenen, die nichts gegen Transmenschen haben, jedoch nicht möchten, dass Transthemen bereits in den Schulklassen der Jüngsten verhandelt werden – ohne darüber mitentscheiden zu können. Die Mehrheit der US-amerikanischen WählerInnen möchten sich nicht der Ideologie unterwerfen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Und sie möchten sich den neuen Glauben an die Millionen Geschlechter, die es angeblich gibt, an die Behauptung, dass das biologische Geschlecht beinah beliebig variierbar ist, auch pharmakologisch, jedenfalls nicht ohne Mitsprache aufdrücken lassen.
Der auch gewählte Vizepräsident J.D. Vance mutmaßte vor der Wahl, es würde ihn nicht wundern, wenn auch Schwule und Lesben Trump wählen würden, weil sie die Nase voll haben von genderfluider Ideologie: „Es würde mich nicht überraschen, wenn ich und Trump nur die Stimmen der normalen Schwulen gewinnen würden, weil sie wieder einmal einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen, und jetzt kommt auch noch dieses ganze verrückte Zeug dazu.“
JD Vance: "I wouldn't be surprised if me and Trump won just the normal gay guy vote, because again they just wanted to be left the hell alone, and now you have all this crazy stuff on top of it." pic.twitter.com/BURah2ha1F
— The Post Millennial (@TPostMillennial) October 31, 2024
Gender-affirmative Konversionstherapie
Andrew Sullivan, einer der prominentesten schwulen Stimmen der USA, bekennend liberal und konservativ, kommentierte hierzu:
„Exit Polls zeigten zum Beispiel, dass etwa ein Drittel der Schwulen und Lesben 2020 für Trump stimmten. Und trotz des Mobbings von Transqueers sehen viele Schwule und Lesben in geschlechtsdysphorischen Kindern ihre eigene Vergangenheit und sind zutiefst besorgt, dass noch mehr schwule und lesbische Kinder fälschlicherweise umgewandelt werden könnten und ihr Körper ein Leben lang geschädigt wird.
Das ist es, was Vance als die Stimme des ‚normalen schwulen Mannes‘ bezeichnet. Für diejenigen, die schon bei der bloßen Vorstellung von so etwas entsetzt sind (es gibt natürlich einen massiven Druck innerhalb der linken schwulen Kultur, alles zu verteufeln, was auch nur ansatzweise ‚normal‘ ist), möchte ich eine einfache Definition vorschlagen: Ein ‚normaler Schwuler‘ ist ein Mann, der sich ausschließlich zu biologischen Männern hingezogen fühlt, der keine Frau sein möchte, der an die Geschlechtertrennung glaubt, dessen Politik auf etwas anderem als einer Stammesviktimologie beruht und der sich nicht als ‚queer‘ bezeichnet. Ich würde sagen, außerhalb der woken ‚transqueeren‘ Blasen ist es eine klare Mehrheit.
Und ja, viele von uns sehen die ‚geschlechtsangleichende Betreuung‘ als das, was Vance sie nannte: ‚pharmazeutische Konversionstherapie‘ für schwule und lesbische Kinder. Das ist in der Tat eine geniale Definition. Wir wollen sie stoppen. Und wir können nicht glauben, dass unsere eigenen Organisationen an der Spitze derer stehen, die das durchsetzen wollen.“
Nach allem, was wir aktuell wissen können, werden die neuen Machtverhältnisse in den USA nicht zur Abwicklung bereits erreichter Fortschritte führen, etwa die „Ehe für alle“ seit 2017. Dass schwule und lesbische Paare heiraten können, gilt bei mehr als zwei Dritteln der US-BürgerInnen als „normal“ und okay. Offen ist jedoch, ob die neue republikanische Regierung die Transideologie des herrschenden linken Aktivismus weiterhin – wie die Regierung Biden – stützen wird. Zu vermuten ist: nein! Der nun gewählte Präsident Trump äußerte sich vor längerem deutlich. Schul- und Bildungspolitik ist in den USA, wie hierzulande, weitgehend die Sache der einzelnen Bundesstaaten. Aber sicher scheint, dass der Transaktivismus nicht mehr walten kann wie unter der Regierung Biden.
Für Deutschland heißt das: Der Regierungswechsel wird Ende Februar dazu führen, dass die Pläne vom queeren Staatssekretär Sven Lehmann („Aktionsplan“) nicht mehr umgesetzt werden können. Die sind mit der Union, die sehr wahrscheinlich bei den kommenden Bundestagswahlen stärkste Kraft wird, nicht zu realisieren. Es könnte sein, dass auch die schwulen und lesbischen Teile der Union hiergegen nicht protestieren werden. Trans trägt eine politische Dimension in sich, die polarisiert – weil diese Frage, anders als das Projekt „Ehe für alle“, als Top-Down-Ding exekutiert wurde, indem alle KritikerInnen des Projekts als miese Menschen dämonisiert wurden, sofern sie die ehernen Glaubenssätze des Transaktivismus nicht umstandslos mittragen wollten.
Offen ist, ob in Deutschland die auf Transfragen zentrierten sexualkundlichen Unterrichtseinheiten in Schulen weiterhin existieren können. Und ob die transaffirmativen medizinischen Leitlinien für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie, die alle Fragen zu gewöhnlichen Geschlechtsverwirrungen bei Kindern und Jugendlichen transorientiert bejahen, nicht doch wieder in die grundsätzliche Diskussion gehen.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
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