IQN macht Jahrbuch-Text Zum Internationalem Tag gegen Gewalt an Frauen kostenlos verfügbar
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen stellen wir das Interview von Jan Feddersen mit Seyran Ateş aus dem Jahrbuch Sexualitäten 2020 mit freundlicher Unterstützung des Wallstein-Verlags zum kostenlosen Download bereit. Ateş gibt darin Einblicke in ihr Engagement für die Rechte muslimischer Frauen, die Gründung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin und ihre Erfahrungen mit Morddrohungen und Polizeischutz.
25. November 2024 | Redaktion
Jährlich am 25. November wird der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen wird, der die Aufmerksamkeit für das große gesellschaftliche Problem der geschlechtsspezifischen und häusliche Gewalt fördern soll. Millionen Frauen sind weltweit Opfer physischer, psychischer und sexueller Gewalt.
Bundesregierung veröffentlicht Lagebild
Zu diesem Anlass haben in Deutschland Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) am 19. November erstmals das Lagebild zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ vorgestellt. Die darin zusammengetragenen Zahlen aus unterschiedlichen Datenquellen zeigen, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts Opfer von Straftaten und Gewalt werden. In der Pressemitteilung heißt es von Ministerin Faeser: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Fast jeden Tag sehen wir einen Femizid in Deutschland. Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind. Das ist unerträglich – und verlangt konsequentes Handeln.“
Laut erhobenen Daten seien bei allen Delikten die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Fast täglich wird außerdem in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Im Bericht heißt es, dass 68,6 Prozent der Tötungsdelikte aus dem Bereich der Häuslichen Gewalt kommen. Die meisten Mädchen und Frauen werden demnach durch Familienmitglieder oder Partner getötet. Im Berichtszeitraum 2023 waren von Häuslicher Gewalt 180.715 weibliche Opfer betroffen – eine Zunahme von 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Seyran Ateş – Kämpferin für Frauenrechte
Eine Frau, die sich seit vielen Jahren gegen Gewalt an ihren Geschlechtsgenossinnen einsetzt, ist Seyran Ateş. 2005 organisierte sie in Berlin eine Mahnwache für die durch Mitglieder ihrer eigenen Familie ermordete Hatun Sürücü. Sürücü wurde von einem ihrer Brüder an einer Bushaltestelle in Berlin erschossen, weil sie sich gegen das streng religiöse Korsett wandte, in das ihre Familie sie schnürte. Sie wurde im Alter von 16 Jahren mit einem Cousin in der Türkei zwangsverheiratet und bekam ein Kind von ihm. Später floh sie ohne Ehemann wieder nach Deutschland und versuchte, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Der Fall sorgte für eine Debatte über Zwangsehen und Wertvorstellungen von in Deutschland lebenden muslimischen Familien.
Im Interview mit Jan Feddersen spricht Seyran Ateş über ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Überzeugungen als Frauen- und Menschenrechtsaktivistin, ebenso wie als Anwältin und Verfechterin einer liberalen Auslegung des Islam. Mit ihrem persönlichen und beruflichen Hintergrund war sie auch an der ersten Deutschen Islamkonferenz im Jahr 2006 beteiligt. 2017 gründete sie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, um einem liberalen Islam Raum zu geben, der mit westlichen Werten vereinbar ist. In ihrer Gemeinde ist auch Homosexualität nicht haram, sondern halal. Seither erhält sie wegen Morddrohungen Polizeischutz.
Ateş kann aus erster Hand von den Herausforderungen erzählen, in einer traditionellen muslimischen Familie in Berlin aufzuwachsen. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Schwierigkeiten und Erfolge, sich in einer solchen Familie durchzusetzen, und wie das ihre Arbeit als Fürsprecherin für muslimische Frauen und Männer, insbesondere im Hinblick auf ein liberales Islamverständnis prägt. Sie sagt, der Islam brauche eine sexuelle Revolution.
Seyran Ateş ist eine Inspiration für alle, die sich für Gleichberechtigung der Geschlechter in einer säkularen, demokratischen Welt einsetzen wollen. Die aktuellen, von der Bundesregierung veröffentlichten Zahlen zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen zeigen, dass ein solches Engagement leider weiterhin notwendig ist.
Eine Weiterverbreitung ist nur mit Angabe der jeweiligen Quelle, also der entsprechenden Jahrbuch-Ausgabe, zulässig. Ebenso ist eine Verwendung für kommerzielle Zwecke ohne Genehmigung untersagt.
Jahrbuch Sexualitäten 2020
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von: Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf.
Mit Beiträgen von Seyran Ateş, Dinos Christianopoulos, Adrian Daub, Stefan Donath, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Christiane Härdel, Patrick Henze, Manfred Herzer-Wigglesworth, Marion Hulverscheidt, Marco Kammholz, Roman Klarfeld, Ralf König, Anike Krämer, Adrian Lehne, Rainer Nicolaysen, Dierk Saathoff, Karsten Schubert, Vojin Saša Vukadinović und Benedikt Wolf.
262 S., 7 z.T. farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-3786-2
Preis: € 34,90 (D) / € 35,90 (A)
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.