Oder: Etwas, was nicht passiert, ist nun doch passiert

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es trans- und intergeschlechtlichen Personen erleichtern, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Fehlende Nachweispflichten öffnen jedoch Tür und Tor für betrügerische Absichten. BefürworterInnen des Gesetzes stritten das ab und tun es noch – doch jetzt will ein AfD-Aktivist das Gesetz missbrauchen.

Warnschild in Norwegen vor Trollen - auch das Selbstbestimmungsgesetz zieht solche an
Nicht nur in Norwegen muss vor Trollen gewarnt werden, sondern auch das deutsche Selbstbestimmungsgesetz zieht solche Wesen an (Foto von Mark König auf Unsplash).

17. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung

Seit dem 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, ein Lieblingsprojekt der inzwischen ruinierten Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP. Kern dieses Gesetzes ist, dass für eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags kein Nachweis (z.B. ärztliche Atteste oder Sachverständigengutachten) mehr erforderlich ist. Jede erwachsene Person kann nun beim Standesamt mit dreimonatiger Wartezeit diese Änderungen vollziehen. Gedacht ist die Regelung für trans- und intergeschlechtliche Personen, aber de facto gibt es kein Mittel, welches sicher stellt, dass auch nur diese vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch machen. Stattdessen soll allein die beim Standesamt abgegebene Selbsterklärung zählen.

Missbrauchspotenzial vom Selbstbestimmungsgesetz geleugnet

KritikerInnen warnten wiederholt vor dem Risiko, dass das Selbstbestimmungsgesetz in dieser Form Missbrauchpotenzial biete. Die BefürworterInnen, allen voran die Ampel-Parteien und TransaktivistInnen, wiegelten die Hinweise auf Sicherheitslücken rigoros ab. Transsein sei mit so viel gesellschaftlichen Nachteilen verbunden, das Risiko nehme doch niemand freiwillig in Kauf. Man würde so nur Misstrauen vor allem gegen Transfrauen schüren.

AfD-Aktivist will Selbstbestimmungsgesetz missbrauchen

Jetzt hat Johannes Normann, ein bekannter Aktivist und Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) am 10. Dezember 2024 im sozialen Netzwerk X verkündet, er habe einen Antrag auf eine Änderung seines Vornamens und Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz gestellt. Als Beleg fügte er ein Foto eines ausgefüllten Formulars bei. Dazu schreibt er unter anderem: „Wenn es @Markus_Soeder  & Co tatsächl. gelingen sollte mich dauerhaft hinter Gitter zu bringen (Haftbefehl nur ausgesetzt, Gerichtstermin am 1. April, wie passend), will ich in den Frauenknast.“

Der Tweet von Johannes Normann inklusive Bild von ausgefülltem Formular (Foto: Eigener Screenshot).

Die Haftstrafe droht ihm wegen vielfacher wiederholter strafrechtlich relevanter Äußerungen in sozialen Medien. Auch sonst fiel er mehrfach mit menschenverachtenden Äußerungen, zum Beispiel rassistischen auf, wie im Hinblick auf die deutsche Basketball-Nationalmannschaft der Herren während der Weltmeisterschaft 2023. Ebenso beteiligte er sich an der Verbreitung von russischen Propagandalügen, die russische Kriegsverbrechen in der Ukraine leugneten.

Nun will Normann offenbar den deutschen Staat noch in anderer Weise herausfordern. Im Selbstbestimmungsgesetz sind keine Regelungen vorgesehen, die es StandesbeamtInnen ermöglichen würden, Normann die Änderung wegen offenkundig niederer Motive zu versagen.

Probleme in Spanien mit Missbrauch von Self-ID

Dabei hätte man lediglich nach Spanien schauen müssen, wo bereits seit 2023 das Ley Trans, ein dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz vergleichbares in Kraft ist. Seither sind mehrere Missbrauchsfälle offenbar geworden. Zuletzt machte ein Mann Schlagzeilen, der sich mit einer Änderung des Geschlechtseintrags eine vorteilhafte Position im Auswahlverfahren für einen Job bei der Feuerwehr sicherte. Nach der Änderung wurden seine Leistungen nach den Kriterien für Frauen bewertet. Ein anderer Mann, der deshalb keinen Job mehr bekam, klagt nun wegen Betrugs.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf. Im November 2023 war er auf Einladung der CDU/CSU als Sachverständiger im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz angehört worden. Ein Auszug aus seiner Stellungnahme wurde im IQN-Blog veröffentlicht.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.