Bericht zum Kolloquium Elberskirchen-Hirschfeld-Haus E2H im Berliner Abgeordnetenhaus am 16. Dezember 2016
„Wir brauchen dieses Haus“ | E2H – das Kolloquium
Am 16. Dezember präsentierte sich die Initiative für ein Elberskirchen-Hirschfeld-Haus im Berliner Abgeordnetenhaus einem breiten Publikum aus Landespolitiker*innen, vielen Vertreter*innen der LSBTI* Community und anderen Interessent*innen.
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, hatte in einem Grußwort das Projekt für ein Elberskirchen-Hirschfeld-Haus als für Berlin wichtig und ausstrahlungsfähig gelobt. Ebenso Klaus Lederer, Kultursenator der neuen rot-rot-grünen Regierung: Die Ziele und emanzipationspolitischen Traditionen der „Regenbogenhauptstadt Berlin“, so schrieb er in einem Grußwort, verkörpert das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus (E2H) in paradigmatischer Weise.
Jan Feddersen (Initiative Queer Nations, IQN), Sabine Balke (Lesbenarchiv Spinnboden) und Andreas Krüger (Agentur Belius) betonten die Begeisterung und die Zuversicht, mit der sie für die Realisierung der Vision E2H seit vielen Monaten stritten. Queere „Bildung, Forschung und Kultur unter einem Dach“ zusammen zu bringen, sei angesichts neu aufkommender rechter und homophober Tendenzen heute „wichtiger denn je“, versicherte Jörg Litwinschuh (Bundesstiftung Magnus Hirschfeld) dem Projekt seine Unterstützung.
Die vielfältigen Möglichkeiten des Hauses
Die Architektin und Stadtplanerin Ulrike Lickert skizzierte in ihrer Keynote das enorme städtebauliche Potential einer „niedrigschwellig erschlossenen“ Architektur der Vielfalt. Stephanie Kuhnen (Lesben- und Schwulenverband Deutschland, LSVD) betonte in ihrem Vortrag, dass Emanzipationspolitik Bündnisse brauche – und zeichnete den Werdegang des im kommenden Jahr einzuweihenden Magnus-Hirschfeld-Denkmals im Berliner Tiergarten nach.
Vertreter*innen der queeren Archive und Bildungsinitiativen, die sich am E2H beteiligen und es dereinst bewohnen und beleben werden, betonten in ihren Kurvorstellungen ebenfalls die vielfältigen Möglichkeiten, die das Haus eröffne. Thomas Kugler (Kommunikation und Bildung, KomBi) sprach von „intersektionalen Blickrichtungen“ und einer Anti-Diskriminierungsarbeit, die auf Akzeptanz abziele, anstatt sich mit Toleranz zu begnügen.
Dagmar Nöldge (FFBIZ, feministisches Archiv) hob hervor, wie wichtig es sei, die Nachlässe von Aktivistinnen für kommende Generationen aufzubewahren, dabei ließ sie kurz aufscheinen, welch reichhaltigen Bestand an Archivalien das FFBIZ bereits heute schon pflegt. Andreas Kraß (Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität, Humboldt-Universität zu Berlin) sprach über die reichhaltigen Bestände des World Erotic Art Museum und des AIDS-Archivs, und warf zudem ein Schlaglicht auf die vielfältigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Archive, die mit E2H weiter intensiviert werden könnten.
Austausch und Zusammenarbeit zwischen den Initiativen
Zwar mussten die Vertreter*innen des Lili-Elbe-Archivs aus gesundheitlichen Gründen ihre Teilnahme am Kolloquium kurzfristig absagen, doch fanden sie in IQN-Vorstand Jan Feddersen einen veritablen Fan, der einen kurzweiligen wie faszinierenden Einblick in den 13.418 Dokumente umfassenden Bestand des Lili-Elbe-Archivs für „trans*formative Erinnerungskultur“ ermöglichte.
Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft berichtete über deren Arbeiten zur Person Magnus Hirschfeld und den Mitarbeiter*innen des Instituts der Sexualwissenschaft, die den Geist Hirschfelds im Heute fortwirken lassen. Sabine Balke (Spinnboden) hob die Synergien hervor, die sich aus dem Austausch und der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Initiativen und Einrichtungen ergeben.
Kevin Clark und Vera Hofmann (Schwules Museum*) entwarfen Möglichkeiten selbstkritischer, generationenübergreifender und multiperspektivischer Interventionen in die bestehende Museumswelt. In diesem Sinn betonte auch Andreas Kraß (Humboldt Universität zu Berlin) die Chancen queerer Archive, die Regeln der Sag- und Zeigbarkeit zu durchkreuzen, die das Archiv der Heteronormativität aufstelle.
Die Podiumsdiskussion mit queerpolitisch verantwortlichen Politiker *innen von Parteien, die im Abgeordnetenhaus vertreten sind und auf diesem Feld konstruktiv arbeiten, verdeutlichte, dass das E2H von allen Seiten befürwortet wird. Diese Unterstützung bringt, wie die Vertreter*innen der Regierungsfraktionen betonten, auch der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag zum Ausdruck.
E2H als Teil des Kultur- und Wissenschaftsbudgets
Melanie Kühnemann (SPD) sagte: „Wir brauchen dieses Haus.“ Befragt zu den Finanzierungsoptionen verwies sie auf die Verhandlungen zum Nachtragshaushalt und auf die Möglichkeit, den Bau des E2H mit Mitteln aus der Deutschen Klassenlotterie zu unterstützen. Die Gelder für den laufenden Betrieb des Hauses gelte es in der Debatte über den Haushalt 2020/21 mit vereinten Kräften durchzusetzen.
Carsten Schatz (Die Linke) betonte, dass man nach der Veröffentlichung der Ermöglichungsstudie zum E2H Mitte 2017 frisch ans Werk gehen müsse. Er bedauerte, dass das Projekt in der Debatte über Entschädigungszahlungen für das nach 1945 unter dem § 175 StGB an homosexuellen Männern begangene Unrecht, keine Rolle spiele. Gleichzeitig verwies er auf die Möglichkeit, das Haus mit Mitteln des Berliner Kultur- oder Wissenschaftsbudgets zu unterstützen.
Sebastian Walter (Bündnis 90/Die Grünen) formulierte ein „klares Bekenntnis“ zum E2H. Es ginge zunächst darum ein stimmiges und inklusives Konzept auf den Weg zu bringen, und Konkurrenzen innerhalb der Szene zu vermeiden. Auch er verwies auf die Möglichkeit einer Ko-Finanzierung durch den Bund sowie zugleich auf die Wissenschafts- und Kulturmittel des Landes.
Stefan Evers (CDU) betonte, wie wichtig das E2H für Berlin als klare Positionierung gegen rechte Tendenzen sei. Dennoch werde es mühsam, die Finanzierung des Hauses gegen die Bedenken der Haushälter*innen durchzusetzen. Da es sich beim E2H um ein Projekt von nationaler Bedeutung handle, verwies auch Evers auf eine Ko-Finanzierung durch den Bund.
Bernd Schlömer (FDP) bezeichnete das E2H als kultur-, gesellschafts- und wissenschaftspolitische Aufgabe. Er regte an, die Ermöglichungsstudie solle einige sehr konkrete Finanzierungsoptionen formulieren, um so die Berliner Koalition zu einem möglichst raschen Handeln zu drängen.
Die Politik meint, vor 2019 gibt es das Haus nicht
Die anschließende Diskussion verdeutlichte, dass der die Initiative für ein E2H tragende Wille zahlreicher Aktivist*innen und Ehrenamtler*innen, gemeinsam etwas Neues zu wagen, trotz allen Wohlwollens einige Hürden wird überwinden müssen. Eine zentrale Frage betrifft die Finanzierung, bei der die Politiker*innen oft wenig eindeutig zwischen Land und Bund und verschiedenen Positionen des Landeshaushalts lavierten.
Ein weiterer ausschlaggebender Punkt ist der Zeitplan. Eine Fertigstellung für das Jahr 2019 bezeichneten die Parteienvertreter*innen fast einmütig als illusorisch, ohne zugleich ein Datum zu nennen, das sie selbst für machbar hielten. Dass das Projekt aber am Ende dieser Legislaturperiode geschafft sein kann, traf bei allen auf Zustimmung.
Babette Reicherdt (IQN) diskutierte die potentiellen Probleme, die die Benennung des E2H nach Johanna Elberskirchen und Magnus Hirschfeld mit sich bringe. Es gelte die Hierarchisierungen und Ausschlüsse nach Geschlecht, Klasse und Ethnizität, die solche Namenspolitiken immer mit sich brächten, kritisch zu reflektieren. In diesem Zusammenhang plädierte Lela Lähnemann (Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung, LADS) – die in ihrer Funktion viel zur Ermöglichung der Machbarkeitsstudie für ein Elberskirchen-Hirschfeld-Haus beitrug – für eine weiterhin offene Debatte über die Benennung des Hauses.
IQN-Vorstand, 19. Dezember 2016