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USA: Wie Transaktivistas vor dem Supreme Court Roulette spielten – und alles verloren

Ein Urteil des Supreme Court bestätigte nun das 2023 erlassene gesetzliche Verbot zur gender-affirmativen Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Bundesstaat Tennessee als verfassungskonform. Dieses Urteil ist ein schwerer Rückschlag für den Transaktivismus im Besonderen, aber auch für den LGBT-Aktivismus im Allgemeinen. Die Folgen und Ursachen sind tiefgreifend und sollten auch in Deutschland gründlich analysiert werden.

Der Supreme Court der USA in Washington D.C., Symbolbild für Artikel "USA: Wie Transaktivistas vor dem Supreme Court Roulette spielten – und alles verloren"
Der Sitz des Supreme Court in Washington, D.C. (Foto von Stephen Talas auf Unsplash).

22. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Vergangenen Mittwochmorgen fiel am Supreme Court in den USA ein bemerkenswertes Urteil: Mit einer richterlichen Mehrheit von 6:3 entschied das höchste Gericht des Landes im Fall „United States v. Skrmetti“, dass das Gesetz zum Verbot von gender-affirmativen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren im US-Bundesstaat Tennessee nicht gegen die Verfassung verstößt. 27 Bundesstaaten in den USA haben mittlerweile solche Einschränkungen vorgenommen und dürften sich durch dieses Urteil bestätigt fühlen, dass diese rechtens sind.

Tennessee verbietet gender-affirmative Eingriffe

Im März 2023 verabschiedete das Repräsentantenhaus von Tennessee eine gesetzliche Regelung, die chirurgische Eingriffe und Hormontherapien für Kinder und Jugendliche mit der Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ verbietet. Das umfasst die Gabe von Pubertätsblockern, Hormontherapien und Operationen. Hingegen wird die Verwendung von Pubertätsblockern und Hormonen aus anderen medizinischen Gründen, insbesondere bei einer vorzeitig einsetzenden Pubertät (Pubertas praecox) nicht durch das Gesetz eingeschränkt.

Gegen die Verabschiedung dieses gesetzlichen Verbots haben sich drei Familien mit Transkindern und ein Arzt aus Memphis, der gender-affirmative Behandlungen anbietet, durch alle Instanzen bis hoch zum Supreme Court geklagt. Unterstützt wurden die KlägerInnen von der American Civil Liberties Union (ACLU), einer ehemals verdienstvollen Organisation für Bürgerrechte in den USA, sowie der ehemaligen US-Regierung unter Joe Biden.

Begründet wurde die Klage damit, dass Tennessee mit diesem gesetzlichen Verbot von gender-affirmativen Eingriffen Menschen diskriminiere, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren.  Der 14. Zusatzartikel der Verfassung der USA sieht einen gleichwertigen Schutz für alle BürgerInnen vor. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob das Gesetz eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Gleichbehandlungsklausel darstellt und daher einer strengeren gerichtlichen Prüfung unterzogen werden sollte.

Richtermehrheit sieht keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

Die Mehrheit der sechs (konservativen) RichterInnen vertritt den Standpunkt, das gesetzliche Verbot von gender-affirmativen Behandlungen beruhe auf dem Alter und dem medizinischen Grund für die Behandlung und nicht auf dem Geschlecht. Daher liege keine Diskriminierung auf Grundlage des Geschlechts vor. Sonia Sotomayor, eine der drei liberalen RichterInnen und Gegenstimmen, kritisierte diese Einordnung vehement. Die richterliche Mehrheit verschleiere eine geschlechtsspezifische Klassifizierung, damit das Gesetz aus Tennessee einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könne, so ihr Vorwurf. Das Urteil „erlaubt auch, ohne zu überlegen, unsägliches Leid für Transgender-Kinder und die Eltern und Familien, die sie lieben“, sagte Sotomayor weiter.

Dagegen heißt es in der Begründung vom vorsitzenden Richter John Roberts, der die richterliche Mehrheit vertritt:

„Das Gesetz genügt eindeutig der Überprüfung auf rationaler Basis. Tennessee kam zu dem Schluss, dass es unter medizinischen Experten eine anhaltende Debatte über die Risiken und den Nutzen der Verabreichung von Pubertätsblockern und Hormonen zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsidentitätsstörung und Geschlechtsinkongruenz gibt. Das Verbot solcher Behandlungen ist eine direkte Reaktion auf diese Unsicherheit. Wir räumen den Staaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Verabschiedung von Gesetzen in Bereichen ein, in denen medizinische und wissenschaftliche Unsicherheiten herrschen. Jüngste Entwicklungen, die den medizinischen Nutzen von Pubertätsblockern und Hormonen in Frage stellen, unterstreichen die Notwendigkeit einer flexiblen Gesetzgebung in diesem Bereich.“

„Das heutige Urteil ist eine verheerende Niederlage für Transgender-Personen, unsere Familien und alle, denen die Verfassung am Herzen liegt“, bewertete Chase Strangio, Co-Direktor des LGBTQ- und HIV-Projekts der ACLU das Ergebnis. Jonathan Skrmetti, Generalstaatsanwalt von Tennessee, begrüßte hingegen das Urteil und wies Vorwürfe zurück, dass es um Ideologie gehen würde. Er betonte in einer Stellungnahme, dass sich Tennessee bei der gesetzlichen Regelung zum Verbot von gender-affirmativen Eingriffen bei Unter-18-Jährigen streng an der vorliegenden medizinischen Evidenz orientiert habe. Skrmetti verwies dabei auf europäische Staaten wie Großbritannien oder Schweden, die nach Prüfung der Evidenzbasis wieder vom gender-affirmativen Ansatz abgerückt sind.

Kontroverse um gender-affirmative Behandlungen

Wichtige US-amerikanische Fachgesellschaften befürworten das gender-affirmative Behandlungskonzept jedoch. Susan J. Kressly, Präsidentin der American Academy of Pediatrics, sagte in einem Pressestatement zum Urteil: 

„Geschlechtsangleichende Behandlung ist medizinisch notwendig, um Geschlechtsdysphorie zu behandeln, und wird durch jahrzehntelange peer-reviewte Forschung, klinische Erfahrung und wissenschaftlichen Konsens gestützt. Allzu oft wird fälschlicherweise angenommen, dass es sich dabei ausschließlich um Operationen und Hormone handelt. Dabei wird diese Behandlung mit Bedacht und unter Einbeziehung von multidisziplinären Teams aus Ärzten, Psychiatern, Familien und vor allem den jungen Menschen selbst durchgeführt. Wenn man den Patienten den Zugang zu dieser Behandlung verweigert, untergräbt man nicht nur ihre Gesundheit und Sicherheit, sondern beraubt sie auch ihrer grundlegenden Menschenwürde.“

Doch der von Kressly behauptete Konsens ist spätestens seit Veröffentlichung des Cass-Reports in Großbritannien zweifelhaft. Hilary Cass, die Leiterin der unabhängigen Untersuchung der ehemals einzigen Ambulanz für genderdysphorische Kinder und Jugendliche in der Londoner Tavistockklinik, arbeitete heraus, dass die angeführten Beweise für Pubertätsblocker und Co. ungenügend sind. Weitaus brisanter ist aber ein anderer Befund: Um dieses Thema hat sich ein toxisches Klima entwickelt, was differenzierte Debatten auch unter MedizinerInnen selbst verunmöglichte.

Manöverkritik in der New York Times

Daher lohnt sich ein weit gefassterer Blick auf die Entwicklungen in den USA, die nicht nur zu gesetzlichen Verboten wie in Tennessee führten, sondern auch die Erfolgssträhne des LGBT-Aktivismus beendeten, dessen Teil der Transaktivismus geworden ist. Die New York Times veröffentlichte eine in diesem Sinne gründliche Analyse ihres Journalisten Nicholas Confessore. Er beschreibt darin Entwicklungen, die auch für Deutschland relevant sind, insbesondere die konzeptionellen Prämissen, vor denen der Trans-Aktivismus betrieben wird. Daher sei dieser Text allen wärmstens ans Herz gelegt, die um tieferes Verständnis der Probleme ringen und nicht nur auf Donald Trumps MAGA-Republikaner schimpfen wollen.

Confessores Artikel skizziert die wichtigsten Erfolge der jüngeren Vergangenheit für die LGBT-Bewegung in den USA und worauf sie gründen:

„Sie hat ihre Botschaft so zugeschnitten, dass sie ein skeptisches Publikum erreicht, und darauf geachtet, nahe an der Spitze der sich wandelnden öffentlichen Stimmung zu reiten, und hat schrittweise rechtliche und regulatorische Siege errungen, die letztendlich einen tiefgreifenden sozialen Wandel ausgelöst haben. Anfang der 2010er Jahre erhielten Homosexuelle das Recht, zu heiraten und zusammen mit Transsexuellen offen im Militär zu dienen. Die Bewegung besiegte ‚Toilettengesetze‘, die sich gegen Transmenschen in Staaten wie North Carolina und Texas richteten, und überzeugte sogar einige Republikaner, dass solche Maßnahmen unnötig und grausam waren. Erst vor fünf Jahren entschied der Oberste Gerichtshof, dass Angestellte nicht entlassen werden können, weil sie schwul oder transsexuell sind.“

Verfassungsmäßiges Recht auf gender-affirmative Behandlung?

Doch bei der affirmativen Behandlung von Kindern und Jugendlichen geht es Confessore zufolge um die im Vergleich weitaus brisantere Frage, ob diese ein verfassungsmäßiges Recht auf Behandlungen haben, die ihre körperliche Entwicklung aufhalten und umlenken. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich als „Trans“ identifizieren nahezu verdoppelt. Es gibt Schätzungen, nach denen aktuell etwa drei Prozent der amerikanischen Highschool-SchülerInnen dazugehören. Ein kleiner, aber wachsender Teil dieser jungen Menschen strebte wegen dieser Geschlechtsdysphorie medizinische Behandlungen an, die zunächst Pubertätsblocker, danach Geschlechtshormone und schließlich Operationen umfassen können.

Für viele ÄrztInnen, die diese junge Patientengruppe betreuten, und LGBT-AktivistInnen waren diese Behandlungen nicht nur unumstritten und eine Innovation, die mehr Trans-Menschen einen Weg zum Glück versprach, sondern sie wurden zum Menschenrecht erhoben.  Innerhalb des ersten Jahrzehnts der 2000er-Jahre wurde der gender-affirmative Ansatz von den Niederlanden in die USA exportiert und verbreitete sich dort sukzessive. Doch dabei gab es bedeutsame Modifikationen: während die niederländischen PionierInnen noch eine sorgfältige psychiatrische Anamnese und eine therapeutische Begleitung zur Bedingung machten, dominierte von den USA ausgehend ab 2016 die Auffassung, dass eine solche Vorsicht „Gatekeeping“ sei und die Selbstbestimmung des jungen Menschen unangemessen einschränke.

Patientenprofil verändert sich

Doch zum Zeitpunkt, als sich diese Auffassung unter MedizinerInnen mit Schwerpunkt auf geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen verbreitete, verzeichneten sie weltweit einen starken Anstieg der Zahl der jugendlichen PatientInnen, von denen die meisten biologisch weiblich waren. Bei der Mehrzahl von ihnen begannen die Probleme mit dem biologischen Geschlecht erst im frühen Teenageralter, nach den ersten körperlichen Anzeichen der Pubertät. Zudem hatte eine überproportionale Anzahl dieser neuen Patientinnengruppe andere psychische Erkrankungen, wie Depressionen, Magersucht oder auch Anzeichen von Autismus oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ebenso kann eine krisenhafte homosexuelle Entwicklung Geschlechtsdysphorie auslösen.

Unter normalen Umständen würde eine solche Veränderung im Patientenprofil für ein breites Aufhorchen und mehr Vorsicht sorgen, doch im Fall des gender-affirmativen Ansatzes passierte genau das Gegenteil, und dies lag auch an veränderten Konzepten von Geschlecht, auf die Confessore in seiner Analyse ebenfalls eingeht. Zunehmend verbreiteten sich auf die Queer-Theoretikerin Judith Butler zurückgehende Ideen, nach denen das biologische Geschlecht keine objektive naturwissenschaftliche Tatsache sei, sondern gesellschaftliche Konstruktion. Damit ist gemeint, dass alles Sprechen über Geschlecht schon immer sozial und epistemisch überformt sei, und damit auch Geschlecht als objektiv feststellbare Realität in Zweifel gezogen wird. Vielmehr wird in dieser Denkart aus dem biologischen Geschlecht eine Norm, die überwunden werden müsse.

Self-ID als Dogma im Transaktivismus

In Aktivistenkreisen wurde daran anknüpfend ein Konzept populär, das als „Self-ID“ bezeichnet wird und die Geschlechtsidentität unabhängig von der körperlichen Realität sieht. Dazu argumentierten Transaktivistas, dass alle Menschen das Recht hätten, ihr eigenes Geschlecht zu bestimmen, egal wie sie sich kleiden oder ob sie sich für medizinische Eingriffe entscheiden, die bei der Verwirklichung dieser Identität unterstützen. Ihr selbst identifiziertes Geschlecht unabhängig von äußerer Erscheinung sollte bestimmen, was auf ihrem Ausweis steht und welche Toiletten sie benutzen können. Aber auch, welche medizinische Eingriffe gewünscht sind. Hier knüpft die Vorstellung an, dass jede Frage, ob die gewünschten Eingriffe wie Hormontherapien und Operationen wirklich im besten Interesse des Individuums sind, als „Gatekeeping“ tabuisiert wurde und nach wie vor wird.

Dabei sind die zuvor skizzierten Zusammenhänge zwischen Geschlechtsdysphorie und psychischen Erkrankungen oder auch mit einem späteren lesbischen oder schwulen Coming-out wissenschaftlich gut belegt. Ebenso, dass bei über 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Geschlechtsdysphorie ohne Eingriffe mit Pubertätsblockern und Ähnlichem sich im weiteren Pubertätsverlauf wieder abmildert oder gar ganz verschwindet. Auch eine Auswertung von Krankenversichertendaten in Deutschland zeigte, dass Geschlechtsdysphorie bei vielen Minderjährigen nicht dauerhaft ist. Wer dies als Kritik am affirmativen Modell anbringt, wird als „transphob“ verdammt. Einige Aktivistas geifern sich gar regelmäßig ins Delirium und bezichtigen alle KritikerInnen, einen „Genozid“ an Transpersonen verüben zu wollen.

Das aktivistische Konzept von Geschlecht sowie Self-ID in allen Altersstufen zwingt MedizinerInnen und PsychotherapeutInnen, solche Fakten zu ignorieren. Für Großbritannien hat diese Entwicklungen die Journalistin Hannah Barnes in ihrem lesenswerten Buch „Time to think“ nachgezeichnet. Darin bringt es eine Psychotherapeutin auf den Punkt, die sagte, sie habe während ihrer Tätigkeit in der Gender-Ambulanz der Tavistockklinik alles vergessen müssen, was sie während ihrer Ausbildung und ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit über kindliche und adoleszente Entwicklung gelernt hat.

Geschädigte Detransitionierer

So kam es, wie es kommen musste: Wenn in der Medizin Aktivismus und nicht Wissenschaft das Handeln leitet, erscheinen alsbald Menschen auf der Bildfläche, die über vermeidbare Schädigungen klagen. So geschah es vermehrt in den letzten fünf Jahren – auch in den USA. Mehrere junge Frauen suchten die Öffentlichkeit, um über zu vorschnell eingeleitete medizinische Behandlungen im Rahmen einer Geschlechtsangleichung zu klagen. Damit verbunden war der Wunsch weitmöglicher Rücknahme dieser Veränderung und der Rückkehr in die sozial weibliche Rolle.  Inzwischen beschreiten einige dieser Frauen den Rechtsweg.

International reagierten 2020 ÄrztInnen in Finnland als erste auf die sich auch dort vollziehende Veränderung im Patientenprofil und kamen nach gründlicher Überprüfung zum Schluss, dass geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche wieder klassische Psychotherapie als erste Intervention und nicht Pubertätsblocker bekommen sollten. Danach folgten Schweden und Großbritannien. In Großbritannien brachte Detransitioniererin Keira Bell mit ihrem Prozess 2020 den Stein ins Rollen. Vor dem US-amerikanischen Supreme Court kam in der mündlichen Anhörung all dies auch zur Sprache.

Verzockt vor dem Supreme Court

Laut New York Times-Rechercheur und -Autor Confessore sehen einige erfahrene LGBT-AktivistInnen den Fall „United States v. Skrmetti“ als Glücksspiel mit tragischem Ende, da es auf fehlerhafter Politik und unsicherer Wissenschaft beruht. In den letzten zehn Jahren sei die LGBT-Bewegung von Theorien über Geschlecht vereinnahmt worden, die die meisten Wähler weder verstanden noch unterstützten.  Die Bewegung radikalisierte außerdem ihre Politik gerade in dem Moment, als die Kulturkriege wieder aufflammten und der Oberste Gerichtshof begann, sich weiter nach rechts zu bewegen. Und erhielt zunehmend Gegenwind durch Berichte über Transfrauen bzw. -mädchen im Frauensport. Bei Kindern, so muss die aktuelle rechtspolitische Lage (nicht nur) in den USA zusammengefasst werden, hört trotz aller grundsätzlichen Toleranz „Trans“  gegenüber der Spaß auf. Ergebnisse einer Umfrage der New York Times zum Amtsantritt Donald Trumps belegen das eindeutig.

Während sich „United States v. Skrmetti“ und andere Klagen ihren Weg durch die gerichtlichen Instanzen bahnten, gerieten einige der zentralen medizinischen Behauptungen, die für pädiatrische Geschlechtsangleichungen sprechen sollten, unter der verstärkten Prüfung der Evidenz durch andere ÄrztInnen ins Wanken.

Nun stehen LGBT-AktivistInnen und unter ihnen zuvörderst die Transaktivistas in den USA vor einem Scherbenhaufen. Doch auch in Deutschland könnte der affirmativen Behandlung von Minderjährigen ein ähnliches Schicksal drohen, denn sie beruht hier wie in den USA auf den gleichen Prämissen. In den USA kann man sehen was passiert, wenn der Staat als Kavallerie einreiten muss, weil die Selbstreinigungseffekte auf einem medizinischen Feld defekt sind. Hiesige LGBT-Aktivistas sollten sich sehr gut überlegen, ob sie es so weit kommen lassen wollen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


CSD Berlin 2025: Queere Sichtbarkeit braucht Sicherheit anstatt Symbole auf dem Reichstag

Erstmals vor drei Jahren wurde, wie viele andere öffentliche Gebäude auch, das Reichstagsgebäude zum CSD Berlin mit der Regenbogenfahne beflaggt. Nun hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) diese Beflaggung auf den Aktionstag des IDAHOBIT am 17. Mai beschränkt. Das ist auch richtig so, denn der Staat sollte sich nicht Symbole politischer Demonstrationen zu eigen machen. Außerdem ist es angesichts der zunehmenden Bedrohung von Queers durch Rechtsextremismus und Islamismus wichtiger, dass der Staat nicht nur flaggt, sondern für unsere Sicherheit sorgt.

Viele kleine Regenbogenfähnchen sind auf der Rasenfläche vor dem Reichstaggebäude platziert worden. Symbolbild für Artikel "CSD Berlin 2025: Queere Sichtbarkeit braucht Sicherheit anstatt Symbole auf dem Reichstag"
Regenbogenflaggen: Künftig nur noch vor und nicht mehr an den offiziellen Fahnenmasten des Reichstaggebäudes (Foto von Evžen Afanasenko auf Unsplash).

16. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat entschieden, dass die Regenbogenflagge am Reichstaggebäude künftig nur noch zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie gehisst werden soll, nicht aber zum CSD in Berlin. In einer dazu herausgegebenen Pressemitteilung heißt es:

„Am 17. Mai werde ich in diesem Jahr auch auf dem Reichstagsgebäude neben der Bundesflagge und der Europaflagge die Regenbogenfahne wehen lassen. Ich habe zudem entschieden, dass dies der einzige Anlass sein wird und eine entsprechende Beflaggung sich nicht auch auf den Christopher-Street-Day erstreckt, der als Tag der Versammlung, des Protests und der Feier von seiner kraftvollen Präsenz auf den Straßen lebt. An diesem Tag wird die Regenbogenflagge zurecht auf vielfältige Weise durch die Menschen selbst getragen und verbreitet, nicht durch die Institution Bundestag.“

CSD ist politische Demo

Für die Schriftstellerin Ronya Othmann kommt diese Entscheidung zu einem falschen Zeitpunkt, denn unter dem Eindruck eines weltweit rollenden Backlash benötigt die queere Community Unterstützung, wie sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisierte.

Dabei ist Klöckners Entscheidung richtig, denn der CSD ist vor allem im Selbstverständnis der OrganisatorInnen und queeren AktivistInnen eine politische Demonstration. Der deutsche Staat sollte sich im Sinne der Neutralität nicht mit solchen Demonstrationen durch das Zeigen der Symbole gemein machen. Deshalb ist auch die Absage einer Fußgruppe der Verwaltung des Deutschen Bundestags richtig. MitarbeiterInnen der Verwaltung können selbstverständlich weiterhin als Privatpersonen am CSD teilnehmen.

Ohnehin sollte es weniger darum gehen, Symbole an staatliche Fahnenmasten zu bringen, sondern zu eruieren, was LGBTIQ vom Staat tatsächlich brauchen. Zumal man auch ehrlicherweise zugeben muss, dass andere gesellschaftliche Gruppen ebenso politischer Aufmerksamkeit bedürfen, diese aber nicht das Glück haben, bunte Stoffkreationen für die PR zu liefern. Es sei denn, es gibt inzwischen auch Prideflaggen für Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Obdachlose oder andere, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Sicherheit hat Priorität

Für LGBTIQ haben derzeit Sicherheitsfragen höhere Priorität als reine Symbolpolitik. CSD-Veranstaltungen werden inzwischen regelmäßig von Rechtsextremen bedroht. Laut queer.de haben am vergangenen Samstag knapp 90 Neonazis gegen den CSD in Pforzheim demonstriert. Im Vorfeld des CSD in Werningerode wurde ein Mann verhaftet, der einen Anschlag angedroht hatte.

Doch nicht nur Rechtsextreme gefährden die queere Sicherheit. Eine weitere Bedrohung geht von islamistischen Kreisen aus. Ende Mai wurde ein Fall eines schwulen Lehrers bekannt, der an einer Berliner Grundschule arbeitete und nach seinem Coming-out vor allem von muslimischen SchülerInnen bedroht wurde. Die Bedrohungslage von queeren Menschen durch rechtsextremistische und islamistische Gruppen bestätigte auch der jüngste Bericht des Berliner Verfassungsschutzes.

Wenn der Staat also wirklich etwas für LGBTIQ in Deutschland tun will, dann sollte bei der Sicherheit begonnen werden. Ein buntes Tüchlein am Fahnenmast ist „nice to have“, aber sorgt nicht aus sich selbst heraus dafür, dass TeilnehmerInnen an CSD-Demos diese ohne Schaden besuchen können. In Sachen Vielfalt ist es allzu oft so: Wenn es mehr kostet als eine bunte Fahne an einem Mast oder einen Sprachleitfaden, dann lässt die Bereitschaft seitens der Politik dafür erheblich nach. Seien wir also nicht zu billig und fordern die wirklich relevanten Dinge ein! Denn Sichtbarkeit braucht erstmal Sicherheit.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Neues Portal #transjugend – ein Safe Space vor kritischen Informationen

Mit dem neuen Portal #transjugend will sich der Bundesverband Trans* an Jugendliche und junge Erwachsene wenden, ihnen Informationen rund um das Thema Trans bieten. Doch dieses neue Informationsangebot ist sehr einseitig trans-affirmativ, wie KritikerInnen bemängeln. Was ist von der Website also zu halten?

Die Startseite des neuen Onlineportals #transjugend. Symbolfoto für Artikel "Neues Portal #transjugend – ein Safe Space vor kritischen Informationen"
Die Startseite des neuen Onlineportals #transjugend (Foto: Eigener Screenshot).

14. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Pünktlich zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) hat der Bundesverband Trans* (BVT*) sein neues Internetportal #transjugend gelauncht, das heißt, öffentlich zur Präsentation gebracht. Dieses Portal ist Teil des Projekts „Trans* – Ja und?!“, mit dem sich der BVT* an junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren wenden will.

In der Pressemitteilung zum Launch erklärt Mari Günther, BVT*-Referentin für Beratung, die Ziele des neuen Portals: „Jugendliche finden im Internet viele Informationen zu Trans*geschlechtlichkeit und Nichtbinarität, können aber deren Qualität nicht so leicht einschätzen. Es ist daher wichtig, dass es Informationsportale wie das von Trans* – ja und?! bereitgestellte gibt, das nicht nur korrekte, sondern auch empowernde und  nichtpathologisierende Inhalte bietet, die zudem zielgruppengerecht aufbereitet sind.”

Gestiegene Informationsnachfrage zu Transgeschlechtlichkeit

In den vergangenen zehn Jahren ist die Nachfrage nach Informationen zum Transsein in der Tat gestiegen, gerade auch unter jungen Menschen. Zugleich wird international kaum ein Thema so kontrovers diskutiert, wie Transitionen von Kindern und Jugendlichen. Wesentliche Gründe dafür sind, dass immer mehr Minderjährige einen Geschlechtswechsel anstreben, unter ihnen auffällig viele biologisch weibliche Teenager sowie solche mit komplexen Vorerkrankungen und anderen entwicklungserschwerenden Umständen.

Wenn es nach Transaktivistas geht, sollen all diese Kinder und Jugendlichen unterschiedslos in ihrer geäußerten Geschlechtsidentität bestätigt, das heißt affirmiert werden. Fragen, was vielleicht sonst noch hinter dem Wunsch nach einer Transition stecken könnte, sind tabu. Dabei weiß man aus der Forschung, dass sich bei über 80 Prozent der Mädchen und Jungen, die sich mit ihren biologischen Geschlechtsmerkmalen unwohl fühlen, dieses Gefühl im weiteren Verlauf der Pubertätsentwicklung wieder abmildert oder dass es gar verschwindet.

Screenshot von der Unterseite "Microlabel"
Einige Mikrolabel, zum Beispiel „Demisexuell“, „Achillean“. „Queer“ ist wohl ein Makrolabel (Foto: Eigener Screenshot).

Gender-affirmativer Ansatz steht in der Kritik

Im Ausland zeigten verschiedene Untersuchungen, die gründlichste wurde in Großbritannien mit dem Cass-Report vorgelegt, dass mit einer unmittelbaren Affirmation viele Probleme dieser Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend adressiert werden. Vielmehr laufen sie sogar Gefahr, durch irreversible Maßnahmen wie Pubertätsblockade, Hormonbehandlungen und Operationen unnötigerweise körperlich geschädigt zu werden.

Weltweit ändern – oder erwägen dies – immer mehr Länder ihre Behandlungsleitlinien und setzen wieder Psychotherapie an erste Stelle, anstatt schnell medikamentöse Maßnahmen einzuleiten. In Dänemark warnt nun gar eine Autismus-Vereinigung öffentlich, dass beim affirmativen Ansatz viele autistische Kinder und Jugendliche unter die Räder kommen, weil sie irreversible Behandlungen erhalten, deren Folgen sie nicht für sich einschätzen können. Gerade Kinder mit Autismus sind aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen ihrer neurologischen Verfassung besonders anfällig, ihre daraus resultierenden sozialen Probleme und körperlichen Wahrnehmungen mit Transsein zu erklären.

In Australien gibt es nun ein familiengerichtliches Urteil gegen eine affirmative Behandlung eines zwölfjährigen Jungen, obwohl die Gesetze des Bundesstaates Victoria das Verhindern einer gender-affirmativen  Behandlung als Konversionstherapie ansehen und verbieten.

Bietet das #transjugend-Portal seriöse Inhalte?

Wie geht nun also das neue Portal des Bundesverbands Trans* das Thema an? Bietet es differenzierte und qualitativ hochwertige Inhalte für die Zielgruppe, die der Komplexität eines Unwohlseins mit dem Geschlecht gerecht wird? Schon der erste Eindruck lässt daran Zweifel aufkommen, denn die Inhalte wirken sehr trans-affirmativ. Zur Begrüßung heißt es:

„Bist du jung und trans*? Weißt du das vielleicht selber nicht so genau? Hast du Fragen zu Labels, Pronomen oder Transition? Denkst du über ein Coming-out nach, aber weißt nicht so richtig, wie? Dann bist du hier genau richtig! Auf dem #transjugend-Portal findest du Infos zu trans* und nichtbinären Themen. Außerdem gibt es Erfahrungsberichte von anderen trans* Leuten, praktische Tipps, bestärkende Übungen und eine Sammlung von Angeboten in deiner Nähe.“

IQN schickte den Link zum Portal zusammen mit einigen Fragen an profilierte KritikerInnen der gender-affirmativen Praxis. Die Elterninitiative Trans Teens Sorge berechtigt antwortete auf die Frage, welchen Eindruck sie von dem neuen Onlineangebot haben:

„Die neue Website soll offensichtlich für die Identifikation als trans* und non-binär werben. Die Startseite der neuen Website trans-jugend.de empfängt Jugendliche mit kurzen und einfachen Texten, die genau die Stichworte enthalten, nach denen Jugendliche suchen könnten, die Unsicherheiten oder Probleme bezüglich ihres Geschlechts bzw. Genders haben, aber auch einfach mit der Pubertät und dem Erwachsenwerden hadern.“

Das bestätigt auch Faika El-Nagashi, lesbische Aktivistin und ehemalige Nationalratsabgeordnete für die österreichischen Grünen gegenüber IQN:

„Was mir insgesamt auffällt, ist, dass die Seite in ihrem Auftritt – in der Bildsprache, Ästhetik, der visuellen Gestaltung – eine Welt für sich schafft, in die die Jugendlichen eintauchen (können). Die Website ist in ‚Zuckerlfarben‘ gehalten und suggeriert Sanftheit, Geborgenheit, emotionale Wärme. Das trägt aber auch zu einer Entschärfung aller potenziell schwierigen Themen bei.“

Screenshot vom #transjugend-Portal: Eine schwarze Meerjungfrau sagt "Wir sind nicht allein."
Eine Meerjungfrau – ein beliebtes Symbol in der Transcommunity. (Foto: Eigener Screenshot)

Selbsttest als zentrales Element

Das zentrale Element der #transjugend-Website ist der Selbsttest „Bin ich trans*?“, der aus 13 Fragen mit jeweils vorgegebenen Antwortmöglichkeiten besteht. Susanne Bischoff, Sport- und Bewegungstherapeutin und seit den 1980er Jahren in der autonomen Frauen- und Lesbenszene engagiert, kritisiert die Inhalte dieses Tests scharf:

„Das ganze Portal manipuliert in jeder Fragestellung und der engen Antwortwahl als auch durch eingeschleuste Zwischenworte. Die Fragen haben selbst für mich als 70-Jährige einen erschreckenden Charakter, den ich so massiv nur aus religiösen Sekten kenne. Eigentlich kann eine, die sich nicht als ‚trans‘ identifiziert, kaum anders, als sich nicht doch ein wenig schuldig zu fühlen, es nicht doch vielleicht irgendwo ein bisschen sein zu können. Wie geht es dann erst der eigentlichen Zielgruppe, wie geht es Mädchen, die sich fragen, ob sie lesbisch sind, und dann kommt das ‚erleichternde Angebot‘, trans sein zu können?“

El-Nagashi hält einen Onlinetest wie diesen für ungeeignet, um Fragen der geschlechtlichen Identität zu klären:

„Die Fragen beziehen sich zum Teil auf Stereotype (Kleidung, Frisur, Freundeskreis) und klammern alle anderen Bereiche (mentale Gesundheit, familiären Kontext, schulische Situation/Belastungen oder sexuelle Orientierung) als Faktoren aus.“

Screenshot vom #transjugend-Portal, die Startseite des Selbsttests "Bin ich trans*?"
Startseite vom Selbsttest „Bin ich trans*?“ (Foto: Eigener Screenshot).

Trans Teens Sorge berechtigt bewertet den Selbsttest so:

„Dabei hatten wir den Eindruck, dass allein die Auswahlmöglichkeiten Jugendliche sehr leicht verunsichern können oder vielleicht auch sollen. Egal wie angekreuzt wird, es läuft immer darauf hinaus, Jugendliche mehr für die Themen Trans*- und Non-binär-Sein zu interessieren, sie auf der Website zu halten.“

Die Sporttherapeutin Bischoff hat das #transjugend-Portal und den Test probeweise zwei Schülerinnen vorgelegt, die sie aus ihrer pädagogischen Arbeit kennt. Beide fallen mit 16 und 20 Jahren altersmäßig in die Zielgruppe der Jugendarbeit des Bundesverbands Trans*.  Und beide fühlten sich mit dem Test in die Trans*-Richtung geschoben, wie sie berichten.

„Im Allgemeinen kann ich sagen, dass diese Umfrage/dieser Test bei der Wahl der Worte sehr, man kann schon sagen, hinterhältig ist. Damit meine ich, dass Worte wie zum Beispiel ‚wahrscheinlich‘ oder ‚vielleicht‘ in die Antworten eingebaut worden sind und somit abgeschwächt und nicht mehr aussagekräftig sind. Außerdem hatte ich große Probleme dabei, manche Fragen zu beantworten, da sie schon so formuliert waren, dass man davon ausging, dass man transgender ist. Und wenn sie dann mal nicht mit der Voreinstellung formuliert waren, dann waren die Antworten so formuliert, als könnten sie entweder eine unsichere Transperson oder eine ‚Cis‘person gegeben haben.
Ein Themenfeld war die Kleidung. Meiner Meinung nach ist das alles nur ein Problem der Gesellschaft und ihrer Stereotype. Als Frau/Mädchen kann man sehr wohl ‚männliche‘ Kleidung tragen und auch andersherum. Und sowieso, der Kleidungsstil ist nie vom Geschlecht abhängig; also kann jede/r alles tragen.
Da ich mit dem kritischen Aspekt an dieser Umfrage/diesem Test teilgenommen habe, sind meine Antworten an der  einen oder anderen Stelle anders ausgefallen, als wenn ich mich ohne Filter durchgeklickt hätte. Und ich denke, dass mir dieser Test sicherlich resümierende Texte gezeigt hätte, die darauf hinweisen würden, dass ich transgender/ non-binary bin, wenn ich ohne diesen Filter dort rangegangen wäre. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass ich ein Mädchen bin.“

Carla*

(*Name geändert), 16 Jahre, 10. Klasse Gymnasium

„Ich hatte keine Motivation, den Fragebogen bis zum Ende durchzugehen, etwa drei Viertel geschafft. Bei fast allen Fragen fühlte ich mich in eine Ecke gedrückt – immer wieder kam ein Wink mit dem Zaunpfahl, ob ich nicht vielleicht doch trans sei. Ich fühle mich klar als Frau und habe die Antworten auch so eingegeben, trotzdem kamen ‚Hinweise‘, ob ich nicht doch vielleicht … Ich fand, das Thema wird verharmlost, so als wenn man mit ‚trans‘ mal so ein bisschen rumprobieren könne. Gegengeschlechtliche Kleidung und trans haben doch gar nichts miteinander zu tun. Außerdem gab es bei einigen Fragen, wo ich ehrlicherweise keine Antwort hätte geben können, überhaupt keine andere Möglichkeit, als Richtung trans oder non-binär anzukreuzen.“

Marla*

(*Name geändert), 20 Jahre, 10. Klasse Gymnasium

Risiken medizinischer Maßnahmen bleiben unerwähnt

Doch nicht nur der Selbsttest ist kritikwürdig, auch sonst fehlen viele wichtige Aspekte rund um das Thema Transsein oder Unzufriedenheit mit dem Geschlecht beziehungsweise wird in einer unangemessenen Weise verharmlost. Faika El-Nagashi dazu:

„Die gezeigten Körper (und Personen) sind Fantasiefiguren und Fabelwesen, zum Teil mit Flügeln ausgestattet oder als Meerjungfrau/-mann, die zum Träumen einladen und den Realitätsbezug hintenanstellen. Die Identitätssuche wird so zu einer Fantasiereise. Ich konnte keine Hinweise darauf finden, was schiefgehen kann z.B. bei der Einnahme von Hormonen oder bei Operationen.“

Im Glossar werden Pubertätsblocker zudem als „Pausetaste“ verharmlost, auf Risiken und Nebenwirkungen wird erst gar nicht hingewiesen.

Ausschnitt aus dem Glossar mit dem Eintrag zu Pubertätsblockern
P wie „Pubertätsblocker“ im Glossar (Foto: Eigener Screenshot).

„Gerade gender-nichtkonforme Jugendliche oder lesbische/schwule Jugendliche werden sich in vielen Themen und Berichten wiederfinden, ohne allerdings eine Affirmation dahingehend zu erhalten, dass sie schlichtweg homosexuell oder individuell ausdrucksstark sein können“, so die österreichische Aktivistin weiter.

Die Elterninitiative Trans Teens Sorge berechtigt bestätigt dies:

„Mögliche Nachteile oder Komplikationen mit der sozialen, rechtlichen oder medizinischen Transition kommen nicht vor, gibt es anscheinend nicht. Alles ist weitestgehend wählbar. Wörter wie ‚Zweifel‘ oder ‚Bedenken‘ kommen nur selten vor, um gleich wieder normalisiert zu werden.“

Das deutsche Bundesfamilienministerium, welches dieses Projekt über Mittel aus dem Programm „Demokratie leben“ finanziert, sieht offenbar kein Problem in der inhaltlichen Ausrichtung des Portals. Auf Nachfrage von IQN antwortete dessen Sprecher:

„Die konkrete Ausgestaltung der Plattform liegt in der Verantwortung des Zuwendungsempfängers. Gestatten Sie in diesem Zusammenhang den Hinweis, dass die Plattform als Erstanlaufstelle für Ratsuchende dient. Anlaufstellen für die weiterführende sowie detaillierte persönliche Beratung sind auf der Website aufgeführt.“

Weder Trans Teens Sorge berechtigt noch El-Nagashi und Bischoff würden das Portal allerdings aufgrund der ideologischen Schlagseite informations- und ratsuchenden jungen Menschen sowie deren Eltern empfehlen. „Die Website trans-jugend.de folgt eindeutig und streng dem Affirmation-only-Trend, obwohl dieser international tendenziell abkühlt. Die Abkehr einiger europäischer Nachbarländer von diesem Trend aufgrund der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse findet nirgends auf dieser Website einen Niederschlag“, stellt die Elterninitiative fest.

Screenshot vom #transjugend-Portal zeigt eine Grafik, die ein Mischwesen aus Mensch und Vogel darstellt und sagt "Wir alle fühlen uns manchmal unsicher."
Ein unsicheres Phantasiewesen (Foto: Eigener Screenshot).

Dabei sind dem Bundesfamilienministerium diese Entwicklungen ebenfalls bekannt, wie sein Sprecher auf Nachfrage bestätigte. Auf die Frage, wie das Ministerium zukünftig mit sensiblen und komplexen Themen wie Geschlechtsdysphorie umgehen wolle, antwortete dieser: „Das Bundesfamilienministerium widmet sich von jeher und auch zukünftig sämtlichen Themen und Fragestellungen, die im Zuständigkeitsbereich des Hauses liegen, mit größter Aufmerksamkeit und Sorgfalt.“

Differenzierte Informationsangebote dringend gesucht

Die Gestaltung des aus Bundesmitteln geförderten #transjugend-Portals lässt daran Zweifel aufkommen. Dabei würden alle befragten KritikerInnen gute und differenzierte Informationsangebote für Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie sehr begrüßen. Faika El-Nagashi formuliert ihre Erwartungen an ein gutes Angebot folgendermaßen: „Ergebnisoffene Unterstützung statt Aktivismus. Geschlechtsdysphorie nicht gleichbedeutend mit Selbstverwirklichung verstehen. Risiken deutlich benennen. Die ästhetische Rhetorik an die Realität anlehnen.“

Susanne Bischoff wünscht sich:

„Eine Rückkehr zu fortschrittlichen Konzepten der 1980er bis 1990er Jahre. Trans und non-binär ist in der derzeitigen Überschüttung eine Ablenkung von gesellschaftlichen Fragestellungen und führt letztlich zur narzisstischen Überhöhung mit stark depressivem Anteil. Das kann für einen demokratischen Staat kein Ziel sein an Überindividualisierung.“ Die Sporttherapeutin weiter: „Das Thema ‚trans‘ verhindert in vielerlei Hinsicht Emanzipation und arbeitet damit nicht nur der Pharmaindustrie im entfesselten Kapitalismus regelrecht in die Arme.“

Die Elterninitiative weist darauf hin, dass es differenziertere Informationsangebote bei Jugendlichen schwer haben: „Wir wissen aus Erfahrung, dass selbst die intelligentesten und wenig durch Komorbiditäten belasteten Teenager Informationen zur Transition wie Studien, Filme, sonstige Medien, die nicht umfänglich bestätigend sind, schnell für sich ablehnen.“

Ersatz für das Regenbogenportal

Hinterfragenswert ist, welche Lücke dieses Angebot schließen soll, wie auch Trans Teens Sorge berechtigt äußert: „Warum braucht es noch eine weitere öffentlich geförderte trans-affirmative Website für diese Zielgruppe der genderunsicheren Jugendlichen, während ausgewogene, realistische und faktenbasierte Informationen zu trans* im Web Mangelware sind?“

Es ist gut möglich, dass das Portal #transjugend in nicht allzu ferner Zeit denselben Weg nimmt wie das ebenfalls vom Bundesfamilienministerium geförderte Regenbogenportal. Dies war als umfassendes Informationsportal zu LGBTIQ gedacht und dann aber sehr trans-fokussiert und darin affirmativ geraten. Dieses Onlineangebot geriet besonders 2022 in die Kritik, als die heutige Bundestagspräsidentin und CDU-Abgeordnete Julia Klöckner stark verharmlosende Darstellungen von Pubertätsblockern im Kurznachrichtendienst X angeprangert hatte.

Im November 2024 wurde das Portal plötzlich sehr kurzfristig aus dem Netz genommen, mit der Begründung, es müssten für einen Weiterbetrieb umfassende Überarbeitungen vorgenommen werden und es gäbe inzwischen ein breiteres Informationsangebot, womit das steuergeldlich finanzierte Regenbogenportal überflüssig geworden sei.

Vermutlich wurde dem Familienministerium die direkte redaktionelle Verantwortung eines solchen informationell sehr einseitig gestalteten Portals politisch zu heikel. Nun gibt man jemand anderem das Geld, aber das Ergebnis ist kein besseres. Staatlich geförderte Aufklärungs- und Informationsangebote für Minderjährige sollten differenziert, evidenzbasiert und objektiv gestaltet sein. Weder das Regenbogenportal noch die neue Website #transjugend werden einem solchen Anspruch gerecht.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Sex, Hundemasken und Kinder: Warum Kink auf der Pride nicht politisch, sondern problematisch ist

Pünktlich zur Pride-Saison gibt es immer wieder Streit, ob und wie Kink in den CSD-Demos sichtbar sein sollte oder darf. Vor allem, wenn Kinder anwesend sind. Am 3. Juni erschien online im Berliner Stadtmagazin Siegessäule der Kommentar „Lack, Leder, lächerliche Empörung – Puppys sind keine Gefahr für Kinder!“ von Jeff Mannes. Unser Gastautor William Black erläutert, warum er das anders sieht.

Mann mit Puppy-Maske und Lederhemd, Symbolbild für Artikel "Sex, Hundemasken und Kinder: Warum Kink auf der Pride nicht politisch, sondern problematisch ist"
Pride-Demos mit oder ohne Puppy? (Foto von Sonny Ravesteijn auf Unsplash.)

10. Juni 2025 | William Black

Jeden Sommer entfacht sie aufs Neue hitzige Debatten: die Frage, ob Fetischdarstellungen auf CSDs – insbesondere in Gegenwart von Kindern – Ausdruck sexueller Befreiung oder bedenklicher Grenzverschiebung sind. Was einige als sichtbaren Protest feiern, empfinden andere als ideologisierte Enthemmung. Die Kontroverse um Kink auf der Pride ist längst zum Lackmustest innergemeinschaftlicher Bruchlinien geworden.

Dabei berührt die Debatte zentrale Konflikte der schwullesbischen Emanzipationsgeschichte: Die Fetischierbarkeit der Körper nicht-heteronormativ begehrender Menschen war stets ambivalent – kriminalisiert, zugleich begehrt. Heute prallen Sichtbarkeit und Verantwortung, Lust und Schutz, Befreiung und politische Reife schmerzhaft aufeinander.

Zugleich zeigt sich ein paradoxer Effekt: Das uneingeschränkte Affirmieren sexueller Entgrenzung wird zunehmend zum moralischen Purity-Test. Zustimmung wird zur Loyalitätsbekundung, Kritik zur verdächtigen Normativität – ein Mechanismus, der im angelsächsischen Raum längst als „woke purity culture“ beschrieben wird.

„Kink“ – ein Wort, das im queeraktivistischen Diskurs längst umgedeutet wurde: von der klaren Definition ungewöhnlicher, teils extremer sexueller Praktiken hin zu einer politischen Chiffre. Kink gilt nun als nicht-immer-sexuell, kann therapeutische Funktionen übernehmen oder abstrakte Motive wie Entspannung, Gemeinschaft oder spielerische Selbstfindung beinhalten.

Doch all das geschieht in einem kulturellen Klima, das nicht nur emanzipatorisch, sondern auch marktlogisch funktioniert: Die permanente Reizung, das Sichtbar-Machen um jeden Preis, die Zurschaustellung des Begehrens folgt oft weniger einem Bedürfnis nach Freiheit als den Regeln eines neoliberalen Spektakels – immer spektakulärer, immer enthemmter, immer konsumierbarer. Was als Sichtbarkeit verkauft wird, ist nicht selten die Ästhetisierung der Reizüberflutung.

Eine häufig zitierte Studie von Darren Langdridge und Jamie Lawson (The Psychology of Puppy Play, 2019), die in queeren Kreisen vielfach rezipiert wurde, hat diese Perspektive wissenschaftlich unterfüttert – und dient seither als eine Art Legitimationsgrundlage, um die Praxis von Kink auch im öffentlichen Raum zu enttabuisieren.

Was auf der Pride zu sehen ist, sei nur Verkleidung. Kinder würden das ohnehin nicht als Sexualität erkennen. Und wer widerspricht, gilt als verklemmt, prüde – queerfeindlich. Doch diese Argumentation ist naiv – und gefährlich. Sichtbarkeit wirkt. Immer. Und nicht alles, was aus der queeraktivistischen Ideenwelt hervorgegangen ist, muss überall sichtbar gemacht werden.

Kink und Kinder? Jeff Mannes sagt ja – und das ist das Problem.

Der Kommentar „Lack, Leder, lächerliche Empörung – Puppys sind keine Gefahr für Kinder!“, veröffentlicht am 3. Juni 2025 auf siegessaeule.de, steht exemplarisch für eine Entwicklung, die viele langjährige Mitglieder der schwullesbischen Community mit wachsender Irritation verfolgen: Die Verschiebung des CSD von einem politischen Emanzipationsumzug zu einer Bühne identitätspolitischer Performanz.

Mannes’ Text ist dabei mehr als nur eine Verteidigung der Fetischsichtbarkeit – er ist ein Plädoyer für gezielte Provokation, auch vor Kindern. Er bedient sich einer Rhetorik, die Kritik reflexhaft als prüde oder repressiv abtut und Sichtbarkeit über jede Form von Kontext stellt.

Was früher Differenz war – zwischen Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, zwischen Lebenswelt und Protest – wird heute glattgebügelt zugunsten einer Linie, die nur noch eines kennt: mehr Sichtbarkeit, mehr Irritation, mehr Entgrenzung.

Bereits neun Monate zuvor veröffentlichte Mannes auf queer.de einen Kommentar unter dem Titel: „Kink ist Pride – und Kinder sollen das sehen!“. Der Beitrag ist laut, agitatorisch, provokant – eine offensive Kampfansage gegen jede Form von Zurückhaltung. In seinem späteren Artikel in der Siegessäule dagegen gibt sich Mannes konzilianter: Die Sprache ist geschmeidiger, das Plädoyer eingebettet in Begriffe wie Vielfalt, Normalität und pädagogischer Nutzen. Die Botschaft aber bleibt dieselbe: Kink gehört auf die Pride – und Kinder sollen das sehen.

Das ist keine neutrale Beobachtung, sondern eine politische Agenda. Eine bewusste Grenzverschiebung, eine symbolische Provokation – nicht trotz, sondern wegen der zu erwartenden Kritik. Sichtbarkeit wird dabei nicht als Mittel verstanden, sondern als Selbstzweck. In einem Klima identitätspolitischer Absolutheit gerät jede Kritik unter Generalverdacht – als Angriff auf Vielfalt selbst.

Der Text operiert mit vier typischen Strategien des derzeit dominanten queeraktivistischen Diskurses:

Erstens: Subjektivierung statt Argument

Mannes trennt strikt zwischen sexueller Handlung und sexueller Symbolik – so strikt, dass jede gesellschaftliche Deutung ausgeschlossen wird. Sexuell ist nur, was sich subjektiv so anfühlt. Der kulturelle Symbolgehalt von Fetischgear, Puppy Play oder BDSM-Zubehör wird damit entwertet. Was außen sichtbar ist, spielt keine Rolle – nur das Innenleben zählt.

Zweitens: Infantilismus als Argumentationsstrategie  

Eine zentrale Passage lautet:  „Ein Kind sieht, wenn es einen Menschen mit Hundemaske erblickt, keinen Sex.“  Diese Aussage ist nicht nur naiv, sondern zynisch. Kinder werden nicht geschützt, sondern instrumentalisiert – als Projektionsflächen einer Welt, in der alles gleichwertig, alles normalisierbar sein soll. Ob sie sexualisierte Symbole sinnvoll verarbeiten können, wird gar nicht erst gefragt.

Drittens: Politischer Absolutismus der Abweichung

„Sexualität ist politisch. Queeres Leben ist politisch. Und Kink ist ebenfalls politisch.“  Mannes erhebt jede Normabweichung zum politischen Akt – ungeachtet von Kontext und Wirkung. Politik wird zur Provokation, Sichtbarkeit zur Eskalation. Wer Regeln respektiert, gilt als angepasst.

Viertens: Immunisierung durch Empörungsrhetorik 

Die klassische Einleitung „Ich hab ja nichts gegen queere Menschen, aber…“ dient hier der Abwehr jeder Kritik. Wer differenziert, wird verdächtigt. Wer Maß fordert, gilt als repressiv. Eine Debatte über Ort, Wirkung oder Adressat wird dadurch im Keim erstickt.

Was heute als „Freiheit“ gefeiert wird, ist häufig ein Absolutismus des Ausdrucks – entgrenzt, kontextvergessen, immun gegen Kritik. Doch Emanzipation war nie Maßlosigkeit. Die schwullesbische Bewegung kämpfte für Sichtbarkeit, Gleichstellung und Schutz – nicht für schrankenlose Selbstdarstellung. Ihr Erfolg beruhte auf Legitimität, nicht Lautstärke. Auf kollektiver Erfahrung, nicht auf individueller Zersplitterung. Wenn Gleichstellung zur Bühne narzisstischer Inszenierung wird, verliert „Freiheit“ ihren politischen Kern – und wird zur Pose.

Diese Entwicklung ist nicht zufällig. Sie folgt einem ideologischen Paradigma, das im poststrukturalistischen Denken wurzelt: Alles ist Zeichen, Identität wird zur Performanz, Wahrheit zur Konstruktion. Was einst als Kritik an Normen begann, mutiert zur Doktrin: fluide im Anspruch, autoritär im Ton. Der Queeraktivismus wird zum verlängerten Arm dieser Theorie – auf der Straße, in der Kulturpolitik, im pädagogischen Raum.

Die Mehrheit queerer Menschen aber, lebt keine extrovertierte Kink-Identität. Viele Lesben, Schwule und Transpersonen führen ein erfülltes, „vanilla“-geprägtes Leben – mit gelegentlichem Stolz, aber ohne Dauerinszenierung. Sichtbarkeit bedeutet für sie: Sicherheit, Normalität, Gleichstellung. Nicht Dauerprovokation.

Identitätspolitik, Sichtbarkeit und das Spektakel der Sexualität

Immer häufiger ersetzt der Auftritt das Anliegen. Sichtbarkeit wird nicht mehr begründet, sondern behauptet – schrill, demonstrativ, unantastbar. Was ursprünglich als Mittel kollektiver Emanzipation diente, gerät zur Bühne individueller Selbstvergewisserung. Die politische Botschaft wird zur ästhetischen Geste, das geteilte Begehren zum performativen Statement.

Ursprünglich bedeutete Identitätspolitik: Benennung, Sichtbarmachung, Schutzräume. Diskriminierte Gruppen artikulierten ihre Erfahrungen und forderten gleiche Rechte. Doch diese Stoßrichtung ist weitgehend verschwunden. Statt Anliegen zählen heute Ästhetik und Irritationskraft. „Ich fühle mich so – also bin ich so. Niemand darf das in Frage stellen“, lautet die neue Devise.

In dieser Logik wird Sexualität nicht mehr als verletzlicher Erfahrungsraum verstanden, sondern als öffentlich vorzeigbare Geste – gerade, wenn es um Kink oder BDSM geht. Die Parole „Kink ist Pride“ ist ein Resultat dieser Dramaturgie. Sie verwandelt sexuelle Praxis in politische Behauptung – nicht, weil jemand bedroht ist, sondern weil jemand gesehen werden will.

Doch das Spektakel ersetzt nicht die Substanz. Wer auftritt, erwartet Zustimmung – nicht Diskussion. Wer dagegen fragt, ob Fetischdarstellungen auf der Pride wirklich nötig sind, steht nicht mehr in einer Debatte, sondern unter Verdacht.

Gravierender noch ist die Frage nach dem Ort: Wenn sexualisierte Codes in Räume getragen werden, die auch Kindern offen stehen, wird die politische Bühne zur pädagogischen Grauzone. Der Maßstab verschiebt sich – vom Schutz des Kindes zur Sichtbarkeit des Erwachsenen. Pädagogische Verantwortung wird ersetzt durch symbolische Selbstvergewisserung.

Was aber geschieht, wenn ein Kind beobachtet, wie Erwachsene mit Hundemasken auf allen Vieren durch die Stadt ziehen – und diese Darstellungen als „pädagogisch wertvoll“ gedeutet werden? Ein Kind, das gerade gelernt hat, in der Öffentlichkeit nicht zu pinkeln, könnte nun vermittelt bekommen, dass genau dieses Verhalten im Rahmen queerer Sichtbarkeit völlig in Ordnung sei. Der Verlust von Kontext ist hier nicht Befreiung, sondern Verwirrung.

Was Kinder nicht sagen können – und Erwachsene nicht hören wollen

Besonders deutlich wird der Konflikt in einem Video der transaktivistischen Influencerin Finessi mit dem Titel „Notwendige Aufklärung? | FiNessi reagiert“, veröffentlicht am 24. August 2024 auf YouTube. Darin greift sie affirmativ Jeff Mannes’ queer.de-Kommentar auf – nicht kritisch, sondern zustimmend. Schon zu Beginn macht sie sich dessen zentrale These zu eigen:

Kink ist Pride – und Kinder sollen das sehen.

Diese Aussage markiert den programmatischen Auftakt eines Kommentars, in dem Sichtbarkeit, Sexualität und Pädagogik zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen. Die Sichtbarkeit sexualisierter Codes wird zur Notwendigkeit erklärt, Kritik daran als repressiv gebrandmarkt – und Kinder zu neutralen Beobachtern erklärt, die keine sexuellen Konnotationen erkennen und deshalb auch nicht geschützt werden müssten.

Finessi verteidigt Puppy Play auf der Pride nicht trotz, sondern wegen der Anwesenheit von Kindern. Kinder, so das Argument, müssten früh mit allem konfrontiert werden, um ihre Grenzen kennenzulernen. Dass diese Erfahrungen durch Erwachsene kuratiert und öffentlich inszeniert werden, scheint kein Problem darzustellen. Pädagogische Expertise ersetzt Finessi durch Überzeugungskraft – das Kindeswohl wird rhetorisch dem Kampf um Sichtbarkeit untergeordnet.

Im Verlauf des Videos wird das Lachen eines Kindes über einen „Puppy Player“ als Beweis für Unbedenklichkeit dargestellt – als sei das Fehlen von Abwehrreaktionen ein Freibrief für jede Performance. Symbolische Bedeutung? Fehlanzeige. Kindliche Schutzräume? Überflüssig. Alles wird in der Logik der Sichtbarkeit aufgelöst. Auch Karneval dient als Vergleich – sexy Kostüme und Grenzverschiebungen gebe es schließlich dort auch.

Deutlich widerspricht dem die transidente YouTuberin PersiaX in einem sogenannten Reaction-Video. In diesem auf YouTube verbreiteten Format kommentiert eine Person ein bestehendes Video – meist kritisch oder analytisch. PersiaX nutzt es, um Finessis Aussagen Schritt für Schritt zu sezieren.

Nicht Kink an sich sei das Problem, sondern seine Kontextlosigkeit in der Öffentlichkeit – besonders vor Kindern. Sichtbarkeit, so PersiaX, brauche Grenzen.

Ich habe an sich nichts gegen Puppy Player oder Kink. Aber dass es vor Kindern ausgelebt wird, ist ein Problem.

Ein fünfjähriges Kind lache nicht, weil es die Situation verstehe, sondern weil es sie nicht einordnen könne. Zustimmung durch Lachen sei kein Beweis für Harmlosigkeit, sondern für kognitive Überforderung.

Konsens ist das Zauberwort überall – außer, wenn es um Kinder geht?

Diese Frage trifft den Nerv der Debatte. Wenn der politische Diskurs auf Konsens beruht, endet er dort, wo er nicht eingeholt werden kann.

Auch Finessis Behauptung, Puppy Play sei bloß ein „Outfit“, kontert PersiaX klar:

Puppy Play ist kein Kostüm. Es ist ein Rollenspiel mit Dom/Sub-Dynamik.

Mit scharfer, aber differenzierter Kritik zeigt PersiaX: Sichtbarkeit darf nicht schrankenlos sein – und schon gar nicht dort, wo Kinder anwesend sind.

Wenn Sichtbarkeit zur Selbstzerstörung wird

Unbehagen gegenüber einem entgrenzten Queeraktivismus ist längst keine Randerscheinung mehr – auch unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen. Weltweit haben sich Initiativen wie LGB Alliance, The Lesbian Project, Gays against Groomers, Just Gay und Einzelpersonen wie die Grünen-Politikerin Faika El-Nagashi, die transidenten YouTuber Blaire White, Buck Angel und Rose of Dawn formiert, die sich offen gegen diese Entwicklungen stellen. Unterschiedlich in Herkunft und Haltung, eint sie die Kritik an einer Identitätspolitik, die jede Grenze tilgt und jede Kritik als Rückschritt diffamiert.

Besonders perfide ist die Abwertung innergemeinschaftlicher Kritik als „internalisierte Homofeindlichkeit“ oder „Pick-Me-Verhalten“. Dabei zeigen Bandbreite und Ernsthaftigkeit der Positionen: Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um eine wachsende Gegenbewegung innerhalb der Community.

Ein Beispiel dafür ist ein Facebook-Kommentar von Eric Fuchs zu Jeff Mannes’ Siegessäule-Kolumne über Kink auf dem CSD. Fuchs schreibt:

Nicht alles, was sichtbar sein darf, muss überall sichtbar sein. Und nicht alles, was Teil unserer Geschichte ist, muss unreflektiert in jeder Form repräsentiert werden.

Fuchs fordert keine Verbote, sondern plädiert für Kontextsensibilität – aus Respekt vor Vielfalt. Sichtbarkeit, so sein Credo, sei kein Selbstzweck, sondern ein politisches Mittel, das sich an den Bedürfnissen derer orientieren müsse, für die es gemacht ist.

Prompt wird ihm Prüderie unterstellt – ein gängiger Reflex in heutigen Diskursen. Fuchs antwortet nüchtern:

Nicht alles, was Grenzen reflektiert, ist Angst vor Sexualität – manchmal ist es einfach Respekt vor Vielfalt.

Sein Beitrag steht exemplarisch für eine Kritik, die nicht von außen kommt, sondern aus der Mitte – und die aufzeigt, dass Zugehörigkeit nicht durch schrankenlose Sichtbarkeit entsteht, sondern durch Räume, die für viele zugänglich bleiben.

Was bleibt vom Begriff der Emanzipation?

Die queere Fetischpolitik erhebt Sichtbarkeit zum höchsten Gut – und verliert darüber jene Prinzipien, die schwullesbische Emanzipation einst stark machten: rechtliche Gleichstellung, soziale Anerkennung, Schutzräume. Was heute als Provokation gefeiert wird, war früher politische Notwendigkeit – geboren aus Verfolgung, getragen von Solidarität.

Doch je schriller die Performance, desto leiser die Frage: Für wen sprechen wir noch? Wer wird durch die neue Symbolpolitik ausgeschlossen? Wenn alles politisch ist, wird nichts mehr verhandelbar. Wenn Sichtbarkeit keinen Kontext kennt, ersetzt expressive Freiheit die demokratische Aushandlung. Was als Fortschritt gilt, wird so zum autoritären Dogma: Wer nicht jubelt, gilt als rückständig. Wollen wir wirklich, dass Pride zur Bühne sexueller Selbstinszenierung vor Kindern wird? Oder schaffen wir Räume, die Zugehörigkeit stärken – nicht überfordern?

Die Zukunft liegt nicht in schrankenloser Sichtbarkeit, sondern in Balance: zwischen Ausdruck und Verantwortung, Provokation und Rücksicht, Befreiung und Bindung. Sichtbarkeit muss Mittel bleiben – nicht Selbstzweck. Sie muss die Frage mitführen: Wen nehme ich mit? Und wem mute ich etwas zu?

Vielleicht beginnt echte Emanzipation genau hier:  Nicht im Recht, alles zu zeigen – sondern in der Freiheit, zu entscheiden: Wann, mit welchem Zweck, an welchem Ort und für wen.


William Black ist Musikwissenschaftler, Webentwickler, UX-Designer und Sprachlehrer. Er lebt in Frankfurt und beschäftigt sich mit queerer Kulturkritik sowie mit Migrations- und Identitätspolitik.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Bunte Nägel oder: Welche Zukunft hat der staatlich protegierte queere Aktivismus?

Viele Pride-Veranstaltung haben in diesem Jahr erhebliche Probleme, Sponsorengelder einzuwerben. Diese Entwicklungen sind nur ein Vorgeschmack des Abschwungs der politischen und finanziellen Aufmerksamkeit für den queeren Aktivismus. Am riskantesten sind die gravierenden Fehlentwicklungen um die Transfrage, die noch weitere Sympathien kosten werden.

Ein kleines Papierfaltboot im Regen in Nahaufnahme, Symbolbild für Artikel "Bunte Nägel oder: Welche Zukunft hat der staatlich protegierte queere Aktivismus?"
Die Bedingungen für den queeren Aktivismus werden in den kommenden Jahren rauer (Foto von Bruno Kelzer auf Unsplash).

8. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Es deutet sich an: Die fetten Jahre für den queeren Aktivismus kommen an ihr Ende. Ein wichtiges Indiz ist die, national wie international, nachlassende Spendenbereitschaft von großen Wirtschaftsunternehmen für Pride-Veranstaltungen. Die Gastgeber großer CSD-Paraden in Berlin, Hamburg, Köln oder München klagen über Finanzierungslücken durch die wegbrechende finanzielle Unterstützung. Noch können alle CSDs in diesem Jahr stattfinden, doch was im kommenden Jahr sein wird, steht in den Sternen.

Als Gründe für diese Veränderung der bisherigen Großzügigkeit gelten die schlechtere Wirtschaftslage und vor allem der Antritt Donald Trumps als Präsident der USA. Trump hat per Dekret zu Beginn seiner Amtszeit Programme für DEI (Diversity, Equity and Inclusion) eingeschränkt und deutlich gemacht, dass er solche Maßnahmen als „woken Unfug“ verachtet. Auch europäische Firmen, die in den USA Geschäfte machen, sind von diesen Dekreten davon betroffen. Um sich den Zugang zum US-Markt zu erhalten, wird sich von allzu offensiven Vielfaltsbekenntnissen verabschiedet – und damit auch vom Sponsoring von queeren Events.

Trump ist nicht allein schuld

Doch die Krise kann nicht allein auf den Faktor namens Trump geschoben werden. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre hat sich im queeren Aktivismus eine Struktur entwickelt, die vor allem durch staatliche Gelder lebt, wenn sie nicht obendrein noch Sponsorengelder aus der Privatwirtschaft und von Stiftungen erhält. Um sich weiterhin zuwendungsrelevant zu halten, hat sich in den letzten zehn Jahren dadurch eine Art Soufflé-Effekt aufgebaut – der Bedarf wurde mit viel heißer Luft größer aufgebläht als er eigentlich ist. Dafür wurde „Queer“ definitorisch so ausgeweitet, dass sich jede x-beliebige Hete mit bunten Haaren und Phantasiepronomen inkludieren kann.

Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Transthema zuteil. Doch die Chancen, die sich daraus ergeben haben, wurden nicht sinnvoll genutzt. Stattdessen haben die so großzügig mit staatlichem Geld gepamperte Aktivistas auch noch dem nun rollenden Backlash zugearbeitet!

Schwere Fehler in der Transfrage

Gerade in der Transfrage ist Grundlegendes derart falsch gelaufen, dass die Fehler nicht so einfach zu reparieren sein werden und ein breiter Flurschaden für die queere Akzeptanz entstanden ist. Auf der Basis einer durch Judith Butler geprägten Queer Theory wurde die Zweigeschlechtlichkeit zu einem zu überwindenden Übel, was vor allem in einem immer nach dem nächsten „Radical Chic“ lechzenden progressiven und wohlstandsverwahrlosten Milieu besonders gut ankam.

Politisch entstanden daraus Konzepte wie Geschlecht als Teil der individuellen Selbstbestimmung, womit vor allem gemeint war, Definition des Geschlechts von seinen körperlichen Grundlagen zu lösen. In Deutschland führte das 2024 zur Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, wonach nun alle volljährigen BürgerInnen zum örtlichen Standesamt gehen und ihren amtlich dokumentierten Geschlechtseintrag ändern lassen können. Minderjährige können dies mit ihren Eltern gemeinsam tun. Es müssen weder die Motive für diesen Schritt dargelegt werden, noch muss der neu gewählte Geschlechtseintrag auch nur annähernd zum Äußeren passen. Ohnehin gilt in dieser ideologischen Welt, was der ehemalige Queerbeauftragte Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) einmal im Fernsehsender 3sat sagte: „Welches Geschlecht ein Mensch hat, kann kein Arzt von außen attestieren.“

Staatlich subventionierte Irrtümer

Die staatlich geförderten Aktivistas wähnen sich am Ziel und streichen zu seiner Absicherung generöse Fördermittel über Programme wie „Demokratie leben“ ein, um KritikerInnen an der queeren Entmaterialisierung von Geschlecht in den Ruch des Rechtsextremen zu bringen. Doch wer sich nicht der ideologisch-politischen Kreiswichserei hingibt, weiß längst, dass es immer noch nur zwei biologische Geschlechter gibt, deren materielle Bedingungen nicht per Sprechakt obsolet werden.

Solche materiellen Bedingungen zeigen sich beispielsweise in der Medizin, im Sport oder generell in den Körperfunktionen. Das wissen auch die queeren Aktivistas, weshalb sie orwellschen Neusprech verlangen, der beispielsweise anstatt „Frau“ „Mensch mit Uterus“ sagt. Im Sport wird nun nach Jahren der Trend zur Inklusion von biologisch männlichen Trans- und Interpersonen in den Frauensport wieder umgekehrt, indem mehr und mehr Sportverbände Restriktionen erlassen. Wissenschaftlich zu evident sind die Vorteile der biologisch männlichen Körper und die Sicherheitsrisiken für Frauen.

Queere Aktivistas waren in den letzten dreißig Jahren erfolgsverwöhnt: Schritt für Schritt stieg die gesellschaftliche Akzeptanz, wurden Gleichstellungserfolge wie die „Ehe für alle“ erzielt. (Wobei: Die Entbiologisierung der Ehe, die Vollendung der bürgerlichen Aufklärung im Personenstandsrecht, verdankt sich nicht der queeren Bewegung, sondern der der Schwulen und Lesben.) Auch die stärkere Unterstützung für Trans oder das OP-Verbot zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit von intergeschlechtlichen Kindern sind wichtige Meilensteine.

Hinterfragen bei Trans tabu

Doch gerade innerhalb der letzten zehn Jahre verließ man in Sachen Geschlecht den Rahmen wissenschaftlicher Evidenz und Vernunft. Insbesondere aber stellte man die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf Verluste über die anderer, vor allem von Frauen sowie von vulnerablen Kindern und Jugendlichen. Denn während man um die körperliche Unversehrtheit von intergeschlechtlichen Kindern kämpft, ist die von heranwachsenden Lesben und Schwulen sowie jungen Menschen mit Autismus sowie anderen Erschwernissen nicht so wichtig. Sobald das magische Wort „trans“ fällt, darf nicht mehr hinterfragt werden, ob soziale, rechtliche und vor allem medizinische Schritte einer Geschlechtsangleichung wirklich die beste Lösung für ein Kind oder Jugendlichen ist. Dabei steht die medizinische Evidenz für dieses Vorgehen auf sehr wackligen Beinen.

Im Ausland fallen diese Fehler LGBTIQ bereits böse auf die Füße. In den USA verhalfen die Kontroversen insbesondere um falsch behandelte Minderjährige und biologisch männlichen Personen im Frauensport Trump mit zum Wahlsieg. In Großbritannien urteilte nun das höchste Gericht, dass in bestimmten Situationen zwischen Trans und biologischem Geschlecht differenziert werden darf. Ebenso wurde dort die Kehrtwende im medizinischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen vollzogen, die eine Transition wollen.

Akzeptanz sinkt in UK

Gerade am britischen Beispiel lässt sich die sinkende Akzeptanz auch messbar zeigen. Im ILGA-Ranking lag Großbritannien einmal auf den vordersten Plätzen als „Europe’s most LGBTQ+ friendly country“. Im Februar 2025 veröffentlichte Zahlen einer seit 2018 regelmäßig wiederholten YouGov-Befragung zeigen speziell in der Transfrage, wie seit 2022 die Skepsis gegenüber diesen Anliegen in der britischen Bevölkerung wächst.

Robert Wintemute, britischer Menschenrechtsexperte und Mitautor an den international zur Richtschnur für LGBTIQ-Menschenrechte erhobenen Yogyakarta-Prinzipien, beschrieb, was ihn vom Unterstützer zu Kritiker der Transbewegung werden ließ: Dass einige Mitglieder der Transgender-Bewegung nicht zu verstehen scheinen, dass auch Frauen Menschenrechte haben. Die bisherigen Reaktionen britischer Transaktivistas auf das Supreme-Court-Urteil lassen den Schluss zu, dass Wintemutes Befund zutreffend ist. Bei einem Protestmarsch an Ostern wurde in London wildgepinkelt und Schilder mit Todeswünschen an sogenannte TERFs hochgehalten, bei anderen Aktionen vor allem von Transfrauen mit nacktem Oberkörper demonstriert. Es scheint so, als wollten die Aktivistas unbedingt dafür sorgen, dass sich die Werte in der nächsten YouGov-Befragung weiter verschlechtern.

Festhalten am Selbstbestimmungsgesetz

Auch in Deutschland arbeitet die staatlich alimentierte Szene unbeirrt dem eigenen Untergang entgegen. Am Selbstbestimmungsgesetz wird eisern festgehalten, obwohl rechtsextreme Aktivistas wie Marla-Svenja Liebich vorführen, wie einfach es zu nutzen ist, um Rechtsabteilungen zu beschäftigen. Neu hinzugekommen ist ein AfD-Mitglied aus dem Saarland, was bereits angekündigt hat, mit dem neuen Geschlechtseintrag „weiblich“ gezielt Zutritt zu Sanitär- und Umkleidebereichen für Frauen zu fordern.

Ebenso unbeirrt wird die Medikalisierung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie vorangetrieben, obwohl sich die Warnungen vor Risiken aufgrund der schwachen medizinischen Evidenz mehren. Im Kurznachrichtendienst X kursiert ein Videoclip, der einen Ausschnitt aus einem Vortrag von Mari Günther, Referentin für Beratung im Bundesverband Trans*, zeigt. In diesem Ausschnitt macht Günther deutlich, dass es nur darum gehe, Eltern dazu zu bewegen, die geäußerte Transidentität ihres Kindes zu unterstützen. Das Erforschen anderer Gründe für das Unwohlsein mit dem eigenen Geschlecht oder Alternativen zu einer Transition stehen für Günther offenbar nicht zur Debatte.

All diese Auffassungen werden mit Steuergeld unterstützt. Doch jenseits der queeren Blase und ihrer politischen Förderer wachsen Skepsis und Kritik. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses instabile Gebilde zusammenkracht. Queere Aktivistas, die nicht rechtzeitig erkennen, auf welchem gefährlichen Irrweg sie gerade unterwegs sind, drohen unter den Trümmern begraben zu werden. Bei den anschließenden Aufräumarbeiten werden sie dann nicht mehr mitzureden haben.

Abschwung in Sichtweite

Der staatliche Geldsegen wird dann auch versiegen. So manche, die sich zuvor noch als „Ally“ sahen, werden soweit sie können auf Abstand gehen, wenn die Schäden insbesondere für Frauen und Kinder durch fehlgeleitete transaktivistische Ziele sich offenbaren. Viele der jetzt noch obligatorischen Pronomen werden dann wieder klammheimlich aus den E-Mail-Signaturen verschwinden. Und die heterosexuellen Identitätstouristen werden sich die lila Farbe aus den Haaren wachsen lassen, das Choker-Halsband mitsamt dem Katzenohr-Haarreif im Altkleidersack versenken.

Ohnehin hat sich bereits 2022 mit Putins Überfall auf die gesamte Ukraine die Weltlage verändert, die Zeitenwende ist längst im Gange. Durch die Preissteigerungen und schwächelnde Wirtschaftsleistungen in der Folge hängt allerorten der Brotkorb höher und wie man bereits in der CSD-Saison 2025 sieht, ist auch die Freigebigkeit rückläufig. Dieser Trend könnte weiter zunehmen. Und sollte die Transblase bald platzen, will sicherlich auch kaum noch jemand Anliegen und Gruppen unterstützen, die schädliche Dinge propagiert haben. Es wird also in jedem Fall mit einer Schrumpfung zu rechnen sein. Wenn wir die Entwicklungen aber auch noch mitgestalten wollen, müssen wir die Zeichen der Zeit sehen und vor allem rund um Geschlechterthemen endlich den Kurs zu mehr Vernunft ändern.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Neuer Weltverband schließt Imane Khelif vom Frauenboxen aus

Geschlechtertests als Teilnahmebedingung für Frauenkategorie sind richtig

Der im März 2025 neugegründete Sportverband World Boxing hat nun angekündigt, einen Gentest als Nachweis über das biologische Geschlecht zur Bedingung für eine Teilnahme an Frauenwettkämpfen zu machen. Damit zieht der Verband die einzig richtigen Konsequenzen aus der Kontroverse um zwei Boxerinnen mit DSD bei den Olympischen Sommerspielen in Paris. Für die besonders umstrittene Boxerin Imane Khelif heißt es, dass sie ab sofort nicht mehr in Wettkämpfen gegen Frauen antreten darf, bis sie ein entsprechendes Testergebnis vorweisen kann.

Zwei Frauen machen Boxtraining, Symbolbild für Artikel "Neuer Weltverband schließt Imane Khelif vom Frauenboxen aus"
Biologische Frauen sollten aus Fairness- und Sicherheitsgründen nicht gegen biologisch männliche Personen boxen müssen (Foto von Lucy Dunne auf Unsplash).

1. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Freitag wurde bekannt, dass nach der Leichtathletik auch im Boxsport ein Test zur Bestimmung des biologischen Geschlechts Grundvoraussetzung für die Teilnahme an den Frauenwettbewerben werden soll.  World Boxing, der im März dieses Jahres neugegründete Dachverband für den Boxsport, begründete diesen Schritt in einer Pressemeldung so:

„World Boxing respektiert die Würde jedes Einzelnen, und seine oberste Priorität ist es, die Sicherheit und die Fairness des Wettbewerbs für alle Athleten zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, ist es unerlässlich, dass strenge, nach Geschlecht bestimmte Kategorien beibehalten und durchgesetzt werden, was bedeutet, dass World Boxing nur Wettkämpfe für Athleten veranstaltet, die als männlich oder weiblich eingestuft sind.“

Bei diesem Test handelt es sich um einen PCR-Gentest, der auf das Vorhandensein des SRY-Gens prüft – einem wesentlichen Hinweis auf biologisch männliche XY-Chromosomen. Der Test kann mittels Nasen-/Mundabstrich, Speichel oder Blut durchgeführt werden – also ohne fragwürdige Fleischbeschau.

Kontroverse Goldmedaillengewinnerinnen

Ein wesentlicher Grund für diesen Schritt war die Kontroverse um die Frauenboxkämpfe während der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris, als Imane Khelif und Lin Yu-Ting begründete Zweifel weckten, ob deren Goldmedaillengewinne fair erkämpft waren. Mutmaßlich liegt bei beiden Boxerinnen die Intersex-Variante 5-ARD vor, ein Enzymdefekt, der in Körpern mit XY-Chromosomen bewirkt, dass Testosteron nicht in Dehydrotestosteron umgewandelt werden kann.  Das führt dazu, dass sich das männliche Genital nicht wie erwartet entwickelt. Oft werden Neugeborene mit dieser Variante als Mädchen registriert. Erst in der Pubertät geschieht ein Vermännlichungsschub. Doch gerade dieser pubertäre Schub sorgt für entscheidende Unterschiede hinsichtlich des sportlichen Leistungsvermögens zwischen Menschen mit 5-ARD und biologischen Frauen.

Imane Khelif ist nun unmittelbar von der von World Boxing getroffenen Entscheidung betroffen, da sie qua Beschluss des Verbands nicht mehr an einem Boxturnier teilnehmen darf, bis ein Testergebnis vorliegt, was endlich Klarheit über ihr biologisches Geschlecht bringt. Anfang Juni wollte Khelif in der Frauenklasse an einem Boxturnier im niederländischen Eindhoven teilnehmen, doch daraus wird nichts mehr. Der Veranstalter hat entsprechende Ankündigungen bereits wieder einkassiert. Khelif kann jetzt entweder den besagten Test machen lassen und damit überraschen, wieder bei Frauenboxkämpfen antreten zu dürfen oder aber wir erleben das Schweigen im Walde von allen, die wie der Volksverpetzer (und viele andere Medien) Khelif letztes Jahr noch vollmundig zur biologischen Frau erklärt haben.

Sportverbände ändern Bedingungen für Trans und Inter

World Boxing ist nach dem internationalen Leichtathletikverband World Athletics der zweite Spitzenverband im Sport, der einen Gentest für die Geschlechtsbestimmung zur Teilnahmebedingung an Frauenwettbewerben erklärt. Andere Verbände wie der Schwimmverband World Aquatics oder World Rugby schließen biologisch männliche Personen von der Teilnahme in der Frauenklasse aus, ohne aber einen Gentest vorzuschreiben. Als Transfrau kann an Wettbewerben der Frauen nur teilnehmen, wer keine männliche Pubertät durchlebt hat.

Ab Mitte der 1990er Jahre konnte die Inklusion von trans- und intergeschlechtlichen Personen im Spitzensport als Menschenrechtsfrage erfolgreich platziert werden. Nun macht sich aber die Erkenntnis breit, dass Fairness und Sicherheit von biologischen Frauen mit der Inklusion von Menschen mit den Vorteilen einer biologisch männlichen Pubertät in den Frauensport nicht gut zusammenpassen.

Gentest im Einklang mit Wissenschaft

Die Entscheidung von World Boxing ist im Einklang mit der Wissenschaft. Der Leistungsvorteil durch eine testosteronhaltige Pubertät ist überdeutlich bewiesen. Hier die Grenze zu ziehen, schützt sowohl biologische Frauen, als auch Trans- und Interpersonen. Viele Menschen haben ein feines Gespür, wenn etwas nicht fair läuft und reagieren entsprechend – mitunter sehr verletzend.

Die Kontroverse um Imane Khelif hat sie im vergangenen Sommer in ein Kreuzfeuer aus Kritik und Verachtung geschickt, was sie persönlich zutiefst verletzt haben muss. Klare, nachvollziehbare Regelungen können solche Szenarien in Zukunft zumindest in den Frauenwettbewerben der Leichtathletik und dem Boxen vermeiden. Die Olympischen Spiele in Paris haben eindrucksvoll gezeigt: Mit Inklusion ohne Sinn und Verstand kann man auch viel Schaden anrichten.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Mit Faktenfreiheit gegen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus

Eine neue Broschüre vom Bundesverband Trans* und der Amadeu-Antonio-Stiftung möchte für Zusammenhänge zwischen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus sensibilisieren. Doch aufgrund eines ignoranten Umgangs mit Fakten ist fraglich, ob diese Publikation ihre Ziele erreichen kann.

Rotes Neonlicht, Toiletten-Piktogramme für Mann und Frau, Symbolbild für Artikel "Mit Faktenfreiheit gegen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus"
Biologische Geschlechter – es gibt nur zwei davon beim Menschen (Foto von Nicolas COMTE auf Unsplash).

18. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Wie hängen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus miteinander zusammen und warum ist das demokratiegefährdend? Und: Gibt es überhaupt einen Zusammenhang? Das will eine Broschüre erklären, die Anfang Mai vom Bundesverband Trans* (BVT*) und der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) veröffentlicht wurde. Doch es ist fraglich, ob die Broschüre ihr Ziel erfüllen kann, denn es gibt schon einen grundsätzlichen und folgenschweren Fehler: Naturwissenschaftliche Fakten werden zu einem „Glauben“ und Bestandteil rechtsextremer Ideologien erklärt.

In diesem Sinn heißt es auf Seite 10 der Broschüre:

„Der Glaube an eine ‚natürliche Zweigeschlechtlichkeit‘, d. h. dass es aus biologischer Sicht ausschließlich Männer und Frauen gäbe, spielt in extrem rechten Ideologien eine zentrale Rolle. Aus diesem Glauben werden klar definierte Rollen für Männer und Frauen abgeleitet, die als unveränderbar gelten. Männlichkeit wird gegenüber Weiblichkeit aufgewertet. Diese Ungleichwertigkeit von Männlichkeit und Weiblichkeit ist eine Grundlage der gesellschaftlichen und politischen Ordnung in extrem rechten Ideologien.“

Ideologie vs. Fakten

Die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist kein Glaube, sondern Fakt. Für die Definition ist nach wie vor entscheidend, ob ein Organismus Spermien oder Eizellen produziert. Das bestätigen viele MedizinerInnen und NaturwissenschaftlerInnen, die zunehmend aufgrund der moralisch aufgeladenen Ideologisierung verzweifeln, da man dadurch ungerechtfertigt politisch etikettiert wird.

Die neue Broschüre vom Bundesverband Trans* und der Amadeu-Antonio-Stiftung

An die Behauptung, die biologische Zweigeschlechtlichkeit sei ein Glaube, schließt sich im oben zitierten Broschürentext sogleich der nächste Fehler an: Denn rechtsextreme Geschlechterbilder beruhen nicht auf einem Glauben, sondern auf weltanschaulich hergeleiteten Interpretationen der biologischen Tatsachen. Die definierten Rollenvorstellungen ergeben sich aus den biologischen Reproduktionsfunktionen.

Das Gegenmodell, was vor allem von queeraktivistischer Seite verbreitet wird, will das biologische Geschlecht als Spektrum darstellen und eine selbstbestimmte und unveränderliche Geschlechtsidentität , die völlig unabhängig vom biologischen Geschlecht ist, als definitorische Richtschnur vorgeben. Problematisch ist, dass eine solche Geschlechtsidentität wissenschaftlich bislang weder hinreichend bewiesen noch klar definiert ist.

Ilse Jacobsen, Professorin für Mikrobielle Immunologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gehört zu der langsam wachsenden Zahl an Fachleuten, die öffentlich gegen falsche Darstellungen Position beziehen. Gegenüber dem Humanistischen Pressedienst (hpd) erklärt sie die derzeitige Diskurslage:

„Das Thema biologisches Geschlecht ist Teil der aktuellen Diskussionen um Geschlechtsidentität und den Umgang mit Personen, die sich nicht als ihr biologisches Geschlecht identifizieren. Diese Diskussionen werden oft sehr emotional und unerbittlich geführt, auch mit Argumenten in Bezug auf Biologie, die einfach faktisch falsch sind. Das schadet nicht nur der Diskussion, sondern gerade auch den Betroffenen.“

Rechtsextreme instrumentalisieren Biologie

Es ist nicht ein Glaube, aus denen Rechtsextreme ihre Geschlechterbilder ableiten, sondern biologische Fakten werden für ihre Ideologie instrumentalisiert. Diese Klarstellung ist notwendig, um angemessen mit gesellschaftlich brisanten Themen und Fragestellungen überhaupt umgehen zu können, wie auch Jacobsen gegenüber dem hpd sagte:

„Eine sachliche, zielführende Diskussion, gerade zu emotionalen gesellschaftlichen Themen, ist aber nur dann möglich, wenn Fakten als Fakten akzeptiert werden.“

Doch im Akzeptieren von Fakten mangelt es der Broschüre von BVT* und AAS auch an anderen Stellen – insbesondere, wenn erklärt werden soll, was Transfeindlichkeit ist. Als von rechtsextremen Kreisen verbreitete „Desinformation“ gilt folgendes:

„Trans*geschlechtlichkeit sei ein ‚Trend‘ oder ‚Hype‘, der besonders Kinder (und Jugendliche) beeinflussen würde. Häufig wird diese Erzählung gemeinsam mit Falschinformationen über die medizinische Versorgung trans* und nicht-binärer Kinder und Jugendlicher genutzt, um sich gegen die Menschenrechte von trans* Personen ganz allgemein zu stellen. Beispielhaft zeigt sich dies an Behauptungen, dass durch das Selbstbestimmungsgesetz Kinder und Jugendliche zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen (wie Hormontherapien und/oder operativen Eingriffen) gedrängt würden. Dabei regelt das Selbstbestimmungsgesetz ausschließlich den Rahmen von Namens- und Personenstandsänderungen und trifft keinerlei Regelungen zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen oder anderen medizinischen Fragen.“

Hierbei betreibt die Broschüre selbst Desinformation, denn in der Medizin ist international unstrittig, dass die Zahl transitionswilliger Minderjähriger in einem Umfang angestiegen ist, der sich nicht allein mit besserer Aufklärung erklären lässt. Hinzu kommt, dass das von Transaktivistas bevorzugte Behandlungsmodell für diese Kinder und Jugendlichen mit frühestmöglicher sozialer Transition und medikamentösen Eingriffen wie Pubertätsblockern eine unzureichende Evidenzbasis hat – d.h., die Studienlage ist zu schwach, um zu belegen, dass es vor allem nützt und kaum schadet.

Verschwiegene Probleme um gender-affirmativen Ansatz

Im Ausland wenden sich deshalb immer mehr Staaten von diesem als „gender-affirmativ“ bekannten Ansatz wieder ab. In Großbritannien hat der Cass-Report eindrücklich gezeigt, dass im gender-affirmativen Modell besonders vulnerable Kinder und Jugendliche gefährdet wurden, wenn ihre geäußerte Geschlechtsidentität ohne sorgfältige Diagnostik anderer möglicher Ursachen für das Unbehagen mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen affirmiert, also bestätigt wurde. Gerade Mädchen und Jungen mit einer homosexuellen Entwicklung können oft auch Geschlechtsdysphorie haben und sollten nicht voreilig als Trans behandelt werden.

Ebenso wiesen viele britische Kinder und Jugendliche laut Cass-Report schwere psychische Erkrankungen, Symptome von Autismus, posttraumatische Belastungsstörungen auf oder stammten aus biografisch sehr prekären Verhältnissen. Nun wird die Versorgung für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie umgestaltet. Künftig soll eine Diagnostik immer auch ein Screening auf Autismus einschließen und psychotherapeutische Interventionen die erste Wahl sein, anstatt gleich Pubertätsblocker einzusetzen.

Doch nicht nur Großbritannien, auch Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland haben innerhalb der vergangenen fünf Jahre eine vergleichbare Kehrtwende vollzogen. Und in noch mehr Ländern ist aufgrund der erheblichen Schwächen des gender-affirmativen Models mindestens eine Diskussion um dieses entbrannt.  Der jüngste Staat in dieser Reihe ist Chile, wo nun eine Untersuchungskommission empfohlen hat, das Behandlungsprogramm für Transitionen von Kindern und Jugendlichen auszusetzen. Laut Medienberichten hat die Abgeordnetenkammer per Abstimmung den Bericht dieser Kommission gebilligt.

Mindestens ebenso Desinformation ist in der Broschüre das Verleugnen von psychologischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf eine Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags mittels Selbstbestimmungsgesetz. Dieses Gesetz regelt zwar in der Tat nicht den Zugang zu medizinischen Behandlungen, aber die einzelnen Transitionsschritte (sozial, rechtlich und medizinisch) können nicht isoliert voneinander betrachtet werden.

Jeder Schritt erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Schritte gegangen werden. Zudem kann es gerade Kindern und Jugendlichen schwerfallen, von bereits getätigten Schritten wieder zurückzugehen, da man in diesem Alter auch besonders sensibel für den Wunsch nach sozialer Anerkennung und der Angst vor ihrem Verlust ist.

Trans-Lobby nur Verschwörungsglauben?

Auch der nächste Vorwurf in der Broschüre, Verschwörungsideologien zu verbreiten, muss kritisch unter die Lupe genommen werden:

„Trans* Personen hätten extrem viel Macht und seien eine im Geheimen agierende Gruppe, die Weltgeschehnisse steuern wolle – dies knüpft an antisemitische Erzählungen an.  Diese verschwörerische Erzählung einer einflussreichen ‚Trans-Lobby‘ wird auch immer wieder als Grund dafür genannt, weshalb es heute mehr trans* Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene gäbe: Sie seien der ‚gesteuerten Umerziehung‘ durch die ‚Trans-‘ und ‚Pharma-Lobby‘ ‚zum Opfer gefallen‘.“

Sicherlich gibt es manche Menschen, die so grob schnitzen und damit den Gegenstand verfehlen. Dennoch hat der Vorwurf gegen Transverbände, einflussreich zu sein, einen wahren Kern: Verbände wie der Bundesverband Trans* e.V. oder die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) e.V. bekommen seit Jahren finanzielle Zuwendungen aus staatlichen Töpfen und haben verstärkt die Aufmerksamkeit der Politik. Einen Eindruck darüber gibt die Suche im Lobbyregister des Deutschen Bundestags. Übrigens ist auch die in diesem Artikel kritisierte Broschüre mit finanziellen Mitteln aus dem Förderprogramm „Demokratie leben“ ermöglicht worden.

Populisten profitieren von Schwachstellen

Selbstredend sind auch rechtsextreme und -populistische Akteure längst über all diese Vorgänge informiert und wissen daher um offensichtliche Schwachstellen, wo sie ihren Hebel ansetzen können. Vor allem der desaströse Umgang mit wissenschaftlich belegbaren Fakten, für den hier BVT* und AAS mit ihrer Broschüre stellvertretend stehen, kann im Kampf gegen Rechtspopulismus und -extremismus zu einem Rohrkrepierer für das linksprogressive Lager werden.

Auf diese Weise können die PopulistInnen und ExtremistInnen den Fuß in die Tür des gesellschaftlichen Mainstreams bekommen, weil sie nur wissenschaftliche Fakten nach vorne stellen brauchen. Diese fungieren dann als Türöffner, um das geschlechterpolitisch Ideologische des rechten Rands hinterherziehen zu lassen. Denn je weiter sich das linksprogressive Lager von den Fakten entfernt, desto instabiler wird deren gesamte Verteidigungslinie.

Die Motive von Transaktivistas, solche Positionen zu vertreten, sind zumindest insofern nachvollziehbar, als dass sie ideologisch an gender-affirmativen Behandlungsgrundsätzen sowie am Selbstbestimmungsgesetz festhalten. Doch Organisationen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, gefährden dadurch erheblich ihre bisherige Autorität. Wenn man auch noch all diejenigen braun anmalen will, die auf die Faktenlage verweisen, wird man keine Sensibilität gegenüber Rechtextremismus erhöhen, sondern eher Gleichgültigkeit verstärken. Ob das im eigenen Interesse ist?


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Paragraph 175 – Der lange Weg zur Rehabilitierung

Zum IDAHOBIT am 17. Mai bieten wir den Text von Georg Härpfer aus dem Jahrbuch Sexualitäten 2019 zum kostenfreien Download an! Härpfer beschreibt eindrücklich den langen Weg zur Rehabilitierung nach Paragraph 175 verurteilter Männer in der Bundesrepublik Deutschland. Am 22. Juni vor acht Jahren beschloss der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Doch ist nun alles gut?

Ein Mann hält auf dem CSD München 2022 ein Schild mit der Aufschrift "Illegal in 70 Countries" hoch. Symbolbild für Artikel "Zum IDAHOBIT 2025: Paragraph 175 - Der lange Weg zur Rehabilitierung"
In Deutschland zum Glück nicht mehr, aber in etwa 70 Ländern weltweit ist gleichgeschlechtlicher Sex immer noch strafbar, in 12 Ländern droht sogar die Todesstrafe (Foto von Raphael Renter | @raphi_rawr auf Unsplash).

17. Mai 2025 | Redaktion

Wie steht es um die Rehabilitierung der wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen verurteilter Männer nach Paragraph 175? Am 22. Juni 2017 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen. IQN gab für dieses rehabilitierende Gesetz den Impuls. Doch sind damit alle Probleme behoben und das vielen Männern angetane Unrecht getilgt?

Anlässlich des Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT) am 17. Mai lohnt sich ein Blick darauf, ob die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich im notwendigen Umfang ihrer Verantwortung der Wiedergutmachung gerecht geworden ist. Immerhin erinnert dieser internationale Aktionstag in Deutschland nicht nur an den 17. Mai 1990, den Tag, an dem Homosexualität aus dem Diagnosemanual ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestrichen wurde, sondern aufgrund der Zahlenreihe auch an den unseligen Paragraphen 175. Letzterer wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch getilgt.

Schwule leiden unter Altersarmut

Im April dieses Jahres hieß es in der Frankfurter Rundschau, dass viele schwule Männer von Altersarmut betroffen seien und diese eine wesentliche Ursache im Paragraph 175 habe. „Rund 50.000 schwule Männer wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs wegen gleichgeschlechtlicher ‚Unzucht‘ verurteilt, mindestens ebenso viele gerieten in staatliche Ermittlungsverfahren und noch mehr erlebten Jahrzehnte der Verfolgung, Razzien, Demütigungen und die totale gesellschaftliche Ächtung“, heißt es in diesem Zeitungstext. Deshalb sei den meisten Betroffenen eine „reguläre Karriere als Grundlage für eine menschenwürdige Rente“ verwehrt geblieben.

Bereits im Jahrbuch Sexualitäten 2019 stellte Georg Härpfer, der von der Gründung im Jahr 2015 bis 2019 im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) aktiv war, den Kampf um Rehabilitierung vor: „Diesem Beschluss [des Deutschen Bundestags von 2017] ging ein langer Kampf um die Aufhebung der menschenrechtswidrigen, in der BRD und der DDR ergangenen Urteile voraus, die zwischen 1945 und 1994 zehntausende Menschen aufgrund ihres gleichgeschlechtlichen Begehrens kriminalisierten. Allerdings wirft die Umsetzung des Gesetzes neue Probleme auf, die es angesichts des Alters der zu Unrecht Verurteilten möglichst rasch zu lösen gilt.“  

Härpfer skizziert zunächst die Geschichte des § 175 StGB, schildert dann die Auseinandersetzungen um die Rehabilitierung der Verurteilten und fragt: Welches sind die drängendsten Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes von 2017? Was sollte getan werden, um diese Probleme zu bewältigen? Und wer verhindert zügige Lösungen?

Härpfer hat in seinem Beitrag auch mit berührenden Fallbeispielen eindrücklich darauf hingewiesen, dass neben dem persönlichen der gesellschaftliche und wirtschaftliche Schaden immens gewesen war. Dies betraf nicht nur Männer mit rechtskräftigen Verurteilungen nach Paragraph 175, bereits der Verdacht sowie eine Anklage haben ausgereicht. Das erlittene Unrecht ging über Untersuchungshaft hinaus. Es kam auch zu „Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst, Kündigungen, Degradierungen, Entzug von Lehraufträgen an Hoch- und Fachhochschulen, von ärztlichen Approbationen, von Doktorgraden sowie fürsorgerische Unterbringung und medizinisch-psychiatrische Zwangsmaßnahmen“, wie Härpfer benennt.

IQN gibt Impuls für Rehabiltierungsgesetz

Das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Männer, die auf Basis des nazivergifteten Paragraphen 175 unter bundesdeutschen Rechtsstaatsbedingungen verurteilt wurden, ging im Übrigen 2007 auf einen Impuls der Initiative Queer Nations zurück. Bodo Niendel, damals Vorstandsmitglied der IQN und  queerer Fachreferent in der Fraktion der Linkspartei, hatte dieses Gesetz angestoßen. Die Grünen, bis dahin führend beim LGBT-Spektrum, hatten dies aus nachvollziehbaren Gründen zunächst abgelehnt: Eine Rechtsprechung und eine Gesetzlichkeit der Bundesrepublik im Nachhinein für irrig, ja, menschenrechtswidrig zu erklären, sei juristisch nicht machbar. Dass es dennoch gelang, diese Politik auch posthum zu verwerfen, lag wiederum auch am grünen und sozialdemokratischem Engagement.

Da das 2017 beschlossene Rehabilitierungsgesetz dem Ausmaß möglicher erlittener Schäden schwuler Männer nicht gerecht wurde, setzte sich Härpfer mit seiner Interessensvertretung BISS für möglichst unbürokratische Härtefallregelungen ein. Dennoch ist bis heute nicht alles abgeräumt, wie der Artikel in der Frankfurter Rundschau zeigt. „Die Zeit drängt, die Opfer des Schandparagrafen werden nicht jünger!“ – Härpfers Schlusssatz aus seinem Jahrbuch-Beitrag gilt heute umso mehr.

Hinweis: Eine Weiterverbreitung ist nur mit Angabe der jeweiligen Quelle, also der entsprechenden Jahrbuch-Ausgabe, zulässig. Ebenso ist eine Verwendung für kommerzielle Zwecke ohne Genehmigung untersagt.


Jahrbuch Sexualitäten 2019

Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Janin Afken, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf.

Mit Beiträgen von Caroline A. Sosat, Torsten Flüh, Raimund Wolfert, Jan Feddersen, Benedikt Wolf, Patsy L`Amour laLove, Monika Gsell, Georg Härpfer, Christiane Härdel, Lily Kreuzer, Rainer Herrn, Friederike Mehl, Daniel Baranowski, Ansgar Martins, Jann Schweitzer, Benno Gammerl, Andrea Rottmann, Corina Erk und Sebastian Zilles.

275 S., 24 Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-3525-7

Preis: € 34,90 (D) / € 35,90 (A) (Printausgabe ist vergriffen, nur noch als E-Book erhältlich)


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Valerie Wilms – Die erste Transfrau im Bundestag distanziert sich vom Transaktivismus

Nicht Tessa Ganserer, sondern Valerie Wilms war die erste Transfrau, die, für die Grünen, als Abgeordnete in den Bundestag einzog. Nun hat Wilms ihre Autobiografie veröffentlicht und bezieht darin auch Stellung gegen das 2024 beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Ein Irrwitz? Nein, sie liefert Gründe für ihre Argumente. Trotz der in literarischer Hinsicht nicht herausragenden Sprache, lohnt sich die Lektüre.  

Hintergrund Plenumssaal des Deutschen Bundestags durch die Kuppel fotografiert; im Vordergrund das Buchcover von Valerie Wilms Autobiografie. Symbolbild für Artikel "Valerie Wilms - Die erste Transfrau im Bundestag distanziert sich vom Transaktivismus".
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms hat ihre Autobiografie veröffentlicht (Plenarsaal des deutschen Bundestags, Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash).

15. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Valerie Wilms, ehemalige Bundestagsabgeordnete für die Grünen, hat sich nun im Alter von 71 Jahren mit der Veröffentlichung ihrer Autobiografie öffentlich als Transfrau geoutet. Tessa Ganserer und Nyke Slawik können nun nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, die ersten Transfrauen im Bundestag gewesen zu sein. Wilms, die im Alter von 43 Jahren den Schritt zur Geschlechtsangleichung ging und ihre politische Karriere nach ihrer Transition begonnen hat, hatte von 2009 bis 2017 ein Mandat inne. Nach ihrer Zeit im Bundestag ging sie in die Kommunalpolitik, bis 2024 saß sie für die Wählervereinigung Wedeler Soziale Initiative (WSI) im Stadtrat ihres Wohnortes Wedel. Inzwischen ist sie gänzlich aus der Politik ausgeschieden.

Thema Trans politisch vermieden

Doch Wilms vermied es als Abgeordnete bewusst, das Thema Trans politisch zu besetzen. Denn sie wollte nicht auf ihr Transsein reduziert werden, sondern ein unbehelligtes Leben führen und stattdessen als fachlich kompetente Verkehrspolitikerin in Erscheinung treten. Mit ihrer Autobiografie nun stößt sie nicht nur Ganserer und Slawik von ihren Podesten, sondern bezieht auch Stellung gegen ihre Partei – vor allem gegen das Selbstbestimmungsgesetz.

Dieses Gesetz ist seit November 2024 in Kraft und ersetzt das vorherige, über vierzig Jahre alte Transssexuellengesetz (TSG). Valerie Wilms hat für ihre Geschlechtsangleichung 1996 noch ein Verfahren nach dem TSG benötigt, was zu diesem Zeitpunkt noch zwei Begutachtungen voraussetzte sowie eine Scheidung und eine weitmögliche körperliche Angleichung an das Identitätsgeschlecht. Die beiden letztgenannten Voraussetzungen wurden 2009 bzw. 2011 durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts gekippt.

Wilms lobt altes TSG

Trotz der vergleichsweisen rigiden Bedingungen, unter denen Wilms die Änderung ihres amtlich dokumentierten Vornamens und Geschlechtseintrag durchsetzen musste, verteidigt sie in ihrem Buch das TSG. Dieses Gesetz habe „klare und eindeutige Regelungen“ geboten und damit auch die Betroffenen geschützt. Das Selbstbestimmungsgesetz lehnt sie hingegen strikt ab, es war 2023 sogar ihr letzter Anstoß, die Grünen nach fast achtzehn Jahren Parteizugehörigkeit wieder zu verlassen. In einer damals veröffentlichten Presseerklärung warf Wilms den Grünen vor, Treiber einer „woken Kulturrevolution“ zu sein. In ihrem Buch, aber auch in Interviews äußerte Wilms die Sorge, dass diese „woke Kulturrevolution“ am Ende zum Verlust bereits erreichter Akzeptanz von Transmenschen führen könnte.

Wilms‘ Buch ist nicht aus literarischen Gründen bemerkenswert, sondern weil es einen Einblick in das Leben einer Transfrau bietet, die als Abgeordnete im Licht der Öffentlichkeit stand und der es trotzdem gelungen ist, das Transthema aus dieser herauszuhalten. Wie Wilms erwähnt, wurde durchaus die BILD-Zeitung auf sie und ihren Hintergrund aufmerksam. Sie signalisierte deutlich, dazu nichts sagen zu wollen. Obwohl es dieser auf Grelles abonnierten Zeitung schon damals möglich gewesen wäre, Valerie Wilms‘ Transition gegen ihren Willen an die Öffentlichkeit zu zerren, ist das nie passiert.

Ein offenes Geheimnis war ihre Transition dennoch, das verriet ein Kommentar der CDU-Politikerin und ehemaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Kurznachrichtendienst X, die zeitgleich mit Wilms in der Bundespolitik aktiv war: „Ich habe immer in mich rein gelächelt, wenn es hieß, Tessa Ganserer sei die erste #Transfrau im Bundestag. Denn ich wusste: Das war Valerie Wilms, grüne MdB 2009 – 2017, Kandidatin im Wahlkreis meines Mannes, Pinneberg.“

Tessa Ganserer als Gegenentwurf

Cover Buch "Meine zwei Leben" von Valerie Wilms
Valerie Wilms: Meine zwei Leben. Als Junge geboren – als Frau im Bundestag, 152 Seiten, Langen-Müller Verlag, 2025, ISBN: 978-3-7844-3743-9, Paperback, 20,00 Euro.

Ganz anders wurde auf Wilms‘ ehemalige Parteikollegin Tessa Ganserer reagiert, die Trans zum Hauptthema ihrer Zeit als Abgeordnete machte und immer wieder für eine Parlamentarierin unangemessen auffiel. Zum Beispiel, als sie im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz im November 2023 in Reizwäsche auftrat oder anderweitig irritierende Auftritte dokumentiert wurden. Valerie Wilms konnte hingegen frei von Kritik und Anfeindungen ihr Mandat ausüben und erklärt dies so: „Um ein Bundestagsmandat auch als solchermaßen ‚gehandicapte Person‘ auszufüllen, braucht es nur verantwortliches und konsequentes Handeln, keinen ‚politischen Klamauk‘.“

Valerie Wilms ist gelungen, was viele andere Transpersonen sich wünschen: Nicht auf trans reduziert zu werden und eine gewisse Gestaltungshoheit über das berufliche und private Leben zu behalten. Das geht nicht ohne Anpassungsleistungen, wie erwähnt, dass man eben nicht in Reizwäsche in eine Ausschusssitzung geht.

Der von Wilms kritisierte aktuelle Transaktivismus hingegen macht ausschließlich die Gesellschaft für das eigene Glück verantwortlich und behauptet, das TSG verletzte die Menschenrechte.  Ebenso wird penetrante Sichtbarkeit und Benennung von Trans als unerlässlich für die Vergrößerung der Akzeptanz vermittelt. Wilms‘ Darstellungen zeigen, dass diese Überzeugungen hinterfragt werden sollten.

Rückläufige gesellschaftliche Akzeptanz

Das Dogma der selbstbestimmten Geschlechtsidentität entbehrt ebenso wie die Behauptung über die Existenz von mehr als zwei biologischen Geschlechtern jeder wissenschaftlichen Grundlage und fördert gerade eine Rückabwicklung bereits erreichter Akzeptanz. Das fürchtet auch Valerie Wilms. Der Blick in die USA zeigt, dass diese Ängste berechtigt sind. Nach der Wahl Donald Trumps stellte die Journalistin Pamela Paul in der New York Times fest, „dass fortschrittliche Ideen über die Geschlechtsidentität immer weniger [Menschen] unterstützen, je mehr sie in der Öffentlichkeit bekannt und verstanden werden“.

Deutsche Transaktivistas wollen von all dem jedoch nichts wissen und reagieren entsprechend empört auf Wilms‘ Autobiografie. Translobbyistin Nora Eckert befand auf queer.de, diese sei „wie ein Schlag ins Gesicht“. Besonders übel scheint man Wilms nicht nur die Verteidigung des TSG zu nehmen, sondern auch die Feststellung, dass eine Transfrau nicht biologisch weiblich, sondern männlich ist und es daher immer einen Unterschied zwischen ihnen und biologischen Frauen geben wird. Online-Aktivistin Joelina bezeichnet Wilms‘ Einlassungen in ihrem Blog daher als „offenen Verrat“.

Von Selbsterkenntnis, einen eigenen Anteil am konservativen Backlash zu haben, ist man hierzulande also noch weit entfernt. Valerie Wilms hingegen erkennt in ihrer Autobiografie weitsichtig, dass auch sie vom zurückschwingenden Pendel erfasst werden könnte. Da die Hoffnung aber zuletzt stirbt, sei dennoch allen Transaktivistas der Blick in Valerie Wilms‘ Buch empfohlen und damit auch eine kritische Selbstreflektion, wo man mit dem eigenen Aktivismus in den vergangenen zehn Jahren falsch abgebogen sein könnte.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


ESC 2025: Nemo will Ausschluss von Israel

Nemo, Vorjahressieger für die Schweiz beim ESC in Malmö, unterstützt den Ausschluss Israels vom ESC. Mit ihm zusammen fordern dies im Vorfeld des ESC in Basel über 70 Künstlerinnen und Künstler mit einer Petition. Der Vorfall zeigt einmal mehr, wie selbstverständlich als Israelhass getarnter Antisemitismus in der progressiven Kulturszene und unter Queers geworden ist.

Ein Clownsfisch als Symbolbild für Artikel "ESC 2025: Nemo fordert Ausschluss von Israel"
Nemo – nicht der reizende Clownfisch aus dem Erfolgsfilm sondern sein menschlicher Namensvetter möchte Israel am liebsten vom ESC ausschließen (Foto von Rachel Hisko auf Unsplash).

10. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Nächste Woche beginnt in Basel wieder der ESC, das queere Hochamt vor der CSD-Saison, und schon wieder gibt es als „Israelkritik“ verkleideten Antisemitismus!  Dieses Mal ist die Schweiz Gastgeberland, nachdem der sich als nichtbinär verstehende Nemo 2024 im schwedischen Malmö gewonnen hatte.

Nun sagte er in einem Interview mit der britischen HuffPost, dass er eine weitere Teilnahme Israels am Wettbewerb nicht unterstütze. Als Gründe nannte Nemo: „Das Vorgehen Israels steht in fundamentalem Widerspruch zu den Werten, die die Eurovision zu verteidigen vorgibt – Frieden, Einheit und Achtung der Menschenrechte.“ Doch nicht nur Nemo spricht sich gegen eine Teilnahme Israels aus, auch über 70 weitere KünstlerInnen unterzeichneten eine von der notorisch antisemitischen BDS-Kampagne lancierte Petition und verlangten als Solidaritätsbekundung mit den Palästinensern, dass Israel vom Wettbewerb verbannt werden müsse. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) lehnt das ab.

Antisemitismus im Kulturbetrieb

Einmal mehr entblößt sich seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 die im Kulturbetrieb und unter ansonsten sehr inklusionsbewussten queeren Wesen grassierende Israelfeindschaft. Beim ESC in Malmö traf es die für Israel startende Sängerin Eden Golan, die sich tapfer gegen Mobbing durch ihre KontrahentInnen – unter diesen auch Nemo – sowie bei ihrem Auftritt auch gegen massive Buhrufkonzerte aus dem Publikum behauptete.

In diesem Jahr tritt Yuval Raphael für Israel an, die am 7. Oktober 2023 das von der Hamas angegriffene Nova-Musikfestival besuchte und nur überlebte, weil sie sich über mehrere Stunden in einem Bunker unter Leichen verbergen konnte. Ihr Beitrag „New Day Will Rise“ ist Teil der persönlichen und nationalen Verarbeitung des erlittenen Traumas. Doch das ihr Widerfahrene arbeitet Raphael nicht nur musikalisch auf, sondern sie berichtete darüber auch dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf oder auf einer Kundgebung gegen Antisemitismus in Zürich im Januar dieses Jahres.

BDS-Petition verschweigt Kriegsursache

Weder in den Aussagen Nemos und erst Recht nicht in der BDS-Petition wird das Leid anerkannt, was die Hamas Israelis am 7. Oktober zugefügt hat und dass der derzeitige Krieg in Gaza nicht korrekt einzuordnen ist, ohne dies zu erwähnen. Selbstredend kommt die BDS-Petition auch nicht ohne den verleumderischen, da falschen Vorwurf aus, Israel betreibe einen Genozid an den Palästinensern. Doch Fakten scheren diese Akteure im progressiven Gewand nicht.

Statt sich aber selbstkritisch mit den eigenen Fehlschlüssen der Anti-Israel-Agitation auseinanderzusetzen, beklagt sich Nemo lieber darüber, dass in diesem Jahr keine Flaggen außer den Landesflaggen der Teilnehmerländer auf der Bühne gezeigt werden dürfen. Das heißt, keine Pride-Flaggen wie die Regenbogenflagge oder die Nonbinary-Flagge, die Nemo bei seinem Sieg im vergangenen Jahr auf die Bühne geschmuggelt hatte. Im Publikum sind diese Flaggen allerdings weiterhin erlaubt.

„Dumm “ sei das, befand Nemo gegenüber HuffPost, da dieser Wettbewerb schon so lange mit Queerness und schwuler Kultur in Verbindung gebracht würde. Doch wer nicht mehr als Röckchen und Nagellack für die Queerness vorweisen kann, kann womöglich nicht anders argumentieren: Nemo ist im Übrigen, nach allem, was man weiß, ein heterosexuell orientierter Mann, der seine Nichtbinarität mit zahllosen clownesk anmutenden Accessoires auf der Bühne zu inszenieren weiß.

Im Übrigen beruhen die Forderungen der PetentInnen nach einem Ausschluss Israels auf falschen Voraussetzungen: Russland wurde wie Belarus 2022 vom ESC (vorläufig) ausgeschlossen, weil seine öffentlich-rechtlichen Sender keine vom Kreml unabhängige Arbeit mehr leisten (dürfen). Der israelische Sender KAN ist hingegen nicht von Weisungen der rechtspopulistischen Regierung um Benjamin Netanjahu abhängig.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


Das Self-ID-Dogma bröckelt

In Großbritannien sorgt das Gerichtsurteil zur Definition des Begriffs „Frau“ im Gleichstellungsgesetz weiterhin für große Erleichterung und einen Dominoeffekt. Wo vorher großzügig das Self-ID-Prinzip angewendet wurde, wird es jetzt wieder zurückgefahren. Daran zeigt sich, dass der Transaktivismus sich mit der Forderung nach Self ID selbst ins Knie geschossen hat. Auch in Deutschland kann es zu ähnlichen Entwicklungen kommen.

Riss in Betonboden, Symbolbild für Das Self-ID-Dogma bröckelt
Self-ID ist nicht mehr unantastbar (Foto von Mahdis Mousavi auf Unsplash).

6. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Kurz vor Ostern urteilte der britische Supreme Court darüber, dass für den Begriff „Frau“ in Gleichstellungsgesetzen die biologische Geschlechtsdefinition entscheidend ist. Geklagt hatte die feministische Organisation Women for Scotland, weil Schottland ein Gleichstellungsgesetz erlassen hatte, was definitorisch auch biologisch männliche Transfrauen mit rechtlicher Geschlechtsanpassung als „Frau“ anerkennen wollte. So hätte es beispielsweise im Bereich Frauenquoten passieren können, dass Vorstände auf dem Papier einen Frauenanteil aufweisen, aber trotzdem zu 100 Prozent mit biologisch männlichen Personen besetzt sind.

Sorge in Deutschland

Deutsche Transaktivistas wünschen sich, dass ihnen solche Entscheidungen erspart bleiben, wie Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* gegenüber dem MDR sagte: „Wir hoffen sehr, dass wir in Deutschland nie an diesen Punkt kommen, wie wir das gerade in den USA und in UK beobachten.“ Doch in Deutschland ist Self ID mit dem Selbstbestimmungsgesetz trotz deutlicher Warnungen im November vergangenen Jahres in Kraft getreten – die Konflikte sind daher auch hier vorprogrammiert.

Schon vor dem Inkrafttreten machte in Erlangen eine Transfrau Schlagzeilen, die in einem Frauenfitnessstudio Mitglied werden wollte und keine operative Geschlechtsangleichung vorgenommen hatte. Die Betreiberin lehnte das mit Verweis auf ihr Hausrecht ab, da ihr Angebot für biologische Frauen konzipiert sei. Dadurch fühlte sich die Transfrau diskriminiert. Jetzt im Mai wurde bekannt, dass die Transfrau vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth Klage eingereicht hat. Nun haben wir also auch in Deutschland einen exemplarischen Fall, an dem die Relevanz des biologischen Geschlechts und die Grenzen von Self ID mitverhandelt werden. Wir werden sehen, ob am Ende ein vergleichbares Urteil wie in Großbritannien steht oder ob das transaktivistische Self-ID-Paradigma gestützt wird.

Geschlechtswechsel als juristische Fiktion

In allen Ländern, wo innerhalb der letzten 50 Jahre Regelungen ermöglichten, dass Transpersonen mit einer weitmöglich vorgenommenen Geschlechtsangleichung den Vornamen und ihren Geschlechtseintrag in ihren amtlichen Dokumenten ändern dürfen, wurde dies als juristische Fiktion geschaffen. Dadurch konnten diese Transpersonen eine Diskrepanz zwischen dem sozial gelebten Geschlecht und den Ausweisdokumenten beseitigen und so besser an der Gesellschaft teilhaben.

Gleichstellungs- und Frauenfördermaßnahmen wurden hingegen schon immer von den körperlichen und sozialen Bedingungen her konzipiert, die sich aus dem biologischen Geschlecht ergeben. Das jedoch wurde vom Transaktivismus der vergangenen 15 Jahre bewusst geleugnet. Eine situativ vorgenommene Unterscheidung zwischen biologischem und Identitätsgeschlecht wurde als „transphob“ verdammt. Entsprechend wurde in Großbritannien in vielen Bereichen verfahren, was für eine immer stärkere Polarisierung um das Transthema sorgte.

Dominoeffekt nach Gerichtsurteil

Nach der nun erfolgten höchstrichterlichen Klarstellung, dass das biologische Geschlecht nicht obsolet ist und weiterhin prägend sein kann, kommt es aktuell zu einem kulturellen Dominoeffekt im Vereinigten Königreich: Zuerst veröffentlichte die Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission Ende April eine erste Einschätzung, wie das Urteil des Supreme Court auf Bereiche wie Toiletten auszulegen ist. Dabei wurde die jahrelange Selbstverständlichkeit beendet, dass Transpersonen überall die Toiletten, Sammelduschen sowie -umkleiden und Ähnliches gemäß des Identitätsgeschlechts benutzen dürfen.

Wichtig ist aber auch: In der Einschätzung wird klargestellt, dass Transpersonen nicht in die Lage gebracht werden dürfen, keine Toilette oder andere geschlechtsspezifische Einrichtung nutzen zu können. Als Lösung wird die Ausweitung des Angebots an zusätzlichen Unisex-Einrichtungen empfohlen. Transverbände befürchten, dass es nun zu diskriminierender „Toilettenpolizei“ käme. Allies aus dem Kulturbereich haben mit einem Offenen Brief verkündet, sich dem Urteil zu widersetzen und nicht reglementieren zu wollen, wer welche Toilette benutzt.

Transaktivistas beklagen Entzug ihrer Rechte

Viele Transaktivistas, auch in Deutschland, beschwören nun den Untergang herbei. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) behauptet in einer Pressemitteilung: „In UK haben transgeschlechtliche Menschen keine gleichen Rechte mehr, also keine Menschenrechte wie alle anderen.“ Dabei hat der Supreme Court in seinem Urteil klargestellt, dass Transpersonen ebenfalls vor Diskriminierungen geschützt sind und nicht wegen des Transseins benachteiligt werden dürfen. Kim Nala Wahle, eine deutsche Influencerin und Transfrau, greift auf der Plattform LinkedIn jedoch zu NS-Vergleichen, um transaktivistische Anliegen mit Dringlichkeit zu versehen: „Wollt ihr uns jetzt wieder dazu zwingen, rosa Dreiecke am Arm zu tragen, damit ihr euch sicher fühlt?“  

Ein Problem sollten speziell in der Umkleide- und Toilettenfrage aber vor allem Transpersonen haben, deren äußerliche Übereinstimmung mit dem Identitätsgeschlecht  nicht optimal ist. Wer sich im Alltag unauffällig bewegen kann, erregt keinen Argwohn an der Toilettentür. Anders sieht es hingegen bei Themen wie Frauenquoten oder dem In-Anspruch-nehmen-Wollen von geschlechtsspezifischen Angeboten, zum Beispiel Frauenhäusern oder Organisationen und Räume für Homosexuelle.

Bei Letzterem gibt es jedoch auch Missverständnisse, wenn z.B. von der dgti behauptet wird, lesbische oder schwule Organisationen dürften keine Transmänner oder Transfrauen mehr aufnehmen. Wie Dennis Noel Kavanagh in unserem Blog dargelegt hat, geht es in erster Linie darum, dass homosexuelle Gruppen nicht mehr dazu gezwungen werden können, Transpersonen aufzunehmen. Was gegen die Wand fährt, ist jedoch die transaktivistische Losung „Transfrauen sind Frauen, Transmänner sind Männer – keine Debatte!“.

Transfrauen vom Frauenfußball ausgeschlossen

Eine weitere Änderung betrifft die Teilhabe von Transfrauen am Frauensport. Der britische Fußballverband FA verkündete nun, dass zum 1. Juni als Stichtag Transfrauen nicht mehr in Frauenfußballteams mitspielen dürfen. Das betrifft nicht nur den Profi-, sondern auch den Amateurbereich. Andere Sportverbände im Land ziehen nach.

Diese Entscheidung ist im Einklang mit der Wissenschaft, denn der körperliche Vorteil von Personen, die in ihrem Leben eine vermännlichende Pubertät durchlaufen haben, ist relevant – nicht nur für die Fairness, sondern auch für die Sicherheit. Das belegt eine Meldung vom 2. Mai über einen Vorfall aus dem Jahr 2023, wo eine Transfrau bei einem Frauenfußballmatch einer Gegenspielerin unabsichtlich das Kniegelenk gebrochen haben soll.

Selbst in den obersten Rängen verändert das Gerichtsurteil die Haltungen. Premierminister und Labour-Politiker Keir Starmer hat 2022 noch gesagt, dass er keinen Unterschied zwischen Transfrauen und biologischen Frauen mache, dies sei das Gesetz. Den höchsten Richterspruch, konträr zu seinen damaligen Auffassungen, erkenne er nun an.

Seine Parteikollegin Bridget Phillipson, Ministerin für Frauen und Gleichstellung, sagte auf dem Kurznachrichtendienst X, das Urteil bringe „Klarheit und Vertrauen“. Es scheint, dass man nun überall in Großbritannien erleichtert ist, dort das biologische Geschlecht wieder offen als Bezugsrahmen setzen zu dürfen, wo dies geboten und sinnvoll ist. Damit beerdigt ist politisch die Vorstellung, Geschlecht als etwas völlig Selbstbestimmtes und von der Biologie unabhängig zu denken.

Diese Beobachtung teilt die britische Journalistin Helen Lewis:

„Aus britischer Sicht fällt sofort auf, wie breit das Urteil in dieser Woche quer durch das politische Spektrum akzeptiert wurde. Dies ist eine dramatische Umkehrung. Um in Großbritannien eine Bescheinigung über die Anerkennung des Geschlechts zu erhalten, benötigt ein Antragsteller eine medizinische Diagnose der Dysphorie und eine Beurteilung durch ein unabhängiges Gremium.

Vor zehn Jahren befürworteten fast alle großen britischen Parteien – Labour, die Konservativen, die SNP, die Liberaldemokraten, die Grünen – die Umstellung auf eine Politik der Selbstidentifizierung des Geschlechts, wodurch die Notwendigkeit einer externen Überprüfung entfallen wäre. Heute unterstützen nur noch die Liberaldemokraten und die Grünen die Selbstidentifizierung.“

Lewis bewertet das Urteil so:

„Frauen werden diskriminiert, und das gilt auch für Transgender beiderlei Geschlechts, und das Gesetz kann dies anerkennen. Zuweilen müssen ihre Rechte ausgeglichen werden. Diese sorgfältige Entscheidung hat genau das getan.“

Self ID versammelt toxische Männlichkeit

Insgesamt gilt: Die Ideologie von Geschlecht als eine ausschließliche Angelegenheit der Selbstidentifizierung hat erst zu dieser krachenden Niederlage für den Transaktivismus geführt. Anstatt hier Einsicht zu zeigen, riefen Transaktivistas über Ostern in mehreren Orten Großbritanniens zu Demonstrationen auf. In London gehörte dazu unter dem Hashtag #PeeForMe auch ein öffentlicher Piss-In, zu dem die Transfrau und ehemalige BBC-Moderation India Willoughby aufrief. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins kommentierte das auf X: „Aggressiv dominante männliche Säugetiere urinieren typischerweise, um ihr Territorium mit einem Duft zu markieren.“

Ebenso wurden in der Demo Schilder mit frauenverachtenden Slogans wie „Die einzige gute TERF ist eine tote“ oder „Auf TERFS pissen“ gezeigt. Eine Statue zu Ehren der Frauenrechtlerin Millicent Fawcett wurde ebenfalls beschmiert. Es war eine Parade der toxischen Männlichkeit, die da in britischen Städten auflief. Die Self-ID-Ideologie hat auch deshalb verloren, weil sie Frauen verbieten wollte, das Offensichtliche klar benennen zu dürfen.

Nach hinten los ging daher auch eine Solidarisierungsaktion von Prominenten unter dem Hashtag „#ProtectTheDolls“ – „Doll“ ist in der Anglosphäre ein Slangwort für „Transfrau“. Besonders viele britische Frauen verwendeten das Hashtag auf X, um Fotos und Videos von biologisch männlichen Personen zu posten, die gemäß des Self-ID-Dogmas als Frauen hingenommen werden sollen. Das Bildmaterial zeigte Frauenverachtung sowie offenkundige Paraphilien auch in Frauentoiletten, die von biologischen Frauen als belästigend und bedrohlich empfunden werden.

Mit Self ID soll jedoch nichts in Frage gestellt werden. Wenn Transaktivismus selbst nicht mehr zwischen übergriffigen Männern mit Paraphilien und sozial integrationswilligen Transpersonen unterscheiden will, muss man sich nicht wundern, dass auch andere nicht mehr unterscheiden wollen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.


USA: Report kritisiert gender-affirmative Behandlungen von Kindern und Jugendlichen

Am 1. Mai 2025 wurde ein von US-Präsident Trump angeordneter Untersuchungsbericht veröffentlicht, der die gender-affirmativen Behandlungen als „unsicher“ einstuft. Trotz der politischen Erwünschtheit seiner Ergebnisse, müssen die Inhalte des Berichts ernst genommen werden. Es wird deutlich, wohin es führt, wenn Ideologie und nicht Evidenz das Handeln in der Medizin leitet.

Blick auf verschneites Gebirge, im Vordergrund ein Warnschild, auf dem vor steilen Abhängen gewarnt wird. Symbolbild für: USA: Report kritisiert gender-affirmative Behandlungen von Kindern und Jugendlichen
Vor steilem Gelände und Absturzgefahr muss auch beim gender-affirmativen Behandlungsmodell gewarnt werden! (Foto von Greg Rosenke auf Unsplash.)

4. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Auch in den USA tobt die Auseinandersetzung darüber, wie man mit Kindern und Jugendlichen umgehen soll, die mit ihrem biologischen Geschlecht hadern. Zugleich hat sich besonders in den USA der gender-affirmative Ansatz breit etabliert – nicht nur in Medizin und Psychotherapie, sondern auch im Bildungswesen. Dieser Ansatz beruht auf einer schnellen Bestätigung der geäußerten Identität, auch mit medizinischen Mitteln wie Medikamenten zur Pubertätsblockade. US-Präsident Donald Trump erließ gleich mit seinem Amtsantritt im Januar Dekrete, die auf mehreren Feldern die staatliche Unterstützung für den gender-affirmativen Ansatz zurückgenommen haben.

Teil der Trumpschen Dekrete war auch eine angeordnete Untersuchung, deren Ergebnisse nun am 1. Mai vom Gesundheitsministerium veröffentlicht wurden. Auf knapp 400 Seiten legt ein bislang anonym bleibendes Autorenteam dar, warum das gender-affirmative Vorgehen bei Jugendlichen auf einer unzureichenden Erkenntnisgrundlage beruht. Unzureichend deshalb, weil Langzeitrisiken nicht ausreichend geklärt sind.

Report trotz fragwürdigem Gesundheitsminister ernst nehmen

Obwohl Robert F. Kennedy Jr. das Gesundheitsministerium leitet, dem jede fachliche Eignung dafür fehlt, sind die Inhalte des Reports bemerkenswert. Diese fügen sich in bereits bekannte Ergebnisse aus europäischen Ländern ein, die als Konsequenz die Reißleine zogen und sich wieder vom gender-affirmativen Modell verabschiedet haben. In Großbritannien wurden Pubertätsblocker sogar verboten. Mutmaßlich konnten die Republikaner für diesen Report versierte Fachleute beauftragen, die aus den Reihen, der auch unter Medizinern wachsenden Opposition gegen den gender-affirmativen Ansatz stammen. Für die Reputation wäre es allerdings wünschenswert gewesen, dieser Report wäre bereits unter der Biden-Regierung erarbeitet worden.

Der Report beschreibt den Ist-Zustand, wie das gender-affirmative Modell in den USA angewandt wird und bewertet die Evidenzbasis für medizinische Eingriffe:

„Die Übersichtsarbeit ergab, dass die Qualität der Belege für die Auswirkungen einer Intervention auf psychologische Ergebnisse, Lebensqualität, Bedauern oder langfristige Gesundheit insgesamt sehr gering ist. Dies deutet darauf hin, dass die in der Literatur berichteten positiven Auswirkungen wahrscheinlich erheblich von den tatsächlichen Auswirkungen der Interventionen abweichen.“

Soll heißen: Die Studien, die positive Effekte der gender-affirmativen Behandlungen mit Pubertätsblockern und gegengeschlechtlichen Hormonen behaupten, sind nicht von der höchsten Beweiskraft. Demgegenüber stehen erhebliche Risiken, die im Report benannt werden:

„Zu den Risiken der pädiatrischen medizinischen Transition gehören Unfruchtbarkeit/Sterilität, sexuelle Funktionsstörungen, Beeinträchtigung der Knochendichte, negative kognitive Auswirkungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen, psychiatrische Störungen, chirurgische Komplikationen und Reue.“

Gender-affirmatives Modell nicht sorgfältig genug

Die aufgezählten Risiken erfordern eigentlich eine hohe Sorgfalt, die aber offenbar im gender-affirmativen Modell nicht vorgesehen scheint. Im Report heißt es:

„Das ‚gender-affirmative‘ Versorgungsmodell, wie es in US-Kliniken praktiziert wird, zeichnet sich durch einen vom Kind geleiteten Prozess aus, bei dem umfassende Beurteilungen der psychischen Gesundheit oft minimiert oder weggelassen werden und die ‚Verkörperungsziele‘ des Patienten als primäre Richtschnur für Behandlungsentscheidungen dienen. In einigen der führenden pädiatrischen Gender-Kliniken des Landes werden die Untersuchungen in einer einzigen zweistündigen Sitzung durchgeführt.“

So verwundert es nicht, dass in den letzten fünf Jahre zunehmend mehr Betroffene als sogenannte Detransitionier die Öffentlichkeit suchen, die die gender-affirmativen Maßnahmen bereuen und nun mit irreversiblen Konsequenzen leben müssen. Einige strengen sogar Gerichtsprozesse wegen ärztlicher Kunstfehler an.

Im Report werden auch einige Whistleblower vorgestellt, die in Kliniken tätig waren, wo nach dem gender-affirmativen Modell gearbeitet wurde. Die zitierten Fallgeschichten sind haarsträubend und die Einleitung einer Transition ist mit „verantwortungslos“ noch milde umschrieben. Eine Whistleblowerin ist Jamie Reed, die vier Jahre im St. Louis Children’s Hospital tätig war und 2023 an die Öffentlichkeit ging. Reed hat während ihrer Tätigkeit begonnen, negative Fallgeschichten separat zu dokumentieren. Seitens ihres Arbeitsgebers habe es diesbezüglich kein Interesse gegeben. Reeds Warnungen, dass Transitionsbehandlungen für diese Patienten nicht geeignet sein könnten, seien abgewiesen worden.

Transitionen trotz Instabilität

Reeds Liste enthalte zum Beispiel eine Patientin, die Testosteron einnahm und ohne Rücksprache mit einem Arzt ihre Medikamente gegen Schizophrenie abgesetzt hatte, sowie einen weiteren Patienten, der unter visuellen und olfaktorischen Halluzinationen litt. Reed beschrieb auch eine jugendliche Frau aus einer instabilen Familie, die in einer unsicheren Lebenssituation lebte, in der Vergangenheit Drogen konsumiert hatte und im Alter von 16 Jahren Hormone erhielt, gefolgt von einer Mastektomie im Alter von 18 Jahren. Drei Monate später habe sie die Operation bereut und der Klinik mitgeteilt: „Ich möchte meine Brüste zurückhaben.“

Eine andere Whistleblowerin, die im Report erwähnt wird, ist die Psychologin Tamara Pietzke, die beim Gesundheitsdiensleister MultiCare in Tacoma arbeitete. Auch sie beschrieb Patienten mit erheblichen psychischen Begleiterkrankungen und komplizierten Lebensgeschichten, bei denen trotz dieser Umstände geschlechtsangleichende Behandlungen genehmigt wurden.

Ein Fall, der im Report ausführlicher zitiert wird, ist besonders extrem: Eine 13-jährige Jugendliche sei mit Depressionen, Angstzuständen und posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert worden. Sie habe in ihrer Kindheit Missbrauch, Vernachlässigung und sexuelle Gewalt erlebt. Laut Pietzke berichtete diese Patientin, dass Horror- und Pornofilme die einzigen Filme gewesen seien, die es in ihrem Haus gab. Die Patientin erzählte Pietzke außerdem, dass ihre Mutter Sodomie praktiziert habe.

In den Therapiesitzungen kommunizierte sie, indem sie Pietzke auf ihrem Handy sadistische und explizite pornografische Videos gezeigt habe. Bei der Patientin sei außerdem eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert worden, was möglicherweise zu ihren Kommunikationsschwierigkeiten beigetragen haben könnte. Pietzke beschrieb, dass das Mädchen in ihrem Alter zurückfiel, indem es Teletubbies geschaut und an einem Schnuller gelutscht habe. Der Mutter der Patientin sei die Fürsorge bereits entzogen worden.

Zusätzlich habe Pietzke festgestellt, dass ihre 13-jährige Patientin nie nach Testosteron gefragt hätte und in Gesprächen kein Verständnis für das Hormon und seine Wirkung zeigte. Dennoch habe die Genderklinik des Mary Bridge Children’s Hospital, das zur MultiCare-Gruppe gehört, der Teenagerin bei ihrem ersten Besuch die Verabreichung von Testosteron genehmigt. Die Klinik habe Pietzke aufgefordert, eine unterstützende Indikation auszustellen und die Patientin von jeglichen psychischen Kontraindikationen freizustellen. Pietzke habe dies abgelehnt und der Fall sei an das Risikomanagementteam des Krankenhauses weitergeleitet worden. Nachdem Pietzke auch dort keine Unterstützung für ihre Skepsis erhalten habe, habe sie die MultiCare-Gruppe verlassen.

Begriff „Geschlechtsidentität“ nicht evidenzbasiert

Wie ist es möglich, dass Kinder und Jugendliche trotz schwerwiegender Kontraindikationen auf den Pfad einer Transition gesetzt werden? Eine wichtige Ursache liegt in einem nicht evidenzbasierten und nicht klar definierten Verständnis von Geschlechtsidentität. Maßgeblich sind für die Verfechter des gender-affirmativen Modells die Behandlungsempfehlungen der WPATH. Diese definiert „Geschlechtsidentität“ wie folgt: „Das tief empfundene, innere, intrinsische Gefühl einer Person für ihr eigenes Geschlecht.“

Eine allein auf das subjektive Empfinden abgestellte Definition führt jedoch dazu, dass es gar keine hinreichend klare Definition von „Geschlechtsidentität“ gibt. Dies kritisiert der Report als ein ernstes Problem, da der Begriff eine zentrale Rolle in der Begründung für medizinische Eingriffe spielt.

Damit einhergehend wird oft behauptet, dass die Geschlechtsidentität angeboren oder in jungen Jahren festgelegt und daher nicht veränderbar sei. Transsein wird zu einem unveränderlichen Merkmal.  Ein „Transkind“ ist in diesem Rahmen ein Kind, dessen unveränderliche Geschlechtsidentität nicht mit seinem biologischen Geschlecht übereinstimmt. Eine therapeutische Ergründung der zugrunde liegenden Ursachen für das Unbehagen eines Kindes mit seinem geschlechtlichen Körper wird in dieser Begriffsvorstellung als „Konversionstherapie“ abgetan, als unethischer Versuch, das authentischen Selbst des Kindes umzupolen. „Geschlechtsidentität“ wird mit „sexueller Orientierung“ gleichgesetzt.

In dieses Horn trötet auch das deutsche Community-Medium queer.de und verbreitet unkritisch Behauptungen von LGBTI-Organisationen, „explorative Therapie“ sei ein neuer Name für „Konversionstherapie“, also ein Umpolungsversuch. Es ist Desinformation wie diese, die gerade weltweit erheblichen Schaden anrichtet und geschlechtsangleichende Maßnahmen vollständig zu diskreditieren droht.

Voreilige irreversible medizinische Eingriffe

Doch noch schwerwiegender ist, dass aufgrund solcher begrifflichen und ideologischen Fehlkonstruktionen eine Reihe junger Menschen voreilig irreversible Behandlungen erhalten. Eine sorgfältige therapeutische Exploration bewahrt aber nicht nur Menschen vor medizinischen Maßnahmen, die sie eigentlich nicht brauchen, sondern gibt auch denjenigen mehr Stabilität, die sie in Anspruch nehmen.

In der Zusammenfassung des Reports heißt es zu ethischen Erwägungen: „Der Grundsatz der Autonomie in der Medizin begründet ein moralisches und juristisches Recht mündiger Patienten, jegliche medizinische Intervention abzulehnen. Es gibt jedoch kein entsprechendes Recht, Eingriffe zu erhalten, die nicht von Nutzen sind. Die Achtung der Patientenautonomie hebt nicht die berufliche und ethische Verpflichtung des Arztes auf, die Gesundheit seiner Patienten zu schützen und zu fördern.“

Der umfangreiche US-Report reiht sich in die vielen Warnsignale ein, dass das gender-affirmative Modell ein riskanter Irrweg ist, der vor allem Kinder und Jugendliche gefährdet. In den USA hat dieser Irrweg dazu geführt, Trump und seinen rechtspopulistischen Republikanern eine perfekte Angriffsfläche für ihren Feldzug gegen „Wokeness“ zu bieten, der nicht nur einfach linksprogressive Auswüchse korrigiert, sondern selbst zum Exzess gegen Grundsätze liberaler Vernunft geworden ist.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


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