CSDs gehören heute in Deutschland selbstverständlich zum Sommerprogramm dazu. Immer wieder hört und liest man die Frage, ob es den CSD überhaupt noch brauche. IQN-Vorstand Jan Feddersen plädiert leidenschaftlich dafür.


Der erste CSD in Hamburg 1980 – mit Jan Feddersen (Foto: Chris Lambertsen)


6. Mai 2024 | Jan Feddersen

Ein Klick – und der CSD-Kalender für dieses Jahr ist ersichtlich. Man erkennt auf Anhieb auf dieser Agenda, dass Umzüge, Paraden oder Demonstrationen von Schwulen, Lesben, Transmenschen und ihren Freundinnen* keine Sache in großen Städten mehr ist. Berlin, Köln, Hamburg, München oder Hamburg allein auf weiter Flur, „queere“ Sichtbarkeit zu organisieren? Das war einmal. Wir sind eben überall und zeige- wie sichtbarkeitslustig.

 

Mein erstes Mal

1979 war ich Teilnehmer bei den beiden ersten CSD-Paraden in Deutschland. Ich war in Bremen dabei, in Westberlin gab es auch einen Umzug. 1980 schließlich, organisierte ich die erste Demo in Hamburg, hier sieht man mich links am Transparent. Es war aufregend, drei Jahre nach meinem Coming-Out! Mein ganzes Lebensgefühl war davon geprägt, mich und meine Art des Begehrens nicht mehr diskret zu halten.

Als politisch verstanden wir unser Tun sowieso. Schwul, öffentlich, es zeigend, das war für mich damals eingebettet in eine linksalternative Atmosphäre in meiner Heimatstadt. Ein gutes Vierteljahr später, im Herbst 1980, ollte Corny Littmann, der wahnsinnig erfolgreiche „Brühwarm“-Theatermann, Spitzenkandidat der Grün-Alternativen bei den Bundestagswahlen werden – und ein achtbares Ergebnis erzielen.

CSDs – das waren eben auch Mutproben, auch wenn ich selbst dies damals bestritten hätte: „Was? – Mutprobe? Nee, ist doch klar, machen wir.“ Dabei war es eben nicht klar für die meisten homosexuellen Männer und Frauen, auch nicht für Transmenschen: CSD – das traute man sich dann doch nicht.

 

Sind CSDs irrelevant?

Insofern ist jedes Gerede, ob wir noch CSDs brauchen, ob es nicht reine unpolitische Karnevalsveranstaltungen seien, verfehlt. Ältere Texte von mir zeigen mir, dass die Debatte etwas Patina angesetzt haben könnte. Aber: Es wird immer noch so getan, als seien Paraden von Queers konsumorientiert, pornografisch oder sonst wie irrelevant. Einige Jahre gab es sogar einen alternativen CSD in Berlin-Kreuzberg, wo man sich auf seine revolutionäre Gesinnung (Bürgerkinder durch und durch) immer viel zu Gute hielt. Ich persönlich weiß nicht, was aus diesem sogenannten Alternativangebot geworden ist, aber Freunde klärten mich auf, dass es inzwischen International Queer Pride heißt. Jedenfalls: Zuletzt, zu meiner aktiven Paradezeit, zerstritten sich die Organisatorinnen*, weil u.a. bei diesen CSDs Israelfahnen misshandelt wurden, queer-feministische und transaktivistische Positionen zur Bedingung der Teilnahme gemacht wurde  – und weil man insgesamt dann doch eher Sekte, als Bewegung blieb.

Der große CSD in Berlin litt und leidet an einer Fülle von internen Zänkereien, die hier nicht weiter ausgebreitet werden sollen. Insgesamt trifft aber wohl zu: Dem – wichtigen – Fußvolk ist das alles egal. Man geht hin als lesbische Kassiererin aus Reinickendorf, als Gärtner aus Rudow oder Schornsteinfegerfachkraft aus sonstwo in der Hauptstadt, viele Touristen und Hauptstadtbesucherinnen von auswärts, schichtenübergreifend, von proletarisch-handwerkerlich bis zum höheren Angestellten. Wichtig ist, sich zu zeigen – und sich selbst ein Zeichen des Mutes zu sein.

 

CSDs als Statement

Wichtiger scheinen mir ohnehin die CSD-Feste in der Provinz, dieses Jahr, so nehme ich stark an, ziemlich parallel zu den Demokratiedemos gegen die AfD, gegen völkische Wahlergebnisse, vor allem im Osten unserer Republik. Aber wären deshalb CSDs in den Metropolen unwichtig? Könnte man sie ausfallen lassen? Ist doch sowieso nur Ballermann auf queer?

Das hielte ich für falsch. Faktisch hat sich schwules Leben weitgehend ins Internet verlagert; lesbisches Leben fand nie in einer vergleichbaren Gastroinfrastruktur ihren Ausdruck; Transmenschen haben teilweise nochmal andere Strukturen, sind aber oft angewiesen auf Bars und Diskos wie das SchwuZ oder den Südblock. Ansonsten ist ja alles, wie sagt man, „gay friendly“ bzw. queerfreundlich. Die meisten homo- und transphoben Zuständen sind hierzulande von gestern, auch wenn die alten Gefühle der Verletzlichkeit nicht verschwunden sind und jederzeit reaktivierbar sind. Alle mit Herz wissen das, ich auch.

Und weil CSDs Catwalks des öffentlichen Zeigens sind, brauchen wir sie, unter welchem Motto auch immer. Wichtig ist zu sagen: Wir bleiben nicht automatisch sichtbar. Wir müssen uns schon zeigen, sonst verschwinden wir wieder aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein. Deshalb gilt es, gegen die Verachtung anzureden: CSDs sind Coming-Outs im Reenactment. Massenhaft, millionenfach. Gut, dass es sie gibt!

 


Ältere Texte zum CSD von Jan:


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.