Ein Beitrag der Online-Illustrierten Queer.de versucht das Scheitern des Berliner Projekts Queeres Kulturhaus E2H zu beleuchten. Dazu einige Klarstellungen des IQN-Vorstands und E2H-Ideengebers Jan Feddersen.


Foto:Unsplash/Mark König


08.03.22 | Von JAN FEDDERSEN

Bei der Kölner Online-Illustrierten Queer.de wurde Ende 2021 der Text des Berliner Szeneautors Dirk Ludigs veröffentlicht, der sich mit der Geschichte des von uns, der Initiative Queer Nations, ins Leben gerufenen Projekts eines „Queeren Kulturhaus“ (E2H) in Berlin befasst – und vorgibt, die Gründe zu benennen, die zum Scheitern des E2H führten.

Vorangegangen war diesem Text ein Facebook-Posting des Autors dieser Zeilen, der den im späten Herbst 2021 veröffentlichten neuen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linkspartei für die Stadt Berlin charakterisierte. Dass nämlich in diesem Werk  jeder Hinweis auf weitere Planungen zu einem E2H oder gar zu einem „Queeren Archivhaus“ fehlt.

Queerpublizistisches Novum

Tatsächlich nahm dies offenbar Ludigs zum Anlass, über das rot-grün-rot-verblichene Projekt berichten zu wollen: In der queeren Publizistik war dies insofern ein Novum, als weder das Berliner Anzeigenblatt Siegessäule noch andere Medien über E2H auf eine Weise zu reagieren wussten, die wenigsten die angesichts der ausgelobten finanziellen Mittel für E2H objektive Relevanz des Queeren Kulturhauses respektieren: Mit einer Startbudgetierung allein für ein Haus von schätzungsweise 20 Millionen Euro (Stand Ende 2020) war das E2H, in Euro gemessen, der gewichtigste queere Plan der Hauptstadt (und darüber hinaus), wesentlich befördert durch die Senatsbehörde für Kultur und Europa mit Bürgermeister Klaus Lederer (Linkspartei) an der Spitze.

Herausgekommen ist mit Ludigs Text ist ein halbgares bis allenfalls semi-wahres Sammelsurium zum und über das E2H und die Initiative Queer Nations. Man kann Ludigs, der im Rahmen seiner Recherchearbeit den Autor dieser Zeilen immerhin per Mailkorrespondenz anhörte, allerdings zugute halten, dass er Ton und Stil der Online-Illustrierten Queer.de durchaus perfekt getroffen hat. Wer sich mit der Genese der Geschichte des E2H detaillierter auseinandersetzen mag, ziehe das Jahrbuch Sexualitäten 2021 zurate, wo die früheren Vorstandsmitglieder des Queeren-Kulturhaus-Projekts, Peter Obstfelder und der Autor dieser Zeilen, ausführlich mit einer Fülle von Belegen notiert haben (PDF), was die Sache namens E2H war.

Indes, es lohnt sich einige der im Ludigs-Text neu hinzugekommenen Behauptungen genauer zu betrachten:

Zur Sprache kam im Text das alte taz-Haus an der Rudi-Dutschke-Straße 23 und dessen bevorzugte Wahl als mögliches Gebäude für ein Queeres Kulturhaus. Klarzustellen ist hierzu, dass bei einem Kolloqium im Berliner Abgeordnetenhaus mit überwältigender Mehrheit der Projektbeteiligten damals (Lesbenarchiv Spinnboden, Magnus Hirschfeld Gesellschaft, Feministischen Archiv FFBIZ, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die Arbeitsstelle für die Kulturgeschichte der Sexualitäten an der Humboldt Universität in Berlin u.a.) entschieden wurde, sich auf das taz Haus als künftigem Standort für ein Queeres Kulturhaus zu verständigen. Die Geschäftsführung sowie die Genossenschaft der taz erklärten sich im Gegenzug bereit, trotz anderer Mietinteressenten an der taz-Immobilie, diese dem queeren Projekt zur Verfügung stellen zu wollen: An jener Abstimmung hat mit Absicht der Autor dieser Zeilen, der auch Mitarbeiter der taz ist, nicht teilgenommen.

Den Leser*innen nicht berichtet

Schlichtweg falsch ist zudem die Behauptung, dass den queeren Archiven keine Zeit eingeräumt wurde, so Ralf Dose von der Magnus Hirschfeld Gesellschaft, im Rahmen der E2H-Förderung durch den Kultursenat etwas zum Ausstellungswesen beizutragen. Tatsächlich oblag es dem E2H-Vorstand, ausweislich der Projektförderung, ein Programm für ein E2H zu entfalten, als existiere ein Queeres Kulturhaus bereits – die queeren Archive hingegen wollten wesentliche Teile der Senatsfördersumme für eigene, nicht ans E2H-Projekt gebundene Pläne. Dies wiederum war gemäß der erlassenen Förderbescheide strikt unzulässig.

Den Leser*innen nicht berichtet wurde im Queer.de-Text, dass die queeren Archive wie auch die Vertreter der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sich im Koordinationskreis des E2H entweder Arbeitszeit nahmen oder Förderung durch staatliche Stellen beantragten und bewilligt bekamen, um überhaupt an den Koordinierungstreffen teilnehmen zu wollen – mit welchen (anderen) inhaltlichen Begründungen auch immer. Kurz gesagt: Während die ehrenamtlichen Kräfte im Projekt bis zum Ende ihre private Zeit für das E2H aufbrachten, auch und gerade die Vorstandsmitglieder Christiane Härdel, Lily Kreuzer und der Autor dieser Zeilen, ließen sich die sowieso schon alimentierten Beteiligten quasi jede Minute Arbeit am Queeren Kulturhaus bezahlen – nur um das Projekt dann scheitern zu lassen.

Unerwähnt blieb bedauerlicherweise auch – nicht mangels Phantasie, dies wurde Dirk Ludigs ausführlich geschildert –, dass das Queere Kulturhaus, wiederum unterfüttert durch die geldgebende Kulturbehörde, nicht als „Queerer Leuchtturm“ zur Subventionierung ohnehin schlecht strukturierter Archive und Vereine gedacht war, sondern als hauptstädtische Immobilie, die über die aktivistischen Kerne hinaus queere Menschen (und ihre Freund*innen) zu erreichen hatte und zu interessieren suchte. Ein Queeres Kulturhaus – nicht als Futtertrog der ohnehin Subventionsgierigen (oder, je nach Lesart, -bedürftigen), sondern als metropoles Stadtmöbel, das sich über die queeren Szenen der Berliner Provinz hinaus zu profilieren weiß.

Provinziell Gesinntes

Neben diesen Ergänzungen des Faktischen sei eine Stilkritik erlaubt: Insgesamt verblüfft der Text durch sein – in Ermangelung passenderer Begrifflichkeiten – „szeneastisches Gewölk“. Also durch die Unfähigkeit, queeres (mithin: schwules, lesbisches, trans) Leben jenseits der Bubble der kultur-polit-sozialtherapeutischen Szene vorzustellen. In der Tat klingt das Ganze dann wie eine missgünstig formulierte Abrechung im zänkischen Stil – als Bilanz von Querelen innerhalb der aktivistischen Szene(n). Es handelt sich mithin um eine sogenannte Recherche mit queeristischen Politaktivist*innenblüten, beifallheischend im Ton, hämisch im Klang: Provinziell Gesinntes geht offenbar (nicht nur) in Berlin immer.

Die Initiative Queer Nations, die sich 2005 gründete, um, partei- und NGO-fern, das zu ermöglichen, was 2011 die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld werden konnte, muss akzeptieren, dass es für ein Queeres Kulturhaus in Berlin in der aktivistischen Szene keine oder kaum Gewogenheit gab: Man wollte lieber weiter im eigenen Saft vor sich hin gären. Die Chance, sich eine stabile Existenz mit einem 20 Millionen Euro geförderten Projekt zu sichern und, fast wie nebenbei, noch zentraler Bestandteil eines weltweit einzigartigen Kulturorts zu werden, ist vertan. Wahrscheinlich für lange Zeit. Ich als Erster – bedauere das zutiefst. Was ist aus der nicht-heterosexuellen Bewegung Berlins bloß geworden?

Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations. Trotz des hier beschriebenen Unglücks halten er und die anderen Mitglieder des Vorstands der Initiative Queer Nations ausdrücklich weiterhin an der Idee eines queeren Kultur- und Denkortes für Berlin fest.

Besagten Aufsatz über das Scheitern des E2H aus dem jahrbuch Sexualitäten 2021 können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.