Bilder, Normen, Selbstermächtigungsstrategien
Zu Rainer Herrns Queer Lecture „IllusTRANSionen: Bildrhetoriken, Bildgebrauch und Bildeffekte in der ersten Transvestitenzeitschrift Das 3. Geschlecht (1930-1932)“ am 24. April 2017 im taz-Café
Von Benno Gammerl und Maria Borowski
„Keine Bibliothek hat es als wertvoll erachtet, die Zeitschrift Das 3. Geschlecht zu sammeln.“ Ein Satz, der hängen bleibt. In den Jahren des Erscheinens von 1930 bis 1932 wurde keine einzige Ausgabe archiviert und bis heute sind sie nirgends komplett vorhanden. Deswegen hat Rainer Herrn, Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité (Berlin), der sich seit 25 Jahren um die Sichtbarmachung der Geschichte der Transvestit*innen und Transsexuellen verdient gemacht hat, die Zeitschrift Das 3. Geschlecht nun in einer Faksimile-Ausgabe dem Publikum zugänglich gemacht. In seinem Vortrag bei den Queer Lectures der Initiative Queer Nations hat er sich vor allem mit der Frage beschäftigt, wie Redakteur*innen und Leser*innen in den frühen 1930er Jahren mit den Bildern umgingen, die in der ersten deutschen Transvestitenzeitschrift erschienen. Diese Frage ist nicht zuletzt deswegen von besonderem Interesse, weil das 3. Geschlecht damals in nicht wenigen Kiosken auslag und zu kaufen war, seine Bilder also öffentlich waren.
Zunächst stand die Selbstverständigung im Vordergrund
Wie Transvestit*innen die Zeitschrift als Medium begriffen und nutzten, das es ihnen erlaubte, sichtbar zu werden, war eine der zentralen Einsichten des Vortrags. Der Verleger Friedrich Radszuweit hatte das Projekt ins Leben gerufen, weil er hoffte, damit die Entstehung einer Bewegung zu fördern, die sich öffentlich für die Rechte von Transvestit*innen stark machen würde. Die Leser*innen der Zeitschrift waren jedoch eher an einer sozusagen internen Selbstverständigung interessiert und an der Produktion von Selbstbildern. Im Lauf der Zeit druckte die Zeitschrift immer mehr persönliche, von Leser*innen eingesandte Fotos. Rainer Herrn deutet das als Beleg erstens für die hohe Akzeptanz der Zeitschrift unter den Transvestit*innen und zweitens für deren starkes Bedürfnis, sich sichtbar zu machen und sich so ihres eigenen Seins bildlich zu ermächtigen. Das dabei entstehende Selbstbild war jedoch geprägt von der Bevorzugung privater Räume als Orten für das Auftreten im ‚Wunschgeschlecht‘. Die meisten eingesandten Fotos wurden in Wohnzimmern oder Salons aufgenommen, nur selten dienten Straßen oder Parks als Hintergrund. Außerdem lehnten Leser*innen und Redakteur*innen in oft überraschender Deutlichkeit geschlechtlich ambivalente Erscheinungen ab. Zugleich distanzierten sie sich von den Homosexuellen.
Benno Gammerl und Rainer Herrn
Abgrenzung von homosexuellen Transvestit*innen
Diese normierenden Effekte der gedruckten Bilder verstärkte die Redaktion, indem sie sie häufig mit stark wertenden Bildunterschriften versah. Kommentare wie „gut gekleideter männlicher Transvestit“ oder „nicht passend gekleideter männlicher Transvestit“ geben Auskunft über die in der Zeit vorherrschenden Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen, aber auch über die Dominanz eines bürgerlich geprägten Kleidungsstils. Die Betonung des möglichst perfekten Auftritts im oder des Übergangs ins ‚andere‘ Geschlecht interpretierte Herrn als einen wesentlichen Grund dafür, dass die Zeitschrift neben den Kleidern zunehmend auch die (teilweise) unbekleideten Körper in den Blick nahm. Diese Entwicklung und der Wunsch vieler Leser*innen, sich von homosexuellen Transvestit*innen abzugrenzen, trug, so Herrn, maßgeblich dazu bei, dass später die Unterscheidung zwischen Transvestitismus und Transsexualität immer mehr an Bedeutung gewann, wobei die Transsexuellen auch mittels operativer Eingriffe versuchten, sich körperlich ihrem ‚Wunschgeschlecht‘ anzunähern.
Das intensive Publikumsgespräch beschäftigte sich vor allem mit dem Wunsch der ‚heterosexuellen‘ Transvestit*innen, sich von homosexuellen Transvestit*innen abzugrenzen. Dabei ging es zum einen darum, welches Geschlecht letztlich für das Selbstverständnis als entweder hetero- oder homosexuell ausschlaggebend war. Zum anderen wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern das Bedürfnis, sich von den Homosexuellen abzugrenzen, eher damit zusammenhing, dass Letztere mit deutlich harscherer Diskriminierung konfrontiert waren als die Transvestit*innen – bemerkenswerter Weise war Das 3. Geschlecht trotz seiner relativ gewagten Titelbilder nicht von Zensur betroffen –, oder eher damit, dass sich die Anliegen und Begehrensstrukturen beider Gruppen fundamental voneinander unterschieden. Vielleicht ist es unmöglich, diese Frage retrospektiv eindeutig zu beantworten, aber der Vortrag und die Diskussion haben gezeigt, wie wichtig und aufschlussreich es aus heutiger Perspektive ist, sich auch und gerade mit der frühen Geschichte von Transvestitismus und Transsexualität auseinanderzusetzen.