CSD Berlin e.V. lädt Aktive zu einem Vernetzungstreffen ein
Der CSD Berlin e.V hat Vertreter*innen anderer queeren Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet zuerst zu einem Vernetzungstreffen und anschließend zu einem Parlamentarischen Abend nach Berlin eingeladen. Auch die Initiative Queer Nations e.V. war dabei.
15. Juli 2024 | Till Randolf Amelung
Am vergangenen Freitag lud der CSD Berlin e.V., der Trägerverein der großen Pride-Demo, Vertreter*innen anderer queeren Initiativen sowie engagierte Einzelpersonen aus dem ganzen Bundesgebiet zuerst zu einem Vernetzungstreffen und anschließend zu einem Parlamentarischen Abend in das Berliner Büro des Konzerns „Microsoft“.
Diese Veranstaltungen unter dem Titel „Starkes queeres Netzwerk Deutschland!“ sind Teil der ausgewählten programmatischen Schwerpunkte des diesjährigen Pride Month Berlin, der mit einem vierwöchigen, abwechslungsreichen Programm das Vorspiel zur Parade am 27. Juli ist. „Deutschland rückt nach rechts. Wie können wir ein gemeinsames gefestigtes Netzwerk aufbauen, um dieser Entwicklung zu begegnen?“ so die Zielbeschreibung des Veranstalters.
Umstrittener Gastgeber
Der Gastgeber CSD Berlin e.V. ist seinerseits nicht unumstritten, in den vergangenen Jahren waren immer wieder Kontroversen zu diesem Verein publik geworden. 2023 gab es beispielsweise Berichte um finanzielle Unstimmigkeiten. Vor allem aber wird dem Verein seit Jahren vorgeworfen, zu weiß, cis, Mainstream und unpolitisch zu sein, also nicht den Vorstellungen einer radikalen queer-intersektional-ideologischen Bubble zu entsprechen. Umso interessanter, sich vor Ort ein Bild zu machen, wer diese Einladung annehmen wird. Kann überhaupt eine Initiative oder ein Verein von sich behaupten, für alle zu sprechen, die mit „LGBTI“ oder „Queer“ assoziiert sind?
Der Nachmittagsteil sollte verschiedene Aktivist*innen zusammen ins Gespräch bringen und bestand thematisch aus zwei Blöcken: „Starkes queeres Netzwerk Deutschland“ und „Ostdeutschland“. Geschätzt 50 Teilnehmende kamen an diesem Nachmittag zusammen, unter ihnen viele Schwule. Auch Transpersonen und sich als nichtbinär verstehende Personen waren in bemerkenswerte Zahl dabei, jedoch im Verhältnis dazu recht wenig Lesben.
Inklusion und Diversity
Im ersten Block tauschten sich die Teilnehmenden in wechselnden Kleingruppen darüber aus, wie es um ein derzeitiges Netzwerk steht und wie inklusiv/divers die eigenen Vereine sind, was man für Diversifikation tun könnte. Ebenso, wie man mit Menschen umgehen möge, die eine andere als die in diesen Gruppen übliche Meinung haben. Danach ging es mit einer Paneldiskussion zur Situation in Ostdeutschland weiter, darüber, wie man queere Menschen dort unterstützen könnte. Moderiert wurden alle Nachmittags-Teile vom Journalisten Chiponda Chimbelu, der für die „Deutsche Welle“ arbeitet.
Hier offenbarte sich der aktuelle Zustand dessen, was man „Community“ nennt. Konkrete Streitthemen wurden vermieden – zum Beispiel ein immer offensichtlicher werdendes Antisemitismusproblem in queeren Kreisen sowie Interessenskonflikte zwischen transaktivistischen Forderungen und Frauen.
Diskussionen führten so selten über Allgemeinplätze hinaus, denn wer will schon grundsätzlich gegen Inklusion und Diversität sein? Auch die identitätspolitischen queer-intersektionalen Phrasen sitzen: Mehrfach war zu hören, man müsse erstmal die eigenen Privilegien checken, sie gar abgeben.
In den Plenumsdiskussionen war es einem Transmann gleich zweimal wichtig zu schimpfen, dass doch gerade weiße schwule Cis-Männer am privilegiertesten seien. Einige der Anwesenden schüttelten empört mit den Köpfen, doch offen widersprechen mochte von ihnen niemand. „Privilegien“ meint im intersektional-ideologischen Sinn unverdient erlangte Vorteile, die eine gesellschaftlich komfortablere Position ermöglichen.
Privilegien als moderne Erbsünde
Der „Privilegien“-Vorwurf gehört zur Grundausstattung der queer-intersektionalen Ideologie und funktioniert vor allem wie ein moderner Ablasshandel, wie in einem Religionsersatz. Die Signalwörter „weiß“ und „cis“ haben die biblische Erbsünde abgelöst. Es geht nicht darum, Individuen mit ihrer individuellen Biografie zu würdigen, sondern um Projektionen. Wer als „weiß“ und „cis“ gilt, muss in erster Linie Schuld bekennen. Wie wohl in den 1970ern bei den linksradikalen K-Gruppen, muss man auch bei den Q-Gruppen bekennen, dass man heute schon wieder versagt hat, die Revolution voranzutreiben. Ein solcher Zugang wird niemandem gerecht, auch nicht schwulen Männern. Mit einer tatsächlich befreiten Gesellschaft haben diese Bekenntniszwänge ebenfalls nichts zu tun.
Eine weitere Formel, die in diesem Kontext auch bei der Veranstaltung nicht fehlen durfte, war „Marginalisierten zuhören“. Zuhören sollte man immer, aber nicht ohne kritische Auseinandersetzungen mit den Forderungen. Denn Forderungen anderer müssen nicht ausschließlich vorteilhaft für die eigenen Ziele sein oder gar von derselben Vorstellung geprägt sein, wie eine Gesellschaft sein sollte. Doch eine kritische Auseinandersetzung wollen queer-intersektionale Vertreter*innen zumeist gar nicht, wenn daraus Schlüsse folgen, die der reinen Lehre zuwiderlaufen.
Queer in Ostdeutschland
Doch zurück zur Veranstaltung: Im zweiten Nachmittagsteil zum Thema „Ostdeutschland“ wurde es dann auch mal konkreter. Ostdeutsche Aktivist*innen beschrieben ihre Erfahrungen, wie unglaublich engagiert sie an ihren jeweiligen Orten wirken – ob nun CSD-Veranstaltungen und andere Aktivitäten. Als Gefahr wird auch die Beendigung oder Kürzung von Fördermitteln benannt, wie es dem Leipziger Verein „Rosa Linde e.V.“ passiert ist.
Beklagt wird, dass gerade westdeutsche und vor allem Berliner Queers oft geringschätzig auf Ostdeutschland schauen: „Da leben doch sowieso nur Nazis!“ Eine Panelteilnehmerin rief gegen Ende dieser Diskussionsrunde dazu auf, doch auch mal in den Osten zu kommen, gar dort hinzuziehen. In dieser Einladung liegt auch ein wichtiger Kern, denn Landflucht überlässt den Raum anderen.
Parlamentarischer Abend
Zum anschließenden Parlamentarischen Abend mit Vertreter*innen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus füllte sich der Raum deutlich, alle Plätze waren nun belegt. Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano, seit nunmehr einem Jahr im Amt, eröffnete die Veranstaltung. Unter dem Eindruck des antisemitischen Vorfalls auf der Soli-Party des Dyke March am 8. Juli in der „Möbel Olfe“ sprach Pantisano die Kriege in der Ukraine und in Nahost als Herausforderungen für die Pride-Parade und den Dyke March an, auf die man sich einstellen müsse.
Im Mittelpunkt der anschließenden Diskussion mit Max Landero (SPD, Staatssekretär für Integration, Antidiskriminierung und Vielfalt), Laura Neugebauer (Bündnis 90/Die Grünen) und Lisa Knack (CDU) standen die sechs Kernforderungen, die der CSD Berlin e.V. in diesem Jahr an die Politik richtet.
In einer Mentimeterumfrage ließ man das Publikum diese Forderungen nach Priorität anordnen. Die beiden wichtigsten Themen waren mit deutlichem Abstand die Aufnahme sexueller und geschlechtlicher Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes sowie Maßnahmen gegen Hasskriminalität.
Ultimatum für Artikel 3
Besonders für Diskussionsstoff sorgte das Ultimatum des CSD Berlin e.V. an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Während die einen, darunter auch Staatssekretär Landero, solche Mittel eher für kontraproduktiv halten, wenn es darum geht, das Gespräch aufrecht zu erhalten, finden andere, dass es das gute Recht der Veranstalter ist, politische Vertreter danach zu wählen, wie glaubwürdig sie die Ziele unterstützen.
Einig sind sich alle darin, dass sich für die Erreichung des Ziels der Erweiterung von Artikel 3 GG gerade das Zeitfenster schließt und die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit ohne die CDU nicht zu haben ist.
Gerade mit der qua Defintion nichtlinken CDU fremdeln viele im queer-aktivistischen Milieu, das wurde auch am Freitagabend wieder sichtbar. Manches ging dabei aber auch ins Absurde. Zum Beispiel, als eine sich als nichtbinär identifizierende Person bekundete, dass ihr die Aufnahme von geschlechtlicher Identität in Artikel 3 GG besonders wichtig sei, weil man dann gegen die vor allem gerade in CDU-geführten Bundesländern erlassenen Verbote von Gendersternchen und Ähnlichem klagen könne. Das Gendersternchen zu verbieten, würde Menschen verbieten. Hier wird Butlers queerideologisches Sprechaktverständnis dann doch ein wenig überstrapaziert, ja, in gewisser Hinsicht auch ins Allgemein-Alberne transferiert.
Sicherheit für jüdische Queers
Für einen überraschenden Moment sorgte an dem Abend Anette Detering, Organisatorin des East Pride und ehemaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhaus für die Grünen. Als die Diskussion zum Thema „Hasskriminalität“ wechselte, nutzte Detering den Moment und fragte insbesondere die Vertreter vom CSD Berlin e.V. nach einem Sicherheitskonzept für die Teilnahme von jüdischen und israelischen Queers. Dabei berichtete sie auch von dem Vorfall in der „Möbel Olfe“.
Das Thema schien viele der Anwesenden unvorbereitet zu treffen. Ein Vertreter des CSD Berlin versicherte, man würde sich mit dem Thema auseinandersetzen und dass Antisemitismus keinen Platz habe.
Man wird sehen, ob das eingelöst werden kann. Dazu müsste man auch alles auf den Prüfstand stellen, was in den letzten Jahren unter dem Modewort „Intersektionalität“ Eingang in den queeren Aktivismus gefunden hat. Dieser Abend jedoch wird erst mal mit einem Imbiss und einer alkoholischen sowie alkoholfreien Getränkeauswahl beschlossen.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.