Die Ausstellung Radikal – Lesbisch – Feministisch ist noch bis zum 6. November im SMU (aka Schwules Museum*) in der Lützowstraße zu sehen. Die nächste spannende Veranstaltung bietet das Begleitprogramm der Ausstellung am 4. Oktober um 19 Uhr, eine Diskussionsrunde unter dem Titel Das Generationending – radikale Lesben im Gespräch mit Sternchen*Lesben. Lesen Sie hier im IQN-Blog, warum David Prinz von der Ausstellung begeistert war.

 

Ausstellungsbericht: Radikal – Lesbisch – Feministisch

von David Prinz, Vorstandsmitglied der Initiative Queer Nations e.V.

 

Wir sind die homosexuellen Frauen
Ihr steht da und glotzt uns an
So als wären wir ganz anders als ihr
Ein komisches Getier

Flying Lesbians

 

„Am Anfang nannten sich die Lesben ‚schwul’“– so lautet eine der ersten Zeilen des Begleittextes zur Einführung in die Ausstellung Radikal – Lesbisch – Feministisch, die sich der Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums (LAZ) und der HAW-Frauengruppe zwischen den Jahren 1972 und 1982 widmet. Dieser Satz, der seinen Ursprung in den noch jungen, vor allem aber wilden und energiegeladenen 1970er Jahren hat, markiert den Anfang einer emanzipatorischen Bewegung, die nur so nach Entfesselung, feministischem Aufbruch und lesbischer Sichtbarkeit ruft.

Lesbischsein ist auch Sein

Jene lesbische Emanzipation beginnt mit der Gründung der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) im November 1971 und der Formierung der HAW-Frauengruppe im Februar 1972: Der von den Kurator*innen gewählte historische Ausgangspunkt. Es war vor allem Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971), der die Homosexuellen West-Berlins zur Gründung der HAW bewegte.

Ein großes Patchwork, zusammengefügt aus steckbriefartigen Porträts damaliger Protagonistinnen der feministischen und lesbischen Emanzipationsbewegung, verrät, wer damals in der HAW-Frauengruppe engagiert war. Die Porträtaufnahmen – entweder in schwarz-weiß aus den 1970er Jahren oder aus der Gegenwart stammend – zeigen Soziologinnen, Krankenschwestern, Fotografinnen, Ärztinnen, Juristinnen, Lehrerinnen oder Rentnerinnen. Sie alle verbindet ihre gemeinsame Geschichte: ihr lesbischer Aktivismus, ihre Kritik an den patriarchalischen und heteronormativen Gesellschaftsstrukturen, die zum Teil mit den Kämpfen der Frauenbewegung verschmolz, die Anfang der 1970er aus den revolutionären Wurzeln der 68er Bewegung aufblühte. So solidarisierten sich die Lesben im Kampf gegen die Unterdrückung der Frau und gegen den § 218.

Es ist, als verspüre man plötzlich beim Betrachten der alten Flugblätter, Dokumente und aufbereiteten Collagen, die zum großen Teil erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die emanzipatorische Kraft und den enormen Tatendrang von damals – was nicht zuletzt auch an einem zu Beginn des Rundgangs noch nicht zu identifizierenden Song liegt, dessen Melodie alle Räume durchklingt.

Aus ‚schwul’ wird ‚lesbisch’ – endlich!

1974 wurde die Bezeichnung schwule Frauen ablegt: Lesbisch ist von nun an die gewählte Selbstbeschreibung. Deswegen nennt sich die HAW-Frauengruppe ab 1975 LAZ (Lesbisches Aktionszentrum) und distanziert sich von den homosexuellen Männern der HAW. Diese Abspaltung war notwendig, weil sie damals als einzig gangbarer Weg hin zu mehr lesbischer Sichtbarkeit erschien: Eine Loslösung von den gern dominierenden schwulen Männern – letztlich fühlten sich die Aktivistinnen nicht genug durch die HAW vertreten und repräsentiert.

Besonders das Jahr 1974 sorgte mit Schlaglichtern wie dem Pfingsttreffen unter dem Motto Feminismus die Theorie – Lesbischsein die Praxis, dem ersten Lesbencamp auf Femø (Dänemark) und dem Auftritt der Flying Lesbians auf der legendären LesbenFrauen-Rockfête am 23. November 1974 in der Mensa der TU Berlin dafür, dass die lesbischen Interessen immer offenkundiger nach außen getragen wurden. 1975 folgt die erste Ausgabe der Lesbenpresse, die bis 1985 gedruckt und herausgegeben wurde.

Insbesondere die Gründung des LAZ, so verraten es einem die vielen Dokumente und Protokolle, die über die Wände in den Ausstellungsräumen verteilt sind, ist einer der großen Meilensteine dieser für die Geschichte der Bundesrepublik so zentralen Bewegung, in die einen die von Christiane Härdel, Regina Krause, Monne Kühn und Wolfgang Theis kuratierte Ausstellung geradezu hineinversetzt. Ganz unvermittelt findet man sich inmitten des langegezogenen Ausstellungsraumes zwischen zwei geballten Fäusten – jeweils umkreist vom Venussymbol, in doppelter, also lesbischer, Ausführung. Die Besucher*innen werden so Teil eines Bildes, das an das LAZ in der Kulmer Straße 20A in Berlin-Schöneberg erinnert.

Gruppentreffen im LAZ, Kulmer Straße, Berlin-Schöneberg, 1975. © LAZ-Archiv

Die Schuld und die Scham

Was die Ausstellung ebenso ausdrucksstark vermittelt, in diversen Flugblättern, Notizen, und Zeitungsberichten, ist jene Scham und gesellschaftliche Erniedrigung, die die Lesben mit erdrückender Kraft erfuhren. Sie kämpften gegen jene denunzierenden Ressentiments, die auch heute noch alle nicht-heterosexuell Lebenden Minderheiten in einer heteronormativen Welt verspüren. So zeugt das Flugblatt Informationen über die HAW-Frauengruppe von dem unermüdlichen und willensstarken Einsatz für lesbische Selbstachtung, der aus eigener Kraft geleistet werden musste: „Wir wollen gemeinsam versuchen, anerzogene Schuldgefühle abzubauen und damit das Selbstbewusstsein zu stärken“.

Nicht zuletzt wurde der Ihns/Andersen-Prozess 1974, auch bekannt als Hexenprozess von Itzehoe, zur Tortur für die damalige lesbische Bewegung, die ja gerade noch in ihren funkenhaften Anfangsjahren steckte. Judy Andersen und Marion Ihns, die eine Liebesbeziehung führten, ließen den Mann von Marion Ihns durch einen Auftragsmörder umbringen. Danach erfolgte eine mediale, insbesondere durch die Springerpresse angetriebene Hetze. Die Diskriminierung und Diffamierung von Lesben erfuhr hier einen tragischen Höhepunkt, die BILD widmete dem Prozess sogar eine Serie mit dem Titel Die Verbrechen der lesbischen Frauen, gegen die sich ein großer lesbischer Protest formierte.

Und heute?

Die Ausstellung im Schwulen Museum* ist mehr als ein genealogischer Blick auf das lesbische Jahrzehnt zwischen 1972 und 1982. Sie wächst über einen Zeitzeuginnen-Bericht der lesbischen Emanzipationsbewegung in der Nachkriegs-BRD hinaus. Zum einen wirft sie wichtige Fragen auf: Wie steht es um das Lesbischsein heute? Wie kann das Erbe des LAZ, das sich 1985 als Verein auflöste, künftig weiterwirken? Daraus erwachsen zum anderen auch Forderungen und aktuelle emanzipatorische Ideen. In Zeiten, die durch nationalistische Regressionsbewegungen und Fehlinterpretationen feministischer Geschichte gekennzeichnet sind, ist der Kampf um Sichtbarkeit weiter vonnöten. Es gilt, gegen sexuelle Diskriminierung anzugehen und gegen Misogynie, die Lesben ebenso wie alle Frauen trifft.

Diesen Zielen verschreibt sich auch die von Mitkuratorin Christiane Härdel und anderen entwickelte Idee des LAZ reloaded. Das LAZ reloaded soll Stimme und Gedächtnis der lesbischen Frauen im Chor der queeren Gemeinschaft sein und einen Platz haben im Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, dem queeren Herz Berlins.

Gegen Ende des Rundgangs durch die Ausstellung vernimmt man dann doch einzelne Wortfetzen und Liedzeilen des sanft durch die Räume schallenden Songs. Es sind die Flying Lesbians mit ihrem Song Wir sind die homosexuellen Frauen:

 

Wir sind die homosexuellen Frauen
Ihr steht da und seid so normal
Doch eure Normalität, die ist eine Qual
Die ist so schal
Die bringen wir zu Fall

Flying Lesbians