Am 22. Juni fand in Kassel eine Demo vor dem Bundessozialgericht statt, zu der lokale queeraktivistische Gruppen aufriefen. Die Veranstaltung wurde mit Mitteln aus dem Programm „Demokratie leben“ gefördert. Im Demoaufruf behaupten die Veranstalter einen „Genozid in Gaza“.

Es wird Zeit, der staatlichen Förderung von antisemitischem Agitprop den Stecker zu ziehen (Foto: Tom auf Pixabay).

24. Juni 2024 | Till Randolf Amelung

Wieder einmal wird sichtbar, wie sehr eine anti-israelische Haltung in queeraktivistischen Kreisen zum politischen Tagesgepäck gehört: Für den 22. Juni riefen in Kassel mehrere Gruppen, darunter meeTIN* Up und das Queere Zentrum Kassel zu einer Demonstration vor dem dort ansässigen Bundessozialgericht auf. Anlass war das schon im letzten Jahr gefällte, aber erst im März 2024 vollständig veröffentlichte Urteil, demzufolge sich als nicht-binär definierende Menschen keinen Anspruch auf die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen haben.

Unter dem Motto „Selbstbestimmung jetzt – Geschlecht dekolonisieren“ wurde auf Instagram mobilisiert. Im Begleittext heißt es: „Vom Bundessozialgericht wurde ein Urteil veröffentlich, dass die Rechte von trans* und nichtbinären* Menschen weiter einschränkt. Die Verschärfung des Asylrechts, die Sanktionieren von Bürgergeld und der Genozid in Gaza sind weitere Beispiele davon, wie über das Leben und die Körper von Menschen fremdbestimmt wird und zeigen wie das binäre Geschlechtersystem mit Kapitalismus, Kolonialismus, und Rassismus zusammenhängen. Deshalb: raus auf die Straße!“

Der Demoaufruf auf Instagram (Foto: Eigener Screenshot)

Lego der Ideologeme

Ein erschütterndes, für queere Anliegen sogar fragwürdiges und gefährliches Statement! Schon die Behauptung, Rechte von Transpersonen und nicht-binären Menschen würden „weiter eingeschränkt“ ist obskur – denn diese Szene hat doch erst neulich das so heiß ersehnte Selbstbestimmungsgesetz bekommen, was nun im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und damit zweifelsfrei zu November 2024 in Kraft treten kann.

Doch es wird noch abenteuerlicher: Anstatt die Bildbeschreibung bei Instagram zu nutzen, um pointiert zu erklären, worin denn nun die vermeintlichen weiteren Einschränkungen der Rechte bestehen würden, wird ein absurdes Lego der Ideologeme präsentiert. In einem sehr weiten Bogen wird das Gerichtsurteil mit Asylrecht, Bürgergeldsanktionen und einem „Genozid in Gaza“ verbunden, und die ganz großen Todsünden queer-intersektionaler Nomenklatur, nämlich Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus, dürfen auch nicht fehlen.

Genozid in Gaza?

Während der typisch radikalaktivistische Größenwahn, der mit solchen Texten nur die ohnehin bereits Erweckten abzuholen vermag, belustigt, erschreckt es zutiefst, wie akzeptiert Falschbehauptungen und antijüdischer Israelhass in diesen Kreisen sind. In Gaza findet kein Genozid statt. Die israelische Armee geht gegen die radikalislamistische Terrororganisation Hamas vor, deren Angehörige am 7. Oktober 2023 ein Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung verübten und Hunderte Israelis als Geiseln verschleppten. Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung ist fraglos schlimm, doch zugleich gehört es zum Kalkül der Hamas-Terroristen, dass es zu diesen militärischen Operationen kommt, um die nach wie vor gefangen gehaltenen Geiseln zu befreien: So kann die Suche nach den Geiseln propagandistisch gegen Israel eingesetzt werden.

Die Tragweite dessen, was geschah, bringt die Berliner Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel auf den Punkt: „Der 7. Oktober zeigte die Quintessenz von Judenhass, seine ultima ratio, den unbedingten Willen, die jüdische Existenz auszulöschen.“ Umso deutlicher führt es das moralische Versagen vieler vor Augen, gerade von Kreisen, die sich als besonders sensibel für Ungerechtigkeiten, weil queerfeministisch-intersektional oder progressiv gerieren, konstatiert auch Schwarz-Friesel.

Zuerst öffentlich gemacht wurde der jüngste Beleg dafür vom Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus, die bereits frühzeitig vor Antisemitismus auf der documenta fifteen 2022 warnten. Das Bündnis kritisierte, dass sich an dem Demoaufruf staatlich geförderte Einrichtungen wie das mit rund 70.000 Euro bedachte Queere Zentrum Kassel beteiligen und die Veranstaltung gar selbst mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ ermöglicht wurde. Die Organisatoren selbst gaben auf Instagram offen zu, dass nur diese Mittel die Durchführung der Veranstaltung sicherstellten.

Kritik wird abgestritten

In den Kommentaren auf Instagram wurde meeTIN* Up mit der Kritik konfrontiert, doch es wurde abgestritten, dass man Hamas-Propaganda verbreite. Allerdings verstärken inzwischen veröffentlichte Redebeiträge auf dem Blog der Gruppe Zweifel an den Beteuerungen. In einem heißt es, die kanadische Transaktivistin und Autorin Kai Cheng Tom zitierend: „Auf dem Weg zur kollektiven Befreiung ist es absolut notwendig, dass wir die Fähigkeit zur Nuancierung entwickeln, ohne das Grundprinzip der Integrität aufzugeben. Nuanciertheit bedeutet anzuerkennen, dass es komplexe historische und kulturelle Faktoren gibt, die den Zionismus für viele jüdische Menschen attraktiv gemacht haben, und dass Antisemitismus heute lebendig und real ist. Integrität bedeutet, daran festzuhalten, dass diese Gründe den Genozid, den wir heute in Palästina erleben, NICHT RECHTFERTIGEN. Integrität bedeutet, dass Palästina befreit werden muss.“

Nützliche Idioten der Hamas

Wovon oder besser: von wem muss Palästina befreit werden? Was heißt das in letzter Konsequenz? Wie sich die islamistischen Judenhasser und ihre linkstotalitären Verbündeten die Befreiung vorstellen, hat der Hamas-Terror unmissverständlich gezeigt: „Am 7. Oktober 2023 wurden über 1200 Menschen jeden Alters gefoltert, verstümmelt, verbrannt. Mit Jubelgeschrei“, schreibt Schwarz-Friesel in ihrem Kommentar in der „Welt“.

In einer Stellungnahme vom 23. Juni auf ihrem Blog schreibt meeTIN* UP, dass sie ihre Veranstaltung diskreditiert sähen und allein für den Inhalt des Demoaufrufs verantwortlich seien. Bei ihrer Wortwahl hätten sie sich nur an Akteuren wie der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese orientiert, die sich ihrerseits hinlänglich als blind auf dem islamistischen Auge erwiesen hat. Was auch immer sie zu ihrer Verteidigung ins Feld führen mögen – sie sind mit der kritiklosen Übernahme solcher Falschbehauptungen nur nützliche Idioten der Hamas.

Es ist bisweilen nur schwer erträglich, was unter dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit hingenommen werden muss, aber das zeichnet westlich-liberale Demokratien aus, die auch ihre Feinde rechtsstaatlich schützt. Und es ist gut, dass die Hürden hoch sind. Doch mit Steuergeldern muss das nicht alimentiert werden. Hier ist es höchste Zeit, einen Sumpf trocken zu legen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog. 


 

Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.