Bei den Wahlen in Georgien hat die queerfeindliche und antiwestliche Partei Georgischer Traum (Kartuli Ozneba) die meisten Stimmen geholt, doch die Opposition erkennt das Ergebnis aufgrund von berichteten Unregelmäßigkeiten nicht an. Vor der Wahl hat der Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili mit unserem Vorstandsvorsitzenden Jan Feddersen über die Bedeutung der Wahlen sowie Queerfeindlichkeit in Georgien gesprochen.

Viele Georgier*innen wollen sich nach Westen und Richtung Europäischer Union orientieren, wie dieses Bild einer prowestlichen Kundgebung aus dem Jahr 2023 zeigt (Foto von Sheldon Kennedy auf Unsplash).

28. Oktober 2024 | Till Randolf Amelung

Dieser Text erschien am 25. Oktober 2024 zuerst auf taz.de und wurde für den IQN-Blog um ein Statement zum Ausgang der Wahl ergänzt.

Georgien steht vor einer Schicksalswahl. Am 26. Oktober sind Parlamentswahlen. Die russlandfreundliche und queerfeindliche Partei Georgischer Traum hat laut Prognosen Aussichten, stärkste Kraft zu werden. Seit 2012 stellt die vom Oligarchen Bidsina Iwanischwili gegründete Partei die Regierung.

Ihre Nähe zu Russland manifestierte sich zuletzt in zwei Gesetzen: Erstens im Gesetz gegen „ausländische Einflussnahme“, mit dem die Arbeit von NGOs deutlich stärker kontrolliert und eingeschränkt werden soll. Georgiens EU-Beitrittsprozess liegt seitdem auf Eis. Zweitens hat Iwanischwilis Partei ein Gesetz zur Einschränkung der Rechte von LGBT erlassen. Konkret sind zum Beispiel Geschlechtsangleichungen oder Adoptionen von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare verboten. Dem russischen Vorbild folgend sind auch öffentliche Aufklärung, positive Berichterstattung oder Zusammenkünfte wie Prides verboten.

Der Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili gibt im taz Queer Talk mit Jan Feddersen Einblicke in die aktuelle politische Situation des Landes und für queere Personen: „Diese Wahlen sind anders als die früheren Wahlen, weil sich entscheiden wird, ob Georgien sich endgültig zu einem autoritären Land entwickelt, sich von Europa komplett abwendet und in die russische Einflusssphäre zurückkehrt.“

Zuletzt bekräftigte der Oligarch Iwanischwili die autoritäre Ausrichtung seiner Partei, indem er ankündigte, Oppositionsparteien im Falle eines Wahlsiegs per Verfassungsänderung verbieten zu wollen. Iwanischwili, der in den 1990er Jahren in Russland zum Milliardär wurde, steht exemplarisch für die Formen des russischen Einflusses, wie Andronikashvili erläutert: „Georgien war in vielen Sachen dem russischen Einfluss, auch dem direkten Krieg ausgeliefert. Wir haben in diesen 30 Jahren unter ständiger Bedrohung gelebt und im Grunde auch in einem permanenten Kriegszustand, der am Anfang hybrider war, dann später nicht mehr so hybrid. Georgien hat es anders als baltische Staaten nicht geschafft, nach dem Zerfall der Sowjetunion das alte sowjetische Machtsystem zu demontieren. Es ist ein innenpolitischer Kampf für die Demokratie und es ist ein außenpolitischer Abwehrkampf gegen Russland.“

Verwestlichung – Verqueerung?

Teil der autoritären, antiliberalen Ideologie ist der Kampf gegen alles, was mit dem Westen verbunden wird. Dazu gehört auch der Schutz von Minderheiten. Andronikashvili zufolge platzieren der „Georgische Traum“ und Iwanischwili eine Verwestlichung, zum Beispiel durch „Verqueerung“ als Gefahr für Georgien. Eine Abwehr der Verwestlichung wird auch als Friedensgarant verkauft, im Wahlkampf wurden Bilder von Zerstörungen in der Ukraine dem unversehrten Georgien gegenübergestellt – als Warnung.

Zaal Andronikashvili sieht in dieser Politik eine eindeutige Handschrift Moskaus und eine spezifische Form von Queerfeindlichkeit, die er als politische Homophobie bezeichnet: „Ja, also es ist nicht nur einfach eine Queerfeindlichkeit, die im Alltag vorkommt und die kommt auch vor, auch in Georgien, auch im Kirchenmilieu, sondern politische Homophobie ist die Instrumentalisierung der Queerfeindlichkeit für politische Zwecke. Und diese Art der Queerfeindlichkeit oder Homophobie wurde tatsächlich in Russland erfunden.“

Das traditionelle Russland

Kerninhalt dieser Ideologie sei das traditionelle Russland, das mit Orthodoxie, traditionellen Werten in Verbindung gebracht werde, und in der Propaganda dem „verweichlichten, verqueerten Westen“ gegenübergestellt werde. Andronikashvili weist darauf hin, dass das sehr tiefe Wurzeln habe, die bis in die sowjetische Geschichte zurückreichten.

Im sowjetischen Staat spielte Gewalt eine zentrale Rolle, wie Andronikashvili erläutert: „Wenn man im Westen zum Beispiel davon ausgeht, dass Konflikte im Dialog gelöst werden können, kannte das sowjetische System nur Gewalt als Lösung eines Konfliktes. Und der Staat war natürlich der oberste Gewalttäter und der kleine Bürger war der staatlichen Gewalt ausgesetzt. Aber symbolisch in der Bildsprache war diese Figur aus dem Lager, also die Figur der sexualisierten Gewalt ausgesetzt wird, ein Symbol dessen, wer die absolute Gewalt erleidet. Dieses Bild wurde reaktiviert in Putins Russland. Das heißt, durch dieses Bild wird gezeigt, dass Russland auf Stärke, auf Männlichkeit basiert – so etwas wie diese kriminelle Gewalttätigkeit ausstrahlt, während der Westen schwach verweichlicht ist. Und eine Figur [für diese Verweichlichung] ist Queerness, um nicht zu sagen Homosexualität.“

Ein nötiges Feindbild

Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ und ihr Chefdenker brauchen LGBT als Feindbild, da sie aufgrund der an sich hohen Zustimmungswerte zur EU in der georgischen Bevölkerung sonst wenig habe, um den Westen und insbesondere Europa zu dämonisieren, liefert Andronikashvili als einen Erklärungsansatz.

Dennoch zeigt er sich im Gespräch optimistisch: „Noch ist Georgien nicht verloren. Georgierinnen und Georgier können etwas machen. Das Mindeste, was sie machen können, ist wählen gehen. Aber auch die Unterstützung aus Europa ist sehr wichtig, sei es symbolische, sei es, dass man überhaupt weiß, was in Georgien vor sich geht.“

Ist der Wahlsieg redlich errungen?

Andronikashvili kommentiert gegenüber IQN den Ausgang der Wahlen so: „Große Zweifel bestehen darüber, ob die Parlamentswahlen in Georgien am 26.Oktober 2024 fair und frei waren – die Staatspräsidentin und die Opposition haben diese nicht anerkannt. Sollte der georgische Traum an der Macht bleiben, wird die georgische EU – Integration suspendiert und das Land wird in die russische Einflusssphäre geraten. Diese Entwicklung ist auch für die EU und ihre Ostpolitik ein herber Rückschlag.“

Hintergrund für die Vorwürfe sind Berichte über Manipulationen in Wahllokalen, Einschüchterungen von Wähler*innen, Gewalt gegen Beobachter*innen, die auch von Wahlbeobachter*innen der OSZE vorgebracht werden. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 60 Prozent, seien laut Wahlbehörde 54,8 Prozent auf die regierende Partei „Georgischer Traum“ entfallen. Die Opposition bereitet sich auf Proteste vor und fordert von westlichen demokratischen Staaten Unterstützung in der Form, dieses Wahlergebnis ebenfalls nicht anzuerkennen.

Auch die Staatspräsidentin Salome Surabischwili ruft die georgische Bevölkerung zu Protesten auf und beklagt laut taz.de: „Wir sind Zeu­g*in­nen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden, einer neuen Form eines hybriden Krieges gegen unser Volk und unser Land.“ Noch ist der weitere Verlauf dieser Auseinandersetzung offen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.