Detransitionen landen in den Medien – und vor Gericht

Die Schweizerin Nadia Brönimann hat öffentlich bekannt gemacht, dass sich nicht mehr klar als Transfrau verortet und sagt inzwischen gar, dass die geschlechtsangleichende Operation ein Fehler gewesen sei. Gegenüber Medien gibt sie Einblicke in ihr Leben und offenbart eine Vulnerabilität, die als Risikoprofil in einem gender-affirmativen Verständnis von Trans bisher zu wenig Beachtung findet. In den USA führt das bereits zu mehreren Klagen wegen ärztlicher Fehlbehandlung.

Wohin, wenn eine Transition der falsche Weg war? (Foto von Ben Welch auf Unsplash.)

9. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung

„Ich hätte an meiner Seele arbeiten sollen, statt zum Skalpell zu greifen“, sagte Nadia Brönimann, die bekannteste Transfrau der Schweiz, kürzlich gegenüber dem queeren Medium Mannschaft Magazin. Vor ungefähr 27 Jahren durchlief Brönimann eine Geschlechtsangleichung zur Frau. Heute empfinde sie seit einiger Zeit das Bedürfnis, sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Ihren derzeitigen Prozess empfinde sie weniger als „Detransition“, also dem Rückgängigmachen einer Geschlechtsangleichung, sondern eher als „Retransition“. Darunter verstehe sie keinen Weg einfach zurück, sondern zu etwas Neuem.

Weiblichkeit als Korsett

Dem Mannschaft Magazin berichtete Brönimann, sie habe sich von den gesellschaftlichen Erwartungen an Perfektion in Weiblichkeit wie in einem Korsett eingeengt gefühlt. Es kämen allerdings auch gesundheitliche Probleme nach insgesamt 16 Operationen und einer Hormontherapie hinzu: Osteoporose und kardiovaskuläre Probleme, also gesundheitliche Einschränkungen des Herzens. Solche möglichen Folgen geschlechtsangleichender Behandlungen sind mittlerweile durch Studien belegt. Außerdem sei seit ihrer operativen Genitalangleichung 1998 ihr Lustempfinden und somit das Erleben von körperlicher Sexualität gestört. 

Zuvor war Brönimann verstärkt mit Kritik vor allem am gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen in den Medien präsent. Unter „gender-affirmativ“ versteht man die zügige Bestätigung der geäußerten Geschlechtsidentität einer Person nicht nur sozial, sondern auch mit medizinischen Maßnahmen wie Pubertätsblockern. So habe Brönimann am 7. November 2024 vor dem Großen Rat der Menschenrechtskommission in Genf für ein Verbot von Hormonen und Pubertätsblockern bei Minderjährigen mit möglichen, gut begründeten Ausnahmen plädiert.

Kontroverse um Pubertätsblocker

In der Schweiz ist die Kontroverse um das gender-affirmative Konzept mit Pubertätsblockern längst angekommen. Neben Brönimann äußern sich auch einige Ärzte kritisch. Ebenso hat die Schweizerische Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (SGKJPP) eine Überarbeitung der neuen Behandlungsleitlinie für Jugendliche und Kinder mit Geschlechtsdysphorie gefordert. Diese Leitlinie wurde unter der Leitung des deutschen Psychiaters Georg Romer erstellt und soll auch in Österreich und der Schweiz Anwendung finden. Romers Schweizer Berufskollegin Dagmar Pauli gehört ebenfalls der Leitlinienkommission an. Auch in Deutschland gibt es Kritik an der Leitlinie.

Das Transgender Network Switzerland (TGNS) oder ÄrztInnen wie Pauli, widersprechen Brönimann und den anderen KritikerInnen. Ein Pauschalverbot würde denjenigen Jugendlichen schaden, die auf diese Form der Unterstützung angewiesen seien.

Brönimann hatte sich im Erwachsenenalter für den Schritt einer Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau entschieden. Im Gespräch mit Mannschaft Magazin gibt sie Einblicke, vor welchem biografischen Hintergrund ihre Entscheidung erfolgte. So sei sie bereits in jungen Jahren seelisch-emotionalen Vernachlässigungen ausgesetzt worden. „Ich kriegte nie zu hören, dass man mich gernhatte, dass es okay ist, wie ich bin“, erinnert sich Brönimann. Sie sei ins Kinderheim gekommen und mit sieben Jahren adoptiert worden. Sie fasst den Hintergrund, vor dem ihre Transition lief, so zusammen: „Irgendwann kam das Gefühl, dass ich mit einem anderen Körper jemand Neues werden konnte. Dass mein Leben endlich beginnen würde.“

Detransitionen sind selten?

Ebenfalls im Mannschaft Magazin findet sich ein Interview mit Raphaël Guillet, der in der Transberatung beim Checkpoint Bern tätig ist. Guillet bekundet darin, dass ein Fall wie Brönimanns nicht häufig vorkomme. Meistens seien äußere Gründe wie Diskriminierung und mangelnde Unterstützung nach der Transition dafür verantwortlich oder auch Unzufriedenheit/Probleme mit den Ergebnissen medizinischer Maßnahmen.

Diagnostische Verfahren würden laut Guillet zumeist „sorgfältig und fachgerecht nach internationalen Richtlinien durchgeführt“. Auch bei Jugendlichen sieht der Transberater kein Problem, die These von „Rapid Onset Gender Dysphoria“ (ROGD), also einer unvermittelt auftretenden Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen ohne Vorgeschichte in der früheren Kindheit in Verbindung mit „sozialer Ansteckung“ sowie über Soziale Medien induziert, sei wissenschaftlich nicht fundiert.

Guillet räumt aber gegenüber Mannschaft Magazin ein: „Es stimmt, dass sich hinter einem Transitionswunsch eine andere Ursache als Transidentität verstecken kann. Es gibt jedoch klare Richtlinien für den diagnostischen Umgang damit.“

So klar, wie Guillet den Stand darstellt, ist es jedoch keineswegs. Es ist fraglich, ob frühere Zahlen über Bereuen und Detransition auf die Situation heute übertragen werden können. Die Ärztin Sarah C.J. Jorgenson von der Universität Toronto weist darauf hin, dass diese Zahlen aus einer Zeit stammen, bevor die Zahl an biologisch weiblichen Teenagern mit dem Begehren einer Transition international anstieg und bevor es den gender-affirmativen Ansatz gab und bevor eine umfassende psychiatrische Diagnostik und Begleitung als „Gatekeeping“ verunglimpft wurde.

Steigende Zahlen bei Mädchen

Außerdem wird die ROGD-These vor allem von TransaktivistInnen und besonders affirmativ agierenden ÄrztInnen angegriffen. Dabei gibt es bisher keine guten, plausiblen Erklärungen, warum in den letzten Jahren weltweit die Zahlen an Behandlungssuchenden vor allem unter biologisch weiblichen Teenagern so angestiegen sind. Ebenso gibt es gerade bei biologischen Mädchen weitere Phänomene, die auch über soziale Ansteckung funktionieren. Dazu zählt beispielsweise Magersucht.

Über Soziale Medien können Störungen ebenfalls verbreitet werden. Ein Beispiel dafür ist das Tourette-Syndrom. Während der Coronapandemie, als viele im Lockdown zu Hause waren, wurden Soziale Medien wie TikTok noch stärker konsumiert. In den Tourette-Ambulanzen weltweit wunderte man sich, dass plötzlich mehr junge Menschen sie aufsuchten und sich deren Symptomatik aber stark ähnelte. Sie alle ahmten populäre Influencer mit Tourette nach.

In Deutschland fiel der Hannoveraner Ärztin Kirsten Müller-Vahl auf. Sie betonte 2021 im taz-Gespräch aber auch, dass es nicht um mutwilliges Nachäffen gehe, sondern bei den jungen Menschen oftmals andere Probleme vorhanden gewesen seien: „Von denen haben rund 40 Prozent Angststörungen, weitere 40 Prozent depressive Symptome und ein kleinerer Teil autistische Züge. In allen Fällen gab es spezifische Auslöser – anstehende Operationen, Umzüge, in einem Fall auch dramatische Lockdown-Maßnahmen. Die Hälfte der Kinder hat zudem Mobbing erfahren. Es gibt also eine Prädisposition; es ist nicht so, dass gesunde und stabile Kinder eine solche Symptomatik entwickeln.“

Cass-Report zeigt Mängel beim gender-affirmativen Ansatz auf

Wie vulnerabel gerade junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie sind, hat in seinem Umfang und in seiner Tiefe besonders eindrücklich der Cass-Report in Großbritannien gezeigt. Hilary Cass untersuchte von 2020 bis 2024 die Behandlungsqualität des inzwischen geschlossenen Gender Identity Developement Service (GIDS) der Tavistockklinik. Der GIDS behandelte nach dem gender-affirmativen Modell.

Cass‘ Ergebnisse waren alarmierend: viele der minderjährigen PatientInnen hatten psychische Begleiterkrankungen, bei etlichen gab es zudem Hinweise auf Autismus und schwierige biografische Umstände wurden nicht gewürdigt. Dafür blieb im gender-affirmativen Modell zu wenig Platz. Spätere Berichte von DetransitioniererInnen wie Keira Bell zeigten dann, dass viele dieser jungen PatientInnen etwas anderes anstatt einer schnellen Bestätigung der Geschlechtsidentität und Pubertätsblocker gebraucht hätten.

Detransitioniererin verklagt Ärztin

In den USA werden jetzt zunehmend Klagen angestrengt. Am Nikolaustag machte die Runde, dass die Kinderärztin Johanna Olson-Kennedy, die eine besonders prominente Verfechterin des gender-affirmativen Modells ist, von einer ehemaligen Patientin wegen Fehlbehandlung verklagt wird.

Seit 2012 ist Olson-Kennedy die medizinische Leiterin des Center for Transyouth Health and Development am Children’s Hospital Los Angeles (CHLA). Olson-Kennedy, die häufig als Sachverständige in Gerichtsverfahren auftritt und in den Medien zitiert wird, leitet auch eine von den National Institutes of Health finanzierte 10-Millionen-Dollar-Studie zur Erforschung der Transitionsbehandlungen für Jugendliche, die mit Abstand das größte Projekt dieser Art in Amerika ist. Zuletzt weigerte sich Olson-Kennedy, Ergebnisse dieser Studie zu veröffentlichen, da sie befürchtete, diese könnten eher den KritikerInnen des gender-affirmativen Ansatzes in die Karten spielen.

Die Klägerin Clementine Breen, heute zwanzig Jahre alt, wurde in der Klinik von Johanna Olson-Kennedy im Alter von zwölf Jahren mit Pubertätsblockern behandelt, mit dreizehn Jahren kam Testosteron dazu und mit vierzehn Jahren wurde eine Mastektomie vorgenommen. Vor etwa einem Jahr setzte Breen die Einnahme von Testosteron endgültig ab und begann ihre Detransition.

Unsichere Identität

Im Economist wird folgendes zu den Hintergründen berichtet: Die Geschichte von Clementine Breen beginnt Anfang des Schuljahres 2016/17, als sie zwölf Jahre alt wurde. Sie fühlte sich deprimiert und suchte Hilfe bei einer Beratungslehrerin. „Ich erwähnte, dass ich trans sein könnte, aber ich erwähnte auch, dass ich lesbisch und bisexuell sein könnte, ich war mir meiner Identität überhaupt nicht sicher“, sagt Breen gegenüber der Zeitschrift. Im Nachhinein denke sie, dass ihre Unsicherheit während der Pubertät von einer Gewaltsituation zu Hause herrühre, in die ihr älterer Bruder verwickelt gewesen sei, der an schwerem Autismus leide, sowie von sexuellem Missbrauch, den sie im Alter von sechs Jahren durch eine Person außerhalb der Familie erlebt und den sie erst viel später jemandem gegenüber offenbart habe.

Statt einer sorgfältigen psychotherapeutischen Diagnostik und Begleitung sei Breen von Olson-Kennedy jedoch sehr schnell auf den Pfad einer medizinischen Transition gelenkt worden. Das Befinden habe sich durch diese Behandlung auch nicht wesentlich gebessert. Erst viel später sei sie zu einem anderen Therapeuten gewechselt, mit dem sie zum ersten Mal ausführlich über den körperlichen und sexuellen Missbrauch gesprochen habe, dem sie in ihrem Leben ausgesetzt gewesen sei.

Breen sagte, sie sei sich ziemlich sicher, dass sie die medizinische Transition nicht angestrebt hätte, wenn sie diese Gespräche im Alter von zwölf Jahren geführt hätte.  Bleibende Folgen der Transition sind: eine tiefere Stimme, einen Adamsapfel, die Aussicht auf eine Brustrekonstruktion, wenn sie ihre weibliche Form wiedererlangen will, und das Risiko, dass sie aufgrund der jahrelangen Testosteroneinnahme unfruchtbar ist.

Mangelnde Sorgfalt landet vor Gericht

Johanna Olson-Kennedy, die Ärztin, die bei Clementine Breen diese irreversiblen Behandlungen eingeleitet hatte, hält jedoch nichts von einer ausführlichen psychotherapeutischen Begleitung vor Einleitung solcher Behandlungen. 2018 sagte sie dazu gegenüber The Atlantic: „Wir haben eigentlich keine Daten darüber, ob psychologische Beurteilungen die Bedauernsraten senken.“  Sie ist der Meinung, dass eine Therapie für viele transsexuelle und geschlechtsnonkonforme junge Menschen hilfreich sein kann, aber sie ist dagegen, allen Kindern, die transitionieren wollen, eine psychologische Untersuchung vorzuschreiben. Sie drückte es so aus:  „Ich schicke niemanden zu einem Therapeuten, wenn ich ihm Insulin verabreiche.“

Nun werden solche Fragen in den USA wohl vor Gericht geklärt. Ob Clementine Breen in den USA oder Nadia Brönimann in der Schweiz – für zukünftige Behandlungen von Transpersonen wäre es elementar, zu verstehen, welche Faktoren eher dafür sprechen, medizinische Maßnahmen einzuleiten und welche nicht. Ein aktivistisch begründeter affirmativer Ansatz, der solche Fragen verweigert, endet mittelfristig im Desaster, weil sich Regressfälle häufen werden. Das kann niemand wollen, der ernsthaft am Wohlergehen von Transpersonen und von anderen Menschen mit Geschlechtsdysphorie interessiert ist.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.