Solidarische Zwischenräume für queeres Miteinander
In queeren Communities knirscht es immer öfter, Konflikte scheinen nicht gut gelöst zu werden. Kerstin Söderblom, evangelische Theologin und lesbische Aktivistin, plädiert im Jahrbuch Sexualitäten 2025 für das Aushalten von Differenzen im LGBTIQ-Spektrum, aber auch für das Zusammenstehen gegen rechtspopulistische Kräfte.
Redaktionelle Vorbemerkung: Dieser Text dokumentiert die Rede von Philipp Gessler, die er bei der Release-Party des Jahrbuch Sexualitäten 2025 am 18. Juli in der taz Kantine gehalten hat. Darin würdigt er als Erstleser den Essay „Aus der Lebensschule für solidarische Zwischenräume. Suchen und Forschen nach dem Dazwischen“ von Kerstin Söderblom.
9. August 2025 | Philipp Gessler
Ich habe den Essay „Aus der Lebensschule für solidarische Zwischenräume. Suchen und Forschen nach dem Dazwischen“ von Kerstin Söderblom zweimal gelesen. Und erst beim zweiten Mal habe ich ihn, wie ich glaube, verstanden. Das liegt nicht daran, dass etwa die Sprache von Kerstin Söderblomzu kompliziert oder die von ihr geschilderten Sachverhalte zu komplex oder allzu schwer zu verstehen sind. Es liegt daran, dass ich erst beim zweiten Mal die Zwischentöne erkannt habe – und es sind diese Zwischentöne, die ihren Text wirklich lesenswert machen.
Kerstin Söderblom ist Theologin, evangelische Pastorin, also ordiniert, seit 2020 Hochschulpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde in Mainz und zusätzlich noch Supervisorin, Mediatorin, Coach und Autorin von queer-theologischen Artikeln, Blogbeiträgen und Büchern, wie sie sich am Anfang ihres Essays selbst vorstellt. Ihr Text beschreibt ihren Lebens- und Lernweg als homosexuelle (oder lesbische – das Wort mochte sie anfangs nicht so gern, wie sie schreibt) Theologin und Aktivistin vor allem in kirchlichen, feministischen und queeren Zusammenhängen über knapp vier Jahrzehnten nach ihrem Coming-out Mitte der 1980er Jahre.
Platz zwischen den Stühlen
Man kann sagen, Kerstin Söderblom ist eine Pionierin. Ihr Engagement, oder besser: ihr Kampf für die Anerkennung von lesbischen und queeren Menschen in all ihrer bunten Vielfalt vor allem in der Kirche und in der Theologie war lang und hart. In ihrem Essay nimmt sie uns mit zu Stationen ihres Lebens, lässt uns Menschen begegnen, die sie und ihr Denken geprägt haben. Es ist eine Reise und Selbsterkundung in aller Welt, von Jamaica über Brasilien und Südkorea bis nach Oslo, Hamburg und Bad Boll.
Kerstin Söderblom nennt sich an einer Stelle leicht ironisch-distanziert eine (offenbar ein Szeneausdruck) „Kirchenlesbe“, und das zeigt schon, dass sie es lange gewohnt war, nicht so ganz dazu zu gehören, weder in der Kirche als Lesbe, noch in der traditionellen lesbischen Szene als Frau der Kirche. Kerstin Söderblom aber hat sich diesen Platz zwischen den Stühlen als den ihren erobert – und darin, wie sie schreibt, viel Solidarität, ja auch eine internationale, bunte Familie gefunden. Ein Leben in den Zwischenräumen, im Dazwischen eben.
Das ist die vordergründige Geschichte von Kerstin Söderblom. Beim zweiten Lesen aber habe ich den Text zu ihrer Lebens- und Lerngeschichte noch mehr zu schätzen gelernt, weil ich, wie gesagt, die Zwischentöne entdeckt habe, in denen sie aktuelle Streitpunkte in der lesbischen oder queeren Szene anspricht. Dass ich diese Töne zwischen den Zeilen hören konnte, lag daran, dass der vorliegende Band der „Sexualitäten“ schon vor der Vorstellung heute Abend stark kritisiert wurde, in einer ausführlichen, ich würde sagen: nicht sehr fairen Rezension auf queer.de, die mir von einer lesbischen Nachbarin weitergeleitet wurde. Darin ist Kerstin Söderbloms Artikel fast der einzige, der ausdrücklich gelobt wird – und das half mir, glaube ich, ihren Essay richtig zu lesen, ja das Wesentliche darin zu verstehen.
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.
Mit Beiträgen von: Kerstin Söderblom, Dinçer Güçyeter, Zaal Andronikashvili, Manuela Torelli, Chantalle El Helou, Till Randolf Amelung, Ioannis Dimopulos, Julia Kaiser, Denis Watson, Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater dʼOr OSPI, Karl-Heinz Steinle, Norbert Finzsch, Aaron Gebler, Werner Renz, Clemens Schneider, Vojin Saša Vukadinović und Alexander Zinn. 232 S., gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8353-5917-8, 34,00 Euro.
Kerstin Söderblom schildert eben nicht nur ihren Lebens- und Lernweg, sondern nutzt diese Schilderung auch für ein großes, aus dieser Vita sich ergebendes Plädoyer der Versöhnung, wie man es theologisch sagen könnte und wie es sich für eine Pfarrerin, der Botschaft Jesu verpflichtet, auch gehört. Der Essay von Kerstin Söderblohm plädiert dafür, die Streitigkeiten in der queeren Community, (also zum Beispiel: Ist das wirklich eine Frau? Bestimmen die Schwulen hier nicht alles? Ist das nun eigentlich trans*feindlich?) wenn nicht zu lösen, so doch in Solidarität zu ertragen. Warum? Um für gemeinsame Ziele zu kämpfen – und gegen einen Zeitgeist, der viele Rechte und Errungenschaft der queeren Community in aller Welt wieder kassieren will oder erst gar nicht ermöglichen möchte.
Oder, wie Kerstin Söderblohm es schreibt:
„Wenn alle Beteiligten sich bemühen, ist es möglich, dass sich Personen aus verschiedenen queeren Communities (und anderen Minderheitengruppen) und ihre Unterstützer*innen zusammenraufen und sich gemeinsam gegen rechtspopulistische und rechtsnationale religiöse und säkulare Kräfte engagieren.“
Dass man für diesen Kampf nur Gottes Segen wünschen kann, ist auch ein Verdienst von Kerstin Söderblom, der Pionierin.
Philipp Gessler, Jahrgang 1967, war viele Jahre Redakteur der taz und von Deutschlandfunk Kultur. Seit 2017 ist er Redakteur von zeitzeichen. Er ist Autor der Bücher »Der neue Antisemitismus. Hinter den Kulissen der Normalität« (2004), »Wolfgang Huber. Ein Leben für Protestantismus und Politik« (2012), »Phrase unser« (2020) und »Kampf der Identitäten« (2021) (beide mit Jan Feddersen).
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Joanne K. Rowling wird 60: Geburtstagsgrüße an eine Ikone
Joanne K. Rowling begeisterte die Welt mit dem Zauberlehrling Harry Potter, doch in den letzten Jahren machte sie vor allem Schlagzeilen mit ihren Positionen zur Transfrage. Sie streitet für die Relevanz des biologischen Geschlechts und kritisiert gar zu voreilige Gaben von Pubertätsblockern an Minderjährige. Während sich ihr Werk nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, ist sie unter vielen Queeren zur Persona non grata geworden.
Joanne K. Rowling im Dezember 2019 in New York (Foto: Shutterstock).
31. Juli 2025 | Till Randolf Amelung
Joanne K. Rowling, vielen Menschen als Schöpferin der magischen Welten von Harry Potter bekannt, feiert heute ihren sechzigsten Geburtstag. Auch für viele Queers hatten die Harry-Potter-Bücher einen Kultstatus, oft waren sie gar eine Fluchtmöglichkeit aus einem Alltag, in dem man sich unverstanden fühlte. Doch seit ungefähr sechs Jahren polarisiert Rowling vor allem mit öffentlichen Äußerungen zur Transdebatte – womit sie Aufmerksamkeit auf bemerkenswerte Abgründe richtete. Und in queeren Kreisen zum Voldemort wurde. Sogar die jetzt erwachsenen Stars der Harry-Potter-Verfilmungen distanzierten sich deshalb von ihr. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Rowling allein hat mit ihrer Prominenz und ihrem Geld den Siegeszug des Transaktivismus durchkreuzt.
Ikone in Schlammschlacht
Dabei hätte sich Rowling nicht in diese Schlammschlacht stürzen müssen. Sie hätte stattdessen weiter über den Dingen schwebend von ihrem auf Harry Potter begründeten Weltruhm zehren können. Doch indem sie Partei für die Rechte von biologischen Frauen und die körperliche Unversehrtheit von Minderjährigen ergriff, trat sie selbst von einem Sockel herunter. Nicht zuletzt haben die meisten Medien – national und international – die Hintergründe der Auseinandersetzungen, deren Teil Rowling wurde, zumeist unvollständig, wenn nicht gar falsch dargestellt. Anlässlich ihres runden Geburtstags ist es Zeit, dieser medialen Verzerrung etwas entgegenzusetzen.
Richtig viral ging die Aufregung erstmals 2019, als Rowling im Dezember mit einem Tweet im damals noch Twitter und heute X genannten Kurznachrichtendienst Steuerexpertin Maya Forstater unterstütze, deren Vertrag bei einer NGO aufgrund von genderkritischen Ansichten nicht verlängert wurde. Rowling schrieb damals: „Kleiden Sie sich, wie es Ihnen gefällt. Nennen Sie sich, wie Sie möchten. Schlafen Sie mit jedem einwilligenden Erwachsenen, der Sie haben möchte. Leben Sie Ihr bestes Leben in Frieden und Sicherheit. Aber Frauen aus ihrem Job drängen, weil sie behaupten, biologisches Geschlecht sei real? #IStandWithMaya #ThisIsNotADrill“
Dress however you please. Call yourself whatever you like. Sleep with any consenting adult who’ll have you. Live your best life in peace and security. But force women out of their jobs for stating that sex is real? #IStandWithMaya#ThisIsNotADrill
Kern dieser Auseinandersetzung war – und ist immer noch – wie mit einer Differenz zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht umgegangen werden sollte. TransaktivistInnen und ihre Verbündeten in queeren NGOs, der Wissenschaft sowie der Politik wollen, dass allein die Geschlechtsidentität maßgeblich dafür ist, welchem Geschlecht ein Mensch angehört. Das Schlagwort der Stunde war „Self-ID“ – also Selbstidentifikation als Grundlage der Geschlechtsbestimmung.
Dagegen formierte sich vor allem unter Frauen Widerstand, denn biologische körperliche Realität und damit verbundene gesellschaftspolitische Fragestellungen spielen bei Self-ID keine Rolle mehr. Für Frauen ist dies auch eine Sicherheitsfrage, denn wenn niemand mehr wissen will, was eine Frau ist, wie sollen Schutzräume für Frauen weiterhin gewährleistet bleiben?
Der Tweet zu Forstater blieb nicht Rowlings einziger zur Transfrage, es folgten weitere. Zum Beispiel ein ironischer Kommentar zu einem Artikel auf einem Portal für Entwicklungshilfe, der nicht von „Frauen“, sondern von „Menschen, die menstruieren“ schrieb. Jeder Tweet entfachte den Furor des transaktivistischen Lagers, doch dieser drückte sich nicht einfach nur in verärgerten Kommentaren aus, sondern oft mit Mord- und Vergewaltigungsandrohungen oder auch Doxxing – also dem Öffentlich machen von Wohnadressen.
‘People who menstruate.’ I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?
Opinion: Creating a more equal post-COVID-19 world for people who menstruate https://t.co/cVpZxG7gaA
Rowlings Engagement platzte in Großbritannien mitten in politische Vorhaben, die Regelung für die Änderung des amtlich dokumentierten Geschlechtseintrags zu vereinfachen. Mit der Reform des Gender Recognition Act, der britischen Variante des Transsexuellengesetzes, sollte künftig jedweder Nachweis wie eine medizinische Diagnose als Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrags entfallen. Das heißt, eine solche Änderung sollte allein auf der Basis der selbsterklärten Geschlechtsidentität ermöglicht werden.
Steigende Zahlen bei Teenagern
Parallel dazu gab es einen Anstieg unter biologisch weiblichen Teenagern, die Pubertätsblocker und Testosteron begehrten, um eine Geschlechtsangleichung an das männliche Geschlecht zu vollziehen. Diese Mädchen kamen alle in die damals landesweit einzigen Ambulanz in der Londoner Tavistock-Klinik, die vom nationalen Gesundheitsversorger NHS betrieben wird. Zunehmend wurde in der Öffentlichkeit Kritik laut, da diese jungen Patientinnen oftmals keine ausführliche psychotherapeutische Anamnese erhielten, sondern sofort in ihrer Geschlechtsidentität bestätigt wurden.
J. K. Rowling griff all diese Entwicklungen immer wieder in Tweets auf und verstärkte dadurch deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Im Juni 2020 veröffentlichte sie auf ihrer Website eine sehr persönliche Erklärung, in der sie ihre Positionen darlegte. Sie erläuterte darin nicht nur, dass ihr Geschlechtsdysphorie in der Pubertät selbst nicht fremd war, sondern auch ihre Erfahrungen mit einem gewalttätigen Ehemann und warum biologische Frauen Schutzräume für sich brauchen. In ihrer Erklärung würdigte sie zugleich die prekäre Situation von Transfrauen und positionierte sich jedoch gegen Geschlecht als etwas rein Selbstdefiniertes:
„Ich glaube, dass die Mehrheit der transidenten Menschen nicht nur keine Gefahr für andere darstellt, sondern aus all den von mir genannten Gründen verletzlich ist. Trans-Menschen brauchen und verdienen Schutz. Wie Frauen werden sie am ehesten von ihren Sexualpartnern getötet. Transfrauen, die in der Sexindustrie arbeiten, insbesondere farbige Transfrauen, sind besonders gefährdet. Wie jede andere Überlebende von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen, die ich kenne, empfinde ich nichts als Mitgefühl und Solidarität mit Trans-Frauen, die von Männern missbraucht wurden.
Ich möchte also, dass Transfrauen sicher sind. Gleichzeitig möchte ich nicht, dass gebürtige Mädchen und Frauen weniger sicher sind. Wenn man die Türen von Badezimmern und Umkleidekabinen für jeden Mann öffnet, der sich für eine Frau hält oder fühlt – und, wie ich bereits sagte, können Bescheinigungen über die Bestätigung des Geschlechts jetzt ohne chirurgische Eingriffe oder Hormone ausgestellt werden – dann öffnet man die Tür für alle Männer, die eintreten wollen. Das ist die einfache Wahrheit.“
Autoritäre Transaktivistas
Rowling schilderte in ihrer Erklärung auch eindrücklich, wie autoritär und aggressiv sich Transaktivisten und ihre Allies gegenüber allen verhalten, die nicht auf ihrer Linie sind. Bereits ein versehentlich gesetzter „Like“ führte bei Rowling dazu, dass die transaktivistische Inquisition sich rührte und ihr erstmalig auf den Pelz rückte. Doch das war noch nichts gegen das, was losbrach, als sie sich tatsächlich mit Tweets in der Debatte positionierte. Rowling wurde überschüttet von einer Flut an Todes- und Vergewaltigungswünschen, an Beschimpfungen wie „Schlampe“, „Fotze“. Auch inszenierte Bücherverbrennungen gab es.
Endless death and rape threats, threats of loss of livelihood, employers targeted, physical harassment, family address posted online with picture of bomb-making manual aren't 'mean comments'. If you don't yet understand what happens to women who stand up on this issue, back off. https://t.co/qWTcGZML97
All dies erlebten, und erleben immer noch, vor allem andere Frauen, die sich kritisch äußern. Gerade deshalb erhielt Rowling auch eine überwältigende Menge an Zuspruch. Viele andere Betroffene ziehen sich aufgrund der Heftigkeit solcher transaktivistischen Reaktionen schnell wieder zurück, zumal es die vor Wut rasenden Aktivistas oftmals auf die soziale und wirtschaftliche Existenzvernichtung abgesehen haben. Nicht zuletzt mittels aufdringlicher Belagerung von ArbeitgeberInnen, KooperationspartnerInnen und Ähnlichem. Dieses Verhalten von Transaktivistas offenbart einen Abgrund an narzisstischer Kränkung und toxischer Männlichkeit.
Erst Rowlings Prominenz führte dazu, dass Medien berichteten. Obwohl viele Medien es nicht schafften, das widerliche Verhalten vieler Aktivistas im Netz als solches zu benennen, machten sich zunehmend mehr bislang unbeteiligte Menschen ein eigenes Bild. In Großbritannien drückt sich das mittlerweile in messbar sinkender Zustimmung in der Bevölkerung zu transaktivistischen Überzeugungen aus.
Wie sehr das aggressive transaktivistische Verhalten nicht dazu beigetragen hat, andere zu überzeugen, zeigte sich beispielsweise 2023 am Release des Games „Hogwarts Legacy“. Auch deutsche Transaktivistas wollten, dass das Spiel boykottiert wird und attackierten Gaming-Experten wie den als „Gronkh“ bekannten Erik Range, nachdem er ankündigte, „Hogwarts Legacy“ in einem Livestream zu spielen. Öffentlich-rechtliche Medien wie das ZDF griffen das Thema im Sinne der Transaktivistas auf, aber in den Kommentaren auf Sozialen Medien konnte man sehen, dass die Vorwürfe gegen Rowling die Fans entweder nicht interessierten oder aber sie der Autorin sogar zustimmten. Jedenfalls wurde „Hogwarts Legacy“ weltweit eines der jemals bestverkauften Games.
Joanne K. Rowling hält Kurs
Während Rowling 2020 noch versuchte, auch bei Transaktivistas um Verständnis für ihre Positionierung zu werben, hat sie dies fünf Jahre später aufgegeben. Mit klarem Kompass hält sie ihren Kurs und unterstützt nicht nur ideell, sondern auch finanziell neben vielem anderen Belange rund um Frauenschutz. 2022 gründete sie in Edinburgh mit „Beira’s Place“ ein Frauenhaus, dessen Zielgruppe ausschließlich biologische Frauen sind. Damit reagierte Rowling auf einen Bedarf, den bestehende, staatlich finanzierte Schutzeinrichtungen nicht mehr erfüllten. Doch Rowlings privat bezahlte Eigeninitiative war dem transaktivistischen Furor wieder nicht recht, aber inzwischen hat sich auch dieses Frauenhaus im schottischen Hilfesystem etabliert.
Ebenso finanziell unterstützt hat sie die Organisation For Women Scotland, die sich bis hoch zum britischen Supreme Court klagte, da die schottische Regierung das Gleichstellungsgesetz zur paritätischen Besetzung von Gremien so auslegte, dass unter „Geschlecht“ nicht nur biologische Frauen gemeint sind, sondern auch Transfrauen. Der Supreme Court urteilte vor Ostern, dass „Geschlecht“ im Gleichstellungsgesetz das biologische Geschlecht meint. Rowling kommentierte den Sieg im Kurznachrichtendienst X: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“ – dazu ein Selfie mit Zigarre und einem alkoholischen Getränk. Unzweifelhaft eine popkulturelle Referenz an den Charakter „Hannibal“ aus der TV-Serie „The A-Team“.
„Da sitzt sie nun, die triumphierende Milliardärin, angefeuert in den Kommentaren von Leuten wie Elon Musk. Ausgerechnet die Frau, die mit »Harry Potter« eine Geschichte über den Kampf gegen Diskriminierung schrieb – über einen dunklen Magier namens Voldemort, der eine »reine« Zauberwelt schaffen wollte, in der nur zaubern darf, wer in die richtige Familie geboren wird.“
Allerdings blieb es nicht nur bei der Unmutsbekundung – die Frau Schöler im Sinne der Meinungsfreiheit so äußern kann, sondern wie so oft in den Medien verknüpfte es sich mit einer fehlerhaften Darstellung:
„Das Gericht entschied einstimmig, dass »Geschlecht« ausschließlich als das bei der Geburt zugewiesene biologische Geschlecht zu verstehen sei, was trans Personen vom Antidiskriminierungsschutz ausschließt.“
Das ist nachweislich falsch, denn das Gericht stellte klar, dass auch Transpersonen durch Antidiskriminierungsgesetze geschützt sind. Zudem empfahl es einen pragmatischen Umgang, sodass operativ angeglichene Transpersonen mit Passing weiterhin Toiletten und Umkleiden ihres Identitätsgeschlechts nutzen können.
Berechtigte Einwände
Während J. K. Rowling regelmäßig für Erregung im den Transaktivistas zugeneigten linksprogressiven Medienestablishment sorgt, zeigen die Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre, dass Rowlings prominent vorgetragene Einwände berechtigt waren: Die umstrittene Ambulanz für geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche musste als Konsequenz aus den im Cass-Report dokumentierten schwerwiegenden Behandlungsmängeln schließen. Kinder und Jugendliche wurden in ihrer Geschlechtsidentität bestätigt und mit Pubertätsblockern sowie gegengeschlechtlichen Hormonen behandelt, andere mögliche Ursachen für das Unbehagen mit dem biologischen Geschlecht fanden keine Berücksichtigung. Das sorgte für Fälle wie den von Keira Bell, die als junge Erwachsene detransitionierte und 2020 vor Gericht feststellen ließ, dass Minderjährige einem so experimentellen Ansatz nicht zustimmen könnten.
Ein britisches Selbstbestimmungsgesetz ist nie Realität geworden und ein schottischer Alleingang, vorangetrieben von Ex-Premier Nicola Sturgeon, wurde durch den Fall Isla Bryson vollständig diskreditiert. Bryson war ein wegen Vergewaltigung angeklagter biologischer Mann, der im Verlauf des Strafverfahrens eine weibliche Geschlechtsidentität äußerte und daher zunächst auch ohne körperliche Angleichung in eine Frauenhaftanstalt verlegt wurde. Die gesellschaftliche Entrüstung war so groß, dass sie schließlich für die Rückverlegung Brysons in ein Männergefängnis sorgte und Nicola Sturgeon das Amt als Premierministerin Schottlands kostete.
Inzwischen hat auch die Labour-Partei, die britische Version der Sozialdemokratie, sich von Self-ID verabschiedet – das Supreme-Court-Urteil wurde begrüßt – und die Erkenntnisse aus dem Cass-Report wurden ebenso anerkannt. Ende 2024 verlängerte Gesundheitsminister Wes Streeting (Labour) zudem ein noch unter der vorherigen Tory-Regierung erlassenes Verbot von Pubertätsblockern.
Diese Entwicklungen sind auch das Verdienst von J. K. Rowling, die den Themen die nötige Publicity erst verschafft hat. Wenn man also fragt, was Rowlings bedeutendste Lebensleistung ist, dann sollte man nicht nur ihr Opus Magnum „Harry Potter“ nennen, sondern auch ihre Standhaftigkeit, in einem verminten Thema eine unpopuläre Position zu beziehen – trotz Vergewaltigungs- und Mordphantasien ihrer Gegner. Diese Hexe kriegt ihr nicht verbrannt. Und das ist auch gut so. Alles Gute zum Geburtstag, liebe Joanne K. Rowling!
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Schwulsein hat im heutigen Queeraktivismus und in queerer Theorie den Makel, nicht progressiv genug zu sein. Denn wer weiß, cis und männlich ist, bekommt den Vorwurf, Nutznießer sozialer Privilegien zu sein – unverdientermaßen. Doch eine Kritik wie diese kleidet alte homofeindliche Ressentiments lediglich in ein neues Gewand.
Erfreuen sich in queertheoretischen Umgebungen keiner sonderlichen Beliebtheit: Weiße, cis-männliche Schwule (Foto von Christian Buehner auf Unsplash).
Redaktionelle Vorbemerkung: Dieser Text dokumentiert die Rede von Dr. Dirk Sander, die er bei der Release-Party des Jahrbuch Sexualitäten 2025 am 18. Juli in der taz Kantine gehalten hat. Darin würdigt er als Erstleser den Essay „Von der Entschwulung der Welt – Wie die queere Weltanschauung den Hass auf männliche Homosexuelle modernisierte“ von Vojin Saša Vukadinović.
27. Juli 2025 | Dirk Sander
Als ich vor Wochen in der Vorankündigung auf den Einband des Jahrbuches der Sexualitäten 2025 aufmerksam wurde, resonierte gleich der Aufdruck „Entschwulung der Welt“ bei mir. Denn erstens bin ich schwul, und zweitens beschäftige ich mich beruflich mit der differenzierenden und spezifischen Entwicklung von Gesundheitsangeboten für schwule und bisexuelle Männer. Was wäre dann wohl noch zu tun in einer „entschwulten“ Welt? – Und drittens: Ich wurde auch schon gefragt: Wo sind die Schwulen? Ist schwule Sexualität noch sichtbar?
Schwule Kultur verschwindet
Und, ohne den Text zu kennen, „Entschwulung“ kann ja bedeuten, dass Schwule, Schwules, schwule Kultur verschwindet, unsichtbar wird, unsichtbar gemacht wird, sich irgendwohin auflöst, dematerialisiert etwa? – Und das erkenne ich auch in Ansätzen. Einige persönliche Beobachtungen möchte ich deshalb im Folgenden einfließen lassen.
Der wortgenaue Titel der Arbeit von Vojin Saša Vukadinović im Jubiläums-Jahrbuch der Sexualitäten 2025 lautet: „Von der Entschwulung der Welt – Wie die queere Weltanschauung den Hass auf männliche Homosexuelle modernisierte“.
Der Autor schreibt: „Inzwischen kann zweifelsfrei konstatiert werden, dass der queer-theoretische Impetus, sich an Schwulen abzuarbeiten, sich aus dem Ressentiment speist, diese als minoritäre Herrschaftsgruppe zu imaginieren, die als angeblich kontrollsüchtige Majorität der Minderheiten alle Macht an sich gerissen“ habe.
Queere Homophobie
Schon im Oktober 2022 hatte sich Dierk Saathoff in der Jungle World zu Wort gemeldet. „Queere Homophobie“ lautete der Titel seines Beitrags. Dort heißt es: „Die derzeitige queere Bewegung stellt sich im Zweifel eher schützend vor einen Heterosexuellen, der von sich behauptet, eine queere Geschlechtsidentität zu besitzen, als einem schwulen Mann oder einer lesbischen Frau beizustehen“ (…). „Queer“, das sei einmal die „Aneignung eines Schimpfwortes, dass man stolz auf sich anwendete“ gewesen.
„Heute aber, nach 30 Jahren Gender Studies, steht der Begriff nicht mehr für eine geschlechtlich liebende Minderheit, sondern beschreibt ganz grob Menschen, die die Kategorie Geschlecht prinzipiell in Frage stellen. Gleichzeitig sind die Wörter ´schwul` und `lesbisch´ fast vollständig aus dem Sprachgebrauch verschwunden.“ Aber nur fast: Vor allem auf Schulhöfen seien die Wörter `schwul´ und `Schwuchtel´ „ununterbrochen im Einsatz – als Schimpfwörter“.
Und nicht nur da, wie ich bestätigen kann. Auch im Bus, auf der Straße, oder zuletzt im Drogeriemarkt, wo ich bei zwei jung-männlich-„gelesenen“ Subjekten mithören durfte, was denn alles „schwul“ sei. Das sollte man unbedingt vermeiden!
Vukadinović rekurriert in seinem großartigen Text im Jahrbuch der Sexualitäten 2025 mit vielen Verweisen und Zitaten auf die seit dem Ende des 20. Jahrhunderts erschienenen Analysen zur „Entschwulung“, aber auch auf „groteske“ bis „bizarre“ Universitätsstudien, die in „banalster Verallgemeinerung“, „pseudokritischer Verve und jargonistischer Weise“ ihre selbstreferentiellen und selbstverliebten Thesen präsentieren. – Da wird dann auch mal locker Geschichte umgeschrieben, oder werden historische Fakten ausgeblendet.
„Aktivistische Phraseologie“, so der Autor, die aber bei nicht nur jungen „Queers“ offenbar als Tatsachen und Leitbilder verfangen. Stichworte sind hier beispielsweise: „Homonationalismus“ oder auch „anti-muslimischer Rassismus“. D.h. z.B., dass der Hinweis eines schwulen Gewaltopfers auf „salafistische Schwulenhasser“ als Täter als rassistisch eingeordnet wird. Auch hier finden Sie Belege im vorliegenden Text.
„Schwul“, so schreibt Vukadinović, war „von Anfang an eine soziale Kategorie, und als politische Identität deshalb stets eine auf Zeit, um homosexuelle Orientierung abseits medizinischer bzw. psychologischer Klassifikation begreifbar zu machen, und dem Druck zur Diskretion zu kontern“.
Schwule Safe Spaces
Schon im späten 20. Jahrhundert sei allerdings (wieder) gegen die Homosexuellen polemisiert worden, (und hier zitiert der Autor die Anthologie „Anti-Gay“ von Mark Simpson), ihnen wurde die „Überbetonung“ ihrer sexuellen Orientierung angekreidet und die „Tendenz, sich in selbstkredenzten Nestern, dörflichen Gemeinschaften mit schwulen Bars, schwulen Reiseveranstaltern, schwulen Friseuren“ einzurichten.
Man könnte solche Entwicklungen auch vorwurfsfrei als notweniges „Community-Building“ beschreiben. Etwas, dass tendenziell Siedler in feindlichen Gefilden tun. Queerisch gesprochen: Ein Safe Space! – Die Schwulen haben es also nicht erfunden, aber artgerecht stark verfeinert.
Schwule Unterdrücker
Zitiert wird auch der US-Journalist Ben Appel, der ausführte, dass „`Schwule´ im Rahmen von `LGBT´- Belangen“ zunehmend als verdächtig galten, – gar als Feinde, da sie ja „cis-männlich“ seien: „Schwul oder bi zu sein schien (in den sog. „Gender Studies“) weit weniger wichtig zu sein, wenn man zugleich auch weiß, cis und männlich war, und deshalb als jemand galt, der schon aus diesen Gründen mit den Unterdrückern unter einer Decke stecken müsse“. Diese abschätzig vorgebrachten, durch keine belastbare Empirie gestützten Sichtweisen, erinnerten stark an „eine aktualisierte Variante jener Abscheu, der sich männliche Homosexuelle schon immer ausgesetzt sahen“.
Kurioserweise hat selbst die in diesen Kreisen höchstpopuläre australische Soziologin Raewyn Connell (Stichwort: „Hegemoniale Männlichkeit“) konstatiert, dass Schwule eben nicht von der sog. „patriarchalen Dividende“ profitieren. Sie werden im Männlichkeitswettbewerb früh ausgesondert.
Nochmal zu der Frage: Wo sind die Schwulen? – Wo ist schwule Sexualität noch sichtbar? Und das ist durchaus relevant. Sind wir doch in der Aidshilfe in den 80er Jahren, zu Beginn der Aidskrise mit dem selbstgestellten, emanzipativen Auftrag gestartet, schwuler Sexualität Sichtbarkeit zu verschaffen, sie zu fördern. Einfach vor dem Hintergrund, dass die mit der eh schon (Selbst-)schambehafteten schwulen Sexualität verbundenen Ängste, Sexualität an sich zu verhindern drohten. Dabei war sie doch weiter möglich. Mit ein paar Vorkehrungen zum Schutz vor HIV bzw. Aids.
Ist schwule Sexualität verletzend?
Vor einiger Zeit wurde mir aber von einer ganz offensichtlich „queeren“ Person gesagt, dass die Darstellung schwuler Sexualität ja auch „verletzend“ sein könne. Und aktuell plage ich mich mit einer Anzeige herum, die sich auf meinen Blog zu schwuler Sexualität bezieht. Dieser Blog, eine Intervention der „Sexuellen Bildung“, sei, so die Anzeigestellenden, pornographisch und jugendgefährdend.
Eilig wird geschlossen, dass diese und andere Anzeigen aus rechtsnationalen Kreisen stammen müssten, die sich im Kampf gegen eine „Frühsexualisierung“ wähnen. Das ist aber nur zum Teil richtig, wie wiederum die Soziologen Benkel und Lewandowski2021 in ihrer Veröffentlichung „Kampfplatz Sexualität“ beschreiben: „Die Feldzüge (gegen das Sexuelle) werden (nämlich) nicht nur von traditionell erzkonservativen, den Niedergang der gesellschaftlichen Ordnung bedroht wähnenden Milieus gestartet, (…) Ihre Durchschlagskraft erhält deren antisexueller Impetus vor allem durch eine (…) Koalition mit (Neo-)Evangelikalen, radikalen Feministinnen, und klassischen bürgerlichen Eliten (…)“. Sie ahnen es schon!
„Wie sehr selbst in akademischen Kreisen inzwischen Sexualität als Bedrohung wahrgenommen wird, zeigt ein Blick auf Diskurse in amerikanische Universitäten (…), die wiederum als Blaupause für europäische Nachahmungsmodelle fungieren.“ Das kann hier in Berlin wunderbar beobachtet werden. „Als ´Safe Spaces´ werden (hier) sexualitätsfreie Räume verstanden, während zugleich in Kauf genommen wird, dass erwachsene Menschen wie unmündige Kinder behandelt werden, um sie vor der vermeintlichen Bedrohung durch Sexuelles auch dann zu schützen, wenn dies konsensuell unter Erwachsenen geschieht“. Und Im Fokus steht die männliche Sexualität, diese wird in „manchen Debatten primär als destruktiv und als zu reglementierende Gefahr verstanden“.
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.
Mit Beiträgen von: Kerstin Söderblom, Dinçer Güçyeter, Zaal Andronikashvili, Manuela Torelli, Chantalle El Helou, Till Randolf Amelung, Ioannis Dimopulos, Julia Kaiser, Denis Watson, Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater dʼOr OSPI, Karl-Heinz Steinle, Norbert Finzsch, Aaron Gebler, Werner Renz, Clemens Schneider, Vojin Saša Vukadinović und Alexander Zinn. 232 S., gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8353-5917-8, 34,00 Euro.
Noch zu der Frage: Wo sind die Schwulen geblieben? Sie sind in meiner Wahrnehmung nicht einfach verschwunden. Einige sind noch laut. Sie schmieden neue Allianzen: „Homos – Juden – Frauen“. Und die meisten kennen sich ja gar nicht so aus in den sogenannten „Queer-Studies“, sie merken aber, dass die Akzeptanz des Schwul Seins, der schwulen Kultur abnimmt. Hier beobachte ich auch Verwirrung: „Bist Du queer?“ – „Ja, also schwul, äh queer, -schwul?!“
Natürlich gibt es auch Opportunismus, und erstaunliche Anpassungsleistungen: Um dazugehören zu dürfen. – Manche checken auch demütig ihre – mehr oder weniger – Privilegien. – Einige tun auch das, was Schwule immer schon in repressiven Zeiten getan haben: Sie verstecken sich, z.B. im Internet-Schrank in exklusiven Chatgruppen mit Motti wie „Schwul – so wie wir sind“, oder einfach „Schwul“ mit einer Reihe von Kuss-Emojis. Soviel nur dazu.
Welche Lehren könnte man ziehen? „Nur insofern“, so schreibt Vukadinović in der Abrundung seines erhellenden Aufsatzes im Jahrbuch, „als dies zunächst einmal heißt, die Emanzipationsgeschichte der männlichen Homosexualität als unabgeschlossene zu begreifen und die queer-theoretischen Aporien als politischen Angriff, der an dieser Unabgeschlossenheit entschiedenermaßen Anteil hat, weil er sich selbst als Transgression im Dienste des Fortschritts verkauft“.
Wohlan, die schwule Emanzipation braucht also einen Relaunch! Und ich habe in den letzten Minuten 45-mal „schwul“ gesagt. Cheers! Lesen Sie jedenfalls unbedingt den großartigen und – mutigen – Text von Vukadinović! Und: Sprechen Sie darüber! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Dirk Sander ist Diplom-Sozialwissenschaftler und als Referent der Deutschen Aidshilfe im Arbeitsfeld „Gesundheitsförderung für schwule und bisexuelle Männer*“ tätig.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Jahrbuch Sexualitäten feiert 2025 sein zehnjähriges Erscheinen
Jahrbuch Sexualitäten: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! (Foto von Joshua Hoehne auf Unsplash.)
15. Juli 2025 | Redaktion
Die Initiative Queer Nations e.V. (IQN) veröffentlicht 2025 die zehnte Ausgabe des in ihrem Auftrag von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen herausgegebenen „Jahrbuchs Sexualitäten“. In diesem Periodikum werden Fragen des Sexuellen in einem weiten Sinne, das heißt in Gesellschaft, Politik, Kultur, Geistes- und Naturwissenschaften, aber auch in Religion, Medizin oder Kunst thematisiert. Alle Texte sind Originalbeiträge, sie präsentieren und kommentieren Neues aus der Forschung oder nehmen auf aktuelle Debatten Bezug. Am 18. Juli werden ausgewählte Beiträge der diesjährigen Ausgabe in der taz Kantine von prominenten Gästen, unter ihnen Frauenrechtlerin Seyran Ateş und Schauspieler Gustav Peter Wöhler, vorgestellt.
Interdisziplinäres Periodikum
Gegründet wurde das Jahrbuch vor zehn Jahren von Jan Feddersen und Rainer Nicolaysen. Der an der Hamburger Universität lehrende Historiker Nicolaysen erinnert sich: „Die Entstehung des Jahrbuchs geht auf das Jahr 2015 zurück, als Jan Feddersen und ich, gewissermaßen an einem Küchentisch in Neukölln, den Plan entwickelten, ein Periodikum zu begründen, das sich interdisziplinär und vielfältig dem weiten Feld der Sexualitäten widmen sollte.“
Um zu vermeiden, dass das Jahrbuch ein Nischenprodukt der LGBTI*-Community bleibt oder eine reine Onlinepublikation wird, sollte es in einem renommierten Verlag erscheinen. „Mit unserem Wunschverlag – dem Wallstein Verlag in Göttingen – hatten wir schon zuvor in Kontakt gestanden; unser Vorschlag eines ‚Jahrbuchs Sexualitäten‘ stieß dort sofort auf Zustimmung“, erläutert Nicolaysen die Wahl des Verlages. Finanziert wird dieses Vorhaben durch die Initiative Queer Nations e. V., einen unabhängigen Verein, der den Herausgeber*innen alle redaktionellen Freiheiten lässt.
Erfolgreich in den Diskurs
Für Nicolaysen zeichnet sich der Erfolg des „Jahrbuchs Sexualitäten“ dadurch aus, „dass wir zehn Jahre auf einem hohen Niveau durchgehalten haben, die Beiträge des Jahrbuchs immer mehr in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs eingesickert sind und jedes Jahr wieder interessante Autor*innen Lust haben, für das Jahrbuch zu schreiben“. Hinsichtlich des Spektrums der Themen und der Autor*innen gebe es kein vergleichbares Periodikum auf diesem Feld in Deutschland, so Nicolaysen weiter. Inzwischen ist das „Jahrbuch Sexualitäten“ Teil der Bestände von vielen Hochschulbibliotheken über alle fünf Kontinente verteilt, auch in Vietnam oder Botsuana kann man es finden.
Jan Feddersen, taz-Redakteur im Hauptberuf und Vorstandsvorsitzender von IQN, resümiert: „Als Initiative Queer Nations sind wir in keinen akademischen und sonstigen gesellschaftlichen Dankbarkeits- und Ergebenheitsstrukturen. Mainstream sind andere. Das ermöglichte dem Jahrbuch-Herausgeber*innenkreis, nicht allein ideologischen Moden zu folgen.“
Themenvielfalt
Einige Beispiele aus dem neuen Jahrbuch geben einen Einblick in dessen Themen- und Perspektivenvielfalt:
Kerstin Söderblom, evangelische Pfarrerin und lesbische Aktivistin, plädiert in ihrem Essay für das Überwinden von dogmatischen Grenzen innerhalb queerer Communities.
Der Historiker Alexander Zinn stellt die Biografie von Adolf/Hertha Wind vor, die sich als behördlich bekannter Transvestit nicht nur Freiräume in der NS-Zeit erkämpfte, sondern in der frühen Nachkriegszeit auch eine amtliche Änderung des Geschlechtseintrags erwirken konnte.
In Georgien tobt nach der gefälschten Wahl von 2024 die Auseinandersetzung zwischen liberalen, nach Westen orientierten Teilen der Bevölkerung mit denen, die, wie die Partei „Der Georgische Traum“, eine Annäherung an Russland anstreben. Wie der Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili erläutert, kommt Homophobie bei der Abkehr von westlichen Werten eine zentrale Rolle zu.
Vojin Saša Vukadinović hingegen, befasst sich mit der Homophobie, die von aktueller Queer Theory ausgeht, in der Schwule ausschließlich als weiße, cisgeschlechtliche Unterdrücker anderer Minderheiten charakterisiert werden.
Release-Party
Am Freitag, den 18. Juli 2025, lädt die Initiative Queer Nations zur Buchpräsentation um 19 Uhr, live in die taz Kantine, Friedrichstraße 21 in Berlin und in den Stream auf YouTube ein:
Ausgewählte Beiträge des Jahrbuchs werden vorgestellt von: Gustav Peter Wöhler, Seyran Ateş, Emily Lau, Stephan Wackwitz, Dirk Sander und Philipp Gessler. Einige Autor*innen werden ebenfalls anwesend sein. Der Eintritt ist frei.
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.
Mit Beiträgen von: Kerstin Söderblom, Dinçer Güçyeter, Zaal Andronikashvili, Manuela Torelli, Chantalle El Helou, Till Randolf Amelung, Ioannis Dimopulos, Julia Kaiser, Denis Watson, Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater dʼOr OSPI, Karl-Heinz Steinle, Norbert Finzsch, Aaron Gebler, Werner Renz, Clemens Schneider, Vojin Saša Vukadinović und Alexander Zinn. 232 S., gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8353-5917-8, 34,00 Euro.
Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Ausgaben findet sich auf unserer Website. Mit freundlicher Genehmigung des Wallstein-Verlags bieten wir zudem einige Beiträge aus allen Jahrbüchern zum kostenlosen Download an.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Dyke March 2025: Und ewig grüßt das Murmeltier … oder der Israelhass
Auch 2025 gibt es am Tag vor dem Berliner CSD wieder einen Dyke March, der von einem neuen Organisationsteam unter dem Namen „Community Dyke* March“ beworben wird. Nachdem 2024 ein antisemitischer Pro-Palästina-Block den Marsch anführte, lassen die Ankündigungen für dieses Jahr ebenfalls nichts Gutes erahnen. Die Dyke Marches sind Teil einer bedauernswerten Verwahrlosung eines sich als politisch linksprogressiv verstehenden Spektrums.
Jüdisch, queer und zionistisch – alles auf linksprogressiven Veranstaltungen nicht erwünscht (Foto von Levi Meir Clancy auf Unsplash).
14. Juli 2025 | Till Randolf Amelung
Im vergangenen Jahr zeigte sich auch auf queeren Veranstaltungen, wie tief als Israelhass verkleideter Antisemitismus in Szenen des progressiven Spektrums Einzug gehalten hat. IQN-Autorin Chantalle El Helou berichtete zum Beispiel entsprechend über den Dyke March 2024 in Berlin, der von gegen Israel gerichteten pro-palästinensischen Kräften gekapert wurde. Für dieses Jahr hat sich die bisherige Orga des Dyke March Berlins zurückgezogen – aus gesundheitlichen Gründen, wie sie am 25. Juni auf Instagram verkündeten. Eine Lücke wird nicht entstehen, denn es haben sich andere gefunden, die am 25. Juli, also einen Tag vor dem Berliner CSD, einen „Community Dyke* March“ durch die Hauptstadt laufen lassen wollen.
Keine Sensibilität für Antisemitismus
Doch bereits der Demoaufruf auf Instagram zeigt, trotz der beflissenen Aufzählung von intersektionalen Marginalitäten, dass Israelhass beim Dyke* March erneut mitmarschieren wird: „Wir solidarisieren uns mit allen FLINTA*, die weltweit unter patriarchaler und autoritärer Unterdrückung leiden. Sei es in Palästina unter Apartheid und systematischer Auslöschung, im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo unter brutaler Kriegsgewalt oder auch in Iran und Afghanistan unter institutionalisierter, geschlechterspezifischer Gewalt.“
Wer die Phrase „Palästina unter Apartheid“ drischt, versteht unter Solidarität mit „FLINTA*“ unter patriarchaler und autoritärer Unterdrückung wohl eher nicht diejenigen, die im Gazastreifen oder im Westjordanland von ihren streng patriarchalen und islamischen Familien oft mit Gewalt davon abgehalten werden, ein offen selbstbestimmtes und queeres Leben zu führen. Nicht selten droht Queers der Ehre wegen auch der Tod.
Stattdessen adressiert „Palästina unter Apartheid“ den einzigen Staat im Nahen Osten, wo LGBTI vor Verfolgung geschützt sind – Israel. Ebenso wird die dicke Lüge ad nauseam wiederholt, in Israel herrschten Zustände wie damals in Südafrika, wo rechtlich, politisch und gesellschaftlich eine Rassentrennung herrschte, die die schwarze Bevölkerung diskriminierte.
Das Selbstverständnis des „Community Dyke* March Berlin“ auf Instagram (Foto: Eigener Screenshot).
Dyke March New York gegen Zionisten
Doch nicht nur in Berlin hat ein Dyke* March Probleme mit Israel, auch in New York wurden „Zionisten“ vom Dyke* March ausgeschlossen. Wie die Berlinerinnen, so framen sich auch die New Yorkerinnen als links, antikapitalistisch, queerfeministisch und vor allem intersektional. Israel firmiert in diesem manichäischen Weltbild als Unterdrücker, imperialistischer Kolonialist und faschistischer Feind – die Palästinenser hingegen, gelten als die „Verdammten dieser Erde“ eines antikolonialen Befreiungskampfes, für den man auf die Barrikaden müsse. Eine kritische Analyse, ob diese Positionsbestimmungen überhaupt ein solides Fundament haben, findet in diesen aktivistischen Kreisen nicht statt.
Auch Mitgefühl mit Israelis und Juden generell sucht man vergeblich, worauf Michaela Dudley jüngst in der taz hinwies:
„Weder die Demonstrierenden noch ihre Fürsprecher in Talkrunden erheben Freiheitsforderungen, die sich an die Hamas richten. Das Fehlen von Wahlen unter der Hamas seit nahezu 20 Jahren und die schwierige Lage von Frauen oder der LGBTQ+-Community werden geflissentlich ignoriert. Auf den propalästinensischen Kundgebungen wartet man vergeblich auf auch nur ein Wort Empathie für die über eintausend Opfer der Hamas vom 7. Oktober. Stattdessen wird von „Widerstand mit allen Mitteln“ gesprochen.“
Antisemitische Verwahrlosung progressiver Milieus
Die Dyke* Marches in Berlin und New York sind Teil einer antisemitischen Verwahrlosung linksprogressiver Milieus, inklusive der Popkultur. Auf dem „Glastonbury“, dem größten Musikfestival Großbritanniens beispielsweise, heizte das Grime/Punk-Duo Bob Vylan das Publikum mit „Hell yeah, from the river to the sea, Palestine must be, will be – inshallah – it will be free!“ und „Death to the IDF” an – live übertragen von der BBC.
„Die aktuelle Situation der linken Szene und der Popkultur erinnert an das, was der Philosoph Theodor W. Adorno als ‚konformistische Rebellion‘ bezeichnete. Gemeint ist eine Haltung, die sich subjektiv als moralisch überlegen und subversiv wähnt, objektiv jedoch reaktionäre und entindividualisierende Denkmuster reproduziert.
Die ‚Free Palestine‘-Rufe auf europäischen Festivals, begleitet von Schweigen über oder gar Zustimmung zu den Gräueltaten der Hamas, sind kein Ausdruck politischen Bewusstseins, sondern eine Folge regressiven Denkens. Kritik wird durch eine moralische Pose ersetzt, Analyse durch vereinfachende Schwarz-Weiß-Narrative. Es geht nicht um Frieden oder Menschenrechte, sondern um das Bedürfnis, Teil eines identitätspolitischen Widerstandsnarrativs zu sein – einfach, um dazuzugehören und auf der richtigen Seite zu stehen.“
Popkultur und Aktivismus leben von der inszenierten Pose, aber wer sich als links und queer versteht, sollte sich fragen, ob man ausgerechnet Islamismus, Queer- und Judenhass unterstützen will. Oder wie es ein bekanntes Sprichwort treffend formuliert: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Der Initiative Queer Nations wird vorgeworfen, sie trüge das Wort „Queer“ zu Unrecht im Namen. Doch eine solche Bewertung beruht auf einer engführenden Definition des Begriffs. Jan Feddersen, Vorstandsvorsitzender der ersten Stunde, erläutert die Namenswahl und warum unsere KritikerInnen gouvernantenhaft falsch liegen.
Wir werden öfter gefragt: Ihr nennt Euch „Initiative Queer Nations“ – aber warum, da ihr doch den philosophischen und sprachwissenschaftlichen Befunden von Judith Butler & Co. misstraut? Was an Euch ist „queer“? Die Aktivista Nora Eckardt fragte in ihrer jüngsten Rezension des aktuellen „Jahrbuch Sexualitäten“:
„Wie schon in vorangegangenen Editionen, so bleibt sich IQN auch diesmal treu in ihrer Ablehnung der ‚queeren Weltanschauung‘, mit der eine Gruppe von Schwulen und Lesben offenkundig arg fremdeln. Mal in echt, wäre es nicht wirklich an der Zeit, den Verein umzubenennen? Wettern dauernd gegen queer und wollen das Label trotzdem behalten. Aber wenn man nicht verkauft, was auf der Packung steht, dann ist das der klassische Fall von Mogelpackung, oder?“
In dieser Klage stecken eine Menge Missverständnisse: „Queer“ ist kein Vereinsabzeichen, kein Mitgliedschaftsverhältnis, aus dem jemand – oder ein Verein – per moralischer Klage („Mogelpackung“) entlassen werden könnte. Wir regen auch keinen Abschied von queerer Weltanschauung an, vielmehr veröffentlichen wir Texte und stellen sie in Queer Lectures zur öffentlichen Debatte: Queeristische Dogmatik ist mit uns allerdings nicht zu haben.
Gründung der IQN
Als Jörg Litwinschuh-Barthel, damals Mitarbeiter des LSVD, und ich an einem Maiabend im Jahre 2005 überlegten, einen Verein zu begründen, der alle Teile der LGBTI-Szenen für ein erinnerungspolitisches Projekt zusammenführt, wollten wir mehr, als nur eine Gedenkstätte im Berliner Tiergarten in Erinnerung an die Tradition der sexuellen Emanzipationen und Forschungen in der Weimarer Republik schaffen. Eben eine Art Institution aus der übrigens 2011 die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld errichtet wurde. Für unseren Namen wählten wir das damals noch nicht allzu geläufige Wort „queer“, weil wir unser Projekt nicht als schwul orientiert verstehen wollten. „Queer“ stand für alle im LGBT-Bereich, quasi für eine Sammelbezeichnung, nicht als ideologisch festgefügte Anordnung, der man sich normativ zu unterwerfen hat.
Plural und wissenschaftlich
Deshalb verstehen wir uns als plural, lehnen aber Glaubensinhalte unwissenschaftlicher Art ab, denen zufolge es beispielsweise mehr als zwei biologische Geschlechter gibt. Und wir wissen auch, dass das biologische Geschlecht keineswegs sozial konstruiert ist. Daher lehnen wir die Inklusion von Transfrauen im Frauensport ab, denn Transfrauen, die eine männliche Pubertät durchlebten, haben gegenüber biologischen Frauen im Wettkampf immer noch starke Vorteile.
Hingegen glauben wir, dass schwule Männer, lesbische Frauen, intersexuelle Menschen, Transmenschen in einer sie oft noch ablehnenden Welt Glück verdienen. Wie sich eine Person selbst sieht („identifiziert“), liegt nur an der Person selbst, nicht an uns: Identitäten gibt es eine Menge. Dass wir das in Deutschland 2024 beschlossene Selbstbestimmungsgesetz in seiner aktuellen Form ablehnen, liegt u.a. an vielen lesbischen Frauen, die das Recht haben sollten, auch mal unter sich, d.h. biologischen Frauen, bleiben zu dürfen. Wir glauben, dass die Schutzräume von Frauen unangefochten bleiben sollen. Außerdem zeigen Fälle wie der von Marla-Svenja Liebich, einer rechtsextremistischen Person, dass man Sicherheitslücken schafft, wenn man gar nicht mehr nach einer plausiblen Motivation für eine amtlich dokumentierte Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags fragt.
Kein LGBTI-Mainstream
Aber zurück zu „Queer“: Die Kritik an uns ist bei Lichte besehen antiqueer. Sie macht uns zum Vorwurf, die Ansprüche des zeitgenössischen Mainstreams der LGBTI*-Szene (und all ihrer staatlichen GeldgeberInnen, Förderinstitutionen) zu verletzen. Insofern ist die Kritik richtig: Wir publizieren keine Erbauungsliteratur, keine religiösen Erweckungs- oder Bestärkungstexte, sondern Kritik an den bestehenden Verhältnissen.
Wir nehmen wahr, dass ein erheblicher Teil von Lesben, Schwulen und Transmenschen sich durch die Szeneüblichkeiten des Queeristischen nicht repräsentiert fühlt. Queerismus, falls jemand über dieses Wörtchen gestolpert sein sollte, ist der Zustand, wenn jemand andere geißelt, in deren Namen er/sie sprechen will, weil die anderen die reine Lehre nicht mitmachen. Aber das Vertrackte ist nur: Queer ist keine reine Lehre, sondern ein Tool, ein Werkzeug geistiger Art, sich gegen die Zumutungen der anderen, auch der Queeristen zu wappnen.
Queer, so gesehen, ist für uns ein Konzept, dass jeder und jede so sein kann, wie er oder sie oder es will, in der taz habe ich vor fünf Jahre einige Gedanken aufgeschrieben. Alle wollen für sich normal sein, niemand möchte AußenseiterIn sein: Das zu schaffen nennt man gewöhnlich Erwachsenwerden. Queer, das darauf setzt, aus dem Außergewöhnlichen eine neue Normalität zu kreieren, zugleich eine Ideologie, eine Antinormalität zu basteln, ist religiös, weltanschaulich unterwegs. Das mögen wir ablehnen, vor allem ist es – anstrengend.
Queere Heteros?
Queer ist außerdem aktuell ein Zustand, der heterosexuell orientierte Menschen begünstigt. Heteromänner, die sich die Fingernägel blau anstreichen und sich als „queer“ verstehen, aber niemals eine schwule Erfahrung machten, kommen viel zu oft in den Genuss von staatlichen Subventionen, oft in Rivalität mit schwulen Männern, die solche kosmetischen Veränderungen an sich selbst eher obskur finden. Das gleiche gilt für Frauen: Reine Lesbenprojekte fallen hinten runter, wenn Heteras einen auf queer machen.
Mit anderen Worten: Wir heißen Initiative Queer Nations, weil wir Queeres nicht ideologisieren. Sondern uns immer fragen: Was wollen Homo- und Bisexuelle (Frauen wie Männer) überhaupt, was wollen Intermenschen, was Transpersonen? Alle Forschungsergebnisse dazu besagen: in Ruhe gelassen werden, auch von falschen IdeologInnen, die eine angeblich reine Lehre vertreten und doch nur MissionarInnen in eigener Sache sind, die ihre Bewegungsbibeln an den Mann und an die Frau bringen wollen. In Summe wollen LGBTIvor allem genau so viele Lebensmöglichkeiten haben wie Heterosexuelle.
„Queer“ als normatives Ideal zu verstehen, widerspricht der prinzipiell ja nicht falschen Idee eines persönlichen Lebens im nötigenfalls Unangepassten. Eigentlich meint das Wort „queer“ ein Leben unabhängig von den normativen Wünschen anderer. QueerideologInnen züchtigen, wenn man ihnen widerspricht. Sie können das tun, weil sie in akademischen Kontexten ihrer Disziplinen die Macht dazu haben, weil ihre Leute an den Geldtöpfen sitzen, in Antidiskriminierungsbehörden und ähnlichen Schlüsselstellen. Das ist das Problem, und deshalb ist die Queerisierung der Lebensstile von Schwulen und Lesben genauso übel wie jede religiöse Dogmatik. Wir glauben: Jeder und jede so, wie er oder sie mag. Keine Normativitäten, keine gouvernantenhaften Zensuren. Wir nennen es: queer.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
USA: Die Kampagne für Transkinder hat gerade eine Wahl, den SCOTUS und die NYT verloren
Der queere Transaktivismus verliert in den USA gerade an Rückhalt, wie das SCOTUS-Urteil in Bezug auf Transkinder zeigt. Ein wichtiger Grund ist, dass dieser aktuelle Aktivismus nichts mehr mit dem für Bürgerrechte von Lesben und Schwulen zu tun hat. Anstatt um rechtliche Gleichstellung geht es heute um eine radikale Revolution, die soziokulturelle Normen und evidenzbasierte Wissenschaft zu Geschlecht gleichermaßen umstoßen will. Unser Gastautor Andrew Sullivan erläutert, warum das schiefgehen musste.
Transaktivistische Protestmethoden gegen unliebsame Berichterstattung: Der GLAAD-Truck von 2023 mit den Slogans vor dem Redaktionsgebäude der New York Times hat auch zur sinkenden Zustimmung für Trans-Anliegen in der Bevölkerung beigetragen (Foto: GLAAD auf X).
Redaktionelle Vorbemerkung: Andrew Sullivan ist der vielleicht wichtigste journalistische Aktivist im sog. LGBTIQ-Bereich in den USA. Er selbst versteht sich nicht als queer, sondern als schwul. Politisch kritisierte er häufiger das linke Establishment von Schwulen und Lesben. Er selbst arbeitete beharrlich für die Legalisierung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, überwiegend durch Überzeugung von konservativen und christlichen Kreisen: Dort sei die notwendige Unterstützung zu gewinnen, damit die „same sex marriage“ nicht zu einer nur dem linken Bewusstsein zugänglichen Institution wird. Der Supreme Court der USA legalisierte die fälschlich als „Homoehe“ bezeichnete Möglichkeit homosexueller Paare im Juni 2015.
Seit einigen Jahren äußert er sich verstärkt zu den Debatten um „Trans“. Ein besonderes Anliegen ist ihm der Schutz von prä-homosexuellen Kindern und Jugendlichen, denn sehr oft weist eine Geschlechtsdysphorie auf die Entwicklung eines homosexuellen Begehrens hin. Dieser Umstand findet weder bei Transaktivistas, noch bei mit ihnen verbündeten MedizinerInnen angemessen Beachtung. Dies führte er jüngst auch nochmal an prominenter Stelle in der New York Times aus.
Sullivan betont dabei, dass er nicht das Recht von Erwachsenen einschränken wolle, sich für eine Transition zu entscheiden. In diesem Sinne bezieht er auf Substack beispielsweise deutlich Stellung gegen die Streichung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen aus staatlich finanzierten Gesundheitsprogrammen wie Medicaid. Ebenso steht er auch hinter dem Supreme-Court-Urteil von 2020, dass niemand wegen seiner Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung im Job benachteiligt werden darf.
Sullivans Bücher sind bis auf seinen Erstling 1995 unter dem Titel „Völlig normal: Ein Diskurs über Homosexualität“ nicht auf Deutsch erschienen. Sexualemanzipatorische und -identitäre Diskurse in Deutschland (vor allem in akademischen Zirkeln) hatten an parteiübergreifenden Debatten zum Thema kein Interesse. IQN freut sich, seinen ersten, im deutschsprachigen Kontext publizierten Text seit 30 Jahren zu präsentieren.
„Was ich mir jeden Tag sage, ist, dass die verwirrende, verunsichernde Natur des Trans-Seins für andere Menschen das ist, was die Revolution auslösen wird, die wir brauchen. Es ist die Ungewissheit, das Dazwischen, das Überschreiten von Binaritäten, das wir anbieten, was die ganze Sache destabilisieren wird.“ – Chase Strangio, April 2025.
Ich glaube, das könnte der Anfang vom Ende sein. Ich beziehe mich auf den Versuch, die Überreste der Schwulen- und Lesbenrechtsbewegung zu erobern, um die Abschaffung des binären Geschlechts in Gesetz, Gesellschaft und Kultur zu fördern. Der Oberste Gerichtshof hat dies gerade im Fall Skrmetti mit Fakten untermauert. Und Nick Confessores gründlich recherchierter Artikel im New York Times Magazine ist der Knockout-Schlag. Der NYT-Beitrag ist der überraschendste – niemand hätte nach den mündlichen Verhandlungen geglaubt, dass die Queers den Fall Skrmetti gewinnen würden – und er ist eine Lektüre wert.
Der Confessore-Artikel ist ein beeindruckendes Stück Erzählkunst und führt viele der komplexen Zusammenhänge und Handlungsstränge zusammen. Dieser Text ist besonders hilfreich, wenn es darum geht, liberale Leser in einer Quelle, der sie vertrauen können, darüber zu informieren, dass dies nicht mehr die schwul-lesbische Bürgerrechtsbewegung ist, die sie zu kennen glaubten.
Chase Strangio und die Gender-Revolution
Stattdessen handelt es sich um eine Gender-Revolution, die von einer Figur angeführt wird, die Confessore anschaulich schildert: Chase Strangio, der Transmann, der die ACLU-Kampagne zur Abschaffung des binären Geschlechts anführt, und der für Skrmetti kämpfte und gerade 6:3 verlor. In seinen eigenen Worten ist er „ein Verfassungsrechtler, der im Grunde nicht an die Verfassung glaubt“, ein LGBTQ-Aktivist, der das Gefühl hatte, dass seine Bewegung zu sehr auf schwule weiße Männer mit „sozialer Macht und Kapital und politischer Macht“ ausgerichtet war.
(Es spielt keine Rolle, dass reiche weiße Schwule schon immer über die Mittel verfügten, ihre Beziehungen rechtlich zu schützen – dafür gibt es ja die schicken Anwälte. Es waren die lesbischen und schwulen Paare der Arbeiterklasse, die am meisten von den Eherechten und dem Beschäftigungsschutz profitierten).
Strangios Verachtung für schwule weiße Männer passt zu seiner Ansicht, dass der Oberste Gerichtshof „eine abscheuliche Institution“ ist, dass „das Gesetz kein würdiges System“ ist und dass die Homo-Ehe (zu der er widerwillig juristische Arbeit beigetragen hat) ein Fehler war. Als 2022 der „Respect For Marriage“- Act verabschiedet wurde, der die Rechte der Homo-Ehe im Kongressrecht verankerte, schrieb Strangio:
„Ich empfinde eine unerklärliche Wut, wenn ich sehe, wie der Senat wahrscheinlich … für die Kodifizierung der Eherechte für gleichgeschlechtliche Paare stimmt … Ich finde es enttäuschend, wie viel Zeit und Ressourcen in den Kampf um die Aufnahme in die zutiefst fehlerhafte und grundsätzlich gewalttätige Institution der Zivilehe geflossen sind. Ich glaube, dass die Mainstream-LGBTQ-Rechtsbewegung in vielerlei Hinsicht erheblichen Schaden angerichtet hat, indem sie die Institution der Ehe als Organisationsstruktur der Zivilgesellschaft weiter verfestigt hat … und das politische Kapital, das in die Verabschiedung dieses Gesetzes geflossen ist, bedeutet Kapital, das an anderer Stelle verloren gegangen ist – für Wahlen, Abtreibung, Trans-Personen, Studentenkredite.“
Diese Verachtung für den größten Sieg der Schwulenrechte machte ihn zum Grand Marshal der New Yorker Pride-Parade in jenem Jahr (so weit ist die schwule Elite inzwischen nach links gerückt). Seine Meinung über seine Kritiker war: „Ich glaube, sie wollen wirklich die Rechte von Transmenschen einschränken und Transmenschen töten.“ Ja genau, ich mache mir keine Sorgen um den Schutz von Kindern und gute wissenschaftliche Beweise; ich will einfach nur Trans-Menschen töten.
Penis kein männliches Körperteil
Außerdem besteht Strangio darauf, dass „ein Penis kein männliches Körperteil ist. Er ist nur ein ungewöhnliches Körperteil für eine Frau“. Er schrieb auch:
„Viele Befürworter verteidigen die Verwendung des Narrativs ‚als Mann geboren‘ oder ‚mit einem männlichen Körper geboren‘, weil es für Nicht-Transgender-Menschen leichter zu verstehen sei. Natürlich ist es einfacher zu verstehen, da es die tief verwurzelten Ansichten darüber, was einen Mann und was eine Frau ausmacht, verstärkt. Aber genau diese Ansichten müssen wir ändern“.
Strangio weigert sich, im Einklang mit dem tief verwurzelten Illiberalismus seiner Bewegung, mit jemandem zu diskutieren, der nicht völlig mit ihm übereinstimmt; er will keine Beweise für seine wilden Behauptungen vorlegen und war nicht einmal bereit, sich von der trans-freundlichen NYT persönlich interviewen zu lassen! Er sprach sich gegen jegliche journalistische Berichterstattung über die Debatte über Geschlechtsumwandlungen bei Kindern aus und unterstützte, dass die New York Times zur Zielscheibe von Protesten wurde:
„Die schreckliche Berichterstattung der NYT und ihre Fixierung auf Trans-Personen war entscheidend für das Fortschreiten von Anti-Trans-Gesetzen und -Politik auf nationaler Ebene.“
Radikale verabscheuen Kompromisse
Er glaubt auch an das Verbot von Büchern. Das Buch von Abigail Shrier, in dem sie sich um die soziale Ansteckung einiger Teenager-Mädchen sorgt, rief diese Reaktion hervor:
„Die Verbreitung dieses Buches und dieser Ideen zu stoppen, ist zu 100 % ein Berg, auf dem ich sterben werde.“
Er gab sogar eine persönliche Erklärung auf Twitter ab, in der er seine eigene Gruppe, die ACLU, kritisierte, als diese einen Fall von freier Meinungsäußerung für den rechtsradikalen Schwulen Milo Yiannopoulos aufgriff, dessen Buchwerbung zusammen mit Werbung für den Ersten Verfassungszusatz in der U-Bahn von DC verboten worden war:
„Ich glaube nicht daran, dass man Prinzipien um des Prinzips willen in allen Fällen schützen sollte.“
Wie die neuen Queer- und Trans-Gruppen steht er auch der Religionsfreiheit ablehnend gegenüber. Wie Confessore anmerkt, sind gesetzgeberische Kompromisse im Kongress, die sowohl Schwule und Lesben schützen als auch die Religionsfreiheit garantieren könnten – das Modell von Utah – unter den radikalisierten Queer-Gruppen verabscheut worden. Ihr Gleichstellungsgesetz würde den Schutz der Religionsfreiheit dort aufheben, wo er mit den Rechten und Zielen von Homosexuellen kollidiert – ein religiöser Schutz, für den Joe Biden einst gestimmt und sich eingesetzt hatte.
Surreale Argumente für Pubertätsblocker
Vor dem Obersten Gerichtshof war der Kern von Strangios Argumentation, nun ja, absurd. Es ging um Pubertätsblocker, die medizinisch eingesetzt werden, um die so genannte „zentrale frühzeitige Pubertät“ zu stoppen – bei der Kinder unter acht Jahren in die Pubertät kommen, weil der Hypothalamus die Hypophyse vorzeitig auslöst. Sie kann durch eine endokrine Störung, Tumore oder seltene genetische Mutationen verursacht werden oder bei Mädchen ohne erkennbare Ursache auftreten. Strangio versuchte tatsächlich zu argumentieren, dass, da das Medikament aus diesem Grund für Cis-Kinder verwendet wird, es viel älteren „Trans“-Kindern ohne frühe Pubertät, die aus psychologischen Gründen vor der Pubertät das Geschlecht wechseln wollen, nicht verwehrt werden kann. Abgesehen vom Alter und der Diagnose sei es genau dasselbe!
In einem wirklich surrealen Artikel wiederholt Masha Gessen das andere „Argument“ über Kinder, deren Pubertät unnatürlich spät einsetzt:
„Wenn einem Teenager, dem bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde [ein Junge], Testosteron verschrieben werden kann, um die verzögerte männliche Pubertät zu behandeln – das heißt, um eine Form der geschlechtsbestätigenden Behandlung zu erhalten -, dann sollte ein Teenager, dem bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde [ein Mädchen], Zugang zu demselben Hormon haben.“ [Meine Klarstellungen.]
In einem Fall dient die Verwendung von Blockern und Testosteron dazu, reale medizinische Bedingungen zu korrigieren, die die natürliche Pubertät stören, damit sie im richtigen Alter eintritt. Im anderen Fall werden Blocker und Testosteron für eine Geschlechtsumwandlung eingesetzt, die auf psychologischen Gefühlen beruht, die nicht objektiv gemessen werden können. Und sie fragen sich, warum sie 6:3 verloren haben.
(Man beachte auch, dass Gessen in ihrem Artikel nur von „Teenagern“ spricht und Bilder von Kindern im Alter von 19 Jahren heraufbeschwört. Definitionsgemäß sind Pubertätsblocker jedoch für Kinder gedacht, die ihre natürliche Pubertät noch nicht durchlaufen haben – und das Durchschnittsalter dafür liegt bei 10,5 bis 11 Jahren für Mädchen und 11,5 bis 12 Jahren für Jungen. Man könnte einen 13-Jährigen einschleusen, nehme ich an. Aber sie beginnt den Artikel mit „Stell dir vor, du bist ein transsexueller Teenager“. Raffiniert.)
Regierung Biden unterstützte radikalen Aktivismus
Strangio war nicht persönlich für den Transradikalismus der Biden-Administration verantwortlich. Aber das musste er auch nicht. Confessore stellt fest, dass Biden im Amt einfach „den LGBTQ-Lobbygruppen und den medizinischen Verbänden nachgab“:
„An seinem ersten Tag … unterzeichnete Biden eine Anordnung, die den Exekutivbehörden vorschreibt, das Wort „Geschlecht“ in allen Antidiskriminierungsgesetzen des Bundes so auszulegen, dass es „Geschlechtsidentität“ einschließt … Eine ganze Reihe weiterer Anordnungen und Regelungsvorschläge würden folgen, die Gefängnisse, Schulen, das Außenministerium und andere Einrichtungen anweisen, die Geschlechtsidentität einer Person bedingungslos anzuerkennen – selbst die eines Kindes. Mehr oder weniger per Erlass hatte die Regierung die Self-ID zum Gesetz des Landes erklärt.“
Sie wollen über Autoritarismus sprechen? Das ist Autoritarismus: Einem Land durch ein Exekutivmandat massive kulturelle und soziale Veränderungen aufzwingen, keine Debatte zulassen und jeden Widerstand als Bigotterie bezeichnen. Der ahnungslose Joe schien laut Confessores Bericht sogar zu glauben, dass die Republikaner alle psychiatrischen Therapien für Kinder mit Geschlechtsproblemen verbieten wollten – nicht wissend, dass es in Wirklichkeit seine eigenen geliebten Trans-Gruppen waren, die die Therapie verbieten wollten, weil das Erforschen aller möglichen Gründe für Dysphorie nun als transphobische „Konversionstherapie“ galt.
In Ermangelung eines funktionierenden Präsidenten sprang Bidens Trans-Beauftragte Rachel Levine in die Bresche und bezeichnete Geschlechtsumwandlungen bei Kindern als „Suizidprävention. Sie rettet Leben.“ Aber selbst Strangio räumte vor dem SCOTUS ein, dass Selbstmorde „glücklicherweise und zugegebenermaßen selten“ sind. Dann mischte sich Levine heimlich politisch in die neuen medizinischen Richtlinien der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) ein, und bewirkte, dass alle unteren Altersgrenzen für die Behandlung aufgehoben wurden.
Von Levine überrumpelt, musste das Justizministerium unter Biden dennoch über die Beteiligung an Gerichtsverfahren entscheiden. Als es darüber nachdachte, machte es Strangio wie Netanjahu und führte den Skrmetti-Fall in Tennessee einfach weiter wobei er Biden herausforderte, ihm nicht zu folgen. Und Biden folgte…. . Es bedurfte erst der Offenlegung im Fall Alabama, um zu enthüllen, dass die WPATH wusste, keine stichhaltigen Beweise für transsexuelle Kinder zu haben, aber der Öffentlichkeit und den Eltern etwas anderes erzählt hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren die erbärmlichen Biden-Leute insgeheim „besorgt, dass ihre Verbündeten sie auf dünnes wissenschaftliches Eis gestoßen hatten.“ Wer hätte das ahnen können!
LGBTQ bei Transkindern auf dünnem Eis
Strangio und seine verrückten Mitstreiter haben auch die Schwulen- und Lesbenrechtsbewegung auf dünnes politisches Eis gestoßen – und das bricht jetzt unter unseren Füßen ein. Die Queer-Radikalen haben eine Wahl verloren, Debatten in 27 Bundesstaaten, das Justizministerium unter Biden, die öffentliche Meinung, den Obersten Gerichtshof und jetzt – mit diesem maßgeblichen Artikel und einer soliden Podcast-Serie, The Protocol – die New York Times. Und nächsten Monat wird die berühmteste Klinik für transsexuelle Kinder in den USA, die von Johanna Olson-Kennedy geleitet wird, schließen. Sie war eine der Hauptverantwortlichen für die Selbstmordlüge. Die Gerichtsverfahren werden brutal sein.
Bedeutet das, dass wir in der schwulen und lesbischen Welt endlich eine Debatte über dieses Thema führen können? Oder werden die Demokraten allmählich begreifen, wie sehr sie hinters Licht geführt wurden – und das Ruder herumreißen? Ezra Kleins neues Interview mit Sarah McBride ist das erste Eingeständnis einer führenden Trans-Persönlichkeit, dass sie großen Mist gebaut haben und sich neu formieren müssen. Das ist ein willkommener Wechsel des Tons und der Richtung.
Aber ich komme nicht umhin festzustellen, dass McBride keine Änderung der Politik, keine Neubewertung der Selbstidentifizierung sowie keine Rücknahme von 73 Geschlechtern, Begriffen wie „Brustfütterung“, vorgeschriebenen Pronomen und dem verrückten Rest angeboten hat – geschweige denn ein Ende der geschlechtsangleichenden Behandlungen bei Kindern. Was den Frauensport betrifft, so will sie, dass Entscheidungen auf lokaler Ebene getroffen werden, ob biologische Männer mit Frauen konkurrieren. Das ist ein Anfang, nehme ich an. Aber es bedarf noch größerer Anstrengungen, um gefährdete Kinder davor zu schützen, dass sie ohne Schutzmaßnahmen umgewandelt werden, und um anzuerkennen, dass die binäre Geschlechtszugehörigkeit eine biologische Realität ist, die für eine funktionierende menschliche Gesellschaft unabdingbar ist, damit es überhaupt Geschlechterunterschiede geben kann.
Vielleicht gibt es eine Chance für das, was von den ehemaligen Homosexuellengruppen übriggeblieben ist, ihre liberalen Prinzipien wiederzufinden, die freie Meinungsäußerung zu unterstützen, sich mit Gegnern auseinanderzusetzen, religiöse Meinungsverschiedenheiten zu respektieren, Klartext zu sprechen und wieder auf strenge, evidenzbasierte Wissenschaft zu vertrauen. Wenn uns das gelingt und wir Kindern in geschlechtsspezifischen Schwierigkeiten helfen können, ohne sie irreversibel und voreilig zu medikalisieren, können wir das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit zurückzugewinnen, welches wir in letzter Zeit verloren haben.
Andrew Sullivan, Jahrgang 1963, ist ein den USA lebender britischer Journalist und Blogger. Er war Chefredakteur der Zeitschrift „The New Republic“ und betreibt den Blog „The Weekly Dish“, wo er aus einer liberalen Perspektive schreibt. Seine oft heterodoxen Ansichten sind nicht leicht in das politische Koordinatensystem „links-rechts“ einzuordnen. Parteipolitisch unterstützte er in der Vergangenheit sowohl republikanische als auch demokratische Präsidentschaftskandidaten – jedoch nicht Donald J. Trump. Als offen lebender schwuler Mann setzte er sich in den USA früh für die „Ehe für Alle“ ein und war ein wichtiger Vertreter der bürgerrechtlichen Bemühungen darum.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Der CSD-Skandal von Paris: Wie das Paradigma der Intersektionalität das Sexuelle verdrängt
Das Plakat für die diesjährige Pride-Parade in Paris sorgt für Aufregung, die Darstellung würde Gewalt verherrlichen. Doch vor allem zeigt sich, wie die queerfeministische Doktrin der Intersektionalität als Anspruch, immer alle Diskriminierungsformen mitzurepräsentieren, de facto lesbische und schwule Sexualität verdrängt. Wofür steht eine solche Pride dann noch?
Das umstrittene Plakat des diesjährigen Marche des fiertés LGBT+ de Paris (Foto: Inter-LGBT).
28. Juni 2025 | Till Randolf Amelung
Am heutigen Samstag marschiert auch durch Paris eine Pride-Parade, „Marche des fiertés LGBT+ de Paris“ heißt sie, doch das Werbeplakat des Veranstalters Inter-LGBT sorgt für Entrüstung. Dem Motiv wird Gewaltverherrlichung vorgeworfen, mehrere Unterstützer und Geldgeber, darunter auch staatliche, haben sich distanziert oder halten zugesagte Gelder nun zurück. In der LGBT-Community sind ebenfalls hitzige Debatten entbrannt. Nicht zuletzt nimmt dies auch der Rassemblement National, die Partei der Rechtspopulistin Marine LePen, zum Anlass, mal wieder gegen LGBT zu hetzen.
Umstrittenes Plakatmotiv
Konkret ist auf dem Plakat folgendes zu sehen: Eine bunte Gruppe von diversen Menschen umringt einen grauen Mann, der bewusstlos am Boden liegt, nachdem ihn der Faustschlag eines in Orange dargestellten, zufrieden grinsenden Mannes getroffen hat. Der graue Mann hat am Hals ein keltisches Kreuz. Dieses Kreuz ist nicht nur ein christliches Symbol, sondern wird auch in rechtsextremen Kreisen verwendet – dort steht es für „White Power“.
Umringt werden der bewusstlose Rechtsextreme und sein Widersacher von bunten Figuren, als Männer und Frauen dargestellt, die ebenfalls mit allerlei Symbolik versehen sind. Ganz links ist eine in Rot gehaltene Frau, die eine Schärpe in den Farben der Transflagge trägt und in der gesamten Aufmachung indisch wirkt. Direkt neben ihr ist ein dunkelblauer Mann, der ein rosa Dreieck mit der Aufschrift „Action = Life“ trägt – der Slogan der „Act up“-Bewegung in der Aids-Krise.
Dann folgt eine Frau in Gelb mit einem rosa Hijab, die zusammen mit einem Mann in Grün ein Schild mit der Aufschrift „Gegen die reaktionäre Internationale“ hochhält. Abgerundet wird die Gruppe mit einer Frau in Lila, die sich auf einen Gehstock stützt, eine Tasche in den Farben der Nationalflaggen von Ungarn und Bulgarien mit der Aufschrift „Free Prides“ über die Schulter hängen hat und eine Vielfalt an weiteren Symbolen an ihrer Jacke trägt. Nicht alle Symbole sind gut zu erkennen. Identifizierbar sind: eine Armbinde mit dem Symbol für Gebärdensprache, ein Pin mit der palästinensischen Flagge, das Symbol der Frauenbewegung, ein rotes Dreieck.
Viele LGBT lehnen Motiv ab
Entworfen hat dieses Motiv die Künstlerin Tola Vart, in deren Instagram-Profil „Comic von und für Transfem“ steht. Aus vielen Richtungen erntet ihr Motiv scharfe Kritik: Eine queere, jüdische Organisation fürchtet, die Bildsprache animiere zu Gewalt. Auch FLAG!, ein LGBTI+ Netzwerk für PolizistInnen und JustizbeamtInnen, lehnt dieses Plakat ab. Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP hat als Konsequenz angekündigt, die Zusammenarbeit mit Inter-LGBT zu beenden.
In der französischen Tageszeitung Le Mondekritisierte William Marx, Literaturwissenschaftler am Collège de France, dieses Motiv für „semiotische Verwirrung“ und dass die Farben der klassischen Regenbogenflagge abwesend seien. Das allerdings ist nicht richtig, diese Farben befinden sich immerhin als schmaler Streifen unterhalb des Veranstaltungsnamens, zusammen mit der Inter- und Transflagge sowie einem rosa, braunen und schwarzen Streifen.
Intersektionale semiotische Verwirrung
Doch verwirrend ist diese überbordende Symbolik allemal und Marx benennt durchaus wichtige Aspekte, die an der Darstellung zu kritisieren sind:
„Dieses Plakat mit seinen heterogenen Forderungen vergisst das Wesentliche einer Demonstration, die vor 55 Jahren ins Leben gerufen wurde: die Verteidigung der Liebe und das Begehren zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. Das Fleischliche und der sexuelle Körper wurden zugunsten einer unverhüllten Verherrlichung der Brutalität aus dem Plakat verbannt. Das ist der neue Puritanismus einer ultralinken Bewegung, die Intersektionalitätstheorien nutzt, um die sexuelle Problematik aufzulösen und fantasielos einen einzigen Feind anzuprangern: die Ultrarechte.“
Das Pariser Plakat ist ein Paradebeispiel für die Überfrachtung, aber auch Inkonsistenz eines Aktivismus, der einen sog. intersektionalen Anspruch formuliert. Mit Intersektionalität will man beschreiben, wie verschiedene Formen von Diskriminierung und Benachteiligung , insbesondere aufgrund von Geschlecht, Rasse, Klasse, sexueller Orientierung und Behinderung, zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken können. „Die Sichtbarkeit […] gilt dabei längst nicht mehr Homosexuellen, sondern allen, die irgendwie als ‚anders‘ gelten“, beschreibt der Historiker Vojin Saša Vukadinović diesen aktuellen queeren Aktivismus im eben erschienenen Jahrbuch Sexualitäten 2025.
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.
Mit Beiträgen von: Dinçer Güçyeter, Till Randolf Amelung, Ioannis Dimopulos, Karl-Heinz Steinle, Alexander Zinn und vielen anderen.
232 S., 26 farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-5917-8
€ 34,00 (D) / € 35,00 (A)
Hijab statt sexuelle Befreiung
Homosexuelles Begehren vermittelt die Bildsprache in der Tat nicht, zumal sich auch die Frage stellt, wie sich sexuell befreite Lust mit der Symbolik des islamischen Hijabs verträgt. Die Verhüllung der Frau, um ihre Reize dem männlichen Blick zu entziehen, ist Pflicht in konservativen und fundamentalistischen Islamauslegungen. Eine selbstbestimmte weibliche Sexualität ist hier nicht vorgesehen.
Die Geschlechterbilder von strenggläubigen MuslimInnen und reaktionärer „White Power“-NationalistInnen liegen nicht weit auseinander. Umso ironischer ist es, dass ausgerechnet die Frau mit Kopftuch das Schild gegen die „reaktionäre Internationale“ hochhält. Während also der ultrarechte Reaktionär europäischen Typs „auf die Fresse“ bekommen darf, steht man mit dem islamischen Pendant angeblich auf derselben Seite der Barrikaden. Dabei sieht es in den Straßen vieler europäischer Städte ohnehin anders aus, weil gerade Schwule und Transfrauen häufig von „als muslimisch gelesenen“ jungen Männern verprügelt werden.
Intersektionaler Fiebertraum
Wie wenig der intersektionale Fiebertraum mit der Realität zu tun hat, zeigt allein schon der Kampf der iranischen Frauen unter dem Schlachtruf „Frau, Leben, Freiheit“ gegen das von den Mullahs aufgezwungene Kopftuch. Und: In zwölf Ländern droht immer noch die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen – neun dieser Länder sind muslimisch. Die Frau mit islamischem Kopftuch in diesem Kontext kritisiert auch der Literaturwissenschaftler Marx:
„Nichts deutet darauf hin, dass diese Person etwas anderes verteidigt als die Sache einer Religion, in deren Namen weltweit Tausende von Homosexuellen gefoltert und massakriert werden.“
Eine Pride-Veranstaltung, der für die realen Verhältnisse das Bewusstsein abhandengekommen ist, verfehlt ihren Daseinszweck.
Doch diese Form der Sensibilität gibt es in der queeren Intersektionale nicht. Das verdeutlich auch der Umstand, dass man mit dem Symbol für Gebärdensprache und dem Gehstock symbolisieren will, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen mitzudenken. Gleichzeitig bezieht man mit der palästinensischen Flagge und dem roten Dreieck eine Position, die jüdische LGBT ausschließt. Seit dem Hamas-Terrormassaker vom 7. Oktober 2023 steht das rote Dreieck für mörderischen Antisemitismus. Hinzu kommt: Während die Palästinaflagge auf einem CSD-Plakat prangt, können LGBT in Gaza oder im Westjordanland nicht offen leben. Wer kann, sucht Schutz in Israel.
Unsichtbare Homosexualität
Viele Reaktionen auf das Pariser Plakat in den Kommentarsektionen beispielsweise in Sozialen Medien zeigen allerdings, dass viele LGBT sich nicht mehr kritiklos alles vorsetzen lassen, was unter dem Buzzword „Intersektionalität“ fabriziert wird. Vor allem an der Verharmlosung des konservativen Islams und seiner Symbole stören sich viele. Möglicherweise spüren immer mehr LGBT das, was William Marx in seiner Kritik an dieser Pride resümiert:
„Indem sie die Frage des Körpers und der Liebe unsichtbar macht, verwirklicht sie objektiv den Traum der Homophoben, denen sie vorgibt, sich zu widersetzen, und spielt letztendlich deren Spiel mit. Das ist die einzige und traurige Annäherung der Kämpfe, die die Organisatoren des Marsches erreicht haben.“
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
USA: Wie Transaktivistas vor dem Supreme Court Roulette spielten – und alles verloren
Ein Urteil des Supreme Court bestätigte nun das 2023 erlassene gesetzliche Verbot zur gender-affirmativen Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Bundesstaat Tennessee als verfassungskonform. Dieses Urteil ist ein schwerer Rückschlag für den Transaktivismus im Besonderen, aber auch für den LGBT-Aktivismus im Allgemeinen. Die Folgen und Ursachen sind tiefgreifend und sollten auch in Deutschland gründlich analysiert werden.
Der Sitz des Supreme Court in Washington, D.C. (Foto von Stephen Talas auf Unsplash).
22. Juni 2025 | Till Randolf Amelung
Vergangenen Mittwochmorgen fiel am Supreme Court in den USA ein bemerkenswertes Urteil: Mit einer richterlichen Mehrheit von 6:3 entschied das höchste Gericht des Landes im Fall „United States v. Skrmetti“, dass das Gesetz zum Verbot von gender-affirmativen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren im US-Bundesstaat Tennessee nicht gegen die Verfassung verstößt. 27 Bundesstaaten in den USA haben mittlerweile solche Einschränkungen vorgenommen und dürften sich durch dieses Urteil bestätigt fühlen, dass diese rechtens sind.
Tennessee verbietet gender-affirmative Eingriffe
Im März 2023 verabschiedete das Repräsentantenhaus von Tennessee eine gesetzliche Regelung, die chirurgische Eingriffe und Hormontherapien für Kinder und Jugendliche mit der Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ verbietet. Das umfasst die Gabe von Pubertätsblockern, Hormontherapien und Operationen. Hingegen wird die Verwendung von Pubertätsblockern und Hormonen aus anderen medizinischen Gründen, insbesondere bei einer vorzeitig einsetzenden Pubertät (Pubertas praecox) nicht durch das Gesetz eingeschränkt.
Gegen die Verabschiedung dieses gesetzlichen Verbots haben sich drei Familien mit Transkindern und ein Arzt aus Memphis, der gender-affirmative Behandlungen anbietet, durch alle Instanzen bis hoch zum Supreme Court geklagt. Unterstützt wurden die KlägerInnen von der American Civil Liberties Union (ACLU), einer ehemals verdienstvollen Organisation für Bürgerrechte in den USA, sowie der ehemaligen US-Regierung unter Joe Biden.
Begründet wurde die Klage damit, dass Tennessee mit diesem gesetzlichen Verbot von gender-affirmativen Eingriffen Menschen diskriminiere, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. Der 14. Zusatzartikel der Verfassung der USA sieht einen gleichwertigen Schutz für alle BürgerInnen vor. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob das Gesetz eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Gleichbehandlungsklausel darstellt und daher einer strengeren gerichtlichen Prüfung unterzogen werden sollte.
Richtermehrheit sieht keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
Die Mehrheit der sechs (konservativen) RichterInnen vertritt den Standpunkt, das gesetzliche Verbot von gender-affirmativen Behandlungen beruhe auf dem Alter und dem medizinischen Grund für die Behandlung und nicht auf dem Geschlecht. Daher liege keine Diskriminierung auf Grundlage des Geschlechts vor. Sonia Sotomayor, eine der drei liberalen RichterInnen und Gegenstimmen, kritisierte diese Einordnung vehement. Die richterliche Mehrheit verschleiere eine geschlechtsspezifische Klassifizierung, damit das Gesetz aus Tennessee einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könne, so ihr Vorwurf. Das Urteil „erlaubt auch, ohne zu überlegen, unsägliches Leid für Transgender-Kinder und die Eltern und Familien, die sie lieben“, sagte Sotomayor weiter.
Dagegen heißt es in der Begründung vom vorsitzenden Richter John Roberts, der die richterliche Mehrheit vertritt:
„Das Gesetz genügt eindeutig der Überprüfung auf rationaler Basis. Tennessee kam zu dem Schluss, dass es unter medizinischen Experten eine anhaltende Debatte über die Risiken und den Nutzen der Verabreichung von Pubertätsblockern und Hormonen zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsidentitätsstörung und Geschlechtsinkongruenz gibt. Das Verbot solcher Behandlungen ist eine direkte Reaktion auf diese Unsicherheit. Wir räumen den Staaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Verabschiedung von Gesetzen in Bereichen ein, in denen medizinische und wissenschaftliche Unsicherheiten herrschen. Jüngste Entwicklungen, die den medizinischen Nutzen von Pubertätsblockern und Hormonen in Frage stellen, unterstreichen die Notwendigkeit einer flexiblen Gesetzgebung in diesem Bereich.“
„Das heutige Urteil ist eine verheerende Niederlage für Transgender-Personen, unsere Familien und alle, denen die Verfassung am Herzen liegt“, bewertete Chase Strangio, Co-Direktor des LGBTQ- und HIV-Projekts der ACLU das Ergebnis. Jonathan Skrmetti, Generalstaatsanwalt von Tennessee, begrüßte hingegen das Urteil und wies Vorwürfe zurück, dass es um Ideologie gehen würde. Er betonte in einer Stellungnahme, dass sich Tennessee bei der gesetzlichen Regelung zum Verbot von gender-affirmativen Eingriffen bei Unter-18-Jährigen streng an der vorliegenden medizinischen Evidenz orientiert habe. Skrmetti verwies dabei auf europäische Staaten wie Großbritannien oder Schweden, die nach Prüfung der Evidenzbasis wieder vom gender-affirmativen Ansatz abgerückt sind.
Kontroverse um gender-affirmative Behandlungen
Wichtige US-amerikanische Fachgesellschaften befürworten das gender-affirmative Behandlungskonzept jedoch. Susan J. Kressly, Präsidentin der American Academy of Pediatrics, sagte in einem Pressestatement zum Urteil:
„Geschlechtsangleichende Behandlung ist medizinisch notwendig, um Geschlechtsdysphorie zu behandeln, und wird durch jahrzehntelange peer-reviewte Forschung, klinische Erfahrung und wissenschaftlichen Konsens gestützt. Allzu oft wird fälschlicherweise angenommen, dass es sich dabei ausschließlich um Operationen und Hormone handelt. Dabei wird diese Behandlung mit Bedacht und unter Einbeziehung von multidisziplinären Teams aus Ärzten, Psychiatern, Familien und vor allem den jungen Menschen selbst durchgeführt. Wenn man den Patienten den Zugang zu dieser Behandlung verweigert, untergräbt man nicht nur ihre Gesundheit und Sicherheit, sondern beraubt sie auch ihrer grundlegenden Menschenwürde.“
Doch der von Kressly behauptete Konsens ist spätestens seit Veröffentlichung des Cass-Reports in Großbritannien zweifelhaft. Hilary Cass, die Leiterin der unabhängigen Untersuchung der ehemals einzigen Ambulanz für genderdysphorische Kinder und Jugendliche in der Londoner Tavistockklinik, arbeitete heraus, dass die angeführten Beweise für Pubertätsblocker und Co. ungenügend sind. Weitaus brisanter ist aber ein anderer Befund: Um dieses Thema hat sich ein toxisches Klima entwickelt, was differenzierte Debatten auch unter MedizinerInnen selbst verunmöglichte.
Manöverkritik in der New York Times
Daher lohnt sich ein weit gefassterer Blick auf die Entwicklungen in den USA, die nicht nur zu gesetzlichen Verboten wie in Tennessee führten, sondern auch die Erfolgssträhne des LGBT-Aktivismus beendeten, dessen Teil der Transaktivismus geworden ist. Die New York Times veröffentlichte eine in diesem Sinne gründliche Analyse ihres Journalisten Nicholas Confessore. Er beschreibt darin Entwicklungen, die auch für Deutschland relevant sind, insbesondere die konzeptionellen Prämissen, vor denen der Trans-Aktivismus betrieben wird. Daher sei dieser Text allen wärmstens ans Herz gelegt, die um tieferes Verständnis der Probleme ringen und nicht nur auf Donald Trumps MAGA-Republikaner schimpfen wollen.
Confessores Artikel skizziert die wichtigsten Erfolge der jüngeren Vergangenheit für die LGBT-Bewegung in den USA und worauf sie gründen:
„Sie hat ihre Botschaft so zugeschnitten, dass sie ein skeptisches Publikum erreicht, und darauf geachtet, nahe an der Spitze der sich wandelnden öffentlichen Stimmung zu reiten, und hat schrittweise rechtliche und regulatorische Siege errungen, die letztendlich einen tiefgreifenden sozialen Wandel ausgelöst haben. Anfang der 2010er Jahre erhielten Homosexuelle das Recht, zu heiraten und zusammen mit Transsexuellen offen im Militär zu dienen. Die Bewegung besiegte ‚Toilettengesetze‘, die sich gegen Transmenschen in Staaten wie North Carolina und Texas richteten, und überzeugte sogar einige Republikaner, dass solche Maßnahmen unnötig und grausam waren. Erst vor fünf Jahren entschied der Oberste Gerichtshof, dass Angestellte nicht entlassen werden können, weil sie schwul oder transsexuell sind.“
Verfassungsmäßiges Recht auf gender-affirmative Behandlung?
Doch bei der affirmativen Behandlung von Kindern und Jugendlichen geht es Confessore zufolge um die im Vergleich weitaus brisantere Frage, ob diese ein verfassungsmäßiges Recht auf Behandlungen haben, die ihre körperliche Entwicklung aufhalten und umlenken. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich als „Trans“ identifizieren nahezu verdoppelt. Es gibt Schätzungen, nach denen aktuell etwa drei Prozent der amerikanischen Highschool-SchülerInnen dazugehören. Ein kleiner, aber wachsender Teil dieser jungen Menschen strebte wegen dieser Geschlechtsdysphorie medizinische Behandlungen an, die zunächst Pubertätsblocker, danach Geschlechtshormone und schließlich Operationen umfassen können.
Für viele ÄrztInnen, die diese junge Patientengruppe betreuten, und LGBT-AktivistInnen waren diese Behandlungen nicht nur unumstritten und eine Innovation, die mehr Trans-Menschen einen Weg zum Glück versprach, sondern sie wurden zum Menschenrecht erhoben. Innerhalb des ersten Jahrzehnts der 2000er-Jahre wurde der gender-affirmative Ansatz von den Niederlanden in die USA exportiert und verbreitete sich dort sukzessive. Doch dabei gab es bedeutsame Modifikationen: während die niederländischen PionierInnen noch eine sorgfältige psychiatrische Anamnese und eine therapeutische Begleitung zur Bedingung machten, dominierte von den USA ausgehend ab 2016 die Auffassung, dass eine solche Vorsicht „Gatekeeping“ sei und die Selbstbestimmung des jungen Menschen unangemessen einschränke.
Patientenprofil verändert sich
Doch zum Zeitpunkt, als sich diese Auffassung unter MedizinerInnen mit Schwerpunkt auf geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen verbreitete, verzeichneten sie weltweit einen starken Anstieg der Zahl der jugendlichen PatientInnen, von denen die meisten biologisch weiblich waren. Bei der Mehrzahl von ihnen begannen die Probleme mit dem biologischen Geschlecht erst im frühen Teenageralter, nach den ersten körperlichen Anzeichen der Pubertät. Zudem hatte eine überproportionale Anzahl dieser neuen Patientinnengruppe andere psychische Erkrankungen, wie Depressionen, Magersucht oder auch Anzeichen von Autismus oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ebenso kann eine krisenhafte homosexuelle Entwicklung Geschlechtsdysphorie auslösen.
Unter normalen Umständen würde eine solche Veränderung im Patientenprofil für ein breites Aufhorchen und mehr Vorsicht sorgen, doch im Fall des gender-affirmativen Ansatzes passierte genau das Gegenteil, und dies lag auch an veränderten Konzepten von Geschlecht, auf die Confessore in seiner Analyse ebenfalls eingeht. Zunehmend verbreiteten sich auf die Queer-Theoretikerin Judith Butler zurückgehende Ideen, nach denen das biologische Geschlecht keine objektive naturwissenschaftliche Tatsache sei, sondern gesellschaftliche Konstruktion. Damit ist gemeint, dass alles Sprechen über Geschlecht schon immer sozial und epistemisch überformt sei, und damit auch Geschlecht als objektiv feststellbare Realität in Zweifel gezogen wird. Vielmehr wird in dieser Denkart aus dem biologischen Geschlecht eine Norm, die überwunden werden müsse.
Self-ID als Dogma im Transaktivismus
In Aktivistenkreisen wurde daran anknüpfend ein Konzept populär, das als „Self-ID“ bezeichnet wird und die Geschlechtsidentität unabhängig von der körperlichen Realität sieht. Dazu argumentierten Transaktivistas, dass alle Menschen das Recht hätten, ihr eigenes Geschlecht zu bestimmen, egal wie sie sich kleiden oder ob sie sich für medizinische Eingriffe entscheiden, die bei der Verwirklichung dieser Identität unterstützen. Ihr selbst identifiziertes Geschlecht unabhängig von äußerer Erscheinung sollte bestimmen, was auf ihrem Ausweis steht und welche Toiletten sie benutzen können. Aber auch, welche medizinische Eingriffe gewünscht sind. Hier knüpft die Vorstellung an, dass jede Frage, ob die gewünschten Eingriffe wie Hormontherapien und Operationen wirklich im besten Interesse des Individuums sind, als „Gatekeeping“ tabuisiert wurde und nach wie vor wird.
Dabei sind die zuvor skizzierten Zusammenhänge zwischen Geschlechtsdysphorie und psychischen Erkrankungen oder auch mit einem späteren lesbischen oder schwulen Coming-out wissenschaftlich gut belegt. Ebenso, dass bei über 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Geschlechtsdysphorie ohne Eingriffe mit Pubertätsblockern und Ähnlichem sich im weiteren Pubertätsverlauf wieder abmildert oder gar ganz verschwindet. Auch eine Auswertung von Krankenversichertendaten in Deutschland zeigte, dass Geschlechtsdysphorie bei vielen Minderjährigen nicht dauerhaft ist. Wer dies als Kritik am affirmativen Modell anbringt, wird als „transphob“ verdammt. Einige Aktivistas geifern sich gar regelmäßig ins Delirium und bezichtigen alle KritikerInnen, einen „Genozid“ an Transpersonen verüben zu wollen.
Das aktivistische Konzept von Geschlecht sowie Self-ID in allen Altersstufen zwingt MedizinerInnen und PsychotherapeutInnen, solche Fakten zu ignorieren. Für Großbritannien hat diese Entwicklungen die Journalistin Hannah Barnes in ihrem lesenswerten Buch „Time to think“ nachgezeichnet. Darin bringt es eine Psychotherapeutin auf den Punkt, die sagte, sie habe während ihrer Tätigkeit in der Gender-Ambulanz der Tavistockklinik alles vergessen müssen, was sie während ihrer Ausbildung und ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit über kindliche und adoleszente Entwicklung gelernt hat.
Geschädigte Detransitionierer
So kam es, wie es kommen musste: Wenn in der Medizin Aktivismus und nicht Wissenschaft das Handeln leitet, erscheinen alsbald Menschen auf der Bildfläche, die über vermeidbare Schädigungen klagen. So geschah es vermehrt in den letzten fünf Jahren – auch in den USA. Mehrere junge Frauen suchten die Öffentlichkeit, um über zu vorschnell eingeleitete medizinische Behandlungen im Rahmen einer Geschlechtsangleichung zu klagen. Damit verbunden war der Wunsch weitmöglicher Rücknahme dieser Veränderung und der Rückkehr in die sozial weibliche Rolle. Inzwischen beschreiten einige dieser Frauen den Rechtsweg.
International reagierten 2020 ÄrztInnen in Finnland als erste auf die sich auch dort vollziehende Veränderung im Patientenprofil und kamen nach gründlicher Überprüfung zum Schluss, dass geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche wieder klassische Psychotherapie als erste Intervention und nicht Pubertätsblocker bekommen sollten. Danach folgten Schweden und Großbritannien. In Großbritannien brachte Detransitioniererin Keira Bell mit ihrem Prozess 2020 den Stein ins Rollen. Vor dem US-amerikanischen Supreme Court kam in der mündlichen Anhörung all dies auch zur Sprache.
Verzockt vor dem Supreme Court
Laut New York Times-Rechercheur und -Autor Confessore sehen einige erfahrene LGBT-AktivistInnen den Fall „United States v. Skrmetti“ als Glücksspiel mit tragischem Ende, da es auf fehlerhafter Politik und unsicherer Wissenschaft beruht. In den letzten zehn Jahren sei die LGBT-Bewegung von Theorien über Geschlecht vereinnahmt worden, die die meisten Wähler weder verstanden noch unterstützten. Die Bewegung radikalisierte außerdem ihre Politik gerade in dem Moment, als die Kulturkriege wieder aufflammten und der Oberste Gerichtshof begann, sich weiter nach rechts zu bewegen. Und erhielt zunehmend Gegenwind durch Berichte über Transfrauen bzw. -mädchen im Frauensport. Bei Kindern, so muss die aktuelle rechtspolitische Lage (nicht nur) in den USA zusammengefasst werden, hört trotz aller grundsätzlichen Toleranz „Trans“ gegenüber der Spaß auf. Ergebnisse einer Umfrage der New York Times zum Amtsantritt Donald Trumps belegen das eindeutig.
Während sich „United States v. Skrmetti“ und andere Klagen ihren Weg durch die gerichtlichen Instanzen bahnten, gerieten einige der zentralen medizinischen Behauptungen, die für pädiatrische Geschlechtsangleichungen sprechen sollten, unter der verstärkten Prüfung der Evidenz durch andere ÄrztInnen ins Wanken.
Nun stehen LGBT-AktivistInnen und unter ihnen zuvörderst die Transaktivistas in den USA vor einem Scherbenhaufen. Doch auch in Deutschland könnte der affirmativen Behandlung von Minderjährigen ein ähnliches Schicksal drohen, denn sie beruht hier wie in den USA auf den gleichen Prämissen. In den USA kann man sehen was passiert, wenn der Staat als Kavallerie einreiten muss, weil die Selbstreinigungseffekte auf einem medizinischen Feld defekt sind. Hiesige LGBT-Aktivistas sollten sich sehr gut überlegen, ob sie es so weit kommen lassen wollen.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
CSD Berlin 2025: Queere Sichtbarkeit braucht Sicherheit anstatt Symbole auf dem Reichstag
Erstmals vor drei Jahren wurde, wie viele andere öffentliche Gebäude auch, das Reichstagsgebäude zum CSD Berlin mit der Regenbogenfahne beflaggt. Nun hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) diese Beflaggung auf den Aktionstag des IDAHOBIT am 17. Mai beschränkt. Das ist auch richtig so, denn der Staat sollte sich nicht Symbole politischer Demonstrationen zu eigen machen. Außerdem ist es angesichts der zunehmenden Bedrohung von Queers durch Rechtsextremismus und Islamismus wichtiger, dass der Staat nicht nur flaggt, sondern für unsere Sicherheit sorgt.
Regenbogenflaggen: Künftig nur noch vor und nicht mehr an den offiziellen Fahnenmasten des Reichstaggebäudes (Foto von Evžen Afanasenko auf Unsplash).
16. Juni 2025 | Till Randolf Amelung
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat entschieden, dass die Regenbogenflagge am Reichstaggebäude künftig nur noch zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie gehisst werden soll, nicht aber zum CSD in Berlin. In einer dazu herausgegebenen Pressemitteilung heißt es:
„Am 17. Mai werde ich in diesem Jahr auch auf dem Reichstagsgebäude neben der Bundesflagge und der Europaflagge die Regenbogenfahne wehen lassen. Ich habe zudem entschieden, dass dies der einzige Anlass sein wird und eine entsprechende Beflaggung sich nicht auch auf den Christopher-Street-Day erstreckt, der als Tag der Versammlung, des Protests und der Feier von seiner kraftvollen Präsenz auf den Straßen lebt. An diesem Tag wird die Regenbogenflagge zurecht auf vielfältige Weise durch die Menschen selbst getragen und verbreitet, nicht durch die Institution Bundestag.“
CSD ist politische Demo
Für die Schriftstellerin Ronya Othmann kommt diese Entscheidung zu einem falschen Zeitpunkt, denn unter dem Eindruck eines weltweit rollenden Backlash benötigt die queere Community Unterstützung, wie sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisierte.
Dabei ist Klöckners Entscheidung richtig, denn der CSD ist vor allem im Selbstverständnis der OrganisatorInnen und queeren AktivistInnen eine politische Demonstration. Der deutsche Staat sollte sich im Sinne der Neutralität nicht mit solchen Demonstrationen durch das Zeigen der Symbole gemein machen. Deshalb ist auch die Absage einer Fußgruppe der Verwaltung des Deutschen Bundestags richtig. MitarbeiterInnen der Verwaltung können selbstverständlich weiterhin als Privatpersonen am CSD teilnehmen.
Ohnehin sollte es weniger darum gehen, Symbole an staatliche Fahnenmasten zu bringen, sondern zu eruieren, was LGBTIQ vom Staat tatsächlich brauchen. Zumal man auch ehrlicherweise zugeben muss, dass andere gesellschaftliche Gruppen ebenso politischer Aufmerksamkeit bedürfen, diese aber nicht das Glück haben, bunte Stoffkreationen für die PR zu liefern. Es sei denn, es gibt inzwischen auch Prideflaggen für Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Obdachlose oder andere, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Sicherheit hat Priorität
Für LGBTIQ haben derzeit Sicherheitsfragen höhere Priorität als reine Symbolpolitik. CSD-Veranstaltungen werden inzwischen regelmäßig von Rechtsextremen bedroht. Laut queer.de haben am vergangenen Samstag knapp 90 Neonazis gegen den CSD in Pforzheim demonstriert. Im Vorfeld des CSD in Werningerode wurde ein Mann verhaftet, der einen Anschlag angedroht hatte.
Doch nicht nur Rechtsextreme gefährden die queere Sicherheit. Eine weitere Bedrohung geht von islamistischen Kreisen aus. Ende Mai wurde ein Fall eines schwulen Lehrers bekannt, der an einer Berliner Grundschule arbeitete und nach seinem Coming-out vor allem von muslimischen SchülerInnen bedroht wurde. Die Bedrohungslage von queeren Menschen durch rechtsextremistische und islamistische Gruppen bestätigte auch der jüngste Bericht des Berliner Verfassungsschutzes.
Wenn der Staat also wirklich etwas für LGBTIQ in Deutschland tun will, dann sollte bei der Sicherheit begonnen werden. Ein buntes Tüchlein am Fahnenmast ist „nice to have“, aber sorgt nicht aus sich selbst heraus dafür, dass TeilnehmerInnen an CSD-Demos diese ohne Schaden besuchen können. In Sachen Vielfalt ist es allzu oft so: Wenn es mehr kostet als eine bunte Fahne an einem Mast oder einen Sprachleitfaden, dann lässt die Bereitschaft seitens der Politik dafür erheblich nach. Seien wir also nicht zu billig und fordern die wirklich relevanten Dinge ein! Denn Sichtbarkeit braucht erstmal Sicherheit.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Neues Portal #transjugend – ein Safe Space vor kritischen Informationen
Mit dem neuen Portal #transjugend will sich der Bundesverband Trans* an Jugendliche und junge Erwachsene wenden, ihnen Informationen rund um das Thema Trans bieten. Doch dieses neue Informationsangebot ist sehr einseitig trans-affirmativ, wie KritikerInnen bemängeln. Was ist von der Website also zu halten?
Die Startseite des neuen Onlineportals #transjugend (Foto: Eigener Screenshot).
14. Juni 2025 | Till Randolf Amelung
Pünktlich zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) hat der Bundesverband Trans* (BVT*) sein neues Internetportal #transjugend gelauncht, das heißt, öffentlich zur Präsentation gebracht. Dieses Portal ist Teil des Projekts „Trans* – Ja und?!“, mit dem sich der BVT* an junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren wenden will.
In der Pressemitteilung zum Launch erklärt Mari Günther, BVT*-Referentin für Beratung, die Ziele des neuen Portals: „Jugendliche finden im Internet viele Informationen zu Trans*geschlechtlichkeit und Nichtbinarität, können aber deren Qualität nicht so leicht einschätzen. Es ist daher wichtig, dass es Informationsportale wie das von Trans* – ja und?! bereitgestellte gibt, das nicht nur korrekte, sondern auch empowernde und nichtpathologisierende Inhalte bietet, die zudem zielgruppengerecht aufbereitet sind.”
Gestiegene Informationsnachfrage zu Transgeschlechtlichkeit
In den vergangenen zehn Jahren ist die Nachfrage nach Informationen zum Transsein in der Tat gestiegen, gerade auch unter jungen Menschen. Zugleich wird international kaum ein Thema so kontrovers diskutiert, wie Transitionen von Kindern und Jugendlichen. Wesentliche Gründe dafür sind, dass immer mehr Minderjährige einen Geschlechtswechsel anstreben, unter ihnen auffällig viele biologisch weibliche Teenager sowie solche mit komplexen Vorerkrankungen und anderen entwicklungserschwerenden Umständen.
Wenn es nach Transaktivistas geht, sollen all diese Kinder und Jugendlichen unterschiedslos in ihrer geäußerten Geschlechtsidentität bestätigt, das heißt affirmiert werden. Fragen, was vielleicht sonst noch hinter dem Wunsch nach einer Transition stecken könnte, sind tabu. Dabei weiß man aus der Forschung, dass sich bei über 80 Prozent der Mädchen und Jungen, die sich mit ihren biologischen Geschlechtsmerkmalen unwohl fühlen, dieses Gefühl im weiteren Verlauf der Pubertätsentwicklung wieder abmildert oder dass es gar verschwindet.
Einige Mikrolabel, zum Beispiel „Demisexuell“, „Achillean“. „Queer“ ist wohl ein Makrolabel (Foto: Eigener Screenshot).
Gender-affirmativer Ansatz steht in der Kritik
Im Ausland zeigten verschiedene Untersuchungen, die gründlichste wurde in Großbritannien mit dem Cass-Report vorgelegt, dass mit einer unmittelbaren Affirmation viele Probleme dieser Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend adressiert werden. Vielmehr laufen sie sogar Gefahr, durch irreversible Maßnahmen wie Pubertätsblockade, Hormonbehandlungen und Operationen unnötigerweise körperlich geschädigt zu werden.
Weltweit ändern – oder erwägen dies – immer mehr Länder ihre Behandlungsleitlinien und setzen wieder Psychotherapie an erste Stelle, anstatt schnell medikamentöse Maßnahmen einzuleiten. In Dänemark warnt nun gar eine Autismus-Vereinigung öffentlich, dass beim affirmativen Ansatz viele autistische Kinder und Jugendliche unter die Räder kommen, weil sie irreversible Behandlungen erhalten, deren Folgen sie nicht für sich einschätzen können. Gerade Kinder mit Autismus sind aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen ihrer neurologischen Verfassung besonders anfällig, ihre daraus resultierenden sozialen Probleme und körperlichen Wahrnehmungen mit Transsein zu erklären.
In Australien gibt es nun ein familiengerichtliches Urteil gegen eine affirmative Behandlung eines zwölfjährigen Jungen, obwohl die Gesetze des Bundesstaates Victoria das Verhindern einer gender-affirmativen Behandlung als Konversionstherapie ansehen und verbieten.
Bietet das #transjugend-Portal seriöse Inhalte?
Wie geht nun also das neue Portal des Bundesverbands Trans* das Thema an? Bietet es differenzierte und qualitativ hochwertige Inhalte für die Zielgruppe, die der Komplexität eines Unwohlseins mit dem Geschlecht gerecht wird? Schon der erste Eindruck lässt daran Zweifel aufkommen, denn die Inhalte wirken sehr trans-affirmativ. Zur Begrüßung heißt es:
„Bist du jung und trans*? Weißt du das vielleicht selber nicht so genau? Hast du Fragen zu Labels, Pronomen oder Transition? Denkst du über ein Coming-out nach, aber weißt nicht so richtig, wie? Dann bist du hier genau richtig! Auf dem #transjugend-Portal findest du Infos zu trans* und nichtbinären Themen. Außerdem gibt es Erfahrungsberichte von anderen trans* Leuten, praktische Tipps, bestärkende Übungen und eine Sammlung von Angeboten in deiner Nähe.“
IQN schickte den Link zum Portal zusammen mit einigen Fragen an profilierte KritikerInnen der gender-affirmativen Praxis. Die Elterninitiative Trans Teens Sorge berechtigt antwortete auf die Frage, welchen Eindruck sie von dem neuen Onlineangebot haben:
„Die neue Website soll offensichtlich für die Identifikation als trans* und non-binär werben. Die Startseite der neuen Website trans-jugend.de empfängt Jugendliche mit kurzen und einfachen Texten, die genau die Stichworte enthalten, nach denen Jugendliche suchen könnten, die Unsicherheiten oder Probleme bezüglich ihres Geschlechts bzw. Genders haben, aber auch einfach mit der Pubertät und dem Erwachsenwerden hadern.“
Das bestätigt auch Faika El-Nagashi, lesbische Aktivistin und ehemalige Nationalratsabgeordnete für die österreichischen Grünen gegenüber IQN:
„Was mir insgesamt auffällt, ist, dass die Seite in ihrem Auftritt – in der Bildsprache, Ästhetik, der visuellen Gestaltung – eine Welt für sich schafft, in die die Jugendlichen eintauchen (können). Die Website ist in ‚Zuckerlfarben‘ gehalten und suggeriert Sanftheit, Geborgenheit, emotionale Wärme. Das trägt aber auch zu einer Entschärfung aller potenziell schwierigen Themen bei.“
Eine Meerjungfrau – ein beliebtes Symbol in der Transcommunity. (Foto: Eigener Screenshot)
Selbsttest als zentrales Element
Das zentrale Element der #transjugend-Website ist der Selbsttest „Bin ich trans*?“, der aus 13 Fragen mit jeweils vorgegebenen Antwortmöglichkeiten besteht. Susanne Bischoff, Sport- und Bewegungstherapeutin und seit den 1980er Jahren in der autonomen Frauen- und Lesbenszene engagiert, kritisiert die Inhalte dieses Tests scharf:
„Das ganze Portal manipuliert in jeder Fragestellung und der engen Antwortwahl als auch durch eingeschleuste Zwischenworte. Die Fragen haben selbst für mich als 70-Jährige einen erschreckenden Charakter, den ich so massiv nur aus religiösen Sekten kenne. Eigentlich kann eine, die sich nicht als ‚trans‘ identifiziert, kaum anders, als sich nicht doch ein wenig schuldig zu fühlen, es nicht doch vielleicht irgendwo ein bisschen sein zu können. Wie geht es dann erst der eigentlichen Zielgruppe, wie geht es Mädchen, die sich fragen, ob sie lesbisch sind, und dann kommt das ‚erleichternde Angebot‘, trans sein zu können?“
El-Nagashi hält einen Onlinetest wie diesen für ungeeignet, um Fragen der geschlechtlichen Identität zu klären:
„Die Fragen beziehen sich zum Teil auf Stereotype (Kleidung, Frisur, Freundeskreis) und klammern alle anderen Bereiche (mentale Gesundheit, familiären Kontext, schulische Situation/Belastungen oder sexuelle Orientierung) als Faktoren aus.“
Startseite vom Selbsttest „Bin ich trans*?“ (Foto: Eigener Screenshot).
Trans Teens Sorge berechtigt bewertet den Selbsttest so:
„Dabei hatten wir den Eindruck, dass allein die Auswahlmöglichkeiten Jugendliche sehr leicht verunsichern können oder vielleicht auch sollen. Egal wie angekreuzt wird, es läuft immer darauf hinaus, Jugendliche mehr für die Themen Trans*- und Non-binär-Sein zu interessieren, sie auf der Website zu halten.“
Die Sporttherapeutin Bischoff hat das #transjugend-Portal und den Test probeweise zwei Schülerinnen vorgelegt, die sie aus ihrer pädagogischen Arbeit kennt. Beide fallen mit 16 und 20 Jahren altersmäßig in die Zielgruppe der Jugendarbeit des Bundesverbands Trans*. Und beide fühlten sich mit dem Test in die Trans*-Richtung geschoben, wie sie berichten.
„Im Allgemeinen kann ich sagen, dass diese Umfrage/dieser Test bei der Wahl der Worte sehr, man kann schon sagen, hinterhältig ist. Damit meine ich, dass Worte wie zum Beispiel ‚wahrscheinlich‘ oder ‚vielleicht‘ in die Antworten eingebaut worden sind und somit abgeschwächt und nicht mehr aussagekräftig sind. Außerdem hatte ich große Probleme dabei, manche Fragen zu beantworten, da sie schon so formuliert waren, dass man davon ausging, dass man transgender ist. Und wenn sie dann mal nicht mit der Voreinstellung formuliert waren, dann waren die Antworten so formuliert, als könnten sie entweder eine unsichere Transperson oder eine ‚Cis‘person gegeben haben. Ein Themenfeld war die Kleidung. Meiner Meinung nach ist das alles nur ein Problem der Gesellschaft und ihrer Stereotype. Als Frau/Mädchen kann man sehr wohl ‚männliche‘ Kleidung tragen und auch andersherum. Und sowieso, der Kleidungsstil ist nie vom Geschlecht abhängig; also kann jede/r alles tragen. Da ich mit dem kritischen Aspekt an dieser Umfrage/diesem Test teilgenommen habe, sind meine Antworten an der einen oder anderen Stelle anders ausgefallen, als wenn ich mich ohne Filter durchgeklickt hätte. Und ich denke, dass mir dieser Test sicherlich resümierende Texte gezeigt hätte, die darauf hinweisen würden, dass ich transgender/ non-binary bin, wenn ich ohne diesen Filter dort rangegangen wäre. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass ich ein Mädchen bin.“
Carla*
(*Name geändert), 16 Jahre, 10. Klasse Gymnasium
„Ich hatte keine Motivation, den Fragebogen bis zum Ende durchzugehen, etwa drei Viertel geschafft. Bei fast allen Fragen fühlte ich mich in eine Ecke gedrückt – immer wieder kam ein Wink mit dem Zaunpfahl, ob ich nicht vielleicht doch trans sei. Ich fühle mich klar als Frau und habe die Antworten auch so eingegeben, trotzdem kamen ‚Hinweise‘, ob ich nicht doch vielleicht … Ich fand, das Thema wird verharmlost, so als wenn man mit ‚trans‘ mal so ein bisschen rumprobieren könne. Gegengeschlechtliche Kleidung und trans haben doch gar nichts miteinander zu tun. Außerdem gab es bei einigen Fragen, wo ich ehrlicherweise keine Antwort hätte geben können, überhaupt keine andere Möglichkeit, als Richtung trans oder non-binär anzukreuzen.“
Marla*
(*Name geändert), 20 Jahre, 10. Klasse Gymnasium
Risiken medizinischer Maßnahmen bleiben unerwähnt
Doch nicht nur der Selbsttest ist kritikwürdig, auch sonst fehlen viele wichtige Aspekte rund um das Thema Transsein oder Unzufriedenheit mit dem Geschlecht beziehungsweise wird in einer unangemessenen Weise verharmlost. Faika El-Nagashi dazu:
„Die gezeigten Körper (und Personen) sind Fantasiefiguren und Fabelwesen, zum Teil mit Flügeln ausgestattet oder als Meerjungfrau/-mann, die zum Träumen einladen und den Realitätsbezug hintenanstellen. Die Identitätssuche wird so zu einer Fantasiereise. Ich konnte keine Hinweise darauf finden, was schiefgehen kann z.B. bei der Einnahme von Hormonen oder bei Operationen.“
Im Glossar werden Pubertätsblocker zudem als „Pausetaste“ verharmlost, auf Risiken und Nebenwirkungen wird erst gar nicht hingewiesen.
P wie „Pubertätsblocker“ im Glossar (Foto: Eigener Screenshot).
„Gerade gender-nichtkonforme Jugendliche oder lesbische/schwule Jugendliche werden sich in vielen Themen und Berichten wiederfinden, ohne allerdings eine Affirmation dahingehend zu erhalten, dass sie schlichtweg homosexuell oder individuell ausdrucksstark sein können“, so die österreichische Aktivistin weiter.
Die Elterninitiative Trans Teens Sorge berechtigt bestätigt dies:
„Mögliche Nachteile oder Komplikationen mit der sozialen, rechtlichen oder medizinischen Transition kommen nicht vor, gibt es anscheinend nicht. Alles ist weitestgehend wählbar. Wörter wie ‚Zweifel‘ oder ‚Bedenken‘ kommen nur selten vor, um gleich wieder normalisiert zu werden.“
Das deutsche Bundesfamilienministerium, welches dieses Projekt über Mittel aus dem Programm „Demokratie leben“ finanziert, sieht offenbar kein Problem in der inhaltlichen Ausrichtung des Portals. Auf Nachfrage von IQN antwortete dessen Sprecher:
„Die konkrete Ausgestaltung der Plattform liegt in der Verantwortung des Zuwendungsempfängers. Gestatten Sie in diesem Zusammenhang den Hinweis, dass die Plattform als Erstanlaufstelle für Ratsuchende dient. Anlaufstellen für die weiterführende sowie detaillierte persönliche Beratung sind auf der Website aufgeführt.“
Weder Trans Teens Sorge berechtigt noch El-Nagashi und Bischoff würden das Portal allerdings aufgrund der ideologischen Schlagseite informations- und ratsuchenden jungen Menschen sowie deren Eltern empfehlen. „Die Website trans-jugend.de folgt eindeutig und streng dem Affirmation-only-Trend, obwohl dieser international tendenziell abkühlt. Die Abkehr einiger europäischer Nachbarländer von diesem Trend aufgrund der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse findet nirgends auf dieser Website einen Niederschlag“, stellt die Elterninitiative fest.
Ein unsicheres Phantasiewesen (Foto: Eigener Screenshot).
Dabei sind dem Bundesfamilienministerium diese Entwicklungen ebenfalls bekannt, wie sein Sprecher auf Nachfrage bestätigte. Auf die Frage, wie das Ministerium zukünftig mit sensiblen und komplexen Themen wie Geschlechtsdysphorie umgehen wolle, antwortete dieser: „Das Bundesfamilienministerium widmet sich von jeher und auch zukünftig sämtlichen Themen und Fragestellungen, die im Zuständigkeitsbereich des Hauses liegen, mit größter Aufmerksamkeit und Sorgfalt.“
Die Gestaltung des aus Bundesmitteln geförderten #transjugend-Portals lässt daran Zweifel aufkommen. Dabei würden alle befragten KritikerInnen gute und differenzierte Informationsangebote für Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie sehr begrüßen. Faika El-Nagashi formuliert ihre Erwartungen an ein gutes Angebot folgendermaßen: „Ergebnisoffene Unterstützung statt Aktivismus. Geschlechtsdysphorie nicht gleichbedeutend mit Selbstverwirklichung verstehen. Risiken deutlich benennen. Die ästhetische Rhetorik an die Realität anlehnen.“
Susanne Bischoff wünscht sich:
„Eine Rückkehr zu fortschrittlichen Konzepten der 1980er bis 1990er Jahre. Trans und non-binär ist in der derzeitigen Überschüttung eine Ablenkung von gesellschaftlichen Fragestellungen und führt letztlich zur narzisstischen Überhöhung mit stark depressivem Anteil. Das kann für einen demokratischen Staat kein Ziel sein an Überindividualisierung.“ Die Sporttherapeutin weiter: „Das Thema ‚trans‘ verhindert in vielerlei Hinsicht Emanzipation und arbeitet damit nicht nur der Pharmaindustrie im entfesselten Kapitalismus regelrecht in die Arme.“
Die Elterninitiative weist darauf hin, dass es differenziertere Informationsangebote bei Jugendlichen schwer haben: „Wir wissen aus Erfahrung, dass selbst die intelligentesten und wenig durch Komorbiditäten belasteten Teenager Informationen zur Transition wie Studien, Filme, sonstige Medien, die nicht umfänglich bestätigend sind, schnell für sich ablehnen.“
Ersatz für das Regenbogenportal
Hinterfragenswert ist, welche Lücke dieses Angebot schließen soll, wie auch Trans Teens Sorge berechtigt äußert: „Warum braucht es noch eine weitere öffentlich geförderte trans-affirmative Website für diese Zielgruppe der genderunsicheren Jugendlichen, während ausgewogene, realistische und faktenbasierte Informationen zu trans* im Web Mangelware sind?“
Es ist gut möglich, dass das Portal #transjugend in nicht allzu ferner Zeit denselben Weg nimmt wie das ebenfalls vom Bundesfamilienministerium geförderte Regenbogenportal. Dies war als umfassendes Informationsportal zu LGBTIQ gedacht und dann aber sehr trans-fokussiert und darin affirmativ geraten. Dieses Onlineangebot geriet besonders 2022 in die Kritik, als die heutige Bundestagspräsidentin und CDU-Abgeordnete Julia Klöckner stark verharmlosende Darstellungen von Pubertätsblockern im Kurznachrichtendienst X angeprangert hatte.
Im November 2024 wurde das Portal plötzlich sehr kurzfristig aus dem Netz genommen, mit der Begründung, es müssten für einen Weiterbetrieb umfassende Überarbeitungen vorgenommen werden und es gäbe inzwischen ein breiteres Informationsangebot, womit das steuergeldlich finanzierte Regenbogenportal überflüssig geworden sei.
Vermutlich wurde dem Familienministerium die direkte redaktionelle Verantwortung eines solchen informationell sehr einseitig gestalteten Portals politisch zu heikel. Nun gibt man jemand anderem das Geld, aber das Ergebnis ist kein besseres. Staatlich geförderte Aufklärungs- und Informationsangebote für Minderjährige sollten differenziert, evidenzbasiert und objektiv gestaltet sein. Weder das Regenbogenportal noch die neue Website #transjugend werden einem solchen Anspruch gerecht.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Sex, Hundemasken und Kinder: Warum Kink auf der Pride nicht politisch, sondern problematisch ist
Pünktlich zur Pride-Saison gibt es immer wieder Streit, ob und wie Kink in den CSD-Demos sichtbar sein sollte oder darf. Vor allem, wenn Kinder anwesend sind. Am 3. Juni erschien online im Berliner Stadtmagazin Siegessäule der Kommentar „Lack, Leder, lächerliche Empörung – Puppys sind keine Gefahr für Kinder!“ von Jeff Mannes. Unser Gastautor William Black erläutert, warum er das anders sieht.
Jeden Sommer entfacht sie aufs Neue hitzige Debatten: die Frage, ob Fetischdarstellungen auf CSDs – insbesondere in Gegenwart von Kindern – Ausdruck sexueller Befreiung oder bedenklicher Grenzverschiebung sind. Was einige als sichtbaren Protest feiern, empfinden andere als ideologisierte Enthemmung. Die Kontroverse um Kink auf der Pride ist längst zum Lackmustest innergemeinschaftlicher Bruchlinien geworden.
Dabei berührt die Debatte zentrale Konflikte der schwullesbischen Emanzipationsgeschichte: Die Fetischierbarkeit der Körper nicht-heteronormativ begehrender Menschen war stets ambivalent – kriminalisiert, zugleich begehrt. Heute prallen Sichtbarkeit und Verantwortung, Lust und Schutz, Befreiung und politische Reife schmerzhaft aufeinander.
Zugleich zeigt sich ein paradoxer Effekt: Das uneingeschränkte Affirmieren sexueller Entgrenzung wird zunehmend zum moralischen Purity-Test. Zustimmung wird zur Loyalitätsbekundung, Kritik zur verdächtigen Normativität – ein Mechanismus, der im angelsächsischen Raum längst als „woke purity culture“ beschrieben wird.
„Kink“ – ein Wort, das im queeraktivistischen Diskurs längst umgedeutet wurde: von der klaren Definition ungewöhnlicher, teils extremer sexueller Praktiken hin zu einer politischen Chiffre. Kink gilt nun als nicht-immer-sexuell, kann therapeutische Funktionen übernehmen oder abstrakte Motive wie Entspannung, Gemeinschaft oder spielerische Selbstfindung beinhalten.
Doch all das geschieht in einem kulturellen Klima, das nicht nur emanzipatorisch, sondern auch marktlogisch funktioniert: Die permanente Reizung, das Sichtbar-Machen um jeden Preis, die Zurschaustellung des Begehrens folgt oft weniger einem Bedürfnis nach Freiheit als den Regeln eines neoliberalen Spektakels – immer spektakulärer, immer enthemmter, immer konsumierbarer. Was als Sichtbarkeit verkauft wird, ist nicht selten die Ästhetisierung der Reizüberflutung.
Eine häufig zitierte Studie von Darren Langdridge und Jamie Lawson (The Psychology of Puppy Play, 2019), die in queeren Kreisen vielfach rezipiert wurde, hat diese Perspektive wissenschaftlich unterfüttert – und dient seither als eine Art Legitimationsgrundlage, um die Praxis von Kink auch im öffentlichen Raum zu enttabuisieren.
Was auf der Pride zu sehen ist, sei nur Verkleidung. Kinder würden das ohnehin nicht als Sexualität erkennen. Und wer widerspricht, gilt als verklemmt, prüde – queerfeindlich. Doch diese Argumentation ist naiv – und gefährlich. Sichtbarkeit wirkt. Immer. Und nicht alles, was aus der queeraktivistischen Ideenwelt hervorgegangen ist, muss überall sichtbar gemacht werden.
Kink und Kinder? Jeff Mannes sagt ja – und das ist das Problem.
Der Kommentar „Lack, Leder, lächerliche Empörung – Puppys sind keine Gefahr für Kinder!“, veröffentlicht am 3. Juni 2025 auf siegessaeule.de, steht exemplarisch für eine Entwicklung, die viele langjährige Mitglieder der schwullesbischen Community mit wachsender Irritation verfolgen: Die Verschiebung des CSD von einem politischen Emanzipationsumzug zu einer Bühne identitätspolitischer Performanz.
Mannes’ Text ist dabei mehr als nur eine Verteidigung der Fetischsichtbarkeit – er ist ein Plädoyer für gezielte Provokation, auch vor Kindern. Er bedient sich einer Rhetorik, die Kritik reflexhaft als prüde oder repressiv abtut und Sichtbarkeit über jede Form von Kontext stellt.
Was früher Differenz war – zwischen Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, zwischen Lebenswelt und Protest – wird heute glattgebügelt zugunsten einer Linie, die nur noch eines kennt: mehr Sichtbarkeit, mehr Irritation, mehr Entgrenzung.
Bereits neun Monate zuvor veröffentlichte Mannes auf queer.de einen Kommentar unter dem Titel: „Kink ist Pride – und Kinder sollen das sehen!“. Der Beitrag ist laut, agitatorisch, provokant – eine offensive Kampfansage gegen jede Form von Zurückhaltung. In seinem späteren Artikel in der Siegessäule dagegen gibt sich Mannes konzilianter: Die Sprache ist geschmeidiger, das Plädoyer eingebettet in Begriffe wie Vielfalt, Normalität und pädagogischer Nutzen. Die Botschaft aber bleibt dieselbe: Kink gehört auf die Pride – und Kinder sollen das sehen.
Das ist keine neutrale Beobachtung, sondern eine politische Agenda. Eine bewusste Grenzverschiebung, eine symbolische Provokation – nicht trotz, sondern wegen der zu erwartenden Kritik. Sichtbarkeit wird dabei nicht als Mittel verstanden, sondern als Selbstzweck. In einem Klima identitätspolitischer Absolutheit gerät jede Kritik unter Generalverdacht – als Angriff auf Vielfalt selbst.
Der Text operiert mit vier typischen Strategien des derzeit dominanten queeraktivistischen Diskurses:
Erstens: Subjektivierung statt Argument
Mannes trennt strikt zwischen sexueller Handlung und sexueller Symbolik – so strikt, dass jede gesellschaftliche Deutung ausgeschlossen wird. Sexuell ist nur, was sich subjektiv so anfühlt. Der kulturelle Symbolgehalt von Fetischgear, Puppy Play oder BDSM-Zubehör wird damit entwertet. Was außen sichtbar ist, spielt keine Rolle – nur das Innenleben zählt.
Zweitens: Infantilismus als Argumentationsstrategie
Eine zentrale Passage lautet: „Ein Kind sieht, wenn es einen Menschen mit Hundemaske erblickt, keinen Sex.“ Diese Aussage ist nicht nur naiv, sondern zynisch. Kinder werden nicht geschützt, sondern instrumentalisiert – als Projektionsflächen einer Welt, in der alles gleichwertig, alles normalisierbar sein soll. Ob sie sexualisierte Symbole sinnvoll verarbeiten können, wird gar nicht erst gefragt.
Drittens: Politischer Absolutismus der Abweichung
„Sexualität ist politisch. Queeres Leben ist politisch. Und Kink ist ebenfalls politisch.“ Mannes erhebt jede Normabweichung zum politischen Akt – ungeachtet von Kontext und Wirkung. Politik wird zur Provokation, Sichtbarkeit zur Eskalation. Wer Regeln respektiert, gilt als angepasst.
Viertens: Immunisierung durch Empörungsrhetorik
Die klassische Einleitung „Ich hab ja nichts gegen queere Menschen, aber…“ dient hier der Abwehr jeder Kritik. Wer differenziert, wird verdächtigt. Wer Maß fordert, gilt als repressiv. Eine Debatte über Ort, Wirkung oder Adressat wird dadurch im Keim erstickt.
Was heute als „Freiheit“ gefeiert wird, ist häufig ein Absolutismus des Ausdrucks – entgrenzt, kontextvergessen, immun gegen Kritik. Doch Emanzipation war nie Maßlosigkeit. Die schwullesbische Bewegung kämpfte für Sichtbarkeit, Gleichstellung und Schutz – nicht für schrankenlose Selbstdarstellung. Ihr Erfolg beruhte auf Legitimität, nicht Lautstärke. Auf kollektiver Erfahrung, nicht auf individueller Zersplitterung. Wenn Gleichstellung zur Bühne narzisstischer Inszenierung wird, verliert „Freiheit“ ihren politischen Kern – und wird zur Pose.
Diese Entwicklung ist nicht zufällig. Sie folgt einem ideologischen Paradigma, das im poststrukturalistischen Denken wurzelt: Alles ist Zeichen, Identität wird zur Performanz, Wahrheit zur Konstruktion. Was einst als Kritik an Normen begann, mutiert zur Doktrin: fluide im Anspruch, autoritär im Ton. Der Queeraktivismus wird zum verlängerten Arm dieser Theorie – auf der Straße, in der Kulturpolitik, im pädagogischen Raum.
Die Mehrheit queerer Menschen aber, lebt keine extrovertierte Kink-Identität. Viele Lesben, Schwule und Transpersonen führen ein erfülltes, „vanilla“-geprägtes Leben – mit gelegentlichem Stolz, aber ohne Dauerinszenierung. Sichtbarkeit bedeutet für sie: Sicherheit, Normalität, Gleichstellung. Nicht Dauerprovokation.
Identitätspolitik, Sichtbarkeit und das Spektakel der Sexualität
Immer häufiger ersetzt der Auftritt das Anliegen. Sichtbarkeit wird nicht mehr begründet, sondern behauptet – schrill, demonstrativ, unantastbar. Was ursprünglich als Mittel kollektiver Emanzipation diente, gerät zur Bühne individueller Selbstvergewisserung. Die politische Botschaft wird zur ästhetischen Geste, das geteilte Begehren zum performativen Statement.
Ursprünglich bedeutete Identitätspolitik: Benennung, Sichtbarmachung, Schutzräume. Diskriminierte Gruppen artikulierten ihre Erfahrungen und forderten gleiche Rechte. Doch diese Stoßrichtung ist weitgehend verschwunden. Statt Anliegen zählen heute Ästhetik und Irritationskraft. „Ich fühle mich so – also bin ich so. Niemand darf das in Frage stellen“, lautet die neue Devise.
In dieser Logik wird Sexualität nicht mehr als verletzlicher Erfahrungsraum verstanden, sondern als öffentlich vorzeigbare Geste – gerade, wenn es um Kink oder BDSM geht. Die Parole „Kink ist Pride“ ist ein Resultat dieser Dramaturgie. Sie verwandelt sexuelle Praxis in politische Behauptung – nicht, weil jemand bedroht ist, sondern weil jemand gesehen werden will.
Doch das Spektakel ersetzt nicht die Substanz. Wer auftritt, erwartet Zustimmung – nicht Diskussion. Wer dagegen fragt, ob Fetischdarstellungen auf der Pride wirklich nötig sind, steht nicht mehr in einer Debatte, sondern unter Verdacht.
Gravierender noch ist die Frage nach dem Ort: Wenn sexualisierte Codes in Räume getragen werden, die auch Kindern offen stehen, wird die politische Bühne zur pädagogischen Grauzone. Der Maßstab verschiebt sich – vom Schutz des Kindes zur Sichtbarkeit des Erwachsenen. Pädagogische Verantwortung wird ersetzt durch symbolische Selbstvergewisserung.
Was aber geschieht, wenn ein Kind beobachtet, wie Erwachsene mit Hundemasken auf allen Vieren durch die Stadt ziehen – und diese Darstellungen als „pädagogisch wertvoll“ gedeutet werden? Ein Kind, das gerade gelernt hat, in der Öffentlichkeit nicht zu pinkeln, könnte nun vermittelt bekommen, dass genau dieses Verhalten im Rahmen queerer Sichtbarkeit völlig in Ordnung sei. Der Verlust von Kontext ist hier nicht Befreiung, sondern Verwirrung.
Was Kinder nicht sagen können – und Erwachsene nicht hören wollen
Besonders deutlich wird der Konflikt in einem Video der transaktivistischen Influencerin Finessi mit dem Titel „Notwendige Aufklärung? | FiNessi reagiert“, veröffentlicht am 24. August 2024 auf YouTube. Darin greift sie affirmativ Jeff Mannes’ queer.de-Kommentar auf – nicht kritisch, sondern zustimmend. Schon zu Beginn macht sie sich dessen zentrale These zu eigen:
Kink ist Pride – und Kinder sollen das sehen.
Diese Aussage markiert den programmatischen Auftakt eines Kommentars, in dem Sichtbarkeit, Sexualität und Pädagogik zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen. Die Sichtbarkeit sexualisierter Codes wird zur Notwendigkeit erklärt, Kritik daran als repressiv gebrandmarkt – und Kinder zu neutralen Beobachtern erklärt, die keine sexuellen Konnotationen erkennen und deshalb auch nicht geschützt werden müssten.
Finessi verteidigt Puppy Play auf der Pride nicht trotz, sondern wegen der Anwesenheit von Kindern. Kinder, so das Argument, müssten früh mit allem konfrontiert werden, um ihre Grenzen kennenzulernen. Dass diese Erfahrungen durch Erwachsene kuratiert und öffentlich inszeniert werden, scheint kein Problem darzustellen. Pädagogische Expertise ersetzt Finessi durch Überzeugungskraft – das Kindeswohl wird rhetorisch dem Kampf um Sichtbarkeit untergeordnet.
Im Verlauf des Videos wird das Lachen eines Kindes über einen „Puppy Player“ als Beweis für Unbedenklichkeit dargestellt – als sei das Fehlen von Abwehrreaktionen ein Freibrief für jede Performance. Symbolische Bedeutung? Fehlanzeige. Kindliche Schutzräume? Überflüssig. Alles wird in der Logik der Sichtbarkeit aufgelöst. Auch Karneval dient als Vergleich – sexy Kostüme und Grenzverschiebungen gebe es schließlich dort auch.
Deutlich widerspricht dem die transidente YouTuberin PersiaX in einem sogenannten Reaction-Video. In diesem auf YouTube verbreiteten Format kommentiert eine Person ein bestehendes Video – meist kritisch oder analytisch. PersiaX nutzt es, um Finessis Aussagen Schritt für Schritt zu sezieren.
Nicht Kink an sich sei das Problem, sondern seine Kontextlosigkeit in der Öffentlichkeit – besonders vor Kindern. Sichtbarkeit, so PersiaX, brauche Grenzen.
Ich habe an sich nichts gegen Puppy Player oder Kink. Aber dass es vor Kindern ausgelebt wird, ist ein Problem.
Ein fünfjähriges Kind lache nicht, weil es die Situation verstehe, sondern weil es sie nicht einordnen könne. Zustimmung durch Lachen sei kein Beweis für Harmlosigkeit, sondern für kognitive Überforderung.
Konsens ist das Zauberwort überall – außer, wenn es um Kinder geht?
Diese Frage trifft den Nerv der Debatte. Wenn der politische Diskurs auf Konsens beruht, endet er dort, wo er nicht eingeholt werden kann.
Auch Finessis Behauptung, Puppy Play sei bloß ein „Outfit“, kontert PersiaX klar:
Puppy Play ist kein Kostüm. Es ist ein Rollenspiel mit Dom/Sub-Dynamik.
Mit scharfer, aber differenzierter Kritik zeigt PersiaX: Sichtbarkeit darf nicht schrankenlos sein – und schon gar nicht dort, wo Kinder anwesend sind.
Wenn Sichtbarkeit zur Selbstzerstörung wird
Unbehagen gegenüber einem entgrenzten Queeraktivismus ist längst keine Randerscheinung mehr – auch unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen. Weltweit haben sich Initiativen wie LGB Alliance, The Lesbian Project, Gays against Groomers, Just Gay und Einzelpersonen wie die Grünen-Politikerin Faika El-Nagashi, die transidenten YouTuber Blaire White, Buck Angel und Rose of Dawn formiert, die sich offen gegen diese Entwicklungen stellen. Unterschiedlich in Herkunft und Haltung, eint sie die Kritik an einer Identitätspolitik, die jede Grenze tilgt und jede Kritik als Rückschritt diffamiert.
Besonders perfide ist die Abwertung innergemeinschaftlicher Kritik als „internalisierte Homofeindlichkeit“ oder „Pick-Me-Verhalten“. Dabei zeigen Bandbreite und Ernsthaftigkeit der Positionen: Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um eine wachsende Gegenbewegung innerhalb der Community.
Ein Beispiel dafür ist ein Facebook-Kommentar von Eric Fuchs zu Jeff Mannes’ Siegessäule-Kolumne über Kink auf dem CSD. Fuchs schreibt:
Nicht alles, was sichtbar sein darf, muss überall sichtbar sein. Und nicht alles, was Teil unserer Geschichte ist, muss unreflektiert in jeder Form repräsentiert werden.
Fuchs fordert keine Verbote, sondern plädiert für Kontextsensibilität – aus Respekt vor Vielfalt. Sichtbarkeit, so sein Credo, sei kein Selbstzweck, sondern ein politisches Mittel, das sich an den Bedürfnissen derer orientieren müsse, für die es gemacht ist.
Prompt wird ihm Prüderie unterstellt – ein gängiger Reflex in heutigen Diskursen. Fuchs antwortet nüchtern:
Nicht alles, was Grenzen reflektiert, ist Angst vor Sexualität – manchmal ist es einfach Respekt vor Vielfalt.
Sein Beitrag steht exemplarisch für eine Kritik, die nicht von außen kommt, sondern aus der Mitte – und die aufzeigt, dass Zugehörigkeit nicht durch schrankenlose Sichtbarkeit entsteht, sondern durch Räume, die für viele zugänglich bleiben.
Was bleibt vom Begriff der Emanzipation?
Die queere Fetischpolitik erhebt Sichtbarkeit zum höchsten Gut – und verliert darüber jene Prinzipien, die schwullesbische Emanzipation einst stark machten: rechtliche Gleichstellung, soziale Anerkennung, Schutzräume. Was heute als Provokation gefeiert wird, war früher politische Notwendigkeit – geboren aus Verfolgung, getragen von Solidarität.
Doch je schriller die Performance, desto leiser die Frage: Für wen sprechen wir noch? Wer wird durch die neue Symbolpolitik ausgeschlossen? Wenn alles politisch ist, wird nichts mehr verhandelbar. Wenn Sichtbarkeit keinen Kontext kennt, ersetzt expressive Freiheit die demokratische Aushandlung. Was als Fortschritt gilt, wird so zum autoritären Dogma: Wer nicht jubelt, gilt als rückständig. Wollen wir wirklich, dass Pride zur Bühne sexueller Selbstinszenierung vor Kindern wird? Oder schaffen wir Räume, die Zugehörigkeit stärken – nicht überfordern?
Die Zukunft liegt nicht in schrankenloser Sichtbarkeit, sondern in Balance: zwischen Ausdruck und Verantwortung, Provokation und Rücksicht, Befreiung und Bindung. Sichtbarkeit muss Mittel bleiben – nicht Selbstzweck. Sie muss die Frage mitführen: Wen nehme ich mit? Und wem mute ich etwas zu?
Vielleicht beginnt echte Emanzipation genau hier: Nicht im Recht, alles zu zeigen – sondern in der Freiheit, zu entscheiden: Wann, mit welchem Zweck, an welchem Ort und für wen.
William Black ist Musikwissenschaftler, Webentwickler, UX-Designer und Sprachlehrer. Er lebt in Frankfurt und beschäftigt sich mit queerer Kulturkritik sowie mit Migrations- und Identitätspolitik.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
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