Das schwule Datingportal wollte von seinen Usern wissen, welcher Partei sie bei der nächsten Bundestagswahl ihre Stimme geben wollen. Die AfD belegt den Spitzenplatz, besonders bei jungen Männern. Unterdessen mobilisiert eine Kampagne vom CSD Deutschland gegen die Wahl einer Partei wie die AfD. Was ist da los?
Offensichtlich lehnen nicht alle Schwule die AfD ab(Foto von Markus Spiske auf Unsplash).
5. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Zur Bundestagswahl hat das schwule Datingportal Planetromeo seinen Usern wie schon im vergangenen Jahr zur Europawahl die „Sonntagsfrage“ gestellt, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden. 27,9 Prozent votierten für die in Teilen rechtsextreme AfD. Besonders deutlich fielen die Ergebnisse in der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen aus: 34,7 Prozent wollen die AfD wählen. Und das, obwohl die Partei zum Beispiel die „Ehe für alle“ wieder abschaffen will. An der nicht-repräsentativen Umfrage nahmen vom 24. Januar bis 2. Februar 2025 60.560 Männer teil.
Die Umfrageergebnisse von Planetromeo (Foto: Planetromeo)
Manipulierte Zahlen?
Planetromeo räumte ein, dass Manipulationen nicht ausgeschlossen werden könnten und zum Beispiel der Umfragelink außerhalb der Plattform weitergegeben worden sein könne. Vor den Europawahlen 2024 erzielte die AfD in einer vergleichbaren Umfrage hohe Zustimmungswerte, was bereits damals für schockierte Schlagzeilen über das Wahlverhalten schwuler Männer sorgte. Das Newsportal Queer.dehielt den jüngsten „Romeo“-Daten Zahlen einer eigenen, ebenfalls nicht-repräsentativen Umfrage von Dezember 2024 entgegen, wo immerhin 44 Prozent der Befragten die Grünen wählen würden. Die AfD würde mit 4,6 Prozent nicht mal über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Die Ergebnisse auf Queer.de und Planetromeo sagen wohl mehr über die jeweiligen User, als über „die“ schwule Community generell.
Alfonso Pantisano, der Queerbeaufragte des Berliner Senats, teilte aus diesem Anlass auf seinen Social-Media-Profilen den Slogan „Aus Gründen: Kein Sex mit Rassisten und Nazis!“ Dazu schrieb er noch: „Unabhängig davon, ob Umfragen auf Dating-Portalen je repräsentativ sein können, bin ich der Auffassung, dass auch wir in unserer Community große Probleme mit unseren internalisierten Rassismen haben.“ Mit einer ähnlich gelagerten Reaktion verzockte er sich bereits 2024, als er den ehemaligen Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert für Aussagen zu Erfahrungen mit muslimischen Männergruppen scharf angriff.
Der Dachverband CSD Deutschland e.V. hat zur Bundestagswahl die Kampagne „Wähl Liebe“ gestartet, die sich gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien richten will. Die Kernforderungen sind: „Als queere Community fordern wir außerdem von der zukünftigen Regierung, dass queere Menschen endlich ins Grundgesetz aufgenommen werden, die finanzielle Absicherung unserer Communitystrukturen und mehr Engagement gegen Hasskriminalität.“ Flankiert wird die Kampagne von Demonstrationen für die Demokratie am 15. Februar in mehreren Städten. Uhrzeit: Fünf vor Zwölf.
Offenbar aber haben nicht alle in „der“ Community den Eindruck, es sei „Fünf vor Zwölf“ für die Demokratie oder werden durch queere Organisationen und Medien zumindest ideologisch nicht mehr erreicht. Interessant sind daher zwei Artikel in der Frankfurter Rundschau und auf der Website der ZDF heute-Nachrichten, die im Januar 2025 veröffentlicht wurden. Beide beschäftigten sich mit homosexuellen AfD-Wählern und ihren Beweggründen.
Migration, Sicherheit und Wirtschaft
Die Frankfurter Rundschau fragte bereits 2023 lesbische und schwule AfD-WählerInnen, warum sie ihre Stimme ausgerechnet dieser Partei geben. Schon damals waren Sicherheit und Wirtschaft die ausschlaggebenden Themen. Ein 29-Jähriger aus Berlin sagte: „Es wird immer schlimmer. Mehr denn je werde ich als erkennbar queerer Mensch in Berlin angefeindet, beschimpft, bespuckt und auch körperlich angegangen. Ich brauche keine Aktionspläne oder einen Ehering, ich will mich wieder sicher fühlen, ohne Angst haben zu müssen, verprügelt zu werden.“ Grüne, SPD und FDP warf dieser Mann gegenüber FR völliges Versagen vor.
Die ZDF heute-Nachrichten haben ein schwules Ehepaar interviewt. Beide sagten, in ihrem Freundeskreis würden viele die AfD wählen. Die Ablehnung der „Ehe für alle“ spiele bei der Entscheidung keine Rolle, vielmehr zeigten sich die beiden Männer überzeugt, dass die AfD sich am Ende wichtigeren Themen zuwenden würde und in der Hinsicht nichts passiere. Wahrscheinlich trägt zu diesem Glauben die offen lesbische Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin Alice Weidel bei, die das Berufliche und Private beinahe schizophren zu trennen weiß.
Die beiden vom ZDF interviewten Männer gaben „Sicherheit und Migration“ als wesentliche Gründe an. „Das haben die etablierten Parteien jahrelang verschlafen, erst Angela Merkel, jetzt die Ampel-Parteien. Wir glauben, dass die AfD die einzige Partei ist, die das Thema momentan angeht und verbessert“, sagte einer der beiden dazu. Und: „Ich wurde noch nie von Rechten oder Deutschen angegriffen, dafür aber von Arabern, Türken und Flüchtlingen. Man kann, glaube ich, erahnen, dass ich schwul bin. Und genau dieser Personenkreis hat ein Problem mit meiner Sexualität.“
Mit der Einstellung gegenüber Migration passen die Männer in die derzeitige Stimmungslage, die es innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt. Eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der ARD von Ende Januar zeigt, dass eine deutliche Mehrheit mit der derzeitigen Steuerung der Zuwanderung unzufrieden ist – sogar unter den WählerInnen der Grünen.
Alles Rassismus?
Lassen sich diese Stimmungen allesamt in Gänze dem rassistischen Ressentiment zurechnen, wie es beispielsweise Alfonso Pantisano tut? Das leugnet, dass es durchaus ein Sicherheitsproblem im öffentlichen Raum gibt, was mit rechtsstaatlichen Mitteln bearbeitet werden sollte. Mit Rassismus-Vorwürfen wird man keinen schwulen AfD-Wähler mehr zurückholen – eher im Gegenteil.
Ein Blick auf das bekannte Modell der Bedürfnishierarchie nach Abraham Maslow macht klar, woran das liegen könnte: Existenz- und Sicherheitsbedürfnisse bilden das Fundament. Erst danach kommen soziale Bedürfnisse wie Liebe. Die Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Raum sowie eine bessere Wirtschaftslage könnten eher dabei helfen, auch schwule Wähler von der AfD zurückzuholen, anstatt Demos, die diese Probleme nicht angemessen adressieren.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Nun hat US-Präsident Donald Trump zwei weitere Executive Orders erlassen, die unmittelbar Trans betreffen: Jegliche medizinische Eingriffe zum Zwecke einer Transition von Unter-19-Jährigen erhalten keine staatliche Unterstützung mehr. Außerdem sollen Schulen keine Inhalte mehr im Sinne der Queer Theory vermitteln und auch keine sozialen Transitionen unterstützen.
Donald Trump und gender-affirmative Behandlungen von Minderjährigen: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn (Foto von charlesdeluvio auf Unsplash).
31. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Am Dienstag hat US-Präsident Donald Trump eine weitere Executive Order erlassen, die das Transthema betrifft: Nun wird die bundesstaatliche Unterstützung für gender-affirmative Behandlungen von Minderjährigen beendet. Das betrifft insbesondere die Gabe von Pubertätsblockern, Geschlechtshormonen sowie chirurgische Eingriffe bei Personen unter 19 Jahren.
Normalerweise gilt man in den USA mit 18 Jahren als volljährig. Eine Begründung für das höhere Schutzalter bei geschlechtsangleichenden Eingriffen wurde im Dekret nicht genannt. Zuvor hat Trump bereits ebenfalls per Executive Order Transpersonen vom Militär ausgeschlossen sowie verfügt, dass nur noch zwei biologische Geschlechter in bundesstaatlichem Kontext anerkannt werden. Änderungen des Geschlechtseintrags gemäß der Identität sind nicht mehr möglich.
Queer Theory fliegt aus den Schulen
Gleichzeitig mit den medizinischen Aspekten des gender-affirmativen Modells hat Trump – ebenfalls per Executive Order – staatliche Mittel für Schulen gestrichen, die Inhalte gemäß der „Critical Race Theory“ und „Gender und Queer Theory“ unterrichten oder in der Betreuung von SchülerInnen anwenden. Bei Geschlecht geht es vor allem um das Transthema.
Die Executive Order weist den Attorney General – den obersten Rechtsberater der Regierung – an, mit den entsprechenden AmtskollegInnen auf der Ebene der Bundesstaaten und den örtlichen Bezirksstaatsanwälten zusammenzuarbeiten, um „Klagen gegen Lehrer und Schulbeamte einzureichen, die Minderjährige sexuell ausbeuten oder durch Praktiken der ’sozialen Transition‘ ohne Lizenz Medizin praktizieren“. Der Punkt der sexuellen Ausbeutung im Zusammenhang mit sozialer Transition wird nicht weiter erläutert.
Gerade der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert wurde, hat sich in den letzten Jahren zu einer erbitterten Kontroverse entwickelt – nicht nur in den USA. Aber besonders in den USA hat sich das gender-affirmative Modell verbreitet, wonach die geäußerte Geschlechtsidentität in jeder Altersstufe umgehend anzuerkennen sei.
Ein Infragestellen, gar eine explorative Differentialdiagnostik wird als „Konversionstherapie“, also Umpolung, diffamiert. Ohne vorherige sorgfältige Diagnostik soll es dann auch Pubertätsblocker, Geschlechtshormone sowie chirurgische Eingriffe geben, sobald gewünscht. Ebenso soll die Geschlechtsidentität unabhängig vom Alter unmittelbar im sozialen Bereich anerkannt werden – egal, ob die Eltern dem zustimmen, geschweige denn überhaupt davon wissen.
Doch mit Trumps Dekreten ist dem nun ein Ende gesetzt worden. Staatlich finanzierte Gesundheitsdienstleister wie Medicaid, Medicare oder TRICARE sollen die Kosten für gender-affirmative Behandlungen nicht mehr übernehmen. Außerdem sollen medizinische Einrichtungen, die staatliche Finanzierung erhalten, solche Behandlungen nicht mehr anbieten. Zuvor waren seit 2022 bereits in 26 Bundesstaaten geschlechtsangleichende Eingriffe gesetzlich verboten worden.
In den Schulen wird es keine von Lehrkräften unterstützten sozialen Transitionen mehr geben, vor allem nicht ohne Zustimmung der Eltern. Queere Bildung mit Alternativpronomen und Aufklärung über Trans und Nonbinary ebenso wenig. Einen Eindruck vom Tenor trans-affirmativer Bildungsangebote liefert ein mittlerweile offline genommenes Video von Amaze, einem Projekt für sexuelle Aufklärung. Colin Wright, Biologe und langjähriger Kritiker gender-affirmativer Theorie und Praxis, hat das Video auf X dokumentiert:
Why did @amazeorg remove this 5-year-old video from their YouTube channel today when @BillAckman brought attention to it on X?
Is it be because, as Bill said, it acts as a "transgender recruitment cartoon" for kids feeling awkward about their bodies during puberty?
Innerhalb der letzten sechs Jahre wurden innerhalb und außerhalb der USA immer mehr Kritik an diesem affirmativen Modell laut, was gerade von queeren und TransaktivistInnen als einziger menschenrechtskonformer Ansatz propagiert wird. Mehrere Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass die medizinische Evidenzbasis für diese Praxis schwach ist. Das bedeutet, der Nutzen ist nicht gut belegt, schwerwiegende Risiken können nicht ausgeschlossen werden. Das betrifft sowohl das Medizinische als auch das Soziale.
Ein besonders eindrückliches Dokument ist der britische Cass-Report, der im April 2024 veröffentlicht wurde und maßgeblich dafür sorgte, dass man im Vereinigten Königreich vom affirmativen Modell wieder abrückt. Zuvor gab es in Finnland, Schweden und Dänemark ähnliche Entwicklungen. Inzwischen wird in allen westlichen Staaten, in denen gender-affirmative Behandlungen für Minderjährige angeboten werden, skeptischer auf das Nutzen-Risiko-Profil geschaut. Selbst in Deutschland, wo gender-affirmative MedizinerInnen zusammen mit TransaktivistInnen noch eine neue Leitlinie durchbringen wollen, wächst daran Kritik.
Zuletzt hat in Australien der Bundesstaat Queensland die Verordnung von Pubertätsblockern und Hormonen bei Minderjährigen gestoppt. Im Juni sollen dort Ergebnisse einer Untersuchung vorgelegt werden, die darüber entscheiden, ob in Queensland gender-affirmative Behandlungen für Minderjährige überhaupt wieder verfügbar gemacht werden. Außerdem hat inzwischen auch der Gesundheitsminister Australiens Mark Butler angeordnet, bisherige landesweit gültige Leitlinien für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie zu überprüfen.
In allen westlichen Industrienationen stiegen innerhalb der letzten zehn Jahre die Zahlen unter Minderjährigen, die eine geschlechtsangleichende Behandlung begehrten, deutlich an. Besonders stark haben die Zahlen bei biologisch weiblichen Teenagern zugenommen. Die Gründe dafür werden kontrovers diskutiert. Mit dem gender-affirmativen Ansatz sind solche Gründe jedoch unwichtig, allein der Wille der Behandlungssuchenden zählt.
Transitionen in jungen Jahren ermöglichen
Das Modell mit Pubertätsblockern entstand zuerst in den Niederlanden, bevor es sich in den USA radikalisierte. Der Grundgedanke war, denjenigen möglichst früh zu helfen, von denen man annahm, dass sie erwachsene Transpersonen werden. Viele volljährige Transpersonen litten unter psychischen Begleiterkrankungen und man nahm an, dies läge hauptsächlich an der unerwünschten Entwicklung des Geschlechtskörpers sowie mit medizinischen Mitteln nicht mehr ausreichend zu korrigierenden Tatsachen durch diese Entwicklung. Im Fokus stehen bei diesen Überlegungen vor allem Transfrauen, die eine biologisch männliche Pubertät durchliefen.
TransaktivistInnen begrüßten diesen Ansatz enthusiastisch und sorgten dafür, dass dieser weltweit zum Standard wurde. Außerdem waren diese AktivistInnen sehr darum bemüht, dass es am besten keinen längerfristigen Diagnostikprozess mehr geben soll und vor allem keine Ausschlussgründe für eine Transition.
Geschlechtsdysphorie ist komplex
Geschlechtsdysphorie aber ist eine komplexere Angelegenheit, als es vielen TransaktivistInnen lieb ist. Es ist mit Studien gut belegt, dass bei über 80 Prozent der Minderjährigen eine Geschlechtsdysphorie im weiteren Reifungsprozess wieder verschwinden oder sich abmildern kann, wenn nicht medikamentös in die Pubertät eingegriffen wird. Bei vielen ehemals geschlechtsdysphorischen Kindern gibt es dann ein lesbisches oder schwules Coming-Out, weshalb es eine wachsende Zahl kritischer werdender homosexueller Frauen und Männer gibt. Und: Gerade Mädchen sind anfälliger für Pubertätskrisen.
Der Cass-Report zeigte beispielsweise, dass sehr viele Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen, sexuellen Missbrauch erlebt oder unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depressionen leiden. Auffällig ist zudem die hohe Zahl an Jugendlichen mit Autismus unter ihnen. Diese Beobachtungen gibt es auch in den USA, beispielsweise im Bericht der Whistleblowerin Jamie Reed, die vier Jahre lang im Washington University Transgender Center arbeitete und heute u.a. in den Zeugenstand tritt, wenn es um die Risiken des affirmativen Modells und gesetzliche Verbote geht.
„In den vier Jahren, in denen ich in der Klinik als Fallmanagerin tätig war – ich war für die Aufnahme und Überwachung der Patienten zuständig -, kamen etwa tausend junge Menschen in Not durch unsere Türen. Die meisten von ihnen erhielten Hormonrezepte, die lebensverändernde Folgen haben können – einschließlich Sterilität. […] Neben Mädchen im Teenageralter wurde eine weitere neue Gruppe an uns verwiesen: junge Menschen aus der stationären psychiatrischen Abteilung oder der Notaufnahme des St. Louis Children’s Hospital. Die psychische Gesundheit dieser Kinder war äußerst besorgniserregend – es gab Diagnosen wie Schizophrenie, PTBS, bipolare Störung und mehr. Oft nahmen sie bereits eine ganze Handvoll Medikamente ein.
Das war tragisch, aber angesichts des schweren Traumas, das einige von ihnen erlitten hatten, nicht überraschend. Doch gleich, wie viel Leid und Schmerz ein Kind ertragen hatte oder wie wenig Behandlung und Liebe es erhalten hatte, unsere Ärzte sahen in der Geschlechtsumwandlung – trotz aller Kosten und Entbehrungen, die sie mit sich brachte – die Lösung.“
„Als lebenslange Demokratin, die viele Vorbehalte gegenüber Donald Trump hat, kann ich dennoch zugeben, dass diese Kinder den Schutz brauchen, den er gerade angekündigt hat.“
Mehr Detransitioniererinnen in der Öffentlichkeit
Inzwischen gibt es auch in den USA mehrere junge Frauen, die als Teenager gender-affirmativ behandelt wurden und dann wieder detransitionierten. Alle sagen rückblickend, sie hätten etwas anderes gebraucht, insbesondere eine gute Psychotherapie. Das ist aber im affirmativen Modell nicht vorgesehen, sobald das magische Wort „trans“ fällt. Da müssen ÄrztInnen und TherapeutInnen alles vergessen, was sie über die psychische Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen gelernt haben.
Einige dieser jungen detransitionierten Frauen sind an die Öffentlichkeit getreten, verklagen gar ihre ehemaligen ÄrztInnen wegen Fehlbehandlung. Zuletzt ging der Fall von Clementine Breen durch die Medien. Die jetzt zwanzigjährige Studentin verklagte die Ärztin Johanna Olson-Kennedy, der sie vorwirft, zu schnell eine Transidentität diagnostiziert und also affirmiert zu haben – mit anschließender Gabe von Pubertätsblockern. Olson-Kennedy habe Breen mit 12 Jahren Pubertätsblocker, mit 13 Jahren Testosteron und mit 14 Jahren eine Mastektomie, also Entfernung der weiblichen Brust, verordnet. Breen möchte auch deshalb juristisch gegen ihre ehemalige Ärztin vorgehen, um Behauptungen als Lüge zu entlarven, dass vorschnelle Transitionen nur Einzelfälle seien.
Breens Darstellung ihres persönlichen Hintergrunds gegenüber The Economist fügt sich exemplarisch darin ein, weshalb die Kritik am affirmativen Ansatz zunimmt:
„Die Geschichte von Frau Breen beginnt Anfang des Schuljahres 2016/17, als sie 12 Jahre alt wurde. Sie fühlte sich deprimiert und suchte Hilfe bei einer Beraterin. ‚Ich erwähnte, dass ich trans sein könnte‘ (Herv. d. Red.), erinnerte sie sich im Interview, „aber ich erwähnte auch, dass ich lesbisch und bisexuell sein könnte, ich war mir meiner Identität überhaupt nicht sicher.“
Im Nachhinein glaubt sie, dass ihre Unsicherheit in Bezug auf die Pubertät auf eine gewalttätige Situation zu Hause zurückzuführen ist, in die ihr älterer Bruder verwickelt war, der unter schwerem Autismus leidet, sowie auf den Missbrauch, den sie im Alter von sechs Jahren durch eine Person außerhalb der Familie erfuhr und den sie erst viel später jemandem gegenüber offenbarte.“
Eine bekannte Detransitioniererin und Aktivistin für die Beendigung des affirmativen Modells, die ebenfalls Klage gegen ihre ehemaligen ÄrztInnen eingereicht hat, ist Chloe Cole. Sie habe mit dreizehn Jahren Pubertätsblocker, dann Testosteron und eine Mastektomie im Alter von fünfzehn Jahren erhalten. Mit 17 Jahren begann sie zu detransitionieren, d.h. ihr biologisches Geschlecht zu akzeptieren und auch sozial als Frau zu leben. Sie berichtete, dass sie als Minderjährige mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt habe sowie mit Autismus. All das wird im affirmativen Modell nicht berücksichtigt. Cole gilt als glühende Unterstützerin Trumps. Entsprechend begrüßte sie auch die Executive Order im Kurznachrichtendienst X: „Trumps Executive Order zum Schutz von Kindern vor chemischer und chirurgischer Verstümmelung ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen die Genderideologie.“
Kritik an schlampiger Betreuung
All diese Probleme sind nicht neu: Bereits 2021 brachte der TV-Sender CBS im Format 60 Minutes eine Reportage über DetransitioniererInnen. Alle jungen Frauen und Männer sagten, sie seien sehr schnell auf dem Transitionspfad gelandet. Es sei nicht geprüft worden, ob das wirklich die einzige Lösung ihrer Probleme sei. Dabei hätten sie genau das gebraucht. Im selben Jahr warnten die Psychologinnen Erica Anderson und Laura Edwards-Leeper in der Washington Post vor schlampigen Behandlungen und kritisierten den zunehmenden Verzicht auf sorgfältige psychiatrische Begutachtung. Dafür wurden sie heftig von den gender-affirmativ arbeitenden TherapeutInnen und ÄrztInnen gerügt.
Nicht nur in der Medizin, sondern auch im Bildungssektor hat sich der gender-affirmative Ansatz etabliert. Das bedeutet nicht nur, dass das queere Verständnis von Geschlecht im Unterricht vermittelt und Progress-Prideflaggen in den Schulen gehisst werden. Es beinhaltete auch die Übernahme des gender-affirmativen Ansatz in der pädagogischen Betreuung. Viele Schulen erließen dafür Richtlinien.
Demnach sollen SchülerInnen in ihrer sozialen Transition uneingeschränkt unterstützt werden – selbst, wenn das Einverständnis der Eltern fehlt oder diese nicht mal davon wissen. 2023 berichtete die New York Times darüber, auch über die wachsende Verärgerung unter Eltern, die sich zunehmend gegen die solche Konzepte unterstützende Demokratische Partei richtete.
In einer Meinungsbefragung durch IPSOS im Auftrag der New York Times zum Antritt Trumps wurde die Frage gestellt, ob schon Minderjährige geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone bekommen sollten. 90 Prozent der befragten republikanischen WählerInnen sind der Ansicht, dass es geschlechtsangleichende Behandlungen nicht vor dem 18. Lebensjahr geben sollte. 54 Prozent der WählerInnen der Demokratischen Partei teilten diese Meinung. Trumps jüngste Maßnahmen dürften daher den Nerv vieler US-BürgerInnen treffen.
Pubertätsblocker als harmlose Pausentaste?
Die BefürworterInnen des affirmativen Modells sagen, Pubertätsblocker seien eine harmlose, da vollständig reversible „Pausentaste“. Doch es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass diese Darstellung irreführend ist: Forschungen zeigen, dass Pubertätsblocker keine Pausentaste, mit dem die körperliche Entwicklung während der Pubertät in den Wartestand gebracht wird, sondern der erste Schritt einer medizinischen Geschlechtsangleichung sind: Mehr als 90 Prozent der Minderjährigen führt die Behandlung ohne Unterbrechung mit Hormonen und chirurgischen Eingriffen weiter.
Weitere Hinweise deuten darauf hin, dass diese angebliche Pausentaste negative Auswirkungen auf die Knochendichte hat, d.h. für Brüche anfälligere Knochen schon im Jugendalter. Bei biologischen Jungen reichten schon kurze Zeiträume der Gabe von Pubertätsblockern für krankhafte Veränderungen am Hodengewebe aus. Auch auf die Hirnentwicklung wurden negative Auswirkungen wie ein niedrigerer IQ festgestellt.
Doch all dies ficht die AdvokatInnen für den gender-affirmativen Ansatz nicht an. Sie verweisen darauf, dass wichtige Fachverbände wie die American Academy of Pediatrics (AAP) das gender-affirmative Modell unterstützen und natürlich auf die entsprechenden Empfehlungen und Leitlinien der World Professional Association for Transgender Health (WPATH).
WPATH ist nicht integer
Gerade aber die WPATH wurde von Trumps Executive Order angezählt. Darin heißt es nüchtern, dass es den Leitlinien der WPATH an wissenschaftlicher Integrität mangele. Trump ist nicht der erste mit dieser Feststellung. In Schweden hat man sich schon 2022 von der WPATH distanziert, nachdem diese in ihren aktuellen Behandlungsempfehlungen bei Minderjährigen jegliche Altersgrenzen für Pubertätsblocker, Hormone und chirurgische Eingriffe gestrichen hat. Auch habe WPATH systematische Evidenzüberprüfungen unterdrückt, weil sie eine geschlechtsangleichende Behandlung von Jugendlichen nicht unterstützten.
Das Entfernen jeglicher Altersgrenzen soll auf politischen Druck durch Transfrau Rachel Levine, ein Mitglied der vorherigen Biden-Administration im Gesundheitsministerium, zustande gekommen sein. In der 2022 veröffentlichten achten Fassung der WPATH-Empfehlungen ist aber noch etwas Ungeheuerliches zu finden: ein Kapitel über „Eunuch“ als Geschlechtsidentität. Sogar Kinder sollen sich so definieren können. Als Primärquelle diente eine dubiose Sexseite namens Eunuch Archives.
Für den schwedischen Kinderarzt Mats Reimer sowie viele seiner KollegInnen sei dies ein klares Zeichen gewesen, dass es sich bei der WPATH nicht um eine wissenschaftliche Organisation, sondern um eine Aktivistengruppe handele. Als Reaktion auf die Executive Order kam von der WPATH bislang lediglich eine knappe Bekundung von Enttäuschung.
TransaktivistInnen indes haben schon angekündigt, gerichtlich gegen Trumps Verordnungen vorgehen zu wollen. Langjährige kritische BeobachterInnen wie die Journalistin Lisa Selin Davis jedoch, sehen diese Maßnahmen als „notwendiges Korrektiv“. Wahrscheinlich teilen viele andere US-BürgerInnen diese Sicht. Traurig aber ist, dass es einem Populisten wie Trump vorbehalten war, gravierende Fehlentwicklungen abrupt zu stoppen und dass es in den Transorganisationen sowie den mit ihnen verbündeten MedizinerInnen nicht vorher zu Kurskorrekturen gekommen ist. Wer verstehen will, wie es überhaupt zu Trumps Dekreten kommen konnte, sollte auch die Teile der Geschichte kennen, die TransaktivistInnen nicht so gern hören.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Trumps erstes Trans-Dekret – Schikane oder Vernunft?
Zum Start seiner zweiten Präsidentschaft erließ Donald Trump mehrere Executive Orders – darunter auch eine, die Transpersonen betrifft. Queere Aktivisten sehen ihre Rechte in Gefahr, für andere sind die präsidentialen Weisungen lediglich ein notwendiges Korrektiv.
US-Präsident Donald Trump unterzeichnete am 23. Januar 2025 einige seiner ersten Dekrete und inszenierte sich dabei medienwirksam. (Foto: Eigener Screenshot).
26. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Donald J. Trump ist zurück im Weißen Haus in Washington, dem US-amerikanischen Machtzentrum. Am 20. Januar 2025 wurde er zum 47. Präsidenten der USA vereidigt, und gleich zum Start erließ er eine Durchführungsverordnung, die Transpersonen betrifft. Trump hatte im Wahlkampf versprochen, dass er vom ersten Tag an gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ vorgehen werde.
Diese Anordnung ist eine von fast 200 Durchführungsmaßnahmen, mit denen Trump seine Amtszeit beginnt. Weitere betreffen zum Beispiel die Ausrufung des nationalen Notstands an der Grenze vor allem der zu Mexiko, die Beendigung aller Diversity-Programme in der gesamten Bundesregierung und der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen.
Biologie per Dekret
Nun unterzeichnete er die Durchführungsverordnung dem Titel „Defending Women from Gender Ideology Extremism and Restoring Biological Truth to the Federal Government“.
Was genau beinhaltet diese Verordnung?
Die Durchführungsverordnung legt regierungsweit die biologische Realität von zwei Geschlechtern fest und definiert eindeutig männlich und weiblich.
Alle radikalen geschlechtsideologischen Anleitungen, Mitteilungen, Richtlinien und Formulare werden entfernt.
Die Behörden werden bei der Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Diskriminierung nicht mehr so tun, als könnten Männer Frauen und Frauen Männer sein.
„Frau“ bedeutet eine „erwachsene weibliche Person“.
Die Executive Order schreibt vor, dass staatliche Ausweise wie Pässe und Personalakten die biologische Realität und nicht die selbst eingeschätzte Geschlechtsidentität widerspiegeln sollen.
Die Executive Order beendet die Praxis der Unterbringung von Männern in Frauengefängnissen und die vom Steuerzahler finanzierte „Transition“ für männliche Gefangene.
Die Durchführungsverordnung beendet die erzwungene Nennung von „bevorzugten Pronomen“ und schützt das Recht der Amerikaner auf Anerkennung der biologischen und binären Natur des Geschlechts nach dem ersten Verfassungszusatz und dem Gesetz. Dies schließt den Schutz am Arbeitsplatz und in staatlich finanzierten Einrichtungen wie Schulen ein.
Transthema war wahlentscheidend
Auf die Frage des konservativen Online-Mediums The Free Press, warum Trump diesem Thema eine derartige Priorität einräumt, sagte ein hochrangiger Beamter: „Das war wirklich ein entscheidendes Thema im Wahlkampf. Der Präsident wird die Versprechen einlösen, die er im Wahlkampf gemacht hat.“ In der Durchführungsverordnung heißt es darum auch: „Die radikale Gender-Ideologie hat die biologische Wahrheit, die Sicherheit und die Chancen der Frauen zerstört.“
Der Deutschlandfunk erklärt die Bedeutung solcher Dekrete: Sie beinhalten verbindliche Anordnungen des Präsidenten für die Exekutive (also die gesetzesausführenden Institutionen), sie können bestehende Gesetze präzisieren oder weiterentwickeln oder auch den nationalen Notstand anordnen.
Die Dekrete durchlaufen nicht den Gesetzgebungsprozess im US-Kongress, sie müssen aber von der Verfassung gestützt sein. Der Präsident selbst oder dessen Nachfolger kann die Dekrete jederzeit aufheben. Ebenso können Gerichte ein Dekret aufheben, wenn es als verfassungswidrig eingestuft wird.
Transaktivisten bereiten sich auf Kampf vor
Es ist also gut möglich, dass queere Verbände zum Beispiel die Gerichte bemühen werden. Die American Civil Liberties Union (ACLU) bereitet sich laut einer eigenen Meldung darauf vor. Die ACLU ordnet kurz ein, welche Konsequenzen sich schon jetzt aus Trumps Executive Order ergeben: Kurz nach deren Erlass habe ein Beamter gesagt, dass die Richtlinie, die sich auf den Geschlechtseintrag in US-Pässen beziehe, nicht rückwirkend auf bereits geänderte Pässe angewandt würde. Trumps Anordnung wird jedoch trans- und intergeschlechtliche Menschen daran hindern, neue Pässe, Visa und sonstige Reisedokumente zu erhalten, die das Identitätsgeschlecht widerspiegeln.
Trumps Maßnahmen scheinen von seinen WählerInnen begrüßt zu werden. Ergebnisse einer Meinungsbefragung durch IPSOS im Auftrag der New York Times bestätigen aber auch sonst, dass die Mehrheit der US-BürgerInnen wichtige progressive Grundüberzeugungen in der Transfrage nicht mittragen.
Pubertätsblocker und Frauensport
Auf die Frage „Überlegungen zu Transgender-Sportlerinnen – d. h. Sportlerinnen, die bei der Geburt männlich waren, aber die sich in der Jugend als weiblich identifiziert haben, sollte es ihnen erlaubt sein, am Frauensport teilzunehmen?“ antworteten WählerInnen der GOP, also der Partei Donald Trumps, zu 94 Prozent mit „Nein“, auch befragte WählerInnen der Dems antworteten mit 67 Prozent entsprechend.
Ebenso brisant wie das, je nach Perspektive, Problem biologisch männlicher Personen im Frauensport ist die Frage, ob schon Minderjährige geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone bekommen sollten. Hier sind 90 Prozent der befragten republikanischen WählerInnen der Ansicht, dass es geschlechtsangleichende Behandlungen nicht vor dem 18. Lebensjahr geben sollte. Immerhin 54 Prozent der WählerInnen der Demokratischen Partei sahen das genauso.
Die Fragen mit Transbezug aus der IPSOS-Befragung (Foto: Eigener Screenshot).
Der schwule liberal-konservative Journalist Andrew Sullivan, der in den vergangenen Jahren zur Wahl von KandidatInnen der Demokraten aufrief, ordnet Trumps Entscheidungen in seinem Blog ein:
„Bedeutet dies einen Krieg gegen transsexuelle Amerikaner? Nein, natürlich nicht. Sie sind durch das Bürgerrechtsgesetz vor Diskriminierung geschützt – laut Trumps eigener Wahl für den Obersten Gerichtshof, Neil Gorsuch. Erwachsene sollten weiterhin uneingeschränkten Zugang zu Übergangsmedikamenten haben und mit Anstand und Respekt behandelt werden. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich mich genauso lautstark beschweren, wie ich es bei der Transition von Kindern getan habe. Aber es sollte keine biologischen Männer geben, die mit Frauen im Sport konkurrieren; keine Verletzung der Privatsphäre von Frauen durch biologische Männer, die mit ihren Schwänzen und Eiern in intimen Räumen herumwedeln; und ein Ende der grotesken Praxis, biologische Männer mit Sexualdelikten in Frauengefängnisse zu lassen. Ernsthaft, was für ein Wahnsinn war das alles?“
In wenigen Worten fasst Sullivan die wesentlichen Gründe zusammen, die um die Transfrage für hitzige Kontroversen sorgen und in denen Aktivisten sowie Demokraten höchst unklug, gar jenseits von wissenschaftlicher Evidenz agiert haben. Nun ist der sogenannte Backlash am Laufen, und auch in Deutschland täte man gut daran, die richtigen Lehren aus den Vorgängen jenseits des Atlantiks zu ziehen. Denn all das, was in den USA zur Transfrage nicht mehrheitsfähig ist, ist es hier auch nicht.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Marla-Svenja Liebich oder: Das Selbstbestimmungsgesetz als Waffe für Staatsfeinde
Bekannte rechtsextremistische Person sorgt mit Geschlechtsänderung für Aufregung
Marla-Svenja Liebich, eine rechtsextremistische Person aus Halle, hat das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen. Es wird bezweifelt, ob tatsächlich eine Geschlechtsdysphorie den Ausschlag dafür gab. Der Fall entfacht erneut Diskussionen, wie sicher das neue Gesetz vor Menschen mit missbräuchlichen Absichten schützt.
Das Selbstbestimmungsgesetz, welches die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags regelt, ist erst 2,5 Monate alt, und schon werden die transaktivistischen Überzeugungen, auf denen es fußt, schwer erschüttert. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes kann man Vornamen und Geschlechtseintrag mit einem Formular und dreimonatiger Wartezeit und gegen eine schlappe Gebühr von höchstens 60 Euro auf dem Standesamt ändern lassen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt die vorherigen Regelungen für Transpersonen und intergeschlechtliche Personen – erstere brauchten ein Verfahren beim Amtsgericht mit zwei Sachverständigengutachte, letztere ein ärztliches Attest und einen Gang zum Standesamt. Nun entfallen solche Auflagen. Es hieß immer – sowohl von TransaktivistInnen als auch ihren Allies aus der nun zerbrochenen Ampel-Koalition –, niemand würde eine voraussetzungslose Änderung missbrauchen. Transsein sei zu marginalisiert, als dass sich wirklich jemand ohne Not dem Diskriminierungsrisiko aussetzen würde.
Doch am 14. Januar 2025 wurde ein Fall bekannt, der an dieser Überzeugung Zweifel aufkommen lässt. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete zuerst über eine bekannte rechtsextremistische Person aus Halle, die mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes ihren Namen zu „Marla-Svenja“ und ihren Geschlechtseintrag zu „weiblich“ ändern ließ. Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung habe sich Liebich zu dem vorgenommenen Wechsel nicht äußern wollen – aus Angst vor Diskriminierung, wie die Person selbst angab. Die Journalisten hätten Liebich auf einem Firmengelände in Halle-Ost angetroffen. „Mit Vollbart und Basecap, in Jeans und Pullover“ sei die Person gut zu erkennen gewesen.
Liebich selbst ist für Provokationen bekannt. Diese Person ist seit Jahrzehnten in der rechtsextremistischen Szene in Halle aktiv, meldete u.a. Demonstrationen an und betrieb einen Onlineshop. Ein Produkt im Sortiment war z.B. ein Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“. Derzeit laufen gegen die Person mehrere Strafverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung und übler Nachrede. Im vergangenen August wurde Liebich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt, wogegen Revision eingelegt wurde, die noch nicht abgeschlossen ist.
Queerfeindliche Hetze
Liebich ist in der Vergangenheit auch mit Hetze gegen LGBT aufgefallen. 2022 störte die Person beispielsweise den CSD Halle und rief Teilnehmenden zu: „Ihr seid Parasiten dieser Gesellschaft!“ Diese Person Liebich möchte jetzt als Frau behandelt werden. Bereits Ende 2024 ließ Liebich beim zuständigen Standesamt in Schkeuditz Personenstand und Vornamen über das Selbstbestimmungsgesetz ändern. Wie erwähnt galt auch für diese Person: Diese Änderung ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden, lediglich eine Erklärung muss abgegeben werden, dass der gewählte Vorname und Geschlechtseintrag der Geschlechtsidentität am besten entspreche.
Es herrschen einhellig Zweifel daran, ob bei Liebich tatsächlich eine tiefempfundene Geschlechtsdysphorie der Anlass für diesen Schritt war. Doch das ist irrelevant, denn immerhin fragt das Selbstbestimmungsgesetz nicht nach so einer Voraussetzung. In Paragraf 1 dieses Gesetzes heißt es: „Ziel dieses Gesetzes ist es, die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken“. Jede Bürgerin, jeder Bürger dieses Landes kann mit ihrer Volljährigkeit einmal jährlich auf dem Standesamt diese Änderung vollziehen. Liebich handelte also vollkommen gesetzeskonform.
Herausforderung für den Rechtsstaat
Doch was könnte eine Person wie Liebich dazu motiviert haben? Einer Haftstrafe kann man sich auf diese Weise nicht entziehen, aber über einen geänderten Geschlechtseintrag zu „weiblich“ lässt sich eine Unterbringung in einer Frauen-Justizvollzugsanstalt einfordern. Dieser Forderung muss nicht zwingend stattgegeben werden, aber mittels Einlegens von Rechtsmitteln kann sich der Haftantritt zumindest so lange verzögern, bis geklärt ist, ob Liebich die Haftstrafe in einer JVA für Frauen oder für Männer verbüßen müsste.
Das Selbstbestimmungsgesetz bietet aber noch eine weitere interessante Möglichkeit, den Rechtsstaat auf Trab zu halten: das strafbewährte Offenbarungsverbot regelt, dass der alte Vorname und Geschlechtseintrag nicht gegen den Willen der betreffenden Person offenbart werden darf. Im Falle eines Verstoßes kann ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro drohen. Liebich hat bereits signalisiert, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. Die Bild-Zeitung berichtete, Liebich wolle alle verklagen, die diese Person als „Mann“ bezeichnen. In einem Bericht des Tagesspiegel heißt es, ein entsprechendes Anwaltsschreiben liege bereits vor.
Liebich wird sicherlich einige Möglichkeiten finden, den Rechtstaat am Nasenring durch die Manege zu ziehen – beispielsweise durch das Stellen von Anträgen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Ähnlichem. Künftig könnte auf diese Weise so mancher Sachverhalt zur Abwägung zwischen der Geschlechtsidentität und dem biologischen Geschlecht die Gerichte beschäftigen. Für Transpersonen besteht das Risiko, dass einiges, was der Transaktivismus in den vergangenen 15 Jahren erreicht hat, wieder zurückgenommen wird – soll heißen: der Geschlechtsidentität nicht mehr ohne Weiteres der Vorrang eingeräumt wird.
Weiterer Fall aus rechtsextremer Szene bekannt
Dies ist nicht der einzige Fall aus dem rechtsextremen Spektrum, wo das Selbstbestimmungsgesetz als Vehikel zum Triezen des ihnen verhassten Staates benutzt werden könnte. Bereits im Dezember berichtete IQN über den bayrischen AfD-nahen Aktivisten Johannes Normann, der auf dem Kurznachrichtendienst X sein ausgefülltes Formular für eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz postete. Auch er will damit die Justizbehörden zum Narren halten. Offenbar haben die ArchitektInnen des Selbstbestimmungsgesetzes nicht auf dem Schirm haben wollen, dass es Personengruppen gibt, die diesen Staat ablehnen und jede Möglichkeit bereit sind zu nutzen, um ihn vorzuführen.
KritikerInnen des Selbstbestimmungsgesetzes haben von Anfang an davor gewarnt, dass eine voraussetzungslose Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag Probleme wie dieses schaffen könnte. Dazu gehört auch die CDU/CSU. Deren Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz sagte gegenüber Welt, die Ampel habe einen großen Fehler gemacht und sie sei „erstaunt“, wie schnell ein solcher Fall eingetreten sei, vor dem sie immer gewarnt habe, was aber niemand habe hören wollen. Lindholz sagte ebenfalls, dass die Ampel auch Trans-Personen keinen Gefallen getan habe, wenn die Akzeptanz in der Gesellschaft letztlich sinke und der Personenstand ad absurdum geführt werde. Die CDU/CSU hat in ihrem Wahlprogramm bereits verkündet, dass Selbstbestimmungsgesetz in dieser Form nicht belassen zu wollen und dafür heftige Kritik von queeren AktivistInnen einstecken müssen.
Transaktivisten halten unerschütterlich an Self-ID fest
Im queeren Aktivismus ist man nach Kräften bemüht, daran festzuhalten, dass das Selbstbestimmungsgesetz eine richtige Sache war. Im Szenemedium queer.de etwa spielt man das Missbrauchspotenzial des Selbstbestimmungsgesetz sogar in einem Bericht über die Causa Liebich herunter, indem man Parallelen zu abstrus anmutenden Argumenten gegen die „Ehe für alle“ zieht.
Noch hanebüchener ist allerdings ein ebenfalls auf queer.de veröffentlichter Kommentar von Gabriel_Nox König, die Person ist zuständig für die Pressearbeit beim Bundesverband Trans*. Darin gibt König im Wesentlichen den KritikerInnen, die vor Missbrauchsmöglichkeiten warnten, die Schuld daran, dass jemand wie Liebich auf die Idee kommt, das Selbstbestimmungsgesetz zu nutzen.
In Königs Kommentar heißt es: „Wenn sich herausstellen sollte, dass die Vornamens- und Personenstandsänderung Liebichs ein PR-Stunt ist, wäre es besser gewesen, den Raum, den die Medien dieser Änderung einordnen, bei einer Fußnote zu belassen.“ Soll übersetzt heißen: Medien sollen doch bitte nichts berichten, was die transideologische Verblendung erschüttern könnte. Das klingt wie: „Nur, weil immer wieder auf die Gurtpflicht hingewiesen wird, sterben Menschen bei Autounfällen, die sich nicht angeschnallt haben!“
Auch wenn es TransaktivistInnen und ihre Verbündeten noch nicht einsehen wollen: Das Selbstbestimmungsgesetz war ein gehöriger Schuss in den Ofen. Je früher seine Fehler bezüglich der fehlenden Nachweispflicht über die Berechtigung der Motive der antragstellenden Person korrigiert werden, desto besser. Auch für die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Transpersonen.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.2023 war er auf Einladung der CDU/CSU Sachverständiger im Familienausschuss des Bundestags, die Stellungnahme ist online einsehbar.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Ein Leitfaden des Deutschen Sauna-Bunds sorgt für Aufregung
Seit dem 1. November 2024 ist in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Der Deutsche Sauna-Bund hat zum Jahresende einen kurzen Leitfaden veröffentlicht, wie Saunabetriebe mit dem Zutritt zu geschlechtsspezifischen Angeboten – zum Beispiel Frauensauna – umgehen sollten. Das Schriftstück bekam viel Aufmerksamkeit – vor allem von transaktivistischer Seite.
Schwitzen in der Sauna: Einigen Männern und Frauen ist es wichtig, dabei unter sich zu bleiben (Foto von HUUM auf Unsplash).
9. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Wahrscheinlich war es unabsichtlich die beste PR-Maßnahme eines Verbands: Der Deutsche Sauna-Bund, der bis vor Kurzem wohl nur Brancheninsidern ein Begriff war, sorgte mit einem am 27. Dezember 2024 veröffentlichten Leitfaden zum Umgang mit dem Selbstbestimmungsgesetz bundesweit für Schlagzeilen. In diesem Leitfaden erhalten Mitgliedsbetriebe Empfehlungen, wie unter dem Selbstbestimmungsgesetz mit Gästen umgegangen werden soll, die geschlechtsspezifische Angebote und Sanitäreinrichtungen nutzen wollen, aber augenscheinlich nicht dazu passen.
Primäres Geschlechtsmerkmal entscheidend
In dem knapp gehaltenen Text heißt es, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags keine automatische Zugangsberechtigung zu anderen geschlechtsspezifischen Bereichen bedeute. Weiter wird festgehalten: „Zum Eintritt in diese, insbesondere auch die Frauensauna, sind nur Personen berechtigt, deren primäre Geschlechtsmerkmale entsprechend sind. Der Eintrag des Geschlechts beim Standesamt und/oder im Reisepass sind nicht entscheidend.“
Eine erste Filterfunktion hat hierbei die Kassenkraft, die „nach Sichtkontrolle des Erscheinungsbildes“ über den Zutritt entscheidet und sich bei Zweifeln den Ausweis vorlegen lassen soll. Ebenso wird der Hinweis gegeben, dass für den geschlechtsspezifischen Bereich das primäre Geschlechtsmerkmal, also das Genital entscheidend ist. Um Missverständnisse auszuräumen habe ein Gast die Möglichkeit, freiwillig sein Genital zu zeigen, er solle aber nicht dazu aufgefordert werden.
Transaktivistin beklagt Ausgrenzung
Während viele Kritikerinnen und Kritiker des Selbstbestimmungsgesetzes diesen Leitfaden begrüßen, schreien Transaktivisten Zeter und Mordio. Auch der LSVD*-Verband Queere Vielfalt hat am 7. Januar 2025 dazu eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin beklagt das Vorstandsmitglied und Transaktivistin Julia Monro: „Trotz ausführlicher Klarstellungen in der Gesetzesbegründung wird hier eine Debatte angestachelt, die nur eine Spaltung zur Folge haben kann. Ein demokratisches Miteinander würde hingegen bedeuten, sich um Lösungen zu bemühen, wie allen Menschen in ihrer Vielfalt die Teilhabe für ein Angebot ermöglicht werden kann. Stattdessen wird eine Minderheit weiter ausgegrenzt, die sich ohnehin in vielen Lebenslagen immer wieder beweisen muss.“
Man könnte den Eindruck gewinnen, als gäbe es in Deutschland nur geschlechtshomogene Saunaangebote. Doch genauso wie Frauenschwimmtage sind es einzelne Zeiten oder Tage, an denen die meisten Saunen nur Frauen oder Männer reinlassen. Die meisten Zeiten sind für alle Geschlechter offen. Was also wäre so schlimm daran, an einem Unisex-Tag die Sauna zu nutzen, wenn man die Zutrittskriterien für das geschlechtsspezifische Angebot nicht erfüllt?
Transpersonen unter Generalverdacht?
Monro beklagt weiter: „Der Leitfaden stellt trans* Menschen unter einen Generalverdacht und zementiert Vorstellungen von Rollenbildern, wie Menschen geschlechtsspezifisch auszusehen haben. Diese Rollenbilder erfassen die gelebte gesellschaftliche Vielfalt nicht. Zudem ist es unklar, nach welchen Kriterien eine nicht-binäre Person am Erscheinungsbild identifiziert werden soll. Der Leitfaden drängt Sauna-Personal und Besucher*innen in ein ethisches Dilemma und wird auch cis Personen treffen, die nicht den heteronormativen Vorstellungen des Personals entsprechen.“
Geschlechtsmerkmale sind oft sehr aussagekräftig, unabhängig davon, was für eine Geschlechtsrolle jemand lebt. In den allermeisten Fällen können wir Menschen, denen wir auf der Straße begegnen, schon auf den ersten Blick geschlechtlich verorten – mit korrektem Ergebnis – und tun das auch unbewusst. Der Leitfaden des Sauna-Bunds spricht im Übrigen nicht von Rollenbildern, sondern von Geschlechtsmerkmalen. Für nicht-binäre Personen stellt sich die Frage, warum jemand, der sich keinem Geschlecht zuordnen will, dann doch ein geschlechtsspezifisches Angebot nutzen möchte.
Der Leitfaden wird von Julia Monro gar auf eine Ebene mit den „Bathroom Bills“ in den USA gestellt, die gesetzlich bestimmten, dass Transpersonen die geschlechtsspezifischen Einrichtungen für ihr biologisches Geschlecht zu nutzen haben. „Diese erste deutsche Bathroom Bill darf nicht zu einer politischen Hetzjagd gegen trans* Personen wie in den USA werden. Wir appellieren an Politik und Gesellschaft, der Verantwortung nachzukommen, Minderheiten zu schützen“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
Respekt auch für Bedürfnisse von Frauen
In der Alltagspraxis aber wird es auf das äußere Passing ankommen, also wie gut man als Transperson von anderen Menschen entsprechend der Geschlechtsidentität wahrgenommen wird. Warum will man in einen geschlechtsspezifischen Bereich, wenn nicht mal annähernd ein Passing vorhanden ist?
Es ist zu respektieren, dass gerade Frauen geschlechtsspezifische Angebote wünschen, die penisfrei sind. Für einige Frauen, zum Beispiel religiöse Muslima, ist dies gar eine notwendige Bedingung. Der Deutsche Sauna-Bund hat seinen Mitgliedsbetrieben nun eine praktische Orientierungshilfe an die Hand gegeben, um solche Angebote weiter aufrechterhalten zu können.
Wer eine politische Hetzjagd verhindern will, sollte auch als Transaktivistin einen Beitrag dazu leisten und nicht nur die eigenen Befindlichkeiten sehen, sondern auch die Bedürfnisse anderer achten. Vielleicht sind ein Leitfaden wie dieser oder sogar die „Bathroom Bills“ ja auch eine Reaktion auf den aktivistischen Versuch, ein radikales Geschlechterbild in der ganzen Gesellschaft durchboxen zu wollen, in dem die Biologie überhaupt nichts mehr zu sagen hat? Auch darüber könnten Aktivistinnen wie Monro mal nachdenken.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
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Queeres Archivhaus in Berlin – kein Ort für Kultur und Begegnung?
Drei queere Archive wollen in Berlin in Neukölln ein gemeinsames Archivzentrum errichten. Nun werben sie um Spenden, um die notwendigen Genossenschaftsanteile der avisierten Immobilie finanzieren zu können. Noch ist das Spendenziel nicht erreicht. Doch ist ein reiner Sammlungsort ohne öffentlichkeitsinklusive Anteile noch zeitgemäß?
In Berlin mühen sich seit einigen Jahren drei im LGBTI*-Spektrum arbeitende Archive um ein gemeinsames Archivhaus. Nun scheint es konkreter zu werden. Unter der Überschrift „Endlich (alles) an einem Ort“ heißt es: „Drei der ältesten und bedeutendsten Gedächtniseinrichtungen Berlins – das feministische Archiv FFBIZ, die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und das Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek – bauen ein gemeinsames Archivzentrum auf.“ Und zwar in Neukölln, stadtauswärts betrachtet rechts der Karl-Marx-Straße gleich hinter dem wuchtigen Rathaus des Bezirks.
„Das gemeinsame Archivzentrum wird in einem Gebäudekomplex auf dem Gelände des sog. Vollgutlagers der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln entstehen. Das Gelände gehört der Schweizer Stiftung Edith Maryon. Eines der Ziele der Stiftung ist es, Grund und Boden der Spekulation zu entziehen und damit günstige Mieten zu ermöglichen. Das künftige Erbbaurecht der Vollgut eG i. Gr. sichert den Standort langfristig; und die von uns zu mietenden Flächen bieten ausreichend Platz für Zuwächse von Bibliothek und Archiv – bei Garantie günstiger Mietpreise.“
Und zur Zielsetzung generell, sprachlich nicht ganz frei von Antragsprosa in Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien noch keinen Einfluss auf Behörden und Subventionstöpfe haben:
„Sammlung und Erhalt lesbischer, schwuler, queerer und feministischer Geschichte wird in Zeiten eines erneuten Rechtsrucks immer wichtiger! Die Kämpfe von damals sind unser Auftrag heute – um die Generationen, die nach uns kommen, zu informieren, zu stärken und zu inspirieren. Die Zusammenführung als Archivzentrum bedeutet die langfristige Sicherung der drei beteiligten Archive: Verträge über 99 Jahre mit der Garantie stabiler Mieten und mehr Platz für die wachsenden Bestände!“
Spenden für Archivhaus gesucht
Die drei Archive würden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum traditionsreichen SchwuZ ansiedeln. Es wäre der zweite größere Standort für die Sammlungen, Bibliotheken sowie Vor- und Nachlässe aus der LGBTI-Community – denn Marktführer im Hinblick auf das Sammeln dieser Kulturschätze ist das Schwule Museum.. Ermöglicht werden soll das Neuköllner Projekt durch Spenden – eine Anschubfinanzierung gibt es außerdem von der 2023 neu gegründeten privaten Schachtsiek Familien Stiftung.
„Bislang sind 642 Spenden eingegangen, und es ist ein Betrag von 159.846 Euro eingesammelt worden. Das entspricht 53 Prozent der nötigen Gesamtsumme. Kurz vor Weihnachten erklärte Giuseppina Lettieri als Verantwortliche der Aktion, dass der Pachtvertrag für das Vollgut-Areal trotz der noch fehlenden Gelder unterzeichnet worden sei. Aber: ‚Für unseren 3. und letzten Genossenschaftsanteil fehlen uns noch gut 130.000 Euro. Falls sie/ihr unsere Spendenkampagne nochmal mit bewerben könntet, wären wir euch sehr dankbar.‘“
Der Spendenaufruf auf der Website des geplanten Archivzentrums (Foto: Eigener Screenshot).
Wir wünschen dieser schönen Idee viel Glück, es werden gewiss noch weitere Gelder akquiriert werden können. Die drei bislang verstreut in der Berliner Queertopographie verteilten Archive könnten gemeinsam in einem Gebäude ihren BesucherInnen viel Fahrerei ersparen, wenn sie deren Bestände nutzen wollen. Auch ist der Weg nicht weit ins Schwule Museum – wo auch immer dieses in mittlerer Zukunft Quartier beziehen wird. Denn auch dieses traditionsreiche Haus steht in der Not, mit immer höheren Mietforderungen konfrontiert zu werden und die Dauerförderung durch den Senat könnte auch nicht für ewig in gleicher Höhe fließen.
Obendrein sind es aus dem Rollberg-nahen Kiez in Neukölln nur wenige Schritte um zum vielleicht kostbarsten Archiv aus dem LGBTI*-Spektrum zu kommen, dem Lili-Elbe-Archiv, das – Stand 2020 – in einer halbwegs geräumigen Wohnung in der Weserstraße angesiedelt war. Unklar ist, wie es um dieses Archiv aktuell bestellt ist, dessen Archivmaterial qualitativ nur das Transgender Archive an der kanadischen University of Victoria als würdige Vergleichsgröße hatte.
Archivpläne ohne Gastronomie und Veranstaltungen
Insgesamt entsprechen die seit einigen Monaten öffentlich werdenden Pläne der drei ArchivträgerInnen jenen, die sie auch beim Plan für ein Queeres Kulturhaus eingebracht haben. Dieses Queere Kulturhaus war bis Ende 2020 geplant als ein Haus der queeren Archive, wo zugleich auch Kulturveranstaltungen stattgefunden hätten und mit einer gastronomischen Einrichtung, die zum neugierigen Spontanbesuch einladen sollte. Das aber wollten die VertreterInnen der Archive nicht: Sie wollten keineswegs nur zufälligen Publikumsverkehr. Oder wie es ein Verantwortlicher der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sagte: „Wir sind ja kein CSD.“
Mit anderen Worten: Sie möchten ein Archivhaus ohne kulturellen „Schnickschnack“ (so ein Ausdruck einer Frau des Spinnbodenarchivs) – und scheiterten mit diesem Plan am damaligen Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer, der dem gesamten Projekt, Stand Juni 2020, 23 Millionen Euro zusagte, aber nur unter der Voraussetzung, dass es nicht nur eine allgemeine Archivstätte ist. Der Raumplan für das Archivhaus, wie die drei TrägerInnen ihn sich vorstellen, ist noch nicht weiter öffentlich bekannt, aber aus Erfahrung mit ihnen lässt sich vermuten, dass man kein Interesse an einem regen Publikumsverkehr hat. Bereits bei der Ausrichtung der Weltkonferenz queerer Archive 2019 versäumten diese Archive Bemühungen, eine professionelle Medienarbeit zu verankern oder sich über die Fachöffentlichkeit hinaus bekannt zu machen.
Öffentlichkeitsbewusste Inklusion fehlt
Das Archivhaus hat natürlich jedes Recht, sich auch in Neukölln anzusiedeln. Warum aber viel preisgünstigere Mietimmobilien etwa am Stadtrand für eine reine Aufbewahr- und Forschungseinrichtung nicht ausreichen würden, bleibt ein Rätsel. Und wer weiß: Vielleicht wäre ein Konzept mit Kultur- und Begegnungsprogramm auch für potenzielle SpenderInnen attraktiver? Jede moderne Bibliothek (mit angeschlossenen Sammlungsbeständen) wie etwa die in der finnischen Hauptstadt Helsinki ist auf Publikumsnutzung angelegt – man heißt es willkommen! Oodi (finnisch für „Ode“) heißt diese Bibliothek, die immerhin 2019 zur besten der Welt gekürt wurde.
Das finnische Beispiel hat im Vergleich mit queeren Projekten gigantischere Ausmaße, aber die Idee der öffentlichen Transparenz ist der entscheidende Punkt. So wie in Hamburg das alte Postamt am Hauptbahnhof, der Hühnerposten, nicht nur Bibliothek, sondern vor allem BürgerInnentreffpunkt ist. All diese Aspekte der öffentlichkeitsbewussten Inklusion spielen leider beim Archivhaus keine Rolle: Möchte man lieber unter sich im kleinen Kreis bleiben?
Transparenzhinweis: Der Autor war Initiator des Queeren Kulturhauses im Jahr 2012 als Projekt für einen queeren Leuchtturm in Berlin und ist für IQN Mitglied des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
In einem Spiegel-Interview spricht der Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski darüber, warum es Homosexuelle gibt, die sich in der in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) engagieren. Doch anstatt lebensnaher Erklärungen gibt es nur vorgestanzte Schablonen aus den Gender und Queer Studies.
Offen schwul und Mitglied in der AfD? Wahrscheinlich würden sich schwule AfD Mitglieder nicht mit aktivistischen Symbolen wie der Regenbogenflagge zeigen (Foto: Freepik)
4. Januar 2025 | Till Randolf Amelung
Wie passen Homosexualität und eine Mitgliedschaft in der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zusammen? Mit Alice Weidel hat die Partei zwar eine offen lesbische Vorsitzende, aber politisch stellt sich die AfD gegen queeren Aktivismus – insbesondere auf das Transthema haben sie sich eingeschossen. Im vergangenen Sommer wurde der von der Bundesregierung eingebrachte Aktionsplan „Queer leben“ von der AfD abgelehnt. Der Abgeordnete Martin Reichardt bezeichnete die politischen Vorhaben als „queeren Firlefanz“ und als „linksideologischen Angriff auf die traditionelle Familie, die Wissenschaft und das Wohl insbesondere von Kindern, Jugendlichen und Frauen“.
Homosexuelle in der AfD
Der Spiegel hat nun den Berliner Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski gefragt, warum es trotz dieser politischen Äußerungen aus der Partei Homosexuelle gibt, die der AfD zugeneigt sind – der Mann hat jüngst seine akademische Qualfikationsarbeit zum Thema veröffentlicht. Doch das Interview schafft es nicht, diese Frage plausibel zu beantworten. Vielmehr offenbart es die Denkschablonen, die im Bereich der Gender und Queer Studies kursieren, denen sich Wielowiejski zurechnet.
Kulturwissenschaftler Wielowiejski verweist, um die Attraktivität der AfD auf einige homosexuelle Menschen zu erklären, vor allem auf Vorstellungswelten, die den erotischen Männerbund als „staatstragend“ idealisierten:
„Seit den Siebzigerjahren waren es vor allem linksgerichtete und liberale Bewegungen, die Rechte für Homosexuelle erkämpft haben. Deswegen nehmen wir Homosexualität und rechte Gesinnung meist als Widerspruch wahr. Früher war das keinesfalls selbstverständlich. Schon während der homosexuellen Emanzipation ab Ende des 19. Jahrhunderts gab es Schwule, für die Homosexualität eine höhere Form der Männlichkeit bedeutete. Das war eine misogyne, antifeministische, in Teilen antisemitische Vorstellungswelt, die sich in der Tradition antiker erotischer Männerbünde sah. In dieser Vorstellung basiert auch der Staat auf solchen Männerbünden.“
Toxische Männerbunderotik und Islamfeindlichkeit
Einen Popularisierungsschub erhielten diese Vorstellungen in der Zeit der Weimarer Republik durch das Werk von Hans Blüher und wurden laut dem Historiker Alexander Zinn aufgrund ihrer Radikalität unter Intellektuellen populär. Doch auch der spätere SS-Chef Heinrich Himmler las Blühers Werk – und verkehrte dessen Ideen ins Gegenteil. Die staatstragenden Männerbünde wurden bei Himmler zu staatszersetzenden Gemeinschaften – und dies wiederum bildete in der NS-Ideologie eine Rechtfertigung zur Verfolgung Homosexueller. Doch solche Aspekte finden sich nicht im „Spiegel“-Interview. Hauptsache, die Männlichkeit ist „toxisch“.
Als weiterer Aspekt, der die AfD für Homos attraktiv machen könne, wird die Ablehnung des Islams genannt. Wielowiejski will einigen Homosexuellen zwar zugestehen, aufgrund schlechter Erfahrungen negativ gegenüber Muslimen eingestellt zu sein, spricht jedoch nur vom antimuslimischen Rassismus, anstatt auch von ebenfalls vorhandener Homophobie unter religiös orientierten Muslimen. Im Oktober 2024 traf der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert einen Nerv, als er gegenüber dem Spiegel sagte, aus muslimisch gelesenen Männergruppen käme es häufiger zu einem homophoben Spruch. In linksprogressiven Kreisen werden auch Äußerungen wie diese sehr schnell unter den Verdacht des antimuslimischen Rassismus gestellt, was eine sachlich-konstruktive Problembewältigung erschwert, zum Beispiel durch Alfonso Pantisano, Ansprechperson für queere Menschen und deren Anliegen beim schwarz-roten Senat Berlins.
Effekte gesellschaftlicher Modernisierung
Wielowiejski zufolge hätten es außerdem gesamtgesellschaftliche Modernisierungsprozesse erleichtert, dass inzwischen auch Rechtsextreme Homosexuelle anerkennen müssten, sofern sie noch irgendwie in die sogenannte Volksgemeinschaft passten:
„Die Grenzen zwischen einem »Wir« und »den anderen«, die im Rechtsextremismus sehr scharf gezogen werden, verschieben sich. Das ist eine Reaktion auf veränderte Bedingungen. Homosexualität wird in vielen westlichen Ländern von einem Großteil der Bevölkerung toleriert. Damit wird es auch für eine sich modernisierende extreme Rechte, die für viele attraktiv bleiben will, schwierig, Homosexuelle per se auszuschließen.“
Kontroverse bei Trans verfehlt
Verfehlt wird von Wielowiejski allerdings der Kern dessen, was die Transthematik aktuell so kontrovers macht und wie gefährlich emanzipatorisch gemeinte Traumwelten vom ausschließlich sozial konstruierten (d.h. nicht mehr biologisch begründeten) und frei wählbaren Geschlecht sind, die sich von natur- und auch sozialwissenschaftlicher Evidenz entfernt haben:
„Jenseits der Binarität geht für die AfD nichts. Alles, was darüber hinausgeht, gilt für sie als »pervers«: Wenn Geschlecht als soziales Konstrukt verstanden wird, wenn Menschen selbst über ihre Sexualität und ihre Geschlechtsidentität bestimmen dürfen, wenn sie selbst entscheiden dürfen, wie sie geschlechtlich verortet sind und mit welchen Pronomen sie angesprochen werden möchten.“
Es gibt spätestens seit der Veröffentlichung des Cass-Reports in Großbritannien überdeutliche Hinweise auf die Risiken von frühen affirmativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei Minderjährigen. Doch das politisch linksprogressive Lager spielt lieber Vogel Strauß. Zum Jahresende verkündete die AfD-Bundestagsfraktion, dass sie ein Verbot von Geschlechtsanpassungen bei Minderjährigen wollen, also bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie. Offenbar haben Weidel und Co. in die USA geschaut und vom erfolgreichen Trump-Wahlkampf gelernt.
Insgesamt krankt das Spiegel-Interview daran, dass es lebensfern ist. Das Magazin hätte besser homosexuellen AfD-Mitgliedern selbst Fragen zu ihren Beweggründen gestellt, sich in dieser Partei zu engagieren. Mit Sicherheit wären diese Antworten aufschlussreicher gewesen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil an Gender und Queer Studies Geschulte gern den Fehler begehen, Homosexuelle nur von dieser Eigenschaft, der sexuellen Orientierung, aus zu betrachten, die am gesamten Menschen doch nur eine von vielen anderen ist. Und schon gar nicht muss sie für ein Individuum das zentrale Kriterium bei der Bewertung von Wahlprogrammen und Parteien sein.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Oder: Etwas, was nicht passiert, ist nun doch passiert
Das Selbstbestimmungsgesetz soll es trans- und intergeschlechtlichen Personen erleichtern, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Fehlende Nachweispflichten öffnen jedoch Tür und Tor für betrügerische Absichten. BefürworterInnen des Gesetzes stritten das ab und tun es noch – doch jetzt will ein AfD-Aktivist das Gesetz missbrauchen.
Nicht nur in Norwegen muss vor Trollen gewarnt werden, sondern auch das deutsche Selbstbestimmungsgesetz zieht solche Wesen an (Foto von Mark König auf Unsplash).
17. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung
Seit dem 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, ein Lieblingsprojekt der inzwischen ruinierten Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP. Kern dieses Gesetzes ist, dass für eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags kein Nachweis (z.B. ärztliche Atteste oder Sachverständigengutachten) mehr erforderlich ist. Jede erwachsene Person kann nun beim Standesamt mit dreimonatiger Wartezeit diese Änderungen vollziehen. Gedacht ist die Regelung für trans- und intergeschlechtliche Personen, aber de facto gibt es kein Mittel, welches sicher stellt, dass auch nur diese vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch machen. Stattdessen soll allein die beim Standesamt abgegebene Selbsterklärung zählen.
Missbrauchspotenzial vom Selbstbestimmungsgesetz geleugnet
KritikerInnen warnten wiederholt vor dem Risiko, dass das Selbstbestimmungsgesetz in dieser Form Missbrauchpotenzial biete. Die BefürworterInnen, allen voran die Ampel-Parteien und TransaktivistInnen, wiegelten die Hinweise auf Sicherheitslücken rigoros ab. Transsein sei mit so viel gesellschaftlichen Nachteilen verbunden, das Risiko nehme doch niemand freiwillig in Kauf. Man würde so nur Misstrauen vor allem gegen Transfrauen schüren.
AfD-Aktivist will Selbstbestimmungsgesetz missbrauchen
Jetzt hat Johannes Normann, ein bekannter Aktivist und Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) am 10. Dezember 2024 im sozialen Netzwerk X verkündet, er habe einen Antrag auf eine Änderung seines Vornamens und Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz gestellt. Als Beleg fügte er ein Foto eines ausgefüllten Formulars bei. Dazu schreibt er unter anderem: „Wenn es @Markus_Soeder & Co tatsächl. gelingen sollte mich dauerhaft hinter Gitter zu bringen (Haftbefehl nur ausgesetzt, Gerichtstermin am 1. April, wie passend), will ich in den Frauenknast.“
Der Tweet von Johannes Normann inklusive Bild von ausgefülltem Formular (Foto: Eigener Screenshot).
Nun will Normann offenbar den deutschen Staat noch in anderer Weise herausfordern. Im Selbstbestimmungsgesetz sind keine Regelungen vorgesehen, die es StandesbeamtInnen ermöglichen würden, Normann die Änderung wegen offenkundig niederer Motive zu versagen.
Probleme in Spanien mit Missbrauch von Self-ID
Dabei hätte man lediglich nach Spanien schauen müssen, wo bereits seit 2023 das Ley Trans, ein dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz vergleichbares in Kraft ist. Seither sind mehrere Missbrauchsfälle offenbar geworden. Zuletzt machte ein Mann Schlagzeilen, der sich mit einer Änderung des Geschlechtseintrags eine vorteilhafte Position im Auswahlverfahren für einen Job bei der Feuerwehr sicherte. Nach der Änderung wurden seine Leistungen nach den Kriterien für Frauen bewertet. Ein anderer Mann, der deshalb keinen Job mehr bekam, klagt nun wegen Betrugs.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.Im November 2023 war er auf Einladung der CDU/CSU als Sachverständiger im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz angehört worden. Ein Auszug aus seiner Stellungnahme wurde im IQN-Blog veröffentlicht.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Großbritannien verlängert Verbot von Pubertätsblockern
Seit Mai 2024 sind in Großbritannien Verordnungen von Pubertätsblockern an Minderjährige verboten. Dieses Verbot umfasst auch privatärztliche Versorgung und eine Beschaffung über ausländische Quellen. Nun wurde das Verbot, was noch die letzten Tory-Regierung erlassen hat, von der neuen Labour-Regierung auf unbestimmte Zeit verlängert. Damit folgen sowohl Linke als auch Konservative der Vernunft.
Der offen schwule britische Gesundheitsminister Wes Streeting (Labour) verkündet im Unterhaus die Verlängerung des Verbots von Pubertätsblockern (Foto: Eigener Screenshot von YouTube).
13. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung
In Großbritannien hat das Gesundheitsministerium nun ein bereits im Mai 2024 erlassenes Verbot von Pubertätsblockern auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Labour-Regierung setzt den bereits unter der letzten Tory-Regierung eingeschlagenen Kurs gegenüber Pubertätsblockern fort. Damit reagiert das Ministerium auf Expertenempfehlungen, darunter die der Kommission für Humanarzneimittel. In einem unabhängigen Gutachten befanden die Kommissionsmitglieder, dass die fortgesetzte Verschreibung von Pubertätsblockern an Kinder derzeit ein inakzeptables Sicherheitsrisiko darstelle.
Pubertätsblockerverbot schließt Schlupflöcher
Das nun entfristete Verbot will vor allem Lücken durch privatärztliche Verordnungen schließen. Im Versorgungssystem des National Health Service (NHS) werden Pubertätsblocker seit März 2024 nicht mehr verschrieben. Ein Ausweichen auf Privatärzte oder gar ins Ausland ist mit dem Verbot ebenfalls verhindert.
James Palmer, Direktor im NHS sagt dazu: „Wir begrüßen die Entscheidung der Regierung, den Zugang über private Verordner weiter zu verbieten und damit ein Schlupfloch zu schließen, das ein Risiko für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen darstellte. Für die betroffenen jungen Menschen und ihre Familien wird dies jedoch eine schwierige Zeit sein, weshalb wir allen, die von der Verbotsverfügung betroffen sind, gezielte Unterstützung durch ihre lokalen psychiatrischen Dienste anbieten.“
NHS-Patienten, die diese Arzneimittel bereits zur Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und/oder Geschlechtsdysphorie erhalten, können sie weiterhin beziehen, ebenso wie Patienten, die diese Arzneimittel für andere Zwecke erhalten.
Auch Nordirland und Schottland folgen dem englischen Beschluss. Die schottische Sandyford-Klinik, die ebenfalls Behandlungen mit Pubertätsblocker angeboten hatte, stellt seit April dieses Jahres keine neuen Verordnungen von Pubertätsblockern sowie Geschlechtshormonen für Minderjährige mehr aus.
Klage gegen Verbot erfolglos
Die Interessengruppe TransActual und ein anonym bleibender junger Mensch fochten das Verbot vor dem Obersten Gerichtshof an und behaupteten, dies sei zuvor nicht streng genug geprüft worden und durch die persönlichen Ansichten der damaligen Tory-Gesundheitsministerin Victoria Atkins motiviert. Das Gericht entschied jedoch, dass Atkins im Einklang mit dem Gesetz gehandelt habe.
Bei sogenannten Pubertätsblocker handelt es sich medizinisch korrekt eigentlich um GnRH-Analoga, die zur Senkung des Testosteron- oder Östrogen-Spiegels im Blut eingesetzt werden. Zugelassen sind diese Medikamente vor allem für die Behandlung von Prostata- oder Brustkrebs und der Endometriose, d.h. krankhafter Wucherungen von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter.
Die Gabe dieser Medikamente zum Zwecke der Pubertätsunterdrückung bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie fand als sogenannter Off-Label-Use, also jenseits des Zulassungszwecks als medizinisch begründete Ausnahme statt und gründet sich im Wesentlichen auf einen Behandlungsansatz aus den Niederlanden. Mit diesem wollte man denjenigen Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie helfen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter eine Geschlechtsangleichung vollziehen würden.
Das Ziel war es, eine als falsch empfundene geschlechtliche Entwicklung zu blockieren und dann mit der Gabe von Geschlechtshormonen die gewünschte einzuleiten. Durch diese Behandlung wollte man psychische Erkrankungen mindern, die bei vielen transsexuellen Erwachsenen als Folge des Leidens unter der falschen körperlichen Entwicklung gelten.
Doch was vielleicht gut gemeint war, entwickelte sich zu einer riskanten Menschenversuchsreihe an Kindern und Jugendlichen. Während die niederländischen Pioniere noch vorsichtiger agierten, wurden Pubertätsblocker international nach 2010 unter queerideologischem Einfluss zunehmend zur Standardbehandlung bei Geschlechtsdysphorie. Zugleich stiegen die Zahlen der Transitonswilligen insbesondere unter biologisch weiblichen Teenagern stark an..
Das Desaster wurde dann auch noch von queeren TransaktivistInnen verstärkt, die eine sorgfältige psychiatrische Anamnese vor Einleitung medizinischer Maßnahmen wie der Gabe von Pubertätsblockern ideologisch immer stärker als „Gatekeeping“ diffamiert und unter den Verdacht der „Konversionstherapie“ gestellt haben.
Cass-Report deckt Mängel auf
In Großbritannien war bis März 2024 der Gender Identity Development Service (GIDS) in der Londoner Tavistock-Klinik das Zentrum für diesen Ansatz. Doch die Untersuchung von Hilary Cass, mit der sie 2020 beauftragt wurde, wies gravierende Mängel nach. Die medizinische Evidenzbasis, so ihr Befund, war zu dünn und damit mögliche Risiken für die Behandlung mit Pubertätsblocker zu wenig bekannt. Einige dieser möglichen Risiken: ungünstige Einflüsse auf die Knochendichte, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Unfruchtbarkeit. Noch ungeklärt sind Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung. Dagegen wurden Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden wohl zu positiv dargestellt, denn jüngste Studien relativieren dies.
Das nun verlängerte Verbot wird daher auch von Hilary Cass begrüßt: „Pubertätsblocker sind starke Medikamente mit unbewiesenem Nutzen und erheblichen Risiken, und deshalb habe ich empfohlen, dass sie nur nach einer multidisziplinären Bewertung und im Rahmen eines Forschungsprotokolls verschrieben werden sollten. Ich unterstütze die Entscheidung der Regierung, die Abgabe von Pubertätsblockern zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie außerhalb des NHS weiterhin einzuschränken, wenn diese wesentlichen Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen werden.“
Prozess von Keira Bell ist Wendepunkt
Wie kam es überhaupt so weit? Seit 2019 wurde bekannt, dass es auch innerhalb des GIDS und des NHS MedizinerInnen gab, die erhebliche Bedenken anbrachten, aber erst ein von der ehemaligen Patientin und Detransitioniererin Keira Bell angestrengter Prozess brachte den NHS dazu, eine unabhängige Untersuchung durch Hilary Cass einzuleiten. Dessen Ergebnisse wiederum führten zur Schließung des GIDS und zum Abschied vom gender-affirmativen Modell.
Auch die queeren AktivistInnen und ihre Verbündeten im medizinischen Sektor wissen um die Bedeutung vom Cass-Report. Deshalb versuchen sie unablässig, Hilary Cass und die Inhalte ihres Berichts zu diffamieren, in Zweifel zu ziehen.
Die British Medical Association (BMA), die wichtigste nationale Ärztegewerkschaft, hatte im Sommer eine Pause bei der Umsetzung der Empfehlungen des Cass-Reports gefordert und wollte, dass das Verbot von Pubertätsblockern für unter 18-Jährige aufgehoben wird. Doch rund tausend leitende Ärzte haben in einem Offenen Brief an die BMA ihre große Enttäuschung über deren Haltung zum Ausdruck gebracht, und so ruderte die Führungsspitze der Gewerkschaft wieder zurück und will eine neutrale Haltung einnehmen.
Kritiker wurden mit Hass überzogen
Die Ergebnisse des Cass-Reports werden, wie am nun unbefristeten Verbot von Pubertätsblockern zu sehen, von den beiden wichtigsten politischen Parteien lagerübergreifend anerkannt. Der Weg bis hierhin was für KritikerInnen jedoch ein sehr steiniger. TransaktivistInnen und ihre Verbündeten bezichtigten alle als Transfeinde und versuchten, ihren Ruf zu zerstören. Das betraf nicht nur MedizinerInnen, sondern auch Lesben und Schwule, zum Beispiel die in der LGB Alliance organisierten. Sie waren die einzige homosexuelle Organisation, die davor warnte, dass viele eigentlich schwule und lesbische Teenager unter dem Translabel unnötige medizinische Eingriffe mit irreversiblen Folgen erhielten.
Alle anderen homosexuellen und queeren Organisationen, darunter der große Verband Stonewall UK, unterstützten die Attacken gegen KritikerInnen und verteidigten Pubertätsblocker. Dabei brauchen junge Lesben und Schwule keine Pubertätsblocker, sondern sensible Unterstützung, um einen Platz in dieser Welt zu finden und sich als gleichgeschlechtlich begehrend zu akzeptieren.
Only one gay rights group had the courage to campaign against the use of puberty blockers for gender-confused children: @AllianceLGB. They fought for the right of gender-questioning kids to grow up with their bodies and fertility intact. Blockers have now been banned in the UK. https://t.co/4vXPAakRYj
Die prominenteste Hexe, die auf dem queeraktivistischen Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, war allerdings die Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling. Sie verschaffte den Missständen beim Transthema internationale Reichweite, da sie viele queere Fans von Harry Potter verärgerte und sich auf Social Media Shitstorms bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt sah, die wiederum in der Mainstreampresse aufgegriffen wurden.
Nun ist in Großbritannien mit dem Cass-Report die Vernunft zurückgekehrt. Jetzt gilt es, dessen Empfehlungen umzusetzen und Ideologie weiter aus der Medizin zurückzudrängen. Das unbefristete Pubertätsblockerverbot kann nur der Anfang sein. Auch Politik sowie queere Organisationen müssen aufarbeiten, warum sie medizinische Eingriffe mit einer solch schwachen Beweisgrundlage unterstützt und damit zuvörderst jungen Menschen, aber letztlich auch der Reputation queerer Anliegen schwer geschadet haben.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Detransitionen landen in den Medien – und vor Gericht
Die Schweizerin Nadia Brönimann hat öffentlich bekannt gemacht, dass sich nicht mehr klar als Transfrau verortet und sagt inzwischen gar, dass die geschlechtsangleichende Operation ein Fehler gewesen sei. Gegenüber Medien gibt sie Einblicke in ihr Leben und offenbart eine Vulnerabilität, die als Risikoprofil in einem gender-affirmativen Verständnis von Trans bisher zu wenig Beachtung findet. In den USA führt das bereits zu mehreren Klagen wegen ärztlicher Fehlbehandlung.
Wohin, wenn eine Transition der falsche Weg war? (Foto von Ben Welch auf Unsplash.)
9. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung
„Ich hätte an meiner Seele arbeiten sollen, statt zum Skalpell zu greifen“, sagte Nadia Brönimann, die bekannteste Transfrau der Schweiz, kürzlich gegenüber dem queeren Medium Mannschaft Magazin. Vor ungefähr 27 Jahren durchlief Brönimann eine Geschlechtsangleichung zur Frau. Heute empfinde sie seit einiger Zeit das Bedürfnis, sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Ihren derzeitigen Prozess empfinde sie weniger als „Detransition“, also dem Rückgängigmachen einer Geschlechtsangleichung, sondern eher als „Retransition“. Darunter verstehe sie keinen Weg einfach zurück, sondern zu etwas Neuem.
Weiblichkeit als Korsett
Dem Mannschaft Magazin berichtete Brönimann, sie habe sich von den gesellschaftlichen Erwartungen an Perfektion in Weiblichkeit wie in einem Korsett eingeengt gefühlt. Es kämen allerdings auch gesundheitliche Probleme nach insgesamt 16 Operationen und einer Hormontherapie hinzu: Osteoporose und kardiovaskuläre Probleme, also gesundheitliche Einschränkungen des Herzens. Solche möglichen Folgen geschlechtsangleichender Behandlungen sind mittlerweile durch Studien belegt. Außerdem sei seit ihrer operativen Genitalangleichung 1998 ihr Lustempfinden und somit das Erleben von körperlicher Sexualität gestört.
Zuvor war Brönimann verstärkt mit Kritik vor allem am gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen in den Medien präsent. Unter „gender-affirmativ“ versteht man die zügige Bestätigung der geäußerten Geschlechtsidentität einer Person nicht nur sozial, sondern auch mit medizinischen Maßnahmen wie Pubertätsblockern. So habe Brönimann am 7. November 2024 vor dem Großen Rat der Menschenrechtskommission in Genf für ein Verbot von Hormonen und Pubertätsblockern bei Minderjährigen mit möglichen, gut begründeten Ausnahmen plädiert.
Kontroverse um Pubertätsblocker
In der Schweiz ist die Kontroverse um das gender-affirmative Konzept mit Pubertätsblockern längst angekommen. Neben Brönimann äußern sich auch einige Ärzte kritisch. Ebenso hat die Schweizerische Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (SGKJPP) eine Überarbeitung der neuen Behandlungsleitlinie für Jugendliche und Kinder mit Geschlechtsdysphorie gefordert. Diese Leitlinie wurde unter der Leitung des deutschen Psychiaters Georg Romer erstellt und soll auch in Österreich und der Schweiz Anwendung finden. Romers Schweizer Berufskollegin Dagmar Pauli gehört ebenfalls der Leitlinienkommission an. Auch in Deutschland gibt es Kritik an der Leitlinie.
Das Transgender Network Switzerland (TGNS) oder ÄrztInnen wie Pauli, widersprechen Brönimann und den anderen KritikerInnen. Ein Pauschalverbot würde denjenigen Jugendlichen schaden, die auf diese Form der Unterstützung angewiesen seien.
Brönimann hatte sich im Erwachsenenalter für den Schritt einer Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau entschieden. Im Gespräch mit Mannschaft Magazin gibt sie Einblicke, vor welchem biografischen Hintergrund ihre Entscheidung erfolgte. So sei sie bereits in jungen Jahren seelisch-emotionalen Vernachlässigungen ausgesetzt worden. „Ich kriegte nie zu hören, dass man mich gernhatte, dass es okay ist, wie ich bin“, erinnert sich Brönimann. Sie sei ins Kinderheim gekommen und mit sieben Jahren adoptiert worden. Sie fasst den Hintergrund, vor dem ihre Transition lief, so zusammen: „Irgendwann kam das Gefühl, dass ich mit einem anderen Körper jemand Neues werden konnte. Dass mein Leben endlich beginnen würde.“
Detransitionen sind selten?
Ebenfalls im Mannschaft Magazin findet sich ein Interview mit Raphaël Guillet, der in der Transberatung beim Checkpoint Bern tätig ist. Guillet bekundet darin, dass ein Fall wie Brönimanns nicht häufig vorkomme. Meistens seien äußere Gründe wie Diskriminierung und mangelnde Unterstützung nach der Transition dafür verantwortlich oder auch Unzufriedenheit/Probleme mit den Ergebnissen medizinischer Maßnahmen.
Diagnostische Verfahren würden laut Guillet zumeist „sorgfältig und fachgerecht nach internationalen Richtlinien durchgeführt“. Auch bei Jugendlichen sieht der Transberater kein Problem, die These von „Rapid Onset Gender Dysphoria“ (ROGD), also einer unvermittelt auftretenden Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen ohne Vorgeschichte in der früheren Kindheit in Verbindung mit „sozialer Ansteckung“ sowie über Soziale Medien induziert, sei wissenschaftlich nicht fundiert.
Guillet räumt aber gegenüber Mannschaft Magazin ein: „Es stimmt, dass sich hinter einem Transitionswunsch eine andere Ursache als Transidentität verstecken kann. Es gibt jedoch klare Richtlinien für den diagnostischen Umgang damit.“
So klar, wie Guillet den Stand darstellt, ist es jedoch keineswegs. Es ist fraglich, ob frühere Zahlen über Bereuen und Detransition auf die Situation heute übertragen werden können. Die Ärztin Sarah C.J. Jorgenson von der Universität Toronto weist darauf hin, dass diese Zahlen aus einer Zeit stammen, bevor die Zahl an biologisch weiblichen Teenagern mit dem Begehren einer Transition international anstieg und bevor es den gender-affirmativen Ansatz gab und bevor eine umfassende psychiatrische Diagnostik und Begleitung als „Gatekeeping“ verunglimpft wurde.
Steigende Zahlen bei Mädchen
Außerdem wird die ROGD-These vor allem von TransaktivistInnen und besonders affirmativ agierenden ÄrztInnen angegriffen. Dabei gibt es bisher keine guten, plausiblen Erklärungen, warum in den letzten Jahren weltweit die Zahlen an Behandlungssuchenden vor allem unter biologisch weiblichen Teenagern so angestiegen sind. Ebenso gibt es gerade bei biologischen Mädchen weitere Phänomene, die auch über soziale Ansteckung funktionieren. Dazu zählt beispielsweise Magersucht.
Über Soziale Medien können Störungen ebenfalls verbreitet werden. Ein Beispiel dafür ist das Tourette-Syndrom. Während der Coronapandemie, als viele im Lockdown zu Hause waren, wurden Soziale Medien wie TikTok noch stärker konsumiert. In den Tourette-Ambulanzen weltweit wunderte man sich, dass plötzlich mehr junge Menschen sie aufsuchten und sich deren Symptomatik aber stark ähnelte. Sie alle ahmten populäre Influencer mit Tourette nach.
In Deutschland fiel der Hannoveraner Ärztin Kirsten Müller-Vahl auf. Sie betonte 2021 im taz-Gespräch aber auch, dass es nicht um mutwilliges Nachäffen gehe, sondern bei den jungen Menschen oftmals andere Probleme vorhanden gewesen seien: „Von denen haben rund 40 Prozent Angststörungen, weitere 40 Prozent depressive Symptome und ein kleinerer Teil autistische Züge. In allen Fällen gab es spezifische Auslöser – anstehende Operationen, Umzüge, in einem Fall auch dramatische Lockdown-Maßnahmen. Die Hälfte der Kinder hat zudem Mobbing erfahren. Es gibt also eine Prädisposition; es ist nicht so, dass gesunde und stabile Kinder eine solche Symptomatik entwickeln.“
Cass-Report zeigt Mängel beim gender-affirmativen Ansatz auf
Wie vulnerabel gerade junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie sind, hat in seinem Umfang und in seiner Tiefe besonders eindrücklich der Cass-Report in Großbritannien gezeigt. Hilary Cass untersuchte von 2020 bis 2024 die Behandlungsqualität des inzwischen geschlossenen Gender Identity Developement Service (GIDS) der Tavistockklinik. Der GIDS behandelte nach dem gender-affirmativen Modell.
Cass‘ Ergebnisse waren alarmierend: viele der minderjährigen PatientInnen hatten psychische Begleiterkrankungen, bei etlichen gab es zudem Hinweise auf Autismus und schwierige biografische Umstände wurden nicht gewürdigt. Dafür blieb im gender-affirmativen Modell zu wenig Platz. Spätere Berichte von DetransitioniererInnen wie Keira Bell zeigten dann, dass viele dieser jungen PatientInnen etwas anderes anstatt einer schnellen Bestätigung der Geschlechtsidentität und Pubertätsblocker gebraucht hätten.
Detransitioniererin verklagt Ärztin
In den USA werden jetzt zunehmend Klagen angestrengt. Am Nikolaustag machte die Runde, dass die Kinderärztin Johanna Olson-Kennedy, die eine besonders prominente Verfechterin des gender-affirmativen Modells ist, von einer ehemaligen Patientin wegen Fehlbehandlung verklagt wird.
Seit 2012 ist Olson-Kennedy die medizinische Leiterin des Center for Transyouth Health and Development am Children’s Hospital Los Angeles (CHLA). Olson-Kennedy, die häufig als Sachverständige in Gerichtsverfahren auftritt und in den Medien zitiert wird, leitet auch eine von den National Institutes of Health finanzierte 10-Millionen-Dollar-Studie zur Erforschung der Transitionsbehandlungen für Jugendliche, die mit Abstand das größte Projekt dieser Art in Amerika ist. Zuletzt weigerte sich Olson-Kennedy, Ergebnisse dieser Studie zu veröffentlichen, da sie befürchtete, diese könnten eher den KritikerInnen des gender-affirmativen Ansatzes in die Karten spielen.
Die Klägerin Clementine Breen, heute zwanzig Jahre alt, wurde in der Klinik von Johanna Olson-Kennedy im Alter von zwölf Jahren mit Pubertätsblockern behandelt, mit dreizehn Jahren kam Testosteron dazu und mit vierzehn Jahren wurde eine Mastektomie vorgenommen. Vor etwa einem Jahr setzte Breen die Einnahme von Testosteron endgültig ab und begann ihre Detransition.
Unsichere Identität
Im Economist wird folgendes zu den Hintergründen berichtet: Die Geschichte von Clementine Breen beginnt Anfang des Schuljahres 2016/17, als sie zwölf Jahre alt wurde. Sie fühlte sich deprimiert und suchte Hilfe bei einer Beratungslehrerin. „Ich erwähnte, dass ich trans sein könnte, aber ich erwähnte auch, dass ich lesbisch und bisexuell sein könnte, ich war mir meiner Identität überhaupt nicht sicher“, sagt Breen gegenüber der Zeitschrift. Im Nachhinein denke sie, dass ihre Unsicherheit während der Pubertät von einer Gewaltsituation zu Hause herrühre, in die ihr älterer Bruder verwickelt gewesen sei, der an schwerem Autismus leide, sowie von sexuellem Missbrauch, den sie im Alter von sechs Jahren durch eine Person außerhalb der Familie erlebt und den sie erst viel später jemandem gegenüber offenbart habe.
Statt einer sorgfältigen psychotherapeutischen Diagnostik und Begleitung sei Breen von Olson-Kennedy jedoch sehr schnell auf den Pfad einer medizinischen Transition gelenkt worden. Das Befinden habe sich durch diese Behandlung auch nicht wesentlich gebessert. Erst viel später sei sie zu einem anderen Therapeuten gewechselt, mit dem sie zum ersten Mal ausführlich über den körperlichen und sexuellen Missbrauch gesprochen habe, dem sie in ihrem Leben ausgesetzt gewesen sei.
Breen sagte, sie sei sich ziemlich sicher, dass sie die medizinische Transition nicht angestrebt hätte, wenn sie diese Gespräche im Alter von zwölf Jahren geführt hätte. Bleibende Folgen der Transition sind: eine tiefere Stimme, einen Adamsapfel, die Aussicht auf eine Brustrekonstruktion, wenn sie ihre weibliche Form wiedererlangen will, und das Risiko, dass sie aufgrund der jahrelangen Testosteroneinnahme unfruchtbar ist.
Mangelnde Sorgfalt landet vor Gericht
Johanna Olson-Kennedy, die Ärztin, die bei Clementine Breen diese irreversiblen Behandlungen eingeleitet hatte, hält jedoch nichts von einer ausführlichen psychotherapeutischen Begleitung vor Einleitung solcher Behandlungen. 2018 sagte sie dazu gegenüber The Atlantic: „Wir haben eigentlich keine Daten darüber, ob psychologische Beurteilungen die Bedauernsraten senken.“ Sie ist der Meinung, dass eine Therapie für viele transsexuelle und geschlechtsnonkonforme junge Menschen hilfreich sein kann, aber sie ist dagegen, allen Kindern, die transitionieren wollen, eine psychologische Untersuchung vorzuschreiben. Sie drückte es so aus: „Ich schicke niemanden zu einem Therapeuten, wenn ich ihm Insulin verabreiche.“
Nun werden solche Fragen in den USA wohl vor Gericht geklärt. Ob Clementine Breen in den USA oder Nadia Brönimann in der Schweiz – für zukünftige Behandlungen von Transpersonen wäre es elementar, zu verstehen, welche Faktoren eher dafür sprechen, medizinische Maßnahmen einzuleiten und welche nicht. Ein aktivistisch begründeter affirmativer Ansatz, der solche Fragen verweigert, endet mittelfristig im Desaster, weil sich Regressfälle häufen werden. Das kann niemand wollen, der ernsthaft am Wohlergehen von Transpersonen und von anderen Menschen mit Geschlechtsdysphorie interessiert ist.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Die Republikaner konnten die Wahl auch gewinnen, indem sie sich als Korrektiv zu von den Demokraten unterstützten Auswüchsen im Transaktivismus darstellen konnten. Unter Demokraten und in liberalen Medien setzt nun die Diskussion ein, wo man in der Transfrage zu weit gegangen sein könnte. Auch einige Transaktivisten in den USA hinterfragen jetzt ihre Methoden. Wie wichtig ist diese Entwicklung für Deutschland?
Kommen bisherige Taktiken im Transaktivismus an ihr Ende, weil sie nicht die erhoffte Akzeptanz bringen? (Foto: Julia Morales auf Unsplash)
3. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung
Der erneute Wahlerfolg Donald Trumps liegt auch daran, dass sich die Demokraten nicht von dem Image befreien konnten, die radikalsten Forderungen von Transaktivisten mitzutragen und selbst im Wahlkampf zu den entsprechenden TV-Wahlspot-Kampagnen der Republikaner schwiegen. Trumps Wahlkampfteam investierte Millionen Dollar in Werbespots, die besonders umstrittene Aspekte rund um das Thema „Trans“ in den Mittelpunkt ihres Marketings stellten. Analysen in liberalen Medien wie The Atlantic und der New York Times zufolge zündeten diese Werbebotschaften gerade bei WechselwählerInnen. Nun ist der Jammer im demokratischen Lager groß und die Diskussion beginnt, wo man bei der identitätspolitisch aufgeheizten Transfrage zu weit gegangen sei.
Frauensport und Minderjährige
Besonders heikle Themen sind, ob biologisch männliche Personen am Frauensport teilnehmen sollten, wenn sie sich als Frau identifizieren trotzdemsie eine männliche Pubertät durchlebten – und wie gechlechtsdysphorische Minderjährige am besten behandelt werden sollten. Jan Feddersen fasst die Stimmung in seinem Kommentar hier im Blog so zusammen: „Die Demokraten haben mit der Transfrage wichtige Anhängerschaften verloren, gerade unter jenen, die nichts gegen Transmenschen haben, jedoch nicht möchten, dass Transthemen bereits in den Schulklassen der Jüngsten verhandelt werden – ohne darüber mitentscheiden zu können. Die Mehrheit der US-amerikanischen WählerInnen möchten sich nicht der Ideologie unterwerfen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Und sie möchten sich den neuen Glauben an die Millionen Geschlechter, die es angeblich gibt, an die Behauptung, dass das biologische Geschlecht beinah beliebig variierbar ist, auch pharmakologisch, jedenfalls nicht ohne Mitsprache aufdrücken lassen.“
Kritik am gender-affirmativen Modell sei „Genozid“
KritikerInnen wurden jahrelang mitunter sehr bösartig verunglimpft. Wer bei Minderjährigen das gender-affirmative Modell einer zügigen Bestätigung der Geschlechtsidentität unter Missachtung möglicher Kontraindikationen als verantwortungslos kritisierte, musste sich von Transaktivisten vorwerfen lassen, „Trans“ auslöschen zu wollen und Konversionstherapien zu fordern, gar das Wort „Genozid“ fiel. Dabei ist die medizinische Evidenzbasis für das gender-affirmative Modell nur schwach, wie mehrere Untersuchungen international zeigen. Die jüngste Bestätigung diesbezüglich kommt aus Neuseeland.
In vielen Schulen ging es sogar so weit, dass Richtlinien eingeführt wurden, die verlangten, eine soziale Transition zu unterstützen, aber vor den Eltern geheim zu halten, wenn die SchülerInnen das so wollten. Allen Eltern wurde damit pauschal unterstellt, schlimmste Queerphobiker zu sein. Tatsächlich wurde ihnen aber durch das bewusste Vorenthalten die Möglichkeit genommen, sich um die Gesundheit ihrer Kinder zu kümmern, und Schulen maßten sich erhebliche Eingriffe an, ohne die Sicht der Eltern zu kennen. Immer mehr Eltern in den USA erzürnte dies, wie eine Recherche der New York Times von 2023 zeigte.
Biologisches Geschlecht hat im Sport Relevanz
Das zweite große Konfliktthema Frauensport ist davon geprägt, dass Transaktivisten sich beharrlich weigern, die Evidenz zum grundlegenden Unterschied zwischen biologisch männlichen und weiblichen Körpern zur Kenntnis nehmen zu wollen – besonders: das Testosteron in der Pubertätsentwicklung. Nachdem der Fall von Transfrau Lia Thomas im College-Schwimmwettbewerb auch international für Kontroversen sorgte, gibt es immer mehr Frauen und Mädchen, die biologisch männliche Transfrauen in ihren Wettbewerben ablehnen und das auch offen zeigen. Zum Beispiel, indem sie sich weigern, gegen Transfrauen anzutreten.
Nun, nach dem Wahl-Desaster und den aufkeimenden Schuldfragen, schlagen einige Aktivisten neue Töne an. In der New York Times, dem Zentralorgan der US-amerikanischen Linken und Liberalen, sprechen sie darüber, dass der Aktivismus der vergangenen Jahre wohl zu konfrontativ und dogmatisch gewesen sei. Das habe unnötigerweise Leute verprellt. Sie verweisen auf Taktiken, insbesondere in den sozialen Medien, die für die AnhängerInnen der Bewegung zur Routine geworden sind: Versuche, die Sprache zu kontrollieren, wie z. B. die Streichung der Wörter „männlich“ und „weiblich“ aus Diskussionen über Schwangerschaft und Abtreibung; die Bezeichnung der falschen Benennung einer Transgender-Person als „Gewalt“.
Rodrigo Heng-Lehtinen, Geschäftsführer von Advocates for Transgender Equality sagte gegenüber der Zeitung, dass man es jemandem erlauben müsse, seine Meinung zu ändern. „Wir können sie nicht verunglimpfen, weil sie nicht auf unserer Seite sind. Niemand will sich diesem Team anschließen“, so Heng-Lehtinen weiter.
Ein jüngstes Beispiel für das, was Heng-Lehtinen kritisiert, findet sich im Umgang mit Seth Moulton, Kongressabgeordneter der Demokraten. Er erregte Wut, weil er die Teilnahme von biologisch männlichen Transpersonen am Frauen- und Mädchensport öffentlich kritisierte. Er sagte: „Ich habe zwei kleine Mädchen. Ich möchte nicht, dass sie auf einem Spielfeld von einem männlichen oder ehemals männlichen Athleten überrannt werden. Aber als Demokrat soll ich Angst haben, das zu sagen.“
In einem Gastbeitrag in der Washington Postbeschreibt Moulton, was dann passierte: „Die Gegenreaktion kam schnell: Der Vorsitzende eines lokalen demokratischen Ausschusses nannte mich einen ‚Nazi-Kooperateur‘ und etwa 200 Menschen versammelten sich vor meinem Büro, um zu protestieren. Mein unanfechtbares Eintreten für die Bürgerrechte aller Amerikaner, einschließlich der Trans-Gemeinschaft, war irrelevant. Was mich allerdings erstaunt hat, ist das, was hinter den Kulissen passiert ist. Unzählige Demokraten aus der gesamten Partei haben sich bei mir bedankt.“
Aktivisten wie Heng-Lehtinen denken inzwischen, dass man beim Sportthema eine überzeugendere Botschaft brauche und sich trotzdem gegen die von Republikanern erlassenen gesetzlichen Verbote wenden müsse: „Ich glaube nicht, dass wir mit einer Einheitslösung am besten bedient sind“, sagte er in der New York Times und fügte hinzu, dass pauschale Verbote für Transgender-Sportler genau das sind.
Kritische Auseinandersetzung mit Forderungen nötig
Doch letztlich zeigen die Entwicklungen um das Transthema in den USA, dass sich AktivistInnen nicht nur mit ihren Methoden auseinandersetzen sollten, sondern auch mit den Inhalten ihrer Forderungen. Bei Themen wie Sport wird es auch darum gehen müssen, dass Transpersonen verzichten. Es wird zu einem jeden Transitionsprozess die Einsicht gehören müssen, dass das biologische Geschlecht nicht vollständig überwindbar ist und dementsprechend in bestimmten Bereichen wie dem Sport mehr Relevanz als die Identität hat.
Ebenso müssen sich die AktivistInnen fragen, ob sie weiterhin mit von ihnen diktierten Richtlinien in Schulen es besser wissen können als die Eltern, was dem Kindeswohl zuträglich ist. Vor allem angesichts der dünnen Evidenzbasis für den gender-affirmativen Ansatz. Solche grundsätzlicheren Fragestellungen werden von Transpersonen wie Brianna Wu und Buck Angel aufgeworfen. Beide halten Dogmen wie Self ID, also dass nur jede Person über ihre Geschlechtsidentität allein entscheiden kann und dies für alle anderen in der Gesellschaft bindend sei sowie Transitionen von Minderjährigen unter Missachtung von Sicherheitsaspekten für falsch. Im Gefolge von Self ID sind auch grenzüberschreitende Fetischisten dazu gekommen, die man nun nicht mehr loswird und die gerade auch die Konflikte mit Frauen verursachen.
Mit der Missachtung von Sicherheitsfragen bei Minderjährigen nimmt man mutwillig in Kauf, dass viele darunter sind, die eigentlich andere Unterstützung brauchen, aber keine Transition mit Pubertätsblockern und Co. Das wissen immer mehr Menschen und kann auch nicht mehr von einer Starkolumnistin wie Masha Gessen weggeredet werden. Gessen behauptet in der New York Times, es ginge bei den Sorgen vor verfrühten und irreversiblen Behandlungen vor allem um Fruchtbarkeit und reduziert alles auf eine rechte Agenda: „Zurückdrängen von Trans-Rechten, Lesben- und Schwulenrechten, reproduktiven Rechten und Frauenrechten, alles im Namen eines wieder großartigen, heterosexuellen und weißen Amerika.“ Worüber Gessen jedoch kein Wort verliert: Den hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen, die erhebliche komplexe psychische und biografische Probleme mitbringen und denen eine gender-affirmative Behandlung nicht gerecht wird. Auch das Schädigungspotenzial durch mangelhafte Kenntnis von Langzeitfolgen wird von Gessen nicht beachtet.
Auch in Deutschland gibt es Konflikte
Was bedeuten diese Entwicklungen für Deutschland? Das Ausmaß der Polarisierung ist hier zwar noch nicht auf einem Level wie in den USA, doch auch hier sind Konflikte durch vergleichbare Fehler vorprogrammiert. Diesseits wie jenseits des Atlantiks vertreten TransaktivistInnen ihre Positionen rigoros; auf Social Media wird vor Verunglimpfungen nicht zurückgeschreckt, wie ein Sammelthread auf der Plattform X zeigt.
Ebenso ist die Tonlage überzogen schrill, wie zum Beispiel der Auszug aus einer Rede der Hamburger Aktivistin und Psychologin Cornelia Kost zum Transgender Day of Remembrance verdeutlicht. Kost fabuliert darin von „TERFs, die unsere Auslöschung wollen“ und vermengt Proteste gegen das deutsche Selbstbestimmungsgesetz mit 350 vornehmlich in südamerikanischen Ländern ermordeten Transfrauen. Diese Transfrauen waren in der Prostitution tätig und die Täter waren Männer. Das zeigt, wie unredlich und manipulativ die Verquickung mit der Kritik am Selbstbestimmungsgesetz ist.
Die transkritische Elterngruppe „Trans Teens Sorge berechtigt“ beklagt in einem Blogbeitrag, dass soziale Transitionen an Schulen ohne Wissen der Eltern auch in Deutschland passieren könnten. Als Beleg dienen Leitlinien für die Inklusion geschlechtlicher Vielfalt der Berliner Fritz-Karsen-Schule, in denen es unter anderem heißt, dass Weitergabe von Informationen über die Geschlechtsidentität an die Eltern die schriftliche Einwilligung des Schülers/der Schülerin bedürfen.
Im Leitliniendokument der Schule heißt es, der Inhalt basiere auf den „Informationen für das schulische Umfeld von trans-und intergeschlechtlichen und nichtbinären Schüler*innen“, die aus der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie stammt. Eine Pädagogin, die an einer anderen Berliner Schule arbeitet und anonym bleiben will, bestätigte gegenüber IQN die Existenz solcher Leitlinien. An ihrer Schule sei dieser Wortlaut nicht übernommen worden.
Ebenfalls präsent ist in Deutschland die Sportfrage – zum Beispiel im Fußball. Der Deutsche Fußballbund hat unter Beratung von TransaktivistInnen Richtlinien erlassen, wonach die Transperson entscheiden darf, ob sie im Frauen- oder Männerteam spielen wolle. Biologische Faktoren sollen dafür irrelevant sein. Deshalb kann unter anderem der Transmann Ben Borchardt trotz Testosterontherapie weiter im Frauenteam mitspielen. Von einem unfairen Vorteil gegenüber den Frauen ohne Testosteronboost will er laut NDR-Bericht nichts wissen, obwohl seine Mitspielerinnen und Gegnerinnen wegen Dopings sanktioniert würden, täten sie ebenfalls Testosteron nehmen.
Sachliche Kritik an solchen Regelungen wie beim DFB wird in den Medien zumeist nicht abgebildet, die Berichterstattung ist eher transaffirmativ. Es ist aber sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland Kritik lauter wird. Doch hier scheint man im Transaktivismus noch keinen Anlass zu sehen, die eigenen Methoden und Ziele zu hinterfragen. Auch das könnte sich noch ändern.
Till Randolf Amelungist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
Im Interview mit Jan Feddersen: Frauenrechtlerin Seyran Ateş über ihre Emanzipationsgeschichte
IQN macht Jahrbuch-Text Zum Internationalem Tag gegen Gewalt an Frauen kostenlos verfügbar
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen stellen wir das Interview von Jan Feddersen mit Seyran Ateş aus dem Jahrbuch Sexualitäten 2020 mit freundlicher Unterstützung des Wallstein-Verlags zum kostenlosen Download bereit. Ateş gibt darin Einblicke in ihr Engagement für die Rechte muslimischer Frauen, die Gründung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin und ihre Erfahrungen mit Morddrohungen und Polizeischutz.
Öffentliche Kunstaktion als Zeichen gegen Gewalt aus dem Jahr 2020. Auch 20204 ist Gewalt gegen Frauen, insbesondere in der Familie und in der Partnerschaft, ein großes Problem (Foto von Mika Baumeister auf Unsplash).
25. November 2024 | Redaktion
Jährlich am 25. November wird der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen wird, der die Aufmerksamkeit für das große gesellschaftliche Problem der geschlechtsspezifischen und häusliche Gewalt fördern soll. Millionen Frauen sind weltweit Opfer physischer, psychischer und sexueller Gewalt.
Bundesregierung veröffentlicht Lagebild
Zu diesem Anlass haben in Deutschland Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) am 19. November erstmals das Lagebild zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ vorgestellt. Die darin zusammengetragenen Zahlen aus unterschiedlichen Datenquellen zeigen, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts Opfer von Straftaten und Gewalt werden. In der Pressemitteilung heißt es von Ministerin Faeser: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Fast jeden Tag sehen wir einen Femizid in Deutschland. Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind. Das ist unerträglich – und verlangt konsequentes Handeln.“
Laut erhobenen Daten seien bei allen Delikten die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Fast täglich wird außerdem in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Im Bericht heißt es, dass 68,6 Prozent der Tötungsdelikte aus dem Bereich der Häuslichen Gewalt kommen. Die meisten Mädchen und Frauen werden demnach durch Familienmitglieder oder Partner getötet. Im Berichtszeitraum 2023 waren von Häuslicher Gewalt 180.715 weibliche Opfer betroffen – eine Zunahme von 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Seyran Ateş – Kämpferin für Frauenrechte
Eine Frau, die sich seit vielen Jahren gegen Gewalt an ihren Geschlechtsgenossinnen einsetzt, ist Seyran Ateş. 2005 organisierte sie in Berlin eine Mahnwache für die durch Mitglieder ihrer eigenen Familie ermordete Hatun Sürücü. Sürücü wurde von einem ihrer Brüder an einer Bushaltestelle in Berlin erschossen, weil sie sich gegen das streng religiöse Korsett wandte, in das ihre Familie sie schnürte. Sie wurde im Alter von 16 Jahren mit einem Cousin in der Türkei zwangsverheiratet und bekam ein Kind von ihm. Später floh sie ohne Ehemann wieder nach Deutschland und versuchte, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Der Fall sorgte für eine Debatte über Zwangsehen und Wertvorstellungen von in Deutschland lebenden muslimischen Familien.
Im Interview mit Jan Feddersen spricht Seyran Ateş über ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Überzeugungen als Frauen- und Menschenrechtsaktivistin, ebenso wie als Anwältin und Verfechterin einer liberalen Auslegung des Islam. Mit ihrem persönlichen und beruflichen Hintergrund war sie auch an der ersten Deutschen Islamkonferenz im Jahr 2006 beteiligt. 2017 gründete sie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, um einem liberalen Islam Raum zu geben, der mit westlichen Werten vereinbar ist. In ihrer Gemeinde ist auch Homosexualität nicht haram, sondern halal. Seither erhält sie wegen Morddrohungen Polizeischutz.
Ateş kann aus erster Hand von den Herausforderungen erzählen, in einer traditionellen muslimischen Familie in Berlin aufzuwachsen. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Schwierigkeiten und Erfolge, sich in einer solchen Familie durchzusetzen, und wie das ihre Arbeit als Fürsprecherin für muslimische Frauen und Männer, insbesondere im Hinblick auf ein liberales Islamverständnis prägt. Sie sagt, der Islam brauche eine sexuelle Revolution.
Seyran Ateş ist eine Inspiration für alle, die sich für Gleichberechtigung der Geschlechter in einer säkularen, demokratischen Welt einsetzen wollen. Die aktuellen, von der Bundesregierung veröffentlichten Zahlen zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen zeigen, dass ein solches Engagement leider weiterhin notwendig ist.
Eine Weiterverbreitung ist nur mit Angabe der jeweiligen Quelle, also der entsprechenden Jahrbuch-Ausgabe, zulässig. Ebenso ist eine Verwendung für kommerzielle Zwecke ohne Genehmigung untersagt.
Jahrbuch Sexualitäten 2020
Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von: Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf.
Mit Beiträgen von Seyran Ateş, Dinos Christianopoulos, Adrian Daub, Stefan Donath, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Christiane Härdel, Patrick Henze, Manfred Herzer-Wigglesworth, Marion Hulverscheidt, Marco Kammholz, Roman Klarfeld, Ralf König, Anike Krämer, Adrian Lehne, Rainer Nicolaysen, Dierk Saathoff, Karsten Schubert, Vojin Saša Vukadinović und Benedikt Wolf.
262 S., 7 z.T. farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-3786-2
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.
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