Transaktivisten verhindern Vortrag von CDU-Politikerin zum Selbstbestimmungsgesetz

Die CDU-Politikerin Mareike Lotte Wulf wollte am 19. Juni an der Universität Göttingen einen Vortrag über das Selbstbestimmungsgesetz halten, doch queere und linksradikale Aktivist*innen verhinderten dies.

Aktivist*innen sorgen für den Abbruch einer Veranstaltung mit der CDU-Politikerin Mareike Lotte Wulf in Göttingen (Foto: RCDS Göttingen auf X).

21. Juni 2024 | Till Randolf Amelung

Wieder einmal hat sich die Cancel Culture gezeigt, die es angeblich ja nicht gibt. Was war passiert? Vorigen Mittwoch wollte Mareike Lotte Wulf, Bundestagsabgeordnete der CDU, an der Universität Göttingen einen Vortrag zum Selbstbestimmungsgesetz halten und anschließend mit dem Publikum diskutieren. Eingeladen hatte zu dieser Veranstaltung der CDU-nahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Unter dem Titel „Identität auf dem Prüfstand: Selbstbestimmung ohne Grenzen?“ sollte es um kritische Punkte des im November 2024 in Kraft tretenden Gesetzes gehen. Wulf war für ihre Fraktion als Berichterstatterin für das Selbstbestimmungsgesetz zuständig und hat die Position ihrer Fraktion in den Ausschüssen vertreten.

Selbstbestimmung durch Überrumpelung

Das Selbstbestimmungsgesetz wurde von den Ampel-Parteien im Hauruck-Verfahren am 12. April durch den Bundestag gebracht (IQN berichtete). Es soll das bisherige Transsexuellengesetz (TSG) ersetzen, was aktuell noch zwei psychiatrische Gutachten und ein Verfahren vor dem Amtsgericht für die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags erfordert.  Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz soll künftig eine Erklärung vor dem Standesamt ausreichen. Eine wie auch immer geartete Überprüfung dieser Selbstaussage ist nicht vorgesehen – auch bei Minderjährigen nicht. Die CDU/CSU lehnt das Gesetz daher ab. Wulf kritisierte nach der Abstimmung im Bundestag, dass mit dem Gesetz künftig jeder seinen Geschlechtseintrag ändern lassen könne und keine nähere Begründung nennen müsse. So sagte sie unter anderem, die Ampel habe „möglichem Missbrauch“ des Gesetzes nichts entgegenzusetzen. Außerdem vernachlässige sie die Schutzfunktion des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen. Dennoch ist sie für eine Überarbeitung der bisherigen TSG-Regelungen gewesen.

Vortrag gecancelt

All das hätte sie höchstwahrscheinlich in ihrem geplanten Vortrag näher ausgeführt, dabei keineswegs eine Verbesserung der Versorgungslagen von Transmenschen ablehnend, sondern nur die besondere Schutzbedürftigkeit von Heranwachsenden monierend. Zu ihren Ausführungen kam es aber gar nicht, denn laut der Darstellung des Veranstalters RCDS demonstrierten vor dem Veranstaltungsort ungefähr 200 Personen lautstark. Schließlich durchbrachen bis zu 100 Demonstrierende die Einlasskontrolle und lärmten vor sowie im Hörsaal. An einen geordneten Vortrag mit Diskussion war unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Die Veranstaltung wurde abgebrochen und Wulf von der Polizei aus dem Gebäude eskortiert.

Polizeibeamte eskortieren Mareike Lotte Wulf vom Gelände (Foto: Mareike Lotte Wulf auf Facebook).

Mehrere Gruppen aus dem linken und queeren Spektrum in Göttingen hatten zu den Protesten aufgerufen, allen voran die Grüne Jugend. Unter dem Motto „Gegen jede Trans*feindlichkeit!“ mobilisierten sie gegen einen vermeintlich „diskriminierenden Vortrag“ und behaupteten fälschlicherweise, dass Wulf „öfters Hetze gegen trans* Menschen betreibt“. Auch wurde kritisiert, dass keine Betroffenen dabei seien. Konservative wurden pauschal als „Menschenfeinde“ diffamiert. Wo man sich im Kampf gegen den Faschismus wähnt und bereits alles darunterfällt, was nicht akkurat auf der eigenen Linie ist, muss man selbstverständlich nicht dialogfähig sein. So agierten die Demonstrant*innen am Mittwoch ganz in diesem Sinn, als sie durch ihre Störungen verhinderten, dass die Veranstaltung durchgeführt werden konnte.

Woke Selbstgerechtigkeit

Das Pressestatement der Grünen Jugend zum verhinderten Vortrag liest sich unfreiwillig ironisch und trieft vor typisch woker Selbstgerechtigkeit: „Transfeindliche Rhetorik dieser Art stellt eine reale Gefahr für Menschen dar und trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei.“ Dabei geht die eigentliche Gefahr von solch einem fragwürdigen Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit aus.

Dieses totalitär anmutende Verständnis von Meinungsfreiheit und Debattierlust zieht sich durch den gesamten Verlauf des Selbstbestimmungsgesetzes. Die Debattenverweigerung hat der politische Nachwuchs der Grünen bereits von Spitzenpolitiker*innen wie dem Queerbeauftragten Sven Lehmann vorgelebt bekommen. Die CDU-Politikerin Wulf hat sich in ihrer Rolle als Berichterstatterin gründlich mit dem Gesetz beschäftigt, ihre Einwände sind profund. Doch auf keinen Einwand gingen Lehmann und andere Politiker*innen aus der Ampel sorgfältig ein und queere Aktivist*innen ebenso wenig.

Ein Screenshot vom Pressestatement der Grünen Jugend mit Userkommentaren auf Instagram (Foto: eigener Screenshot)

 Berechtigte Bedenken am Selbstbestimmungsgesetz

Die Bedenken der Bundestagsabgeordneten Wulf sind, ob man sie teilt oder nicht, berechtigt. Es besteht ein Missbrauchsrisiko, wenn es für einen Wechsel des Vornamens und Geschlechtseintrags keine Form der Absicherung mehr gibt, ob jemand tatsächlich zum Personenkreis gehört, für den das Gesetz gedacht ist. Bei Kindern und Jugendlichen – vor und mitten in der Pubertät – ist eine amtliche Bestätigung eben nicht losgelöst von anderen Schritten einer Geschlechtsangleichung zu denken. International zeigt die jüngste Studienlage, dass eine schnelle rechtliche und soziale Bestätigung einen Weg festigen kann, der auch zu medizinischen Eingriffen führt, die aufgrund ihrer Irreversibilität sorgfältig abgewogen sein müssen.

Gerade um den richtigen Umgang mit Minderjährigen gibt es in diesem Zusammenhang kontroverse Auseinandersetzungen, vor allem in der Medizin. Besonders deutlich wird dies in Deutschland aktuell anhand der sich kurz vor der finalen Veröffentlichung befindenden S2k-Leitlinien (IQN berichtete). Eine sachlich-konstruktive Debatte wäre umso wichtiger, um all die kritischen Punkte zu klären. Doch das ist offenbar nicht erwünscht und zeigte sich auch bei der dann doch überraschenden Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes im April. Diese überschnitt sich mit der Vorstellung des Abschlussberichts des Cass-Reports in Großbritannien über die Missstände in der Versorgung von geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen. Eine breitere Kenntnis dieses Reports hätte die Stimmungslage wohl zum Nachteil der queeren Aktivist*innen und ihrer parteipolitischen Erfüllungsgehilf*innen verändert.

Verhinderte Debatten sind nur aufgeschobene

Die Auseinandersetzung um die S2k-Leitlinie zeigt allerdings, dass sich Debatten durch totalitäres Gebaren nur aufschieben, aber nicht gänzlich verhindern lassen. Umso größer sind jedoch der Schaden und gesellschaftliche Spaltungen, die sich dadurch erst recht entwickeln.

Mehrere CDU-Politiker verurteilten das Canceln des Vortrags ihrer Parteikollegin Wulf. Der Generelsekretär Carsten Linnemann sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Mit freier Lehre und offenem Gedankenaustausch hat das rein gar nichts mehr zu tun.“ Und: „Ich möchte den RCDS ausdrücklich ermutigen, die Diskussionsveranstaltung mit Mareike Wulf zu wiederholen. Der Rechtsstaat darf vor solchen Chaoten nicht einknicken.“

Die Universität Göttingen selbst ließ in einer Stellungnahme verlauten: „Protest zu äußern, ist legitim, aber eine eingeladene Rednerin daran zu hindern, ihre Meinung überhaupt vorzutragen, entspricht nicht unserer Vorstellung von Diskussion“. Allerdings muss sich die Universitätsleitung fragen, welchen Beitrag sie geleistet hat, um die Durchführung der Veranstaltung zu ermöglichen. Warum hat sie beispielsweise keine Polizei alarmiert, um die rabiat Protestierenden aus dem Gebäude zu verfrachten?

Es ist zu wünschen, dass die Veranstaltung doch noch stattfinden kann. Queere Aktivist*innen können kein Sonderrecht beanspruchen, von einem kritisch-sachlichen Diskurs verschont zu bleiben.

Nachtrag am 22. Juni 2024

Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU), eine von der CDU anerkannte Sonderorganisation und Interessensertretung für LGBTI, kritisierte die Störaktion der Göttinger Aktivist*innen in einem Pressestatement  vom 21. Juni ebenfalls. Der Bundesvorsitzende Sönke Siegmann dazu: „Ich bin enttäuscht von dem Verhalten derjenigen, die als Mitstreiter für die gemeinsame Sache auftreten und dann solche Art von „Diskurs“ auch noch gutheißen. Ihr sprecht keinesfalls für alle LSBTIQ-Menschen.“


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog. Im November 2023 war er auf Einladung der CDU als Sachverständiger im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz angehört worden. Am 18. Juni 2024 saß er zusammen mit Mareike Wulf und Heinz-Jürgen Voß bei der Volkswagen-Stiftung in Hannover auf dem Podium und diskutierte ebenfalls über das Selbstbestimmungsgesetz. Frau Wulf wurde von ihm als sachlich-konstruktive sowie empathische Diskussionsteilnehmerin erlebt.


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