Überrumpelungstaktik der Ampelparteien beim Selbstbestimmungsgesetz erfolgreich

Ohne sorgfältige Debatte und seriösen Umgang mit Kritik wurde das Selbstbestimmungsgesetz am Freitag durch den Bundestag gebracht. Dieses Vorgehen ist eine schwere Bürde für die Akzeptanz von Transmenschen.


Der Queerbeauftragte Sven Lehmann steht man Rednerpult im Bundestag und hält seine Rede für das Selbstbestimmungsgesetz

Der Queerbeauftragte Sven Lehmann hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz noch rechtzeitig sein wohl wichtigstes Projekt durchgebracht, nun kann er sich in der CSD-Saison feiern lassen (Foto: Screenshot).


13. April 2024 | Till Randolf Amelung und Jan Feddersen

Das Selbstbestimmungsgesetz hat am gestrigen Freitag nun auch die letzte Hürde genommen, die zweite und dritte Lesung samt Abstimmung im Bundestag. Bundeskanzler Olaf Scholz feierte das auf X: „Wir bringen trans-, intergeschlechtlichen und nicht binären Menschen Respekt entgegen – ohne anderen etwas zu nehmen. So treiben wir die Modernisierung unseres Landes weiter voran. Dazu gehört, Lebensrealitäten anzuerkennen und gesetzlich zu ermöglichen.“

Der Beitrag auf X des Bundeskanzlers vom 12. April 2024 mit zwei von vielen Reaktionen (Foto: Screenshot)

Ab dem 1. November 2024 sollen alle volljährigen Bürger*innen dieses Landes ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag auf dem Standesamt ändern können, ohne dafür einen medizinischen Nachweis über Transsexualität oder Intersexualität vorlegen zu müssen. Für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr neben Eltern diese Änderung vor, ab dem 14. Lebensjahr Jugendliche gemeinsam mit den Eltern (IQN berichtete). Minderjährige und ihre Eltern müssen zusätzlich eine Erklärung abgeben, dass sie vorher beraten wurden. Ob und welchem Umfang eine Beratung stattgefunden hat, muss nicht nachgewiesen werden.

 

Kritik wurde ignoriert

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird Geschlecht von einem objektivierbaren, wissenschaftsbasierten Geschlechtsbegriff entkoppelt.  Deshalb übten besonders einige radikalfeministische Frauen harsche Kritik, ebenso die Union. Wer kein Verständnis mehr davon hat, was eine Frau ist, kann nur schwer Zugangsbeschränkungen zu Räumen auf der Basis des Geschlechts aufrechterhalten. Auch „Bild“-Zeitungsredakteurin Maike Klebl sieht deshalb das beschlossene Selbstbestimmungsgesetz als Gefahr für Frauen.  Betroffenenverbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) geht das Gesetz hingegen nicht weit genug. Gerade der Hausrecht-Passus, der einzelnen Betreibern geschlechtsspezifische Angebote auf der Basis der biologischen Geschlechts ermöglichen soll, wird als Einschränkung empfunden.

Georgine Kellermann zeigt mit diesem Tweet auf X am 12. April 2024 kein Verständnis für den Beitrag von „Bild“-Zeitungsredakteurin Maike Klebl.

In Bezug auf Kinder und Jugendliche ignorieren Bundesregierung und Transaktivist*innen beharrlich die Entwicklung im Ausland, wo man mittlerweile längst weiß, dass bereits eine soziale Transition die Weichen für eine medizinische stellen kann (IQN berichtete).

 

Ampelkoalition feiert sich selbst

Transaktivist*innen und die Ampelpolitiker*innen feiern sich nun selbst frenetisch. Sie sollten in ihrem Freudentaumel aber nicht übersehen, dass die atmosphärische Grundstimmung rund um die Verabschiedung ihres Selbstbestimmungsgesetzes eine polarisierte ist. Daran ändert es nichts, dass der Queerbeauftragte Sven Lehmann (Bündnis 90/die Grünen) in seiner Rede Organisationen und Verbände aufzählte, die sich für das Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen haben. Insbesondere, da diese den hauptsächlich grünen Reformwünschen wohl auch deshalb Folge leisteten, weil sie allesamt von Fördertöpfen des Bundes wie zum Beispiel „Demokratie leben“ und der Länder abhängig sind. Durch die Verweigerung, eine breite Debatte zu führen und seriös auf Bedenken einzugehen, wurde sehr viel Unmut geschürt. Befürworter*innen des Selbstbestimmungsgesetzes werden auch damit in Verbindung gebracht und nicht mehr so einfach als Autorität akzeptiert werden.

Janine Wissler, Bundesvorsitzende der Partei „Die Linke“, befürwortete das Selbstbestimmungsgesetz am 12. April 2024 auf X. Auch hier gab es in den Kommentaren Widerspruch (Foto: Screenshot).

2017 bei der „Ehe für alle“ war die Grundstimmung eine andere, auch in der Union. Als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fraktionszwang bei der Abstimmung im Bundestag aufhob, stimmten auch Abgeordnete der CDU/CSU für die rechtliche Gleichstellung von heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Ehen: Die Ehe war quasi über Nacht zu sich selbst gekommen – ein Liebes- und Verantwortungsbund zweier erwachsenen und nicht direkt blutsverwandter Menschen. Die biologische Privilegierung der Ehe – nur heterosexuell orientierte Menschen durften sie eingehen – war getilgt. Die damalige CSU-geführte bayrische Landesregierung erwog zwar eine Verfassungsklage, um die Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, sah aber später davon ab. Heute wird die Ehe für alle auch im Grundsatzprogramm der CSU anerkannt.

 

Wie entwickelt sich die Akzeptanz?

Ob sich die Akzeptanz beim Selbstbestimmungsgesetz ähnlich entwickeln wird wie bei der Ehe für alle, wird sich zeigen. Die Art und Weise, wie das Gesetz durchgebracht wurde, ist dafür allerdings eine schwere Belastung. Nun wurde es im Parlament beschlossen, jetzt bleibt abzuwarten, welche gesellschaftlichen Folgen es nach sich ziehen wird. Ebenso ist abzuwarten, ob die Gegnerinnen und Gegner dieses Gesetzes aufgeben werden. Im Vorfeld kündigten Fraueninitiativen an, dagegen klagen zu wollen. Und ob man sich in der Union mit der Niederlage im Parlament zufriedengeben wird, ist auch noch offen.

Transaktivist*innen werden in den kommenden Monaten und Jahren möglicherweise lernen, dass Akzeptanz nicht mit der Brechstange zu haben ist. Wer seinerseits weder Achtung noch Respekt für das Wohl, die Grenzen und Bedürfnisse anderer hat, braucht nicht zu hoffen, dass diese einem selbst noch Respekt und Anerkennung entgegenbringen wollen.

 


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog. Im November 2023 war er als Sachverständiger im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz angehört worden.

Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.