25 Jahre nach der Abschaffung des §175 skizzierte Georg Härpfer in einer Queer Lecture die Verfolgung schwuler Männer in Deutschland.


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Diese Queer Lecture war eine Punktlandung: Genau 25 Jahre zuvor, am 11. Juni 1994, hatte der Deutsche Bundestag den Unrechtsparagrafen 175 StGB, der einvernehmliche homosexuelle Handlungen von Männern unter Strafe stellte, endgültig abgeschafft.

Der 1949 geborene Georg Härpfer bot einen kompetenten und zugleich mit vielen bemerkenswerten und auch persönlichen Erfahrungen angereicherten Überblick über die verschiedenen Etappen der staatlichen (und mit ihr einhergehenden gesellschaftlichen) Verfolgung von schwulen und bisexuellen Männern.

Der 70-Jährige ist seit 2015 Vorstandsmitglied bei der „Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren“ (BISS) und gilt als einer der Wegbereiter der Abschaffung des §175 sowie der Rehabilitierung der von Verfolgung und Kriminalisierung betroffenen Männer.

Im Rahmen seines kenntnisreichen Vortrags „§175 – Der lange Weg zur Rehabilitierung“ vor 50 höchst interessierten Zuhörer*innen unternahm Härpfer einen historischen Ritt durch die Verfolgungsgeschichte von Homosexuellen in Deutschland. Nüchtern beschrieb er die Einführung des §175 im Kaiserreich, wo Homosexualität noch mit der sogenannten „Sodomie“ gleichgestellt wurde, mit tierisch Sexuellem, um dann detaillierter auf die verschärfte staatliche Verfolgung während des Nationalsozialismus einzugehen.

August Bebel als Unterstützer der Entkriminalisierung Homosexueller

Dabei beließ er es keineswegs dabei, einzig auf die Verfolger einzugehen, sondern benannte zugleich das fortschrittliche Wirken von Intellektuellen wie dem Juristen und Schriftsteller Karl Heinrich Ulrichs oder dem Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, die sich schon vor der Machtübergabe an die Nazis für eine Entkriminalisierung von mann-männlicher Sexualität engagiert hatten. So hatte Hirschfeld 1897 eine Petition verfasst, die die Entkriminalisierung von Homosexualität forderte und über 6.000 Unterstützer – darunter etwa auch den Sozialdemokraten August Bebel – gefunden hatte.

Am 28. Juni 1935 indes wurde der §175 entgrenzt, im nationalsozialistischen Recht war die Höchststrafe bei Verstößen heraufgesetzt. Fortan war darüber hinaus nicht mehr nur der gleichgeschlechtliche Sexualakt, sondern schon der Austausch jedweder Zärtlichkeiten zwischen Männern unter Strafe gestellt.

Besagte Verschärfung schlug sich auch deutlich in den Statistiken über die Verfolgung von Homosexuellen nieder. Insgesamt sollen zwischen 1933 und 1945 rund 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. Etwa 57.000 Männer wurden nach §175 verurteilt.

Härpfer benannte das Leiden der zehntausenden Männer, die vom Regime verfolgt worden waren, verurteilt und in Zuchthäusern und Konzentrationslagern interniert worden. Auch zur Kontinuität der Verfolgung nahm er Stellung und zeigte auf, dass die staatliche Schwulenhatz mittels der von den Nazis verschärften Fassung des §175 auch nach der Befreiung Deutschlands vom NS nahtlos weiterging.

Verfassungsgericht bestätigt §175 in der Nazi-Fassung

So wurden nicht wenige homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus auch nach der Befreiung Deutschland weiterhin interniert, da der §175 auch in der Nachfolgerepublik des „3. Reiches“ weiterhin Bestand hatte und haben sollte, zumal nicht wenige Opfer des Verfolgungsfurors ihre Freiheitsstrafe noch nicht bis zum Ende des „Dritten Reichs“ abgesessen hatten.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass der §175 in der nazientgrenzten Form in der Bundesrepublik bis ins Jahr 1969 galt, was noch 1957 vom damaligen Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bezeichnet wurde.

Härpfer ging im Rahmen seines Vortrages keineswegs nur auf die staatliche Verfolgung ein, sondern benannte auch die damit einhergehende gesellschaftliche Diskriminierung und Verfolgung sowie die mangelnde Akzeptanz homosexueller Lebensweisen. Er verglich dabei auch die Entwicklung in der Bundesrepublik mit der in der DDR. Dort hatte sich die Lage für schwule Männer bereits 1968 mit der Einführung des neuen DDR-Strafgesetzbuches zumindest juristisch deutlich entspannt.

Erst 1994, im Rahmen der Rechtsangleichung der beiden deutschen Staaten, sah sich die Bundesrepublik gezwungen, den Paragraphen 175 ersatzlos zu streichen. Dem voraus gingen eine Reihe an Protesten von Bürgerrechtlern, Schwulen und Lesben, sowie wenigen aufgeschlossenen Politikerinnen und Politikern.

Gegner der Rehabilitierung in CDU, CSU, SPD und den Kirchen

Eindrucksvoll detailliert umriss Härpfer erste Versuche, eine Rehabilitation der Opfer des Unrechtsparagrafen durchzusetzen. Dabei scheute er sich keineswegs Unterstützerinnen und Unterstützer – wie etwa die 2011 in Berlin verstorbene Juristin und frühere Berliner Frauen- und Familiensenatorin Anne Klein (Grüne) – als auch Gegnerinnen und Gegner von Rehabilitation und Entschädigung zu benennen. Widerstand hatte es schließlich keineswegs nur in den Reihen von CDU/CSU und Kirchen, sondern auch in der SPD gegeben.

Aller politischer Erfolge zum Trotz skizzierte Härpfer auch die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des 2017 in Kraft getretenen Rehabilitierungsgesetzes für die Opfer des Schandparagrafen und bemerkte selbstkritisch, dass man in dieser Angelegenheit „viel früher hätte aktiv werden müssen“. „Auch wir haben die Opfer viel zu lange vergessen“, konstatierte er.

In Folge des Vortrages entspann sich unter anderem eine Diskussion über die Rolle der beiden großen Kirchen in der Verfolgungsgeschichte, die vom kompetenten Moderator des Abends, dem IQN-Vorstandsmitglied und taz-Redakteur, Jan Feddersen, angestoßen worden war.

Ein Horrorparagraf der alles vergiftet

Feddersen bekundete, den „großen Amtskirchen nicht verzeihen“ zu können, die bis heute zu dem von ihnen nicht nur geduldeten, sondern eingeforderten Unrecht an homosexuellen Männern, schweigen würden.

Zugleich jedoch verwies der Journalist auf das Moment, dass es durchaus einen Unterschied mache, ob Homosexualität gesellschaftlich geächtet würde, oder „ein Horrorparagraf alles vergiftet und eine zusätzliche Legitimation für Ächtung und Verfolgung“ liefere.

Die politische Debatte darum, aber auch um weitere notwendige Fortschritte in der schwul-lesbischen Emanzipationsarbeit, sollte flugs fortgesetzt werden. Das bewies der Abend allemal.

Markus Bernhardt