Am 12. April 2024 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz. In den Medien war zwar dieses Ergebnis die Meldung des Tages, aber im Vorfeld wurde das Thema zu wenig und zu unkundig aufgegriffen. Vielen Bürger*innen ist daher die Tragweite dieses neuen Gesetzes immer noch unbekannt


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16. April 2024 | Till Randolf Amelung

Am vergangenen Freitag haben die Ampelparteien im Bundestag ihr Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, mit dem am 1. November 2024 das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz abgelöst werden soll (IQN berichtete). So weit, so bekannt: Volljährige Bürger*innen können zukünftig ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag per Selbsterklärung auf dem Standesamt abgeben, ohne wie bisher zwei Sachverständigengutachten zu benötigen. Es ist kein Nachweis mehr erforderlich. Bei Minderjährigen bis zum 14. Lebensjahr geben Eltern die Erklärung über den Wechsel ab, ab dem 14. Lebensjahr tun dies Jugendliche*r und Eltern gemeinsam. Es muss bei Minderjährigen noch eine zusätzliche Erklärung abgegeben werden, dass eine Beratung erfolgt sei. Nachgewiesen werden muss dies aber nicht.  Die CDU/CSU lehnte das Gesetz ab, ihre Hauptgründe waren der Verzicht auf jede Überprüfung der Selbsterklärung durch Dritte sowie unzureichende Schutzvorkehrungen für Minderjährige.

Vergleichbare Kritik wird seit Vorstellung der Eckpunkte des nun verabschiedeten Gesetzes im Sommer 2022 vorgebracht. Gerade einige klassische Fraueninitiativen und einzelne Aktivistinnen wiesen energisch darauf hin, dass Änderungen des Geschlechtseintrags auf der Basis der reinen Selbsterklärung ein Sicherheitsrisiko für Frauenschutzräume darstellen können. Ebenso wurde immer wieder auf Risiken einer vorschnellen Bestätigung von Transitionen bei Minderjährigen aufmerksam gemacht. Einige Expert*innen aus Rechtswissenschaften und Medizin bestätigten die vorgebrachten Kritikpunkte ebenfalls. Aus der Bundesregierung wurde jedoch jegliche Kritik zurückgewiesen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Kritikpunkten fand nicht statt – nicht mal, als CDU/CSU zu Ende 2023 eine Kleine Anfrage mit über 90 Fragen stellten, die sehr deutlich auf die Schwachstellen hinwiesen.

 

Einseitige Berichterstattung

In den deutschen Medien wurde das geplante Selbstbestimmungsgesetz bis zur erfolgreichen Verabschiedung am Freitag eher verhalten aufgegriffen. Tiefergehende Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichen Standpunkten gab es nur wenige, auch in den öffentlich-rechtlichen Medien. Ein Tiefpunkt war ein als „Faktenfinder“ deklarierter Text von Januar 2023 im Online-Angebot der ARD-„Tagesschau“, der jedwede Kritik braun anmalen wollte.

Am Verabschiedungstag selbst war das Selbstbestimmungsgesetz allerdings Thema des Tages. In vielen Beiträgen (z.B. im „Merkur)  wurden die Beweggründe der Bundesregierung wiedergegeben sowie die Kritikpunkte der Opposition. Auffallend war, dass die Tragweite dieses Gesetzes, nämlich mit der vollständigen Entkopplung des Geschlechterbegriffs von materiellen Grundlagen, von vielen Medien gar nicht gesehen und daher auch nicht entsprechend eingeordnet wurde. Der Bericht der „Tagesschau“ schließt mit einem Zitat der Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, dass das Gesetz einer kleinen Minderheit helfe und sich für die allermeisten Menschen nichts ändere. Ähnlich unkritisch ist der Beitrag von Nina Monecke in „Die Zeit“. Zum Ende verweist sie auf andere Länder, in denen bereits eine Form des Selbstbestimmungsgesetzes gibt. „Die Anzahl der registrierten Fälle, in denen Menschen das Gesetz seither missbraucht haben, liegt Regierungsvertretern zufolge im einstelligen Bereich“, behauptet Monecke. Das weitreichende Gesetz wurde also auch in den allermeisten Medien klein geredet, um wohl von der größeren Dimension abzulenken. Denn: Allein für Spanien ist das eine falsche Angabe, dort sind es schon mindestens 41 Männer, die das dortige Selbstbestimmungsgesetz missbraucht haben. Im Deutschlandfunk wollte Kommentatorin Gudula Geuther ebenfalls keine Risiken in dieser Hinsicht sehen, allenfalls die Regelungen für Kinder und Jugendliche sah sie etwas kritischer, weil mitunter zu wenig schützend.

 

Keine kritischen Stimmen

Auch die von Transaktivist*innen vorgebrachte Darstellung, die Gutachten seien per se „entwürdigend“ und verstoßen gegen die Menschenrechte, wird nie hinterfragt. Einige Medien wie „Der Spiegel“, „n-tv“ oder die Deutsche Presse-Agentur ließen Transpersonen zu Wort kommen und eigene Erfahrungen mit dem Transsexuellengesetz schildern – interessanterweise wurden nur junge Transmännner interviewt. Stimmen von Transpersonen, die eine andere Sichtweise auf die TSG-Gutachten oder auf den grundsätzlichen Verzicht von jedweden Nachweisen für eine Personenstandsänderung haben, waren nirgends vertreten.

Auch außerparlamentarische kritische Stimmen wurden in der Berichterstattung kaum abgebildet. Die feministische Aktivistin und Autorin Isabel Rohner berichtete auf X, dass sie von einem Team für das Journal des französisch-deutschen TV-Senders Arte interviewt worden sei, dies aber im späteren Beitrag weggelassen worden wäre. Stattdessen hieß es, das Selbstbestimmungsgesetz habe in der Bevölkerung „breite Zustimmung“.

In den Medien der LGBTIQ-Community gibt es ebenfalls keine kritischen Töne, stattdessen äußern sich Transaktivistinnen wie Nora Eckert auf Queer.de, dass ihnen das Gesetz noch nicht weit genug gehe.

Einen anderen Umgang gab es hingegen allenfalls in konservativ ausgerichteten Medien wie „Die Welt“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“. Allen voran „Die Welt“ berichtete auch über die letzten zwei Jahre hinweg ausführlicher über Kritik am Selbstbestimmungsgesetz. Das feministische Magazin „Emma“ begleitet derzeitige Themen rund um Trans schon seit Anfang 2020 kritisch. Wenig überraschend wird dort die Entscheidung des Bundestags als „Katastrophe“ gesehen.

Insgesamt hat die Medienlandschaft zu wenig getan, um eine breite, aber auch differenzierte Debatte über die Tragweite des Selbstbestimmungsgesetz zu fördern. Dies nicht nur durch Einseitigkeit, wenn denn das Thema aufgegriffen wurde, sondern auch durch Nicht-Berichten.

 


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog.