Ein Blick zurück nach vorn auf Geleistetes und das, was noch zu erstreiten bleibt
von Benno Gammerl
Für die Initiative Queer Nations war 2018 ein enorm erfolgreiches Jahr. Unser gemeinsames Projekt, das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus (E2H), ist ein großes Stück vorangekommen. Am 7. November 2018 stellten Jan Feddersen, Christiane Härdel und Lily Kreuzer vom Vorstand des neu gegründeten Vereins der Freund*innen des Elberskirchen-Hirschfeld-Hauses im Abgeordnetenhaus den Vertreter*innen der Berliner Politik und der Stadtöffentlichkeit das neue Raumkonzept für das Queere Kulturhaus vor. Die Arbeitsgemeinschaft der L.I.S.T. GmbH hatte dieses Konzept zusammen mit Anne Lampen Architekten seit Juli 2018 entwickelt. In einer intelligenten Mischung aus öffentlichen Foyer-, Ausstellungs-, Bibliotheks-, Kino- und Veranstaltungsbereichen, aus nach Anmeldung für Nutzer*innen zugänglichen Arbeits-, Kreativ- und Seminarräumen sowie aus Büros und Archiven verbindet das Konzept die sechs Ebenen des ehemaligen taz-Gebäudes barrierefrei zum neuen E2H.
Zu Beginn der Veranstaltung betonte Dr. Klaus Lederer (Die Linke), Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa, wie sehr es ihn freue, dass die Planungen für das Queere Kulturhaus bereits so weit vorangeschritten seien. Auch taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch betonte seine Bereitschaft, nun zügig in Verhandlungen über die Vermietung des Gebäudes einzutreten. Deswegen kommt es nun darauf an, die Finanzierung des Projekts möglichst zügig auf sichere Beine zu stellen. Bei den Haushaltsverhandlungen im Abgeordnetenhaus würde die Berliner Kulturverwaltung, die auch die Erstellung des Raumkonzepts finanziert hatte, das E2H nach Kräften unterstützen, so Lederer. Carsten Schatz (Die Linke) und Melanie Kühnemann (SPD) sicherten als queerpolitische Sprecher*innen dem Projekt ebenfalls die Unterstützung ihrer Fraktionen zu. Auch Vertreter*innen von CDU, Bündnis 90/Grüne und FDP hatten ihre Zustimmung signalisiert. Dennoch wird es in den kommenden Monat ganz entschieden darauf ankommen, immer wieder deutlich zu machen, wie sehr den Bildungsinitiativen, Archiven und anderen Projektträger*innen, die sich unter dem Dach des E2H versammeln, wie sehr der queeren Community und wie sehr der gesamten Öffentlichkeit in Berlin und darüber hinaus an der Realisierung des Queeren Kulturhauses als Ort der Debatten über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt für eine moderne Stadtgesellschaft gelegen ist.
Für eine breite öffentliche Unterstützung konnten die Initiative Queer Nations auch diese Jahr wieder auf dem schwul-lesbischen Stadtfest werben, mit einem eigenen Stand, an dem sich Hunderte Besucher*innen über das E2H informierten und mit Unterschriften ihre Befürwortung des Projekts bekundeten. Besonders gefreut haben wir uns zudem darüber, dass der Berliner CSD die Schaffung des Elberskirchen-Hirschfeld-Hauses für queere Forschung, Bildung und Kultur in seinen Katalog von elf klar formulierten und eindringlich vorgetragenen Forderungen aufgenommen hat. So gesehen zogen am 28. Juli 2018 Tausende Menschen durch Berlin und machten sich dabei auch für die Errichtung des Queeren Kulturhauses stark.
Das Jahrbuch Sexualitäten – eine Erfolgsgeschichte
Auf breites öffentliches Interesse stößt auch weiterhin unser Jahrbuch Sexualitäten, das im Sommer zum dritten Mal erschien. Neben einem Essay über die Ehe für Alle in Deutschland und einem Gespräch mit Martin Dannecker über die Unmöglichkeit eines queeren Begehrens enthält es Beiträge unter anderem zur Transvestitenzeitschrift „Das 3. Geschlecht“ aus den frühen 1930er Jahren, zu Hans Giese, zu queeren Perspektiven auf den Holocaust und zu James Baldwin. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Janin Afken, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf, die zusammen mit den IQN-Vorstandsmitgliedern Jan Feddersen und Benno Gammerl die Herausgabe des Jahrbuchs besorgen. Das Jahrbuch 2019 ist bereits in Vorbereitung.
Unsere Queer Lectures
Dieser Band wird dann ebenfalls wieder einige der im zu Ende gehenden Jahr gehaltenen Queer Lectures in Schriftform veröffentlichen. In dieser Reihe von nach wie vor ausgesprochen gut besuchten Vorträgen präsentierte Ende November Sébastien Tremblay seine Thesen zur Geschichte des Rosa Winkels als transnationaler Ikone queerer Bewegungen; im Oktober sprach Adrian Daub über eine neue Form der Homophobie, die scheinbar ohne die Existenz homophober Menschen Platz greift; im September diskutierte Caroline A. Sosat die psychischen und gesellschaftlichen Effekte der misogynen Kränkung; im Juli sprach Johannes Kram über die schrecklich-nette neue Homophobie; im Mai stellte Ilan H. Meyer sein Konzept des minority stress vor, der die Angehörigen sexueller und anderer Minderheiten besonderen gesundheitlichen Risiken aussetzt; und im April präsentierte Katharina Oguntoye den Film „A Litany for Survival“ über Audre Lorde. Aufgrund des beginnenden Umzugs der taz finden die Vorträge seit November übrigens nicht mehr wie gewöhnlich im taz Café, sondern in den neuen Räumen der taz in der Friedrichstraße 21 statt. Dort wird am 18. März 2019 um 19.30 Uhr auch Benedikt Wolf unter dem Titel „Queer. And Now?“ seine kritischen Gedanken zu einer Geschichtsschreibung der Queer Theory präsentieren.
Vorträge zu Fragen der queeren Zeit
Zusammen mit der Magnus Hirschfeld Gesellschaft organisiert die Initiative Queer Nations aus Anlass des 150. Geburtstages von Magnus Hirschfeld zudem die Reihe Rainbow Lectures. Mitte November sprach Ulrike Lunacek, die die österreichischen Grünen im Europa-Parlament vertritt, zu „LSBTIQ* in Zeiten illiberaler Demokratien“. Zu den weiteren Vortragenden gehören Katarzyna Remin aus Polen, Anna Hájková aus Großbritannien, Patrick Henze aus Deutschland, Aeyal Gross aus Israel und Dennis Altman aus Australien. Der 150. Hirschfeld-Geburtstag war auch Anlass für einen Festakt der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld im Haus der Kulturen der Welt am 14. Mai 2018, bei dem Jan Feddersen ein breites Publikum, zu dem auch die Bundesministerinnen der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Katarina Barley, und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey gehörten, für die Idee des Queeren Kulturhauses in Berlin begeistern konnte.
Was bringt die queere Zukunft?
Äußerst erfolgreich entwickelte sich auch das von der Initiative Queer Nations angeregte Netzwerk der queeren Archive im deutschsprachigen Raum. Im November trafen sich Vertreter*innen unter anderem aus München, Wien, Zürich, Potsdam und Berlin zum zweiten Mal und bekundeten ihre Bereitschaft, einen Verein zur Schaffung einer gemeinsamen online-Plattform ins Leben zu rufen. Dieses Portal soll Nutzer*innen in Zukunft einen Zugang zu verschiedenen Beständen eröffnen, die für die Auseinandersetzung mit der LSBTI* Geschichte von Interesse sind.
Der globalen Vernetzung dient schließlich die ALMS-Konferenz, die alle paar Jahre queere Archives, Libraries, Museums und Special Collections aus aller Welt an einem Ort versammelt. Diese Tagung, an deren Organisation auch die Initiative Queer Nations beteiligt ist, wird vom 27. bis zum 29. Juni im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfinden, eine gute Gelegenheit das E2H – Queeres Kulturhaus einer interessierten weltweiten Öffentlichkeit zu präsentieren.